Mannheim/Rhein-Neckar, 12. Januar 2015 (red) Udo Seiwert-Fauti, deutscher BBC-Reporter, fordert eine Debatte über Inhalte – unter Journalisten, mit Journalisten. Er kritisiert fehlendes Wissen und strukturelle Schieflagen in unserem Mediensystem. Und plädiert dafür, dass die Demokratie Kritik durch Journalisten und „Andersdenkende“ aushalten muss – man kann ja seine Meinung frei äußern und im Diskurs für die eigenen Positionen werben. Dabei schaut er auf drei Länder, die er gut kennt: Deutschland, Großbritannien und Frankreich.
Von Udo Seiwert-Fauti
„Woher nehmen wir Journalist/innen eigentlich das Recht, das zu sagen, zu schreiben und auszudrücken, was wir denken und nach hoffentlich guter Recherche zu veröffentlichen? In Deutschland scheint die Grundlage für die Arbeit von Publizisten, Autoren und eben auch Journalisten ein bisschen in Vergessenheit geraten zu sein.
Gerade die aktuellen Diskussionen um die so genannte „Lügenpresse“ und erst Recht die Attentate in Paris lassen deutlich auf ein erhebliches Nichtwissen schließen, worauf sich Journalismus in der Bundesrepublik Deutschland begründet. Die Väter des Grundgesetzes, das seit 1990 ja auch für die ehemaligen DDR-Regionen wie Sachsen gilt, haben den sehr hoch angesiedelten Artikel 5 sehr eindeutig und deutlich verfasst:
Artikel 5 Grundgesetz (GG)
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.
Demokratie muss aushalten
Demokratie muss aushalten, dass Meinungen geäußert werden, die für viele nicht erträglich sind und/oder von ihnen als unerträglich angesehen werden. Keine Frage. Das heißt für mich: Natürlich dürfen die Pegida-Anhänger ihre Meinungen und Ansichten äußern und auch lauthals in die Gegend schreien. Ob es stimmt oder nicht.
Aber es heißt eben auch, dass wir Journalisten das Recht und die Pflicht haben, uns zu informieren, über sie zu berichten und ihnen den Spiegel vorzuhalten. Wer allerdings meint, mit uns Journalist/innen nicht reden zu müssen und uns für unsere Arbeit zu beschimpfen, stellt sich letztlich gegen Artikel 5. Zitat zur Erinnerung: “Eine Zensur findet nicht statt“.
Das dieses Grundrecht nicht nur eine deutsche Erfindung ist zeigt die Europäische Konvention für Menschenrechte, die von Deutschland, aber eben auch von Großbritannien, Russland, der Ukraine und Aserbaidschan unterschrieben und für die jeweiligen Nationalstaaten eingeführt worden ist.
Freedom of expression
Sie ist beim Europarat im französischen Straßburg angesiedelt. Der Artikel 10 der Konvention ist das verbriefte europäische Recht, auf das wir Journalist/innen uns mit und in unserer Arbeit berufen dürfen und müssen:
Article 10 – Freedom of expression
1. Everyone has the right to freedom of expression. This right shall include freedom to hold opinions and to receive and impart information and ideas without interference by public authority and regardless of frontiers. This article shall not prevent States from requiring the licensing of broadcasting, television or cinema enterprises.
2. The exercise of these freedoms, since it carries with it duties and responsibilities, may be subject to such formalities, conditions, restrictions or penalties as are prescribed by law and are necessary in a democratic society, in the interests of national security, territorial integrity or public safety, for the prevention of disorder or crime, for the protection of health or morals, for the protection of the reputation or rights of others, for preventing the disclosure of information received in confidence, or for maintaining the authority and impartiality of the judiciary.
Arbeit muss bestens recherchiert sein
Mich als Korrespondenten und Journalisten interessiert es vor diesem Hintergrund relativ wenig, was zum Beispiel Politiker, Mitbürger oder auch Kolleg/innen über meine Arbeit denken, solange diese Arbeit medienethisch und journalistisch bestens recherchiert ist. Dafür stehe ich ein. Ich vertrete meine journalistische Recherche, mache diese öffentlich und mische mich damit ein, um andere zu provozieren, sie zum Nachdenken anzuregen, Fakten zu liefern und letztlich die Demokratie (wieder)zu beleben.
Ich zeige ständig, selbst wenn es Chefredakteuren und Medienmanagern nicht gefallen sollte: Das ist Teil meines/ unseren Jobs. Viele meiner jungen KollegInnen sollten das immer wieder bedenken. Gerade in der Berichterstattung über europäische Ereignisse muss meines Erachtens endlich wieder die interkulturelle Denke eingebracht werden, auch und gerade von vielen Kolleg/innen, die über Europa und andere Länder berichten.
Was wir in Deutschland für gut oder schlecht halten, ist in anderen Ländern noch lange nicht gut oder schlecht. Das müssen wir erklären, durch Hintergrund aufzeigen!
In Frankreich ist nichts heilig
Man kann das deutliche Einstehen für die Presse- und Meinungsfreiheit in Frankreich nur dann verstehen, wenn man die radikale freiheitliche und für uns Deutsche oft „rücksichtslose“ Denkweise der Medien in der Grand Nation versteht. In einem säkularen Frankreich ist eben wirklich nichts heilig, weder die Frauenbekanntschaften des Präsidenten noch die Religion noch irgendwer.
