Mannheim/Rhein-Neckar, 12. Januar 2015. (red/pro) Über 1.200 Menschen haben sich am Sonntag vor dem Rosengarten versammelt, um nach den Terroranschlägen von Paris gemeinsam ein Zeichen für Frieden und Freiheit zu setzen. Zu der Kundgebung hatte die Deutsch-Französische Vereinigung Rhein-Neckar e.V. aufgerufen. Verschiedene Redner riefen zu Freiheit, Friede und Einigkeit auf.
Von Hardy Prothmann
Die Gesichter sind ernst. Sehr ernst und sorgenvoll. Der Schock nach dem brutalen Attentat von Paris auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo und die tödliche Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt sitzt tief.
Kurz vor 15 Uhr sind gut 800 Menschen zusammengekommen. Es kommen immer weitere. Über 1.200 werden es. Viele von ihnen tragen Ausdrucke mit „Nous sommes Charlie“, „Wir sind Charlie“ vor sich. Viele tragen Schals in den französischen Nationalfarben an diesem eiskalten Tag. Überall hört man Französisch. Es wird leise gesprochen. Lachen hört man nur selten.
Die Deutsch-Französische Vereinigung Rhein-Neckar hat zu dieser Kundgebung aufgerufen. Der Verein ist noch jung, 2013 gegründet, hat 60 Mitglieder und will die deutsch-französischen Beziehungen pflegen. 5.-6.000 Franzosen leben in der Region.
Michel Maugé, Vorstand der Vereinigung, ruft zu einer Schweigeminute für die Opfer des Terrors auf, begangen von religiösen Fanatikern. Und er beschwört die drei entscheidenden Worte der französischen Revolution, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit:
Wir dürfen nicht nur heute trauern und nach einigen Tagen wieder zur Tagesordnung übergehen. Wir müssen uns zur Freiheit und Gleichheit aller Menschen und zur Brüderlichkeit tagtäglich bekennen. Das heißt, dass wir unseren Nächsten achten, dass wir dem Andersdenkenden mit Achtung und Würde begegnen.
Die Sängerin Barbara Zechel stimmt die französische Nationalhymne „Marseillaise“ an, viele der Teilnehmer singen textsicher mit.
Auch Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz (SPD) und seine Kollegin aus Ludwigshafen Dr. Eva Lohse (CDU) nehmen Teil. Dr. Kurz hält eine kurze, aber sehr eindrucksvolle Rede mit ehrlichen Worten der Anteilnahme. Er ruft auf, den Terroristen den Erfolg zu verwehren:
Wir wissen auch, um was es geht. Zwei Emotionen soll diese Tat hervorrufen: Angst und Hass. Wir wollen dieser Tat keinen Erfolg ermöglichen. Deshalb ist es so wichtig, uns nicht von der Angst leiten zu lassen. „Je suis Charlie“ heißt: Es ist egal, wen ihr trefft. Die Freiheit lassen wir uns nicht nehmen. Wir werden nicht schweigen!
Die Menschen applaudieren mehrfach. Vereinzelt weinen Teilnehmer. Auf den meisten Gesichtern kommt zum Ernst ein Ausdruck der Entschlossenheit. Angst und Hass? Den kann man nicht in den Gesichtern lesen.
Der Europa-Abgeordnete Peter Simon (SPD) spricht, er appelliert, „Einheit in Vielfalt zu bewahren“. Der Bundestagsabgeordnete Dr. Gerhard Schick (Grüne) mahnt ein „gemeinsames Signal für die Verteidigung unserer Freiheit“ an und warnt vor „hektischen und ängstlichen Reaktionen“. Man müsse die Sicherheit stärken, aber die Freiheit dabei schützen. Es sind viele Gemeinderäte aller politischen Gruppierungen bis auf die NPD anwesend. Die Heidelberger Bundestagsabgeordneten Dr. Karl A. Lamers (CDU) und Lothar Binding (SPD) sind ebenfalls gekommen.
