Mannheim/Rhein-Neckar, 12. Februar 2016. (red/ms) Interaktive Tapeten, Spiegel als persönliche Modeberater und künstliche Herzen aus dem 3D-Drucker – das sind für den Trendforscher Sven Gábor Jánszky keine träumerischen Spinnereien, sondern die nahe Zukunft: Bis 2026 würden solche Technologien aus dem Alltag gar nicht mehr wegzudenken sein, sagt er. Die Frage, ob man irgendetwas davon tatsächlich braucht, stellt er nicht. Denn für ihn ist klar: Es wird sich verkaufen lassen – auch wenn es eine völlige Entmündigung als Konsument bedeuten könnte.
Von Minh Schredle
Wer die Zukunft am frühsten erkennt, hat unschlagbare Vorteile im Wettbewerb und kann wirtschaftliche Risiken auf ein Minimum reduzieren.
Es liegt also nur auf der Hand, dass Unternehmen auf der Suche nach möglichst belastbaren Prognosen und Zukunftsmodellen sind – die sollen auf dem „FutureBrandCom 2026 Kongress“ präsentiert und diskutiert werden, den die TrioGroup am 11. und 12. Februar im Mannheimer Schloss ausrichtet.
Die Teilnahme hat ihren Preis – nämlich 390 Euro pro Person. Am Donnerstag Abend sind rund 140 Besucher anwesend, allesamt sehr vornehm bekleidet, unter ihnen viele Unternehmer. Als „Highlight des Kongress'“ kündigt der Veranstalter den Vortrag des „bundesweit führenden Trendforschers“ Sven Gábor Jánszky an. Der sagt:
In den vergangenen 20 Jahren haben wir die vermutlich rasanteste Entwicklung in der Menschheitsgeschichte erlebt – in den kommenden Jahren wird es aber noch schneller gehen.
Trotzdem wagt er sich an Prognosen. „Das ist keine Science Fiction, sondern alles durch wissenschaftliche Studien gestützt,“ sagt er. Dabei nutze es nur wenig, einfach möglichst viele Menschen zu fragen – es komme auf die Entscheider und Multiplikatoren an, auf die Führungskräfte und Visionäre.
Arbeit mit Unschärfe
Mit diesen Personen richte er daher einmal im Jahr seine „Zukunftsworkshops“ aus, sagt Herr Jánskzy. Dort habe er Kontakt mit etwa 1.500 Innovationschefs und CEOs und zusammen arbeite man an langfristigen Strategien, behauptet er. Laut Wikipedia nehmen an diesen Workshops aber nur etwa 250 Personen teil. In der Broschüre zum Future Brand Kongress ist von 300 Menschen die Rede – nicht das einzige Mal an diesem Abend, dass die Ausführungen von Herrn Jánszky in den „Details“ etwas unscharf werden.
Dafür ist sein Vortrag hochgradig professionell und feingeschliffen. Sein Redefluss reißt die Zuschauer mit, die immer wieder herzhaft auflachen. Die Pointen sitzen. Der Mann weiß, wie er sich verkauft – die größte Marke, die er bislang geschaffen hat, ist vermutlich er selbst. Ganz beiläufig und ohne es in den Vordergrund zu rücken, bewirbt er immer wieder seine beiden Bücher, die er den Jahren 2020 und 2025 gewidmet hat.
Computer werden zu den besseren Menschen
Seit der Erfindung von Computern sei die Entwicklung der Innovationen nicht mehr linear und würde exponentiell ansteigen, schildert Herr Jánszky und verdeutlicht es mithilfe eines Schaubildes von zwei Graphen. Die Differenz zwischen den beiden Kurven verdeutliche eine Lücke in unseren Köpfen, die bisherigen Erwartungen und Gewohnheiten verschuldet sei. Damit stelle sich die Frage:
Sollen wir diese Lücke als Risiko sehen – oder mit Chancen füllen?
Sicher sei: Wer die Entwicklungen verschläft, wird zu den Verlierern gehören. Denn der technologische Fortschritt eröffne ungeahnte Möglichkeiten: Bis 2020 werde es voraussichtlich Supercomputer für die Hosentasche geben, die für die Frage des Alltags bessere Antworten als Menschen liefern.
Im Kinderzimmer der Zukunft gebe es bis dahin interaktive Tapeten, die nicht nur in der Lage sind, visuelle Inhalte darzustellen, sondern auch auf Berührungen zu reagieren.
Herr Jánszky rechnet mit weltweit 50 Milliarden vernetzten Geräten bis 2020 und 100 Milliarden bis 2025. Das würden dann nicht nur Computer, Handys und eBooks sein – sondern Dinge wie Brillen, Tische, Spiegel oder ICE-Sitze:
Das ist die Welt, in die wir technologisch getrieben werden. Ob wir wollen oder nicht.
