Mannheim, 13. Januar 2016. (red/ms) Die Nachricht kommt für viele Arbeiter wie ein Faustschlag ins Gesicht: General Electric will 6.500 Stellen in Europa streichen. Der Konzern nennt das „Restrukturierung“. Mannheim ist besonders hart betroffen: Wie der Konzern heute bekannt gaben, sollen am Produktionsstandort Käfertal 1.066 Menschen entlassen werden. Im Konzernjargon heißt das: „Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit verbessern“. Auf einer Kundgebung am Marktplatz brachten heute rund 1.000 Demonstranten ihre Empörung zum Ausdruck.
Von Minh Schredle
Die Betriebsversammlung heute in Bexbach habe etwa zehn Minuten gedauert, erzählt Kai Müller mit bebender Stimme. In nur zehn Minuten hätte man hunderte von Menschen vor die vollendete Tatsache gestellt, dass sie ihren Job verlieren werden.
Kai Müller ist der Vorsitzende des Europäischen Betriebsrat von Alstom. Ende 2014 wurde das Energiegeschäft des Konzerns vom amerikanischen Global Player General Electric (GE) übernommen (Jahresumsatz 2012: 147,4 Milliarden Euro). Nun, so informierte GE heute per Pressemitteilung, hätten die „Konsultationen“ begonnen, wie man die früheren Alstom-Geschäftsbereiche in den Betrieb „integrieren“ könne. Dazu müsse man „restrukturieren“, um die „seit längerer Zeit bestehenden Probleme bei der Wettbewerbsfähigkeit zu beheben“.
Rabenschwarzer Tag
Das heißt im Klartext: Es werden massiv Stellen gestrichen. Insgesamt mehr als 6.500 in Europa, davon etwa 1.700 in Deutschland, unter anderem in Bexbach, Stuttgart und Mainz. Am stärksten ist allerdings Mannheim betroffen – hier sollen nach Plänen von GE 1.066 Menschen ihren Job verlieren.
Die Belegschaft zeigte sich heute empört und entsetzt. Insgesamt gibt es in Mannheim rund 1.800 Angestellte bei Alstom. Zwei Drittel davon sollen wegstrukturiert werden. Nach Darstellung von GE sei das eine „Voraussetzung für künftige Investitionen und Wachstum“. Ein Faustschlag ins Gesicht der Arbeiterinnen und Arbeiter, unter denen sich ein großer Teil hochqualifizierter Fachkräfte befindet. Elisabeth Möller, die Vorsitzende des Betriebsrats, sprach von einem „rabenschwarzen Tag“:
All diese Mitarbeiter bekommen gar nicht die Gelegenheit zu zeigen, was sie können. Sie werden einfach rausgeschmissen und um ihnen das zu verkünden, nimmt sich GE nicht einmal eine Viertelstunde Zeit.
Rund 1.000 Demonstranten auf dem Marktplatz, darunter viele Mitglieder der Belegschaft, buhen lautstark oder rufen „pfui!“.
Die Stimmung ist aufgeheizt, vielen steht der Frust ins Gesicht geschrieben. Frau Möller sagt unter tosendem Beifall:
GE ist nur noch profitgetrieben, die Mitarbeiter sind dem Konzern scheißegal.
Die Stellenstreichungen von heute wären die Standortschließungen von morgen. Ein „Todesurteil auf Raten“. Doch gegen diese Willkür werde man sich mit allen Mitteln zur Wehr setzen und „einen Widerstand leisten, wie ihn GE in Deutschland noch nicht gesehen hat“.
„GE steht gierig und einfallslos“
Auch Reinhold Götz, Stadtrat für die SPD und Vorsitzender der Mannheimer IG Metall, war stocksauer. Mit Stellenstreichungen habe man zwar gerechnet, sagte er. Dass es aber so schlimm werden würde, habe niemand geahnt. Es wären auch Mitarbeiter betroffen, die seit mehreren Jahrzehnten am Standort in Käfertal gearbeitet und dafür teils ihre Gesundheit geopfert hätten. Viele von ihnen hätten kaum Perspektiven, in ihrem Alter noch einmal fest angestellt zu werden:
Man wird sehen, ob sich der Konzern damit einen Gefallen getan hat. Überall, wo in Zukunft der Name „GE“ auftaucht, müssen sofort alle Alarmglocken angehen.
„GE“, das stehe laut Herrn Götz für „gierig und einfallslos“. Die Konzepte, die Produktion am Standort zu verändern, habe der Konzern gar nicht berücksichtigt. Die Entscheidung, die Mitarbeiter in Mannheim zu kündigen, habe wohl schon seit der Übernahme festgestanden.
Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz (SPD) sagte, die Stellenstreichungen würden nicht nur die Belegschaft, sondern ganz Mannheim als Stadt treffen. Er sprach den Mitarbeitern gegenüber seine Solidarität aus. Man dürfe noch nicht aufgeben, sondern solle „weiter ums Überleben ringen“:
Vielleicht ist das im Denken eines Global Players noch nicht angekommen. Aber hier vor Ort verlangen wir von Arbeitgebern, dass sie Verantwortung und eine Sozialpartnerschaft übernehmen.
Der Produktionsstandort in Käfertal habe eine jahrzehntelange Tradition. Darauf sei man stolz in Mannheim – und man wolle auch in zehn weiteren Jahren noch stolz darauf sein.
Sogar Nils Schmid (SPD), der stellvertretende Ministerpräsident und Wirtschaftsminister von Baden-Württemberg, war extra nach Mannheim und stellte klar, dass dermaßen verantwortungsloses Handeln nicht ohne Konsequenzen bleiben werde:
Die Übernahme von Alstom ist eine Nagelprobe für General Electric – wie will sich der Großkonzern in Deutschland präsentieren? Und wer will mit einem Unternehmen, das so mit seinen Mitarbeitern umgeht, Geschäfte machen?
Die Entscheidung, den Standort in Mannheim so drastisch zu schwächen, halte er nicht für vorausschauend. Überall unter Experten würde die Technologie aus Käfertal sehr geschätzt. Die hohe Qualität der Arbeit sei ihr größtes Markenzeichen.
In der Presseabteilung von GE ist heute Nachmittag niemand für eine Stellungnahme zu den Stellenstreichungen zu erreichen.
In der gleichen Pressemitteilung, in der die plötzliche Streichung von etwa 1.700 Arbeitsplätzen in Deutschland verkündet wird, schreibt der Konzern nur wenige Absätze später über sich selbst:
GE gehört zu Deutschlands attraktivsten Arbeitgebern.
So viel Zynik ist gegenüber allen Menschen, die nach der Übernahme ohne jede Bewährungsprobe ihren Job verlieren werden, eine bodenlose Unverschämtheit. Es bleibt abzuwarten, wie viele Arbeitnehmer und Kunden sich in Deutschland in Zukunft auf diesen „attraktiven Arbeitgeber“ einlassen wollen.