Der CDU-Kreisvorsitzende Nikolas Löbel fühlt sich an den 11. September 2001, den Tag der Terroranschläge auf New York, erinnert und sieht die „Werte und Normen unserer Gesellschaft bedroht“. Er betont, wie wichtig der Schutz der Presse- und Meinungsfreiheit sei. Prof. Achim Weizel (Mannheimer Liste) lobt die Tradition der französischen intellektuellen Debatten: „In aller bekannten Schärfe“.
Stadtrat Thomas Trüper (Die Linke) beginnt mit einer Rede, die sich auch kritisch mit der Rolle Frankreichs auseinandersetzt, aber ab der Hälfte in eine parteipolitische Wahlkampfrede abdriftet. Dafür erhält er Pfiffe und Buhrufe. Dr. Erika Mursa, Vorsitzende des Deutsch-Französischen Kulturkreises Heidelberg, appelliert daran, Kritik und Satire als wertvoll zu betrachten. Als Freiheitsrecht. Der französische Generalkonsul in Mannheim, Folker R. Zöller bedankt sich für die Solidarität mit den Opfern.
Als die Reden fertig sind, die Veranstaltung vor dem Ende steht, erklingt plötzlich aus dem Publikum „Die Gedanken sind frei„. Viele singen mit.
Wir dokumentieren am Ende des Artikels die Reden von Herrn Maugé und Dr. Kurz.
Rede des Präsidenten der Deutsch-Französischen Vereinigung Rhein-Neckar e.V., Herr Michel Maugé:
„Meine sehr verehrten Damen und Herren
Chers compatriotes Francais
Als Präsident der Deutsch-Französischen Vereinigung Rhein-Neckar darf ich Sie alle auch im Namen unseres Mitveranstalters dem DfK – Heidelberg begrüßen. Ich freue mich Mitglieder des Europaparlaments, des Deutschen Bundestages, des Landtages Baden-Württemberg und an der Spitze der Stadt Mannheim den Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz und seinen 1. Stellvertreter Christian Specht und die Oberbürgermeisterin von Ludwigshafen Frau Dr. Eva Lohse, sowie eine große Zahl von Stadträten begrüßen zu dürfen.
Ganz besonders gilt mein Gruß dem Honorarkonsul der Republik Frankreich Folker Zöller. Ich begrüße die Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften. Sie alle hier aus Heidelberg Ludwigshafen, der gesamten Region und natürlich Mannheim sind der Beweis für eine lebendige tief empfundene Deutsch-Französische Freundschaft, die etwas sehr wertvolles ist.
Gemeinsame Trauer
Sie sind gekommen um mit dem französischen Volk gemeinsam zu trauern. Zur gleichen Zeit haben sich hunderttausende Franzosen, Europäer und Repräsentanten von mehr als 40 Nationen zum Gedenken an das unbegreifliche Geschehen in Paris versammelt.
La France uni, uni avec tous qui croivent à la Liberté, l’égalité et la Fraternité. Nous sommes Charlie!
Ich darf Sie bitten gemeinsam mit allen Gleichgesinnten unsere Achtung vor den Toten des 07. und 09. Januar durch eine Schweigeminute zum Ausdruck zu bringen.
Ich danke Ihnen.
Aufklärer vermittelten demokratische Staatsauffassung
Es waren die großen Philosophen und Denker der Aufklärung, les philosophes des Lumières wie sie in Frankreich heißen, es waren Jean-Jaques Rousseau, Voltaire, David Hume und Immanuel Kant, die uns die demokratische Staatsauffassung vermittelt haben.
Es war die Französische Revolution die uns drei entscheidende Worte eingebrannt hat liberté, égalité, fraternité Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Dies gilt es immer wieder uns klar zu machen. Dieser Dreiklang bedingt sich in sich.
