Mannheim, 12. Januar 2015. (red/cb) Der Verein Rhein-Neckar Industriekultur beschäftigt sich mit den Industriegebäuden des Mannheimer Hafens. Genauer: Der Verein beschäftigt sich mit den Geschichten der Gebäude und den Schicksalen der Menschen, die mit ihnen im Zusammenhang stehen. So auch mit der Arisierung der jüdischen Unternehmen während des Nationalsozialismus. In ihrem Vortrag „Raub im Industriehafen“ vergangenen Freitag in der Abendakademie Mannheim beschrieben Veit Lennartz und Barbara Ritter, wie viele Unternehmen während der NS-Zeit ausgebeutet wurden.
Von Carolin Beez
Bereits im September 2014 eröffnete der Verein den Weg zur Mannheimer Industriekultur. Auf 31 Tafeln wurde die Möglichkeit geschaffen sich zu informieren und den Industriehafen auf individuelle Weise zu entdecken. Die Recherchen hierfür dauerten Jahre und führte die Mitglieder des Vereins nicht nur zu den Geschichten der ansässigen Unternehmen und Firmen.
Viel mehr erfahren sie immer mehr über Schicksale einzelner Menschen, die im Industriehafen arbeiteten. Ein besonderes Thema ist dabei die Arisierung von jüdischen Unternehmen zur Zeit des Nationalsozialismus.
Oftmals wird dieser dunkle Teil der deutschen und auch der Mannheimer Geschichte einfach ausgelassen,
sagt Veit Lennartz zu Beginn des Vortrags „Raub im Industriehafen“. Zusammen mit Barbara Ritter, der Vereinsvorsitzenden, spricht er darüber, wie die Nationalsozialisten jüdische Unternehmer arisierten, beraubten und ermordeten.

Rund 160 Menschen sind zu dem Vortrag erschienen – viel mehr als man dachte. Im Publikum saßen vor allem ältere Menschen, die an einigen Stellen zustimmend nickten oder fassungslos die Köpfe schüttelten. Viele der Anwesenden kennen solchen „Geschichten“ – von Erzählungen der Eltern, oder weil sie die Unternehmen selbst noch kennen gelernt haben.
Erschreckende Geschichten und Schicksale
Der Mannheimer Industriehafen wurde 1907 eröffnet und die Unternehmer strömten geradezu in die Stadt. Viele von ihnen waren jüdisch. Viele waren Rechtsanwälte, Kaufhausbesitzer, haben Banken gegründet oder waren Vorstand der Industriellen Handelskammer. Viele haben sich für das Gemeinwohl der Stadt eingesetzt. Viele hatten hier Freunde und Familie. Sie erlebten ein trauriges und erschütterndes Schicksal.
In dem Vortrag werden verschiedene Beispiele von Unternehmen genannt, die in den Ruin getrieben wurden – nur weil die Besitzer dem jüdischen Glauben angehörten.
Große Brutalität gegen jüdische Unternehmer
Vor der NS-Zeit habe die Religionszugehörigkeit keine bedeutende Rolle gespielt erklärt Barbara Ritter. Antisemitismus habe es auch schon gegeben, doch die krassen Formen hätten erst 1933 begonnen, als der NS-Staat den „legalisierten Raub“ startete.
Legalisiert deswegen, weil die Mannheimer Stadtverwaltung der NS-Zeit mit einer großen, legitimierten Brutalität gegen die jüdischen Unternehmer vorgegangen wäre.
Der damalige Bürgermeister Carl Renninger war einer der ganz schlimmen Nazis,
sagt Veit Lennartz in dem Vortrag. Die Stadtverwaltung sei „weit darüber hinausgegangen“ was von der Reichsregierung in Berlin gefordert wurde. Und das habe man in allen Lebensbereichen gespürt.
Man durfte nicht mehr zu jüdischen Ärzten oder Anwälten und jüdische Kinder mussten in der Schule getrennt von den restlichen Mitschülern in der letzten Reihe des Klassenzimmers sitzen – wenn sie denn zur Schule durften.
