Mannheim, 13. Februar 2015. (red/ms) Großes Interesse am Fachgespräch der SPD Mannheim im jüdischen Gemeindezentrum in F3: Das Thema “Transatlantic Trade and Investment Partnership-Abkommen” (TTIP) zog rund 70 Besucher. Als Redner kam unter anderem MdEP Peter Simon (SPD) zu Wort. Nach seiner Darstellung erwartet die Bürger mit TTIP ein bürgerfreundliches Abkommen, das in erster Linie internationale Standards setzt – die Besucher blieben dennoch skeptisch.
Von Minh Schredle
Der Raum im Jüdischen Gemeindezentrum ist voll: Etwa 70 Besucher sind erschienen. Eine Handvoll muss sogar stehen, alle Sitzplätze sind belegt. Es ist eher eine Seltenheit, dass dermaßen komplexe politische Themen wie TTIP so viel Aufmerksamkeit erhalten – es zeigt, wie ernst es der Bevölkerung ist.

Großes Interesse – rund 70 Besucher interessierten sich für das Thema TTIP.
Die Veranstaltung wurde von der SPD ausgerichtet. Es gab eine Menge Eigenwerbung, es gab Seitenhiebe und abfällige Bemerkungen gegenüber anderen Parteien und natürlich wäre es auch schön gewesen, die Blickpunkte von Vertretern aus anderen Parteien zu hören und zu diskutieren – aber insgesamt ist es gut gelungen, ein breites Meinungsspektrum abzubilden.
Gutes Spektrum
Aus den Reihen der SPD sprachen der Fraktionsvorsitzende im Mannheimer Gemeinderat, Ralf Eisenhauer, und Peter Simon, Abgeordneter im Europäischen Parlament und dort stellvertretender Vorsitzender für den Wirtschafts- und Währungsausschuss. Die Moderation übernahm der Mannheimer Stadtrat Petar Drakul.

(von links) Intendant Kosminski, Fraktions-Sprecher Eisenhauer, Europa-Abgeordneter Simon, Moderator Drakul, IHK-Experte Kruse, DGB-Vertreterin Distler.
Daneben kamen Dr. Katrin Distler vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) Baden-Württemberg, Matthias Kruse von der IHK Rhein-Neckar, und Burkhard Kosminski, Schauspiel-Intendant am Nationaltheater Mannheim, zu Wort.
“Standards werden gesenkt”
Bevor die Diskussion begann und die Redner ihre Positionen erläuterten, kam Johannes Hauber vom Mannheimer Bündnis gegen TTIP/TISA zu Wort. Er sagte:
Für uns gilt der Grundsatz: Mensch vor Profit.
Bei TTIP gehe es um die Beseitigung regulatorischer Hindernisse. Dies seien laut Herrn Hauber aber in erster Linie nicht irgendwelche Zölle, da diese ohnehin schon sehr gering wären. Man wolle den Verbraucherschutz und andere wertvolle Standards, wie den Umweltschutz, aushebeln.
“Mehr könnte nicht auf dem Spiel stehen”
Es werde mehr privatisiert werden und diese Privatisierungen seien dann nicht mehr umkehrbar. In geheimen Schiedsgerichten würden demokratisch getroffene Entscheidungen umgangen und somit die Demokratie an sich beschnitten werden:
Es steht viel auf dem Spiel. Es könnte gar nicht mehr auf dem Spiel stehen,
sagte Herr Hauber aufgebracht. Man müsste nach den Interessen der Menschen, nicht nach denen von ein paar großen Unternehmen entscheiden:
TTIP steht für das genaue Gegenteil.
Dafür bekam Herr Hauber großen Applaus. Er traf offenbar das Denken des Publikums – das war nämlich überwiegend sehr kritisch. Herr Hauber nahm anschließend nicht mehr offiziell an der Diskussion teil – “beteiligte” sich aber durch einige Zwischenrufe.