Was wir in Paris, in Oslo, in London, in New York, in Sydney aber auch in Afrika, in Syrien, im Libanon und im Irak erleben und was uns erschreckt und tief im Herzen trifft, ist die Verneinung und Missachtung des Menschseins.
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
Wir dürfen nicht nur heute trauern und nach einigen Tagen wieder zur Tagesordnung übergehen. Wir müssen uns zur Freiheit und Gleichheit aller Menschen und zur Brüderlichkeit tagtäglich bekennen. Das heißt, dass wir unseren Nächsten achten, dass wir dem Andersdenkenden mit Achtung und Würde begegnen.
Freiheit heißt nicht Morden oder mit Worten töten, Gleichheit heißt sich bewusst machen, dass jeder von uns ein Mensch ist wie Du und ich. Und Brüderlichkeit heißt ihn zu akzeptieren, zu tolerieren und vor allem zu achten als meinen Bruder oder meine Schwester.
Gemeinsames Friedensgebet
Ich bin den Kirchen Mannheims, den Vertretern des muslimischen Glaubens und des jüdischen Glaubens dankbar für das gestrige gemeinsame Friedensgebet. Auch unser Staat, unsere Regierungen in den Ländern, Städten und Kommunen aber auch wir die Bürger müssen dieses Gut der Freiheit, der Gleichheit und der Brüderlichkeit wieder bewusst leben.
Möge dieser Tag, möge diese Zusammenkunft, mögen die Toten von Paris, verursacht durch menschen- verachtenden Hass, der uns nicht erst heute, der uns durch die Kriege, den Holocaust ,durch IS, Boko Haram und Al Caida begegnet, uns aus unserer Gleichgültigkeit herausreißen und uns bewusst machen, dass es um unser Leben, unsere Freiheit geht. In diesem Sinne mein Dank an Sie alle, die Sie gekommen sind.
Ich darf Herrn Oberbürgermeister Dr. Kurz bitten zu uns zu sprechen.“
Rede von Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz:
Die grausamen und feigen Taten von vergangenen Mittwoch bis Freitag erschüttern nicht nur unser Nachbarland, sondern uns alle.
Wir sind zusammengekommen, um der Opfer zu gedenken und unsere Solidarität und unser Mitgefühl mit unseren französischen Nachbarn
auszudrücken, die wie Präsident Hollande es ausdrückte, einen dreitägigen Angriff erlebten.
Ich danke den Organisatoren, der deutsch-französischen Vereinigung Rhein-Neckar sehr herzlich für ihre Initiative.
Wir trauern um die Opfer. Und wir denken an Sie.
Trauer und Gedenken an die Opfer
Die großen Zeichner und Karriakturisten
Stéphane Charbonnier
Jean Cabut
Georges Wolinski
Bernard Verlhac
Und Philippe Honoré
An den aus Algerien stammenden Korrektor von Charlie Hebdo,
Mustapha Ourrad
die Psychoanalytikerin Elsa Cayat
den kapitalismuskritischen Wirtschaftswissenschaftler Bernard Maris
den ehemaligen Kabinettschef des Bürgermeisters von ClermontFerrand
Michel Renaud
den Gebäudereiniger Frédéric Boisseau
an die Polizisten Franck Brinsolaro und Ahmed Merabet
die Polizeianwärterin Clarissa Jean-Philippe2
Und die im koscheren Supermarkt getöteten Yoav Hattab, Phillippe Braham, Yohan Cohen und Francois-Michel Saada, von denen wir im Augenblick nur ihre Namen kennen.
Wir denken an die Opfer, ihre individuelle Geschichte.
Wir haben Ihre Gesichter gesehen: offene, aufmerksame, humorvolle, intelligente Menschen haben wir gesehen.
Wir denken an Ihre Familien und Freunde.
Im Fanatismus verirrte Täter
Die Täter kennen wir auch, denn sie sind immer gleich. Im Fanatismus Verirrte, deren Minderwertigkeitsgefühl in grausame Selbstüberhöhung
umgeschlagen ist.