Nicht ohne Grund haben die Franzosen bei ihren Demos in Paris und allen anderen französischen Städten deswegen deutlich ihr Freiheitslied, die „Marseillaise“, gesungen. „Contre nous de la tyrannie l’étendard sanglant est levé“.
Ich bin mir ganz sicher, manche der Charlie Hebdo Cartoons der Vergangenheit hätten in Deutschland für ungeheuren Aufruhr gesorgt, gerade in der Politik! Franzosen haben damit kein bis kaum ein Problem. Man muss die Arbeit von Charlie nicht lieben, aber für Franzosen ist dieser Angriff, dieser Anschlag auf eine vergleichsweise kleine Zeitung/Zeitschrift in der französischen Medienlandschaft ein Angriff auf die Verfassung, auf das verbriefte Recht der Franzosen auf Meinungs- und Pressefreiheit! Dafür sind sie auf die Straße gegangen und haben Solidarität gezeigt. Das die Attentäter Franzosen waren…macht das Ganze noch schlimmer und trifft die Franzosen ins Mark.
Cartoons von Charlie Hebdo zu riskant
Für viele aktuell verblüffend war die Reaktionen auf den Anschlag in den USA und im Vereinigten Königreich. Bis heute hat kein Medium in diesen beiden Staaten die Cartoons von Charlie Hebdo veröffentlicht, wie das beispielsweise viele deutsche Zeitungen und Medien getan haben. Sie werden und wurden als zu riskant angesehen, könnten die nationale Sicherheit und wohl auch das „political correctness“-Denken stören.
Nicht nur die britische BBC beruft sich in solchen Fällen immer wieder dabei auf die hauseigenen Editorial Guidelines, die es einfach verbieten zu kommentieren, Stellung zu beziehen, sich für eine Seite einzusetzen und die andere zu vergessen. We deliver facts! heißt die Devise, von der nicht abgewichen wird. Die Meinung kann sich der Leser, Hörer und Seher selbst bilden.
Das dies vor dem Hintergrund der Pariser Ereignisse neu diskutiert werden muss und wird, hat erstmals der Editor, der Chefredakteur des Londoner Independent anklingen lassen. Er verschweigt nicht, dass es ihm trotz aller journalistischen Gefühle vor allem um die Sicherheit der Mitarbeiter ging. In seinem Kommentar zu den Pariser Attentaten gesteht er immerhin ein, damit in gewissem Sinne „Self Censorship“ geübt zu haben.
Mund aufmachen
Was sollten die aktuellen Ereignisse nun für Deutschland und auch Europa bedeuten ?
Ich fordere seit vielen Monaten endlich nicht mehr nur über den digitalen Journalismus und seine Möglichkeiten gerade in und mit der Digitaltechnik zu diskutieren, sondern endlich wieder über Inhalte und journalistische Vorgehens- und Arbeitsweisen.
Wir müssen die journalistische Arbeitsethik diskutieren, müssen jungen Kolleg/innen aufzeigen, wie das funktionieren soll und müssen vor allem die Medienchefs und Medienmanager wieder mal deutlich daran erinnern, dass betriebswirtschaftliches Sparen das Eine ist. Das Andere ist die Streichung von journalistischen Arbeitsplätzen aber auch fundamental der Demokratie, siehe Artikel 5 GG, beeinträchtigen.
Ich fordere die Journalistenverbände auf, endlich deutlicher und lauter ihren Mund aufzumachen, als das in der Vergangenheit der Fall war. Ich verlange wieder das früher durchaus übliche Chef – Standing, wenn Journalisten deutlich ihre Meinung äußern und damit zum Beispiel heftige Proteste hervorrufen. Das ist Teil unseren Jobs und Chefs sind in vielen Fällen auch Journalist/innen.
Einheitliche Journalistenausbildung
Nur für den Fall, dass sie das vergessen haben sollten. Ich fordere zudem endlich bundesweit eine Journalistenausbildung in Bezug auf das Europa der 28, der 47 und der 56 einzuführen, um Zusammenhänge und Hintergründe besser zu verstehen und zu berichten. Wie sollen Journalisten über Zusammenhänge berichten, wenn viele dafür überhaupt nicht ausgebildet worden sind?
Ein sehr guter Start für eine neue Grundsatzdiskussion der journalistischen Arbeit wäre meines Erachtens eine umfassende Journalismuskonferenz, während der wir alle aktuellen Probleme mal andiskutieren könnten und so endlich wieder eine intensive Diskussion über uns und unsere Arbeitsweisen beginnen. Ich schlage dafür den Tagungsort Strasbourg vor!
Frankreich und das europäische Umfeld in der europäischen Metropole Strasbourg könnten nicht nur uns Deutschen offensichtlich ein „Kick-Off“-Erlebnis liefern!“
Zur Person:
Udo Seiwert-Fauti ist freiberuflicher (Radio-)Korrespondent für schottische und deutschsprachige Medien in Straßburg, unter anderem für die BBC Scotland. Neben seiner Tätigkeit als Journalist begleitet er ständig Lehraufträge für europäischen Journalismus und journalistische Arbeitsweisen an drei deutschen Hochschulen und ist seit vielen Jahren Consultant des internationalen Medienethik – Netzwerks CIME.