Das habe aber auch seine Vorteile: Früher wären Männer noch in Modeläden gegangen, um sich bei der Wahl des Outfits beraten zu lassen. Wenn man das aber vor jeder Verabredung tun wolle, würde es schnell sehr umständlich werden. In Zukunft könne die Modeberatung einfach ein Spiegel übernehmen, die über Kameras analysieren, was gut zu uns passt. Es gebe bereits Prototypen, sagt er und präsentiert ein Video. Ein Raunen geht durch den Saal.
„Wir werden zur Ampelgesellschaft“
Laut Herrn Jánszky werden immer mehr Dinge mit allem möglichen interagieren. Im Supermarkt sollen uns zunehmend visuelle Informationsanzeigen, die durch 3D-Projektionstechnologie – und zwar ohne nervige Brillen wie im Kino – virtuell im „bespielbaren Raum zwischen Auge und Gerät“ erscheinen und den Konsumenten mitteilen, welche Produkte für sie geeignet sind:
Dabei will niemand irgendwelche Wälzer und Textwüsten lesen.
Es gehe um ein möglichst unkompliziertes System, etwa durch drei Farben: „Rot“ könnte bedeuten, man sollte verzichten, „gelb“ heißt, dass Produkt geht noch in Ordnung und „grün“ würde signalisieren, dass etwas gekauft werden sollte. Herr Jánszky prognostiziert:
Wir werden zur Ampelgesellschaft.
Wer die Software herstelle, wer bestimme, welche Farben bei welchen Produkten wie leuchten, werde die Deutungshoheit über den Markt gewinnen: „Was interessieren dann noch Marken, beispielsweise wenn man Küchenrollen kauft, wenn intelligente Technologie mir die Entscheidung abnimmt?“
Doch auch die visuellen Ampeln wären nur ein Zwischenschritt. Die Mustererkennung würde sich nämlich immer weiter verbessern. Irgendwann könnten Computer einem den ganzen Alltagseinkauf vorbereiten und man müsse nur noch auf „Zustimmung“ klicken.
Voraussetzung dafür sei natürlich, dass man seine personenbezogenen Daten freigibt. Man sei selbst schuld, wenn man sich diesen Komfort entgehen lassen würde. Das müsse man den Kunden vermitteln.
Alles unbedenklich?
Nach der Darstellung von Herrn Jánszky ist das alles völlig unproblematisch. Frei nach dem Motto: Man muss den Unternehmen und der Wirtschaft nur vertrauen, denn sie dienen ja den Konsumenten. Kritiker setzt Herr Jánszky mit den Menschen gleich, die sich beschwert haben, als der Stummfilm zum Tonfilm wurde. Er sagt mit viel Begeisterung:
Zukunft kommt dann in die Welt, wenn Verrückte Etablierte zwingen, auf ihre Verrücktheit einzusteigen.
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Ethik ist dabei wohl eher hinderlich – zumindest führt Herr Jánszky mehrere Male Länder mit eher zweifelhaften Verbraucherschutz als Positivbeispiele an. Etwa China: Zwischen 2018 und 2019 werde man sich laut führenden Experten in der Neurobiologie sein komplettes Genom für unter 100 Dollar analysieren lassen können. „Defizite“ könne man dann mithilfe von Bakteriencocktails ausgleichen, die perfekt auf das persönliche Profil abgestimmt würden.
„Mein altes Herz ist kaputt gegangen – also habe ich mir diesen Ersatz ausgedruckt“
Allgemein gebe es in der Gesundheitsforschung aktuell eine Dynamik wie in kaum einer anderen Branche. Mit Hilfe von 3D-Druckern könne man schon jetzt künstlich Adern aus organischem Material herstellen. Wenn das mit Herzen gelingen würde, wäre das eine Sensation – Herr Jánszky ist optimistisch, dass das bald klappt. Es sei ja auch schon möglich, sich Steaks auszudrucken:
Das wird nicht nur Versorgungsprobleme in Entwicklungsländern lösen. In ein paar Jahren wird es das hier in jedem Supermarkt geben. Das sieht genau aus wie ein normales Steak, es schmeckt genauso und es hat keine Nebenwirkungen. Man wird es nur daran unterscheiden können, dass es viel billiger ist.
Man könne außerdem schon ganze Häuser mit 3D-Druckern ausdrucken, innerhalb von 20 Stunden. Ein Beispiel sei eine Luxusvilla in China – 1.100 Quadratmeter zum Preis von 140.000 Euro. Das werde sich auch in Deutschland durchsetzen, sagt Herr Jánszky. Er rechne damit, dass normale Einfamilienhäuser dann für etwa 15.000 Euro zu haben sein würden.
