Mannheim, 13. Januar 2015. (red) Die Aktion «Unwort des Jahres» möchte auf öffentliche Formen des Sprachgebrauchs aufmerksam machen und dadurch das Sprachbewusstsein und die Sprachsensibilität in der Bevölkerung fördern. Nach Zahl der Einsendungen hätte “Russland-Versteher” gewinnen müssen – eine Jury aus Sprachwissenschaftlern und Journalisten wählt aber unter den Einsendungen aus.
Von Hardy Prothmann
„Lügenpresse“ ist ein Kampfbegriff der “Pegida”-Veranstaltungen. Auch “Pegida” für “Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands” stieß vielen Einsendern auf. Die Jury begründet die Auswahl:
“Lügenpresse” war bereits im Ersten Weltkrieg ein zentraler Kampfbegriff und diente auch den Nationalsozialisten zur pauschalen Diffamierung unabhängiger Medien. Gerade die Tatsache, dass diese sprachgeschichtliche Aufladung des Ausdrucks einem Großteil derjenigen, die ihn seit dem letzten Jahr als „besorgte Bürger“ skandieren und auf Transparenten tragen, nicht bewusst sein dürfte, macht ihn zu einem besonders perfiden Mittel derjenigen, die ihn gezielt einsetzen.
Selbstverständlich, so die Jury weiter, stimme nicht immer alles, was in den Medien stehe. Aber die pauschale Diffamierung der Arbeit von Journalisten, die insbesondere “Pegida” versuchen kritisch einzuordnen, verhindere eine fundierte Medienkritik und gefährde die für die Demokratie so wichtige Pressefreiheit. Außerdem werden gerügt: „Erweiterte Verhörmethoden“ und „Russland-Versteher“.
Wir dokumentieren die weiteren Begründungen:
„Erweiterte Verhörmethoden“
Aktuell geworden durch den CIA Bericht 2014, hat sich der Begriff „erweiterte Verhörmethoden“ in der Berichterstattung zu einem dramatisch verharmlosenden Terminus Technicus entwickelt. Der Ausdruck ist ein Euphemismus, der unmenschliches Handeln, nämlich Folter, legitimieren soll. Auch wenn er in deutschen Medientexten in distanzierenden Anführungszeichen steht, dient er letztlich dazu, das in seiner Bedeutung sehr klare Wort „Folter“ zu umgehen. Dass man sich die Sprache der Täter mit dieser Übernahme zu eigen macht und damit akzeptiert, ist bedauerlich.
(Der Ausdruck wurde in dieser Form 5-mal eingesendet.)
„Russland-Versteher“
Zum Unwort wird dieser in der aktuellen außenpolitischen Debatte gebrauchte Ausdruck vor allem, weil er das positive Wort „verstehen“ diffamierend verwendet (und zwar ohne die Ironie, wie sie beispielsweise hinter der analogen Bildung des „Frauen-Verstehers“ steht). Wie Erhard Eppler im in seinem kritischen Essay „Wir reaktionären Versteher“ (Spiegel 18/2014 vom 28.04.2014) darlegt, sollte das Bemühen, fremde Gesellschaften und Kulturen zu verstehen, Grundlage einer jeden Außenpolitik sein, weil die Alternative nur Hass sein kann. Eine fremde Perspektive zu verstehen, bedeutet keinesfalls, damit zugleich Verständnis für daraus resultierende (politische) Handlungen zu haben. Andere polemisierend als „Versteher“ zu kritisieren, ist damit unsachlich und kann die inhaltliche Diskussion nicht ersetzen. Ein ganzes Volk zudem pauschal für eine politische Richtung haftbar zu machen und es mit dem Ausdruck „Putin-Versteher“ auf einen Autokraten zu reduzieren, zeugt von mangelnder Sprachreflexion oder aber gezielter Diffamierung.
(Der Ausdruck wurde in dieser Form 6-mal eingesendet.)
Unwort-Statistik 2014:
Für das Jahr 2014 wurden 733 verschiedene Wörter eingeschickt. Die Jury erhielt insgesamt 1246 Einsendungen. Die häufigsten Einsendungen (je über 10 Einsendungen), die den Kriterien der Jury entsprechen, waren Putin-Versteher / Russland-Versteher (zusammen 60-mal), PEGIDA / Patriotische Europäer gegen Islamisierung des Abendlandes (44-mal), Social Freezing (29-mal), tierische Veredelung / Veredelungsindustrie / Veredelungswirtschaft (in allen Varianten zusammen 25-mal) und Gutmensch / Gutmenschentum (zusammen 15-mal).
Die Jury der institutionell unabhängigen Aktion „Unwort des Jahres“ besteht aus folgenden Mitgliedern: den vier Sprachwissenschaftlern Prof. Dr. Nina Janich/TU Darmstadt (Sprecherin), PD Dr. Kersten Sven Roth (Universität Düsseldorf), Prof. Dr. Jürgen Schiewe (Universität Greifswald) und Prof. Dr. Martin Wengeler (Universität Trier) sowie dem Autor und Journalisten Stephan Hebel. Als jährlich wechselndes Mitglied war in diesem Jahr die Autorin, Moderatorin und Journalistin Christine Westermann (www.christine-westermann.de) beteiligt.