Keine Juden im Mannheimer Wirtschaftsleben
Für die jüdischen Unternehmen zeigte sich das Eingreifen des NS-Regimes, wenn sie keine Aufträge der Stadt mehr erhielten oder von der Rohstoffzulieferung abgeschnitten wurden. Die Unternehmen waren bald nicht mehr in der Lage, wirtschaftlich zu handeln und wurden zu Zwangsverkäufen gezwungen. Wieviele waren betroffen? Es gibt nur Schätzungen – von rund 1.200 Betrieben blieben am Ende 60 übrig. Bis 1939 wurden die Juden vollständig aus dem Mannheimer Wirtschaftsleben verdrängt.
Auch das Verkaufen der Unternehmen war zur NS-Zeit nicht mehr ohne große Verluste möglich. Juden mussten zahlreiche zusätzliche Abgaben leisten. Ihr Vermögen kam auf ein seperates Konto, von dem nur in geringen Mengen Geld abgehoben werden konnte.
Selbst nach dem Krieg war es für die Unternehmer nahezu unmöglich, ihre Rechte für die Unternehmen zurückzubekommen oder eine Entschädigungen zu erhalten. Die Verfahren zogen sich teilweise bis in die sechziger Jahre hinein.
Die Geschichte der Familie Loebmann
Besonders schockierend: Die Geschichte des Fritz Löbmann. 1920 kam die Familie nach Mannheim – 1929 wird Fritz geboren. Sie lassen sich hier mit der „Fabrik Technischer Öle und Fette F. & J. Löbmann“ nieder. Doch schon ab 1933 hatten die Unternehmer Ferdinand und Julius Löbmann große Probleme mit den Rohstofflieferungen. Sie waren gezwungen, ihren Betrieb zu verkaufen.
In dieser Zeit wandte sich Ferdinand Löbmann an Rudolph Fuchs, der damals den Familienbetrieb „Fuchs“ leitete. Die Firma Fuchs kaufte die Rechte an dem Produkt „Renolit“ und übernahm dieses in die eigene Produktion. Heute ist Fuchs Europe als Global Player weltweit vertreten und beschäftigt insgesamt über 4000 Arbeiter.
Am 22. Oktober 1940, wurden Ferdinand und Julius dann ins Internierungslager Gurs verschleppt. Ferdinand wird später in Auschwitz getötet. Julius gelang die Flucht aus dem Lager. Er lebte im Untergrund in Frankreich und emigrierte dann 1944 nach Amerika.
Sein Sohn Fritz Löbmann überlebte die NS-Verfolgung ebenfalls nicht. Er ist eines der bekannten „Kinder von Izieu“ das ist auch die Geschichte von Paul Niedermann). Herr Löbmann floh aus dem Lager in Gurs und kam in verschiedenen, geheimen Kinderheimen unter. Doch das Kinderheim in Izieu wurde entdeckt und alle Kinder in Auschwitz getötet.
Gegen das Vergessen
Dermaßen grausame Fälle sind in der Geschichte des Nationalsozialismus keine Seltenheit. Um so wichtiger ist es, dass man dieses Kapitel der deutschen und auch der Mannheimer Geschichte in die Erinnerung der Menschen zurückholt – und das gelingt Babara Ritter, Veit Lennartz und auch den restlichen Mitgliedern des Vereins Rhein-Neckar Industriekultur.
Im Foyer der Abendakademie gibt es ab sofort auch die Fotoausstellung „Der Industriehafen im Focus“. 13 verschiedene Fotographen haben die Aufgabe erhalten, den Industriehafen in ihrem ganz eigenen Empfinden zu fotografieren. Entstanden ist eine Fotostrecke mit vielen verschiedenen Blickwinkeln auf den Mannheimer Industriehafen. Die Ausstellung kann noch bis zum 13. Februar besucht werden.