Ladenburg, 13. September 2013. (red/ms) Gestern hat Bundesverteidigungsminister Thomas De Maizière in der Lobdengauhalle eine Rede über Deutschlands Sicherheitsprobleme im 21. Jahrhundert gehalten. Dabei hat er rhetorisch überzeugt – wenngleich der Eindruck entstand, dass sich manch einer zu leicht mitreißen ließ.
Von Minh Schredle
Vier Polizisten sind rund um die Lobdengauhalle positioniert. Zwei weitere bewachen den Eingang. Im Foyer warten etwa fünfzehn Mitglieder der Jungen Union. Ein paar von ihnen übernehmen die Garderobe, die anderen kontrollieren das Gepäck der Besucher. Bei mir gehen sie so beflissentlich vor, dass sie gleich zweimal in meinen Rucksack sehen wollen. Die Sicherheitsmaßnahmen sind hoch – aus verständlichen Gründen, wenn man die Attacken gegen Wolfgang Schäuble und Oskar Lafontaine bedenkt. Obwohl es um militärische Dinge geht bleibt es vollkommen friedlich.
Die aufgestellten Stuhlreihen hätten durchaus noch freie Plätze für mehr Besucher geboten, insgesamt ist die Halle aber gut gefüllt. Mehr als 200 Leute sind erschienen, um Bundesverteidungsminister Dr. Thomas de Maizière und den Heidelberger Listenkandidaten Dr. Karl A. Lamers live zu erleben. Auf den Stühlen liegen Werbegeschenke: Notizblöcke, Flyer, Feuerzeuge, Schlüsselanhänger mit Miniatur-Teddybären und mehr.
Final Countdown als Einlaufmusik
Um 19:00 Uhr sollte es anfangen. Ein paar Minuten später erklingen die ersten Takte von Europes „The Final Countdown“. Abrupt wird es wieder abgebrochen. Dann, wieder einige Minuten später, wird das Lied ein zweites Mal eingespielt. Diesmal aber viel zu laut: Die Boxen scheppern schon, die meisten Besucher verziehen erstmal das Gesicht. Einige halten sich sogar die Ohren zu. Dann laufen Herr de Maizière, Herr Lamers und Karl-Martin Hoffmann, der Vorsitzende der CDU Ladenburg, ein. Begleitet von den Ordnern der Jungen Union. Sie laufen aber nicht direkt zum Podium, sondern nehmen zunächst in der ersten Reihe Platz und auf einer Leinwand wird ein Video eingespielt.
Es zeigt den Wahlkreis von Herrn Dr. Lamers. Zahlreiche Wortmeldungen von ranghohen Politikern bescheinigen der Region ihre Schönheit. „Die Gegend um die Bergstraße – dort wo Deutschlands Italien anfängt“, schwärmt der Kommentar aus dem off, während herrliche Landschaftsaufnahmen und beeindruckende Bauten eingeblendet werden.
Ich frage mich, ob das wirklich so schmeichelnd ist, wenn man sich seit langem äußerst schwierige politische Lage Italiens vor Augen führt. Mein Umfeld sieht das scheinbar weniger kritisch: „Das war ja wirklich toll gemacht“, murmelt ein Herr, etwa um die fünfzig Jahre alt. Bei meinem Sitznachbarn und dem restlichen Publikum scheint der beschönigende Kurzfilm sehr gut anzukommen und wird mit tosendem Applaus belohnt.
30 Minuten Werbung für Herrn Lamers
Danach folgte noch eine zweite Einspielung, diesmal wurde aber nicht die Region, sondern Berlin gezeigt. In ihm loben CDU-Politiker den Heidelberger Direktmandatsträger Herrn Dr. Lamers für seine Arbeit. Dabei kamen unter anderem auch Ursula von der Leyen, Wolfgang Schäuble, Dr. Hans-Peter Friedrich und Thomas de Maizière zu Wort, die Herrn Lamers u.a. als „Glücksfall für den Deutschen Bundestag“ bezeichnen.
Die erste halbe Stunde hatte gar nichts mit Sicherheitspolitik zu tun. Stattdessen war es eine sehr gut inszenierte, sehr emotionale, aber auch romantisierende Wahlkampfwerbung für Herrn Lamers. Beim Publikum kam das hervorragend an. Wobei dieses zum Großteil ohnehin aus überzeugten CDU-Anhängern bestanden haben dürfte.
Dann begeben sich die Drei auf die Bühne. Das erste Wort gehört Herrn Dr. Lamers. In seiner Ansprache betont er, wie sehr er sich darüber freue, dass Herr de Maizière es heute geschafft habe. In einer kurzen Zusammenfassung legte er dar, was aus seiner Sicht die großen Probleme der deutschen Sicherheitspolitik sind.
