Rhein-Neckar, 13. Juli 2015. (red/pro) Schon heute reichen die Kapazitäten nicht, um Asylsuchende menschenwürdig unterzubringen. Dabei ist das erst der Anfang. Aktuell hat Baden-Württemberg 22.000 Menschen aufgenommen, bis Jahresende sollten es vor einer Woche noch 50.000 sein, Mitte der Woche hieß es 56.000 und zum Ende der Woche bis 70.000 Menschen. Die staatlichen Behörden sind schon heute überfordert – ohne Ehrenamt würde alles zusammenbrechen. Deswegen brauchen wir sehr schnell einen regionalen Flüchtlingsgipfel und eine vernünftige Unterstützung der ehrenamtlichen Helfer.
Von Hardy Prothmann
Die Bedarfsersteinrichtung (BEA) Heidelberg ist übervoll. Erst sollte das Partrick-Henry-Village ein Winterquartier sein, mit 1.000 höchstens 2.000 Asylsuchenden. Aktuell sind es 2.500 Menschen, die dort leben. Aktuell wurde mit der Stadt Heidelberg vereinbart, dass man den Standort bis Mitte 2016 verlängert.
Statt 50.000 Flüchtlingen werden 70.000 erwartet
In Schwetzingen leben 350 Menschen im „Camp“, einem Containerlager vor der Stadt. Aktuell hat Landrat Stefan Dallinger (CDU) ein Hotel in einem Gewerbegebiet beschlagnahmt – am Donnerstag zogen dort 120 Schwarzafrikaner ein, es werden womöglich 160. Am Donnerstag meldet die NPD eine Mahnwache an – sieben Rechtsextreme kommen, 400 Bürger demonstrieren dagegen.
Der Druck wird steigen – in der Bevölkerung, bei den Ehrenamtlichen
Die Liste wird sich fortsetzen, denn bis vor kurzem rechnete das Landratsamt mit untergebrachten 2.200 Personen, 2.900 werden es bis Jahresende sein. Jetzt rechnet man mit 4.000 Neuankömmlingen, es fehlen also nicht 700, sondern 1.800 Unterkunftsplätze. Oder 12.600 Quadratmeter Wohnfläche – denn ab 2016 hat jede Person Anspruch auf 7 statt 4,5 Quadratmeter. Vermutlich fehlen noch viel mehr als die 1.800 Plätze, denn aktuell geht es überall meist noch beengter als beengt zu. Was richtigerweise als „humanitäre Entscheidung“ der grün-roten Landesregierung gedacht war, könnte zum realpolitischen Bumerang werden.
Ehrenamtliches Engagement
Vor Ort kümmern sich die großen Sozialverbände und eine Vielzahl freiwilliger, ehrenamtlicher Helfer. Sie organisieren, helfen bei Behörden- oder Arztgängen, kümmern sich um die Kinder, schaffen Kleidung und Material heran. Das allerwichtigste aber ist Aufmerksamkeit und Nähe. Ein gutes Gefühl für Menschen, die Familien und Heimat hinter sich gelassen haben und nicht wissen, was ihre Zukunft sein wird. Und es gibt viele in der Bevölkerung vor Ort, die kein gutes Gefühl haben, wenn Fremde kommen – wer kümmert sich um die? Sorgen und Ängste sind überwiegend unbegründet – aber man muss sie ernst nehmen. Sonst werden sie ernst – aber anders, als man sich das „wünscht“.
Enorme Anstrengung – für Ehrenamtliche
Keiner der Flüchtlinge macht sich Gedanken um seine Altersvorsorge oder auf welche Schule die Kinder gehen sollen – oft haben die Eltern keine besucht und die Kinder auch nicht. Es gibt aber auch die studierten Flüchtlinge, die genaue Vorstellungen hätten und ihre Kinder fördern wollen, die aber trotz akademischem Abschluss nicht arbeiten dürfen – schon gar nicht in ihrem Beruf.
Jeder Ehrenamtliche teilt das Schicksal der Flüchtlinge – erstmal weiß man nicht, was einen erwartet. Wie geht man mit verschiedenen Kulturen um? Was sind die Bedürfnisse, was definitiv nicht? Welche Informationen muss man vorhalten können? Welche Kontakte zu welchen Behörden, Ärzten braucht man? Wer ist dort Ansprechpartner? Es sind hunderte von Standardfragen und tausende, die sich je nach Situation ergeben.
Und alle Ehrenamtlichen fangen überall vor Ort ganz alleine an. Sie machen alle dieselben Fehler und freuen sich, wenn etwas gelingt – jemand im Nachbarort erfährt nichts von der guten Lösung und macht vermutlich erstmal einen Fehler.