IHK-Experte Matthias Kruse erklärt TTIP aus seiner Sicht.
“Hindernisse hemmen Export”
Matthias Kruse, Geschäftsführer für Internationales der IHK Rhein-Neckar, entgegnete Herrn Hauber, dass es immer noch einige Zölle gebe, die den Export bremsen – etwa 25 Prozent auf Sprinter. Das hätte Daimler dazu veranlasst, die Produktion ins Ausland zu verlagern.
Außerdem gebe es zahlreiche Auflagen und Zulassungsbedingungen in den USA, die in vielen Fällen “nicht besser oder schlechter, sondern einfach anders” wären. Auch das würde insbesondere in der Automobilindustrie Exporte hemmen.
Chlor vs. Antibiotika
Es sei nicht das Ziel, Vebraucherstandards aus dem Weg zu schaffen. In dieser Hinsicht wären die Amerikaner genauso skeptisch wie die Europäer:
Man kann sich fragen, was besser ist: Ein Chlorhühnchen oder ein Antibiotika-Hühnchen?
Auch Peter Simon betonte, dass es nur dann neue Standards gebe, wenn sich beide Seiten einvernehmlich darauf einigen:
Entweder wir finden einen gemeinsamen Nenner oder alles bleibt beim alten – das wird sich bei jedem einzelnen Punkt neu entscheiden.
Eigentlich ganz unproblematisch?
Laut Herrn Simon sei die Situation gerade “weder so hoffnungslos, noch so trostlos, noch so eindeutig entschieden, wie in den Medien dargestellt.” Es werde noch lange Verhandlungen geben, bis dahin könne sich noch Einiges verändern.
TTIP sei eine Chance für Europa, internationale Standards mit Vorbildfunktion zu schaffen, sagte Herr Simon. Wenn man sich das entgehen lasse, müsse man damit rechnen, dass diese durch ein amerikanisch-chinesisches Abkommen festgelegt werden.
So wie Herr Simon es darstellt, erwartet die Bürger mit TTIP ein eigentlich völlig unproblematisches, bürgerfreundliches Abkommen. Es werde “dank der Sozialdemokraten” zum Beispiel auch keine privaten Schiedsgerichte geben, versprach er.
“Wir sind das Züglein an der Waage”
Laut Herrn Simon seien die Lager im Europäischen Parlament klar: Linke, Grüne und Rechte würden das Abkommen ohnehin ablehnen, Konservative und Liberale werden dafür stimmen:
Wir Sozialdemokraten werden das Zünglein an der Waage sein.
Diese Bemerkung sollte man im Kopf behalten – wer verantwortlich ist, falls TTIP doch unternehmensgefällig und bürgerfeindlich ausfallen sollte. Es wurde jedenfalls eines klar: Grundsätzlich befürwortet die SPD das Abkommen. Nur was die genaue Ausarbeitung angeht, hat man noch “Schwierigkeiten” mit einigen Aspekten.
Chaotische Diskussion
Die Sachvorträge waren informativ, strukturiert, faktenbasiert und sogar weitgehend frei von Parteipolitik. Bei der anschließenden Diskussion ging es dagegen ziemlich chaotisch zu.
Es gab einen konstanten Lautstärkepegel durch Gemurmel im Publikum. Zettel wurden verteilt, auf denen Fragen notiert werden konnten. Diese wurden meistens jedoch nicht klar an einen der Diskussionsteilnehmer adressiert und blockartig alle aufeinmal hintereinander vorgelesen. So hatten die Podiumsteilnehmer eine breite Auswahl an Fragen, aus denen sie sich die auswählen konnten, die sie am besten beantworten konnten – einige Fragen wurden auch ganz ignoriert.

Informativer Abend vor einem sehr skeptischen Publikum.
Immer wieder riefen Leute aus dem Publikum etwas dazwischen und meistens wurde darauf eingegangen – im Gegensatz zu den Leuten, die sich meldeten. Diese wurden vom Moderator kaum beachtet. Hier gibt es Verbesserungspotenzial für die Zukunft.
Weiterhin Skepsis
Die Haltung des Publikums gegenüber TTIP blieb weiterhin skeptisch. Viele kritisierten, dass Herr Simon zwar verspreche, es werde keine Schiedsgerichte geben und Standards würden nicht gesenkt werden – aber dafür gebe es letztlich keine Garantie. Herr Drakul sagte dazu:
In einer repräsentativen Demokratie müssen Bürger den Versprechen ihrer Mandatsträger auch mal Vertrauen entgegenbringen.
Schauspiel-Intendant Burkhard C. Kosminski entgegnete, dass es mit dem Vertrauen nun einmal eine schwierige Sache sei, wenn man “über Monate hinweg den Eindruck hat, verarscht zu werden”. Die mangelhafte Transparenz habe da viel beschädigt.
Was ist mit dem Rest der Welt?
Gegen Ende der Veranstaltung meldete sich ein Bürger afrikanischer Herkunft aus dem Publikum zu Wort, der meinte, TTIP beachte die Interessen der USA und Europas – aber bestimmt nicht die der restlichen Welt.
Insbesondere der afrikanische Raum werde durch ein Abkommen weiter benachteiligt, da Handelshemmnisse zwischen den USA und Europa abgebaut würden, während Afrika weiter unter unangebrachten protektiven Schutzzöllen zu leiden habe und Agrarsubventionen der EU im Ausland Märkte zerstören würden.
Gerede von Gerechtigkeit nur Heuchelei?
Er sagte, man könne nicht von internationalen Standards reden, die Maßstäbe setzen sollen, während man weiterhin Kinderarbeit und Blutdiamanten gut heiße, um sich günstige Schokolade und billigen Schmuck leisten zu können:
Die Welt ist eine Familie und so sollte man Gesetze machen. Nur wenn für alle gleiche Handelsbedingungen gelten, kann man wirklich von Gerechtigkeit sprechen.
Er bekam für dieses Statement den meisten Applaus des Abends. Inhaltlich gingen die Diskussionsteilnehmer nicht darauf ein. SPD-Stadtrat Petar Drakul kommentierte: “Ihr Auftrag ist angekommen”.