Der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen muss Einhalt geboten werden!
ruft er unter Zustimmung der Hörerschaft. Wie genau das zu geschehen habe und wessen Massenvernichtungswaffen wo Einhalt geboten werden müsse, erwähnt er dagegen nicht. Den Kampf gegen Terrorismus und Cyberangriffe nannte er ebenfalls als wichtige und große Herausforderungen. Zum Schluss weist er darauf hin, welche Verdienste die Bundeswehr unter der Neuausrichtung de Maizières erbracht habe und welcher Respekt unseren Soldaten entgegenzubringen sei. Über die „versenkten“ hunderte Millionen Euro und einen „angeschossenen“ Verteidigungsminister, gegen den massive Rücktrittsforderungen bestehen – kein Wort.
Dabei erwähnte er auch, dass es nicht nur Soldaten im Ausland gäbe, sondern forderte dazu auf, auch denjenigen, die im Inland dienen, den entsprechenden Respekt entgegenzubringen. So seien 20.000 Helfer maßgeblich daran beteiligt gewesen, bei der Hochwasserkatastrophe noch Schlimmeres zu verhindern.
Eine souveräne Rede
Um viertel vor acht ergreift dann der Bundesverteidigungsminister das Wort. Er wirkt ruhig, redet verständlich und mit Bedacht:
Ich komme immer wieder gerne nach Ladenburg. Ich war bereits vor vier Jahren hier bei einer Podiumsdiskussion und habe es in guter Erinnerung.
Im nächsten Satz lobt er noch einmal Herrn Lamers:
Seien Sie stolz darauf, einen Bundestagsabgeordneten von diesem Format aus ihrer Region in die Welt zu entsenden.
Seine eigentliche Ansprache zu den Sicherheitsproblemen beginnt er mit einem Geständnis. Er könne nicht im mindesten abschätzen, welche Probleme das 21. Jahrhundert für Deutschlands Sicherheit mit sich bringe. In den Folgesätzen setzt er nach:
Wer behauptet, das zu tun, ist ein Hochstapler. Aber wenn wir glauben, dass die Situation so bleibt, haben wir schon verloren.
Die kurze Stille seiner dramatischen Pause nach diesen Worten wird schnell vom Beifall übertönt. Rednerisch ist das alles hervorragend vorgetragen – gleichzeitig wirkt es aber auch sehr berechnend. Thomas de Maizière weiß genau, welche Worte er wählen muss, um bei seiner Hörerschaft die gewünschte Reaktion hervorzurufen. Er wählt sehr pathetische Worte, appelliert an Lokalpatriotismus, wobei seine Emotionalität auch mal aufgesetzt wirkt.
Aus den Fehlern gelernt?
In seiner Rede geht er bedeutende Auslandseinsätze der Bundeswehr durch, den Schwerpunkt nimmt dabei Afghanistan ein. Er gesteht hier mit großer Offenheit ein, viele Fehler gemacht zu haben und betont, dass man mit den falschen Zielen in diese Mission gestartet sei. Man habe die Taliban stoppen und dem Land eine westliche Demokratie bringen wollen.
Heute haben wir aus unseren Fehlern gelernt. 2008 und 2009 haben wir unsere Ziele deutlich herabgestuft. Mittlerweile wissen wir, wie kompliziert die ethnische Konstellation in diesem Land ist und dass wir nicht einfach eine kleine Bundesrepublik Deutschland Nummer zwei daraus machen können.
Heute fokussiere man sich darauf, dem Land eine eigenständige Entwicklung zu ermöglichen. Und – im Gegensatz zu den zehn erfolglosen Jahren davor – sehe man jetzt die ersten Fortschritte. Er erhofft sich, auf einem guten Kurs zu sein:
Ob wir damit erfolgreich sein werden? Ich weiß es nicht. Man kann von Sicherheitspolitikern keine Erfolgsgarantie erwarten. Dafür ist die Welt zu unsicher!
Er rechtfertigte den Aufenthalt deutscher Soldaten im Ausland damit, dass man sie nicht einfach abziehen könne, da ansonsten die letzten Jahrzehnte der Arbeit und Investition vollkommen vergebens gewesen seien. Erst müsse man eine solide Grundlage für Logistik und Bildung schaffen.
Afghanistan: Ein Kind Deutschlands?
Dabei bediente er sich metaphorisch an einem Beispiel aus der Erziehung:
Wenn Sie ihrem Kind das Fahrrad fahren beibringen und es beim Fahren stützen, damit es nicht umfällt, lassen Sie dann einfach los, ohne ein Wort zu sagen? Also ich würde mein Kind darauf hinweisen, dass ich jetzt noch die nächsten zehn Meter da bin und dann einmal loslasse. Und wenn es dann trotzdem noch Probleme hat, helfe ich ihm eben noch einmal.