Der kann auch sein, zu leichtgläubig zu sein. Die Mehrzahl der Flüchtlinge sind Menschen, die froh sind, in Sicherheit zu sein. Aber es gibt auch Spitzbuben, Lügner, Kriminelle, die andere ausnutzen. Wie können Ehrenamtliche sich und andere vor denen schützen? Manchmal sind es auch nur Missverständnisse die Probleme bereiten – wie geht man damit um?
Ein regionaler Flüchtlingsgipfel tut Not
Um wen kümmert man sich? Um alle gleich? Oder eher bevorzugt um Familien mit Kindern? Was ist mit den jungen Männern? Die sind alleine, keinen, zu dem sie gehören, der sie lieb hat. Und sie neigen dazu eher „Dummheiten“ zu machen. Bräuchten die nicht am ehesten Hilfe und Fürsorge? Kümmert man sich eher um die schlauen, angepassten, die, die sich schnell integrieren oder auch um die schwierigen Fälle? Wäre es nicht klüger, sich um die schwierigen Fälle zu kümmern, damit die keine „Fehler“ machen?
Es sind so viele Fragen und die Herausforderung ist dermaßen groß, dass es einen regionalen Flüchtlingsgipfel braucht. Keinen im fernen Stuttgart, keinen, auf dem die üblichen Leute auftreten, sondern einen vor Ort mit Leuten von vor Ort.
Ich habe dazu verschiedene Politiker aus verschiedenen Parteien in den vergangenen Tagen angesprochen. Mit der klaren Ansage, dass sie das anstoßen sollen, sich letztlich aber raushalten oder wenn einbringen, dann nur als Menschen unter Menschen. Damit war die Begeisterung „überschaubar“ – viele denken zuerst darüber nach, welcher Vorteil für einen selbst oder die Partei drin ist.
Reflügi und eine Koordinierungsstelle
Denn dieser „ReFlüGi“ darf nur ein Auftakt sein. Weiter braucht es ein Büro, das nur für die Ehrenamtlichen da ist. Nicht der Rhein-Neckar-Kreis, keine kommunale Stelle, keine Kirche, kein Sozialverband und auch keine Menschenrechts-NGO wie Pro Asyl – denn alle vertreten immer auch eigene (wirtschaftliche und politische) Interessen.
Man kann dafür einen Verein gründen, dessen Ziel die Koordination und Unterstützung ehrenamtlicher Helfer ist. Es müssen Kontakte gepflegt, viele Dinge organisiert werden und vor allem braucht es eine Wissensdatenbank und möglicherweise ein Form für den Gedankenaustausch. Verhaltensratgeber, Checklisten, um die Zeit sinnvoll einzusetzen, Übersichten zu Ressourcen. Dazu kann man alle staatlichen Stellen mit einbinden – aber eben einbinden und nicht eingebunden sein.
Und: Das ist insbesondere für viele Behörden ein Schock. Man kann hier aktiv Öffentlichkeitsarbeit für die Ehrenamtlichen machen. Sehr nüchtern benennen, was gut läuft und was nicht. Nicht politisch-programmatisch, sondern ganz real.
Die Gefahr, dass Ehrenamtliche sich wegen Überforderung zurückziehen, ist enorm. Denn nicht nur die zeitliche, auch die emotionale Belastung ist teils enorm. Und jeder, der aussteigt, nimmt sein Wissen mit, das anderen fehlt. Wir können uns eine solch kolossale Verschwendung von Ressourcen überhaupt nicht leisten.
Ressourcen bündeln
Auch das ist vielen nicht klar: Ehrenamtliche lernen dazu, sie begleiten Familien und Einzelpersonen. Über deren Anträge wird entschieden, dann kommen sie aus aus den Lagern, müssen zurück in ihre Länder oder dürfen hier bleiben und ihr Leben neu gründen. Dann kommen neue Menschen – andere Länder, andere Schicksale.
Ein solches überparteiliches, überkonfessionelles und überideologisches Koordinationsbüro kann helfen, Mittel und Energien effizienter einzusetzen. Denn Effizienz wird anhand der Zahlen benötigt. Und zwar schnell.
Wenn die Bürger die „Flüchtlingsproblematik“ der Politik und den Behörden überlassen, wird man sehr schnell überall vor vollendete Tatsachen gestellt- und muss die Probleme vor Ort trotzdem lösen. Alleine oder auch allein gelassen, weil man nicht bereit war, über die eigene Gemarkungsgrenze hinaus zu schauen. Freital kann schnell überall sein.
Das Ministerium für Integration hält Mittel in Höhe von fünf Millionen Euro für Integrationsprojekte vor.
Jede Anstrengung ist besser, als wenn die Stimmung kippt.