Rhein-Neckar/Berlin, 12. Oktober 2015. (red) Die Auswirkungen des VW-Skandal sind noch nicht wirklich abzusehen – aktuell hat man den Eindruck, das „saubere Deutschland“ ist ein Land der Trickser und Täuscher im großen Rahmen. Der finanzpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Dr. Gerhard Schick, meint, die „Marktwirtschaft ist zur Machtwirtschaft verkommen“. In unserer Reihe „Montagsgedanken“ befasst sich der Autor mit grundsätzlichen Problemen, beispielhaft an einem der größten Skandale der deutschen Wirtschaft.
Gastbeitrag: Dr. Gerhard Schick
Beim VW-Skandal geht es um mehr als um Abgase und Dieseltechnik. Es geht um das Kräfteverhältnis zwischen Unternehmen und Gesellschaft. In einer Marktwirtschaft legt der Staat die Regeln fest und setzt sie durch, jeder wirtschaftlich Tätige haftet, wenn er gegen Regeln verstoßen hat.
Dass dies am Finanzmarkt nicht der Realität entspricht, hat die Finanzkrise gezeigt: Banken, Versicherungen und Fonds, so stellte sich heraus, haben großen Einfluss auf die Gesetzgebung und die Verantwortlichen sind nur selten zur Rechenschaft gezogen worden. Das Haftungsprinzip lief somit ins Leere. Am Finanzmarkt funktioniert die Marktwirtschaft nicht mehr, sie ist zur Machtwirtschaft verkommen.
Der VW-Skandal zeigt, dass dasselbe Problem auch bei großen Unternehmen der Realwirtschaft besteht. Engste Kontakte zwischen den Spitzenmanagern und der Kanzlerin, die auf Zuruf die Verschärfung von Abgasnormen in Brüssel stoppt, machen sichtbar, dass nicht der Staat mit Blick auf das Gemeinwohl die Regeln setzt, sondern Firmen diese zu ihren Gunsten beeinflussen.
Vor allem aber hat der Staat auf die Durchsetzung der Regeln verzichtet und es – in Bezug auf die Bemessungsgrundlage der Kfz-Steuer – den Konzernen überlassen, die Abgaswerte zu bestimmen. Und das obwohl seit Jahren Unregelmäßigkeiten bekannt waren. Da stimmt etwas nicht! Auch in der Realwirtschaft ist die Marktwirtschaft zur Machtwirtschaft verkommen. Die Unternehmen stehen quasi über dem Gesetz, Regelverstöße fallen zu spät auf und werden zu schwach geahndet.
Haftungsprinzip für Lobbyisten
Was ist zu tun? Finanzminister Schäuble schwadroniert wieder über Gier. Die gab es immer. Entscheidend ist, ob es gelingt, sie durch faire Regeln in produktive Bahnen zu lenken. Das ist die Idee der Marktwirtschaft. Um sie wieder gegen die Machtwirtschaft durchzusetzen, muss erstens der Einfluss großer Firmen auf den Staat zurückgedrängt werden: Wir verlangen ein Lobbyregister, damit deutlich wird, wer mit wieviel Mitteln versucht, seine Interessen durchzusetzen.
Dazu brauchen wir ein Verbot von Unternehmensspenden an Parteien und es muss offengelegt werden, wer an welchen Passagen von Gesetzen mitgearbeitet hat. Zweitens bedarf es staatliche Institutionen, die willens und in der Lage sind, sicherzustellen, dass die vorgegebenen Normen eingehalten und Vergehen fair bestraft werden. Nur so erlangt das Haftungsprinzip wieder an Gültigkeit.
Der VW-Abgas-Skandal zeigt, dass es ist kein Zufall ist, wenn Konzerne immer wieder die Grenzen der Legalität überschreiten. Firmen wie Menschen reagieren auf Anreize. Die Gesetze für Unternehmen sind unmissverständlich: Jede Aktionärin hat ein Recht, dass ausschließlich im Sinne ihrer Rendite gewirtschaftet wird. Oft sind die Rendite-Anforderungen so hoch, dass sie mit legalen Mitteln kaum zu erreichen sind. Dagegen sind die Strukturen, die Straftaten bestrafen, zahnlose Tiger.
Ordnungswidrigkeiten? Oder doch eher Straftaten?
Die Fehlanreize sind in Deutschland besonders ausgeprägt, denn es gibt kein Unternehmensstrafrecht. Auch massives Fehlverhalten von Firmen kann nur als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Dies ist problematisch: Erstens bemisst sich im Strafrecht die Höhe einer Geldstrafe nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Angeklagten. Der Reiche muss also mehr zahlen als der Arme. Dieses einfache Prinzip gilt für Ordnungswidrigkeiten nicht, sondern das Bußgeld ist bei zehn Millionen Euro gedeckelt.
Zweitens werden Ordnungswidrigkeiten im Regelfall von den dafür zuständigen Ämtern verfolgt, die oft weder Kapazitäten noch Befugnisse für eine effektive Ermittlung haben.
Drittens liegt bei Ordnungswidrigkeiten die Verfolgung im Ermessen der Verwaltungsbehörde und viertens fehlt im Normalfall ein öffentliches Verfahren. Genau das ist aber, was wir bräuchten, um eine Aufarbeitung der Verfehlungen zu ermöglichen.
Für einzelne Manager und Angestellte sieht die Situation anders aus. Sie können strafrechtlich belangt werden. Die Erfahrung aus der Finanzkrise zeigt jedoch, dass auch hier die Verantwortung nur selten einer Person direkt zugeordnet werden kann. Deswegen muss das Rechtssystem geändert werden: ein Unternehmensstrafrecht und eine klare Zuweisung von strafrechtlicher Verantwortung bei einzelnen Managern. Es ist niemandem zu vermitteln, dass Bürger bei Betrug die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen, während die Ermittlungen bei Firmenskandalen fast immer ins Leere laufen.
Kriminelle Machenschaften erzeugen hohen Schaden – immer
Warum werden von Siemens über Deutsche Bank bis Volkswagen die kriminellen Machenschaften eigentlich meist durch US-amerikanische Justizbehörden aufgedeckt und konsequent verfolgt? Hier schließt sich der Kreis: Bei uns hat eine große Koalition nicht nur bei den Abgasnormen, sondern auch im Wirtschafts- und Strafrecht die großen Unternehmen bisher mit Samthandschuhen angefasst.
Doch wer denkt, das Hätscheln von großen Konzernen würde sich für uns als Gesellschaft rechnen, agiert kurzsichtig. Der Schaden für die Gesellschaft ist bei kriminellem Agieren großer Konzerne enorm. Im Fall von VW schaden die höheren Abgase der Gesundheit von Millionen von Menschen und beeinträchtigen die Umwelt auf Jahrzehnte hinaus, von den Steuermindereinnahmen ganz zu schweigen.
Deshalb ist es nötig, das Kräfteverhältnis zu korrigieren, die marktwirtschaftliche Ordnung wiederherzustellen, in der Unternehmen unter dem Gesetz stehen und klare Anreize haben, sich an die gesetzlichen Normen zu halten, weil Fehlverhalten hart sanktioniert wird.
Anm. der Red.: Der Mannheimer Bundestagsabgeordnete Dr. Gerhard Schick ist finanzpolitischer Sprecher von Bündnis90/die Grünen und Autor des Buches „Machtwirtschaft – nein Danke“. Der Text ist zuerst am 06. Oktober 2015 in der Frankfurter Rundschau erschienen. Wir danken für das Angebot zur Übernahme.
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