Die Präsenz von deutschen Soldaten in Ländern, in denen keine aktuellen Kriege herrschen, begründete er mit einer abschreckenden Funktion. Als Vergleich zog er den Kalten Krieg heran, in welchem man Schlimmeres dadurch verhindert habe, dass man seine Zähne zeigte. Auch die Stellung der Patriot-Raketen in der Türkei schien er durch diese Darstellung rechtfertigen zu wollen:
Wir planen nicht, diese Raketen zu benutzen. Aber nachdem wir 40 bis 50 Jahre lang Profiteure der Bündnisverteidigung im Kalten Krieg waren, ist es dann nicht angemessen, jetzt etwas zurückzuzahlen? Ich kann nicht garantieren, dass diese Raketen einen Angriff Syriens auf die Türkei ausschließen. Aber weil wir dort sind, ist ein Angriff zumindest weniger wahrscheinlich.
Dies benutzte er, um auf die aktuelle Situation in Syrien hinzuleiten. Er betonte, dass der „menschenverachtende Giftgasangriff“ nicht einfach ohne Antwort bleiben könne. Er sagte aber auch gleichzeitig, dass man die Ergebnisse der UN-Inspekteure abwarten müsse, um sich ein endgültiges Urteil zu bilden:
Aber wenn sich herausstellen sollte, dass es sich um einen gezielten Anschlag des Regimes handelte, soll man dann ruhigen Gewissens abwarten und ein Auge zudrücken? Was passiert dann beim zweiten, dritten oder zehnten Anschlag?
Zum Ende wieder Wahlkampf
Gegen Ende seiner Redezeit, betrieb er – wie er selbst auch vorher anmerkte – noch ein wenig Wahlwerbung:
Ich kann mich nicht über das Abstimmungsverhalten der Sozialdemokraten beschweren. Die sind zwar auch oft gegen das, was wir planen, aber treten wenigstens geschlossen auf. Bei den Grünen ist das dagegen eine Katastrophe! Die sind sich nie einig. Ein Drittel stimmt dafür, ein anderes dagegen und das letzte enthält sich. Wie soll so etwas regieren können?
Er bat außerdem die anwesenden CDU-Freunde, nicht die FPD zu wählen, nur um dieser den Einzug in den Bundestag zu sichern:
40 Prozent plus sechs Prozent hört sich eben immer noch besser an als 36 Prozent plus zehn Prozent.
Außerdem erinnerte er daran, dass Herr Lamers nicht über die Landesliste abgesichert ist und er daher unbedingt auf die Erststimmen angewiesen sei.
Mit diesen Worten beendete er seine Rede nach etwa 40 Minuten und begann sich den Fragen der Bürger zu stellen. Es gab insgesamt drei Fragerunden, mit je drei Fragen, die meisten davon eher unkritisch. Interessant war dabei die Frage von Herrn Andreas Scheibner, der Werkstattsrat der Arbeitstherapeutischen Werkstätte Mannheims ist.
Scheibner fragte, ob es wahr sei, dass Behinderte in Werkstätten Rüstungsgegenstände herstellen müssten.
Herr de Maizière wirkte bei allen Fragen sehr souverän und beantwortete auch diese zur großen Zufriedenheit des Publikums:
Was dort hergestellt wird, sind vielleicht die Leuchtstoffmittel für Signalraketen. Aber sicher keine Leoparden-Panzer. Wir vergeben Aufträge an die, die es wollen. Sollen wir da „nein“ sagen, nur weil es sich um Behinderte handelt? Sie sind für mich Auftragnehmer, wie jeder andere auch. Das ist für mich eine Form der Gleichbehandlung und der Inklusion.
Tosender Applaus. Wieder stehen einige auf für diese Worte.
Als die Fragestunde beendet wird, ertönt aus den Lautsprechern die Deutsche Nationalhymne. Begeistert steht ein großer Teil des Publikums aus und singt inbrünstig mit. Ich habe meine Bedenken. Sicher, vieles was Herr de Maizière gesagt hat, war vernünftig und plausibel. Aber egal, wie gut er manche Situationen für sich darzustellen weiß, sollte man das, was er sagt, trotzdem mit ausreichend kritischer Distanz noch einmal hinterfragen. Gestern hatte ich den Eindruck, dass sich manche zu leicht mitreißen ließen.
Herr Scheibner allerdings nicht. Er ist sichtlich verärgert und erklärt mir, dass er die Antwort auf seine Frage als „dreiste Frechheit“ empfindet:
Am liebsten würde ich ihn wegen Diskriminierung verklagen für so eine Lüge. Das hat mit Inklusion nämlich überhaupt nichts zu tun. Die Rüstung wird nämlich nicht freiwillig von ihnen hergestellt. Die Betreiber bestimmen, was hergestellt wird. Wenn wir unsere Arbeit behalten wollen, müssen wir das mitmachen. Ich habe das drei Jahre lang durchmachen müssen.