Berlin/Hirschberg, 12.November 2013. (red/ld) Sehr elegant, sogar imposant, steht David Canisius auf der Bühne des Berliner Admiralspalasts: Ein großer, schlanker Mann im Frack mit angegrautem Vollbart und braunen Augen. Gleich wird er dem Capital Dance Orchestra den Einsatz geben. In der Hand seine Geige: Das Instrument, das den heute 44-Jährigen Musiker und Restaurantbesitzer von Hirschberg an der Bergstraße um die Welt und schließlich nach Berlin gebracht hat. Hier lebt er seit gut 25 Jahren. Sein Motto: „Wenn man offen ist für Neues, wenn sich eine Tür öffnet, dann kommt das meiste von allein.“
Von Lydia Dartsch
„Das ist zu mir gekommen“, antwortet David Canisius auf viele der Fragen, die seinen Lebenslauf betreffen. Ist er ein Glückspilz? Einer, dem alles zufällt?
Man muss die Augen offen halten, Möglichkeiten sehen,
sagt er. Und bereit sein, Altes loszulassen: „Ich habe eine Vorliebe für Brüche.“
Der letzte „Bruch“ ist nur wenige Monate her: Er hatte als DJ in der Berliner Yellow-Lounge aufgelegt. Auch dieses Projekt kam zu ihm – per Vorschlag der Plattenfirma Universal. Das Konzept: Moderne Clubmusik mit Klassik zusammen bringen. Es war ein Erfolg. Er ging auf Tourneen, brachte die Stars der klassischen Musik in die Partyszene. Canisius erzählt nüchtern von dem Projekt, das er zehn Jahre lang erfolgreich betrieben hatte. Es läuft immer noch. Nur ohne ihn. Er hat Abschied genommen. Es ist Zeit für etwas Neues.
So wie vor langer Zeit. Damals war er sieben Jahre alt: Sein Vater, ein Historiker und er begegneten dem ungarischen Dirigenten Tibor Varga. Oder der ihnen – wer weiß das schon?
Dieses Kind muss Geige spielen,
habe der Dirigent damals dem musikbegeisterten Vater gesagt. David Canisius winkt ab und lacht: „Das hat Varga über jedes Kind gesagt.“ Sein Vater nahm den Rat des Musikers ernst. Trieb den Sohn an. Dieser bekam Geigenunterricht, nahm an Wettbewerben teil und war erfolgreich. Das rettete ihm wohl das Geigenspiel über seine Teenagerzeit, sagt er:
Ich hatte oft keine Lust, zu üben oder zu spielen, aber als die Erfolge kamen, motivierte mich das, weiter zu machen.
Er hielt durch. Als Hochbegabter verließ er nach der Mittleren Reise das Albertus-Magnus-Gymnasium in Viernheim und wechselte als Jungstudent an die Staatliche Hochschule für Musik Heidelberg/Mannheim. Danach studierte in Berlin und an der Londoner Guild Hall School of Music and Drama – eigentlich die Laufbahn eines Orchestermusikers. Darauf hatte er aber keine Lust:
Ich habe Hochachtung vor diesen Musikern. Ich könnte das aber nicht.
Die vielen Wiederholungen der immer gleichen Stücke: Das sei nichts für ihn. Er braucht es aufregend. Seine Augen gehen auch beim Gespräch im Raum umher. David Canisius schaut über den Tellerrand hinaus. Immer auf der Suche nach etwas Neuem, das es zu lernen und zu tun gibt. So war es auch im Jahr 2003 als er anfing, als DJ in der Yellow-Lounge aufzulegen – ein Projekt, das ihm seine Plattenfirma angeboten hatte. Er fand es spannend, lernte, was zum Auflegen nötig ist und fing an. Das Konzept läuft jetzt ohne ihn weiter.
Chancen ergreifen, die passen
Ähnlich lief es mit dem Capital Dance Orchestra, das er ursprünglich nicht leiten wollte, in dem er aber seit 2006 spielt. Seit 2009 ist er dort Bandleader, plant die Proben, führt die Big Band: Durch die Hintertür hätte der Produzent Robert Mudrinic ihn für das Projekt gewonnen: David Canisius hätte eigentlich nur aushelfen sollen. Jetzt gehen er und das Orchester mit Künstlern wie Nina Hagen, Jochen Kowalski, Barbara Schöneberger und Katja Riemann auf Tour. Aktuell spielen sie mit Bodo Wartke in dessen neuem Programm „Swingende Notwendigkeit“.
Über sich selbst sagt der Geiger, dass er sich nicht gerne in den Vordergrund dränge. Er sei eher ein ruhiger Typ. In seinem Restaurant „Pantry“ steht nicht auf die Karte, dass die Zutaten aus biologischer Herkunft stammen. Die Gäste sollen die Qualität selbst bemerken und nicht kommen, weil er Bio-Gerichte serviert, sagt er:
Ich habe sehr angenehme Gäste hier.
Und die fühlen sich wohl in dem Restaurant in der Friedrichstraße 120, das er und Heiko Martinez vor knapp zwei Jahren mit einem Partner gegründet hatte und das seit einer knapp vierzeiligen Empfehlung in der New York Times jeden Abend voll ist. 14 Jahre hat er auf die richtige Gelegenheit gewartet, das Restaurant zu eröffnen. Freunde rieten ihm und seinem Partner ab – die zwei Vorbesitzer waren pleite gegangen. Die Investition war hoch.
Bei der Einrichtung hätten sie probiert, bis es passte, bis die Deckenfarbe, Royal Navy Blue, den Raum in die richtige Stimmung brachte. Auch mit den eigens entworfenen Sesseln aus Wasserbüffelleder: Man kann sehr gut darauf sitzen, um zu essen, aber genauso gut auch lümmeln. Von weiteren Experimenten zeugen eine Wand aus Kuhfell und eine mit goldenen Backsteinfliesen.
In Berlin ist er angekommen. Seit gut 25 Jahren lebt er dort; wohnt mit seiner Frau in einer Wohnung in Kreuzberg. So schnell werde er hier nicht wegziehen. Aber irgendwann könne er sich vorstellen, nach Hirschberg zurückzuziehen – dort, wo er jede Straße kennt. Das wäre ein großer Bruch mit Berlin. Ein paar Mal im Jahr fährt er zu seinen Eltern, geht dort im Wald joggen, genießt die Natur und die Menschen, deren Art er so mag – wegen der Feierfreude. Er sei sofort erholt, wenn er zu Hause ist, in Leutershausen, nicht Hirschberg. Als Kind hat er noch beide Ortschaften erlebt und ist dann früh weggegangen. In Großsachsen war er im Reitverein, ein Sport, den er bis heute betreibt. Bis er endgültig nach Hirschberg zurückkehrt, wird es aber noch etwas dauern. Gefragt nach dem nächsten Bruch sagt er:
Es wird einen geben, aber ich sage nicht, was es ist.