Wir wissen auch, um was es geht. Zwei Emotionen soll diese Tat hervorrufen: Angst und Hass. Wir wollen dieser Tat keinen Erfolg ermöglichen.
Angriff auf die offene Gesellschaft
Deshalb ist es so wichtig, uns nicht von der Angst leiten zu lassen. „Je suis Charlie“ heißt: Es ist egal, wen ihr trefft. Die Freiheit lassen wir
uns nicht nehmen. Wir werden nicht schweigen!
Und es wichtig, dem Hass zu wehren. Wir lassen uns nicht spalten, nicht von Euch und Euren Taten.
Ich danke den Kirchen, der jüdischen Gemeinde und den Moscheen für das gemeinsame Friedensgebet und allen Teilnehmern: es war ein eindrucksvolles Zeichen der Gemeinsamkeit. Und es basiert auf einem bestehenden Netzwerk und Dialog in unserer Stadt. Hier ist Vertrauen gewachsen.
Dies hat sich im letzten Jahr besonders in schwierigen Zeiten eindrucksvoll gezeigt, als alle Mannheimer Religionsgemeinschaften vor dem Eindruck des Gaza-Krieges einen gemeinsamen Friedensappell verfasst haben. Entsprechend haben die Moscheegemeinden, nicht nur die Attentate verurteilt, sondern zugleich die Bedeutung von Demokratie und Meinungsfreiheit unterstrichen.
Und darum geht es. Denn: Was wir nicht zum ersten Mal – und wohl nicht zum letzten Mal – erleben, ist ein Angriff auf alle, die die offene Gesellschaft vertreten.
Diejenigen, die die Mörder schicken und anstiften, greifen die offene Gesellschaft an.
Widerstand gegen die Feinde der offenen Gesellschaft
Jens Stoltenberg, der damalige norwegische Ministerpräsident, hat für sein Land auf den Massenmord von Utoya eine Antwort gegeben, die
auch heute gültig ist.
Er sagte: „Unsere Antwort wird mehr Offenheit und mehr Demokratie sein“
„Je suis Charlie“. Das ist auch ein Bekenntnis zu Werten. Nämlich den Werten der Aufklärung.
Dass nun diejenigen, die sonst von Zeitungen wie CharlieHebdo als Lügenpresse reden, den Tod von kritischen Zeichnern und Journalisten
politisch zu nutzen versuchen, ist ein durchsichtiger und unerträglicher Missbrauch dieser Tragödie.
„Je suis Charlie“ heißt nicht allein Widerstand gegen Islamisten, sondern Widerstand gegen die, die nicht für die offene Gesellschaft stehen.
Der Anschlag von Paris galt nicht Autoritäten, er galt nicht Feinden des Islam. Er galt dem kritischen Geist und dem Humor, dem was allen Fanatikern immer der größte Gegner ist.
Wir müssen zu unseren Werten stehen. Unsere Angreifbarkeit durch Anschläge kann gemindert werden durch rechtsstaatliche Wehrhaftigkeit, durch polizeiliche Arbeit, aber sie kann nicht beseitigt werden.
Als Gesellschaft selbst sind wir je weniger angreifbar durch Gewalt, je fester und entschiedener die Mitte des Gesellschaft zu ihren Werten
steht und je besser und glaubwürdiger sie realisiert sind.
Das gilt für die Freiheit.
Es gilt aber auch für Gleichheit und Brüderlichkeit.
Die Antwort auf den Islamismus ist nicht, anderen Feinden der offenen Gesellschaft zu folgen. Der Aufbau einer homogenen und autoritären
Gesellschaft wäre nur eine andere Form der Unterwerfung.
Keine Unterwerfung gegenüber der Engstirnigkeit, dem Fanatismus, der Gewalt, der Ausgrenzung.
Das heißt: „je suis Charlie“.