Einige Prognosen und Aussagen von Herrn Jánszky wirken reichlich gewagt. Er spricht viel über die mögliche Modifikation des Körpers und über Substanzen, die uns verbessern – natürlich alles „ohne Nebeneffekte“. So verteilt er an einen Zuschauer im Publikum „Brain Toniq“ aus den USA. Wer es trinkt, soll zwischenzeitlich klüger werden:
Man wird auch Glück und Schönheit in Trinkflaschen verkaufen.
Andere nennen das Drogen – und die sind in aller Regel nicht „völlig unbedenklich“. In verschiedenen Foren berichten Konsumenten über ihre Erfahrungen mit „Brain Toniq“ und die sind zwar überwiegend positiv. Es gibt aber eben doch Berichte über Nebenwirkungen: Von leichten Kopfschmerzen bis zur Übelkeit. Andere berichten, das Mittel sei zwar sehr teuer – bewirke aber überhaupt nichts.
Vertrauen ist alles
Herr Jánszky betont immer wieder wie wichtig es ist, dass Kunden vertrauen können. Das fällt schwierig, wenn das Versprochene nicht eingehalten wird oder etwas vorschnell als unbedenklich abgetan wird. Natürlich kann Verschlossenheit gegenüber Neuerungen Fortschritt verhindern – das ist aber kein Freifahrtschein, jegliche Bedenken über Bord zu schmeißen.
Wie lange sind die Drucker-Schnitzel denn schon auf dem Markt, damit man behaupten kann, sie hätten keine Nebenwirkungen? Herr Jánszky , Fortschrittsverweigerer hätten vor den dramatischen Folgen des Tonfilms gelegen – sie lagen falsch. Das mag sein. Genauso lässt sich ein Gegenbeispiel konstruieren: Anfang des 20. Jahrhunderts wurde in den USA eine dauerhafte Haarentfernung mithilfe von Röntgenstrahlen angeboten. Hat auch super funktioniert – nur sind danach viele der Patienten an Krebs erkrankt, was erst viele Jahre später erkannt worden ist.

Herr Jánszky präsentiert ein Gerät, mit dem man per Gedankensteuerung Computer bedienen können soll. In Flugsimulatoren werde die Technologie schon erfolgreich von Piloten genutzt, habe er sich sagen lassen…
Völlig unstrittig ist: Die Entwicklung der Technologie kann eine ungemeine Entlastung im Alltag und auf Arbeit darstellen. Das sollte einen aber nicht die Schattenseiten vergessen lassen. Wenn der technologische Fortschritt als oberstes Ziel nicht das Wohl des Menschen, sondern den Profit von Unternehmen als Maxime hat, muss befürchtet werden, dass negative Nebenwirkungen auftreten – gerade in der Gesundheitsbranche kann das lebensgefährlich ausgehen.
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Herr Jánszky bittet einen Zuschauer, das Gedankensteuerungsgerät zu testen. Es funktioniert nicht. Herr Jánszky vermutet, der Akku ist leer: „Aber bitte glauben Sie mir, normalerweise klappt es.“
Weitere extrem kritische Punkte sind die Möglichkeiten zu Manipulation und Kontrolle, die sich durch die zunehmende Freizügigkeit der personenbezogenen Daten ergeben können. Man mag sich gar nicht ausmalen, wohin ein Missbrauch führen kann, wenn mit einander vernetzte Geräte überall im öffentlichen Raum filmen und per Gesichtserkennung unsere Emotionen auswerten.
Die bedenklichen Aspekte spart Herr Jánszky aber weitgehend aus in seinem Vortrag. Offenbar geht es vor allem ums Geschäft und da sind Sorgen wohl eher hinderlich. Der Großteil des Publikums zeigt sich sehr angetan von der Präsentation. Ich kann mich der Begeisterung nicht anschließen – denn jede Aussage über die Zukunft bleibt letztendlich Spekulation
Jede Prognose ist ein Wagnis
Herr Jánszky sollte das eigentlich ganz gut wissen. 2013 hat er in seinem Buch „2025 – So arbeiten wir in der Zukunft“ beschrieben, dass es in naher Zukunft am deutschen Arbeitsmarkt durch den demographischen Wandel zwei bis fünf Millionen unbesetzbare Jobs geben würde. Dann stiegen die Flüchtlingszahlen – was Herr Jánszky verschiedenen Medienberichten zufolge im vergangenen September eine „riesige Chance für Deutschland“ und „nahezu ein unerwartetes Geschenk“ bezeichnete.
Seine Prognosen stehen unter der Prognose, dass sich die Wirtschaft so weiter entwickelt, wie bisher. Das ist allerdings alles andere als sicher – denn weltweite Krisen bedrohen das Wachstum.
Hat Herr Jánszky in seinen Prognosen den möglichen Zerfall der Europäischen Union bedacht? Hat er die neue Datenschutz-Grundverordnung bedacht, die viele visionäre Produkte auf dem europäischen Binnenmarkt verhindern dürfte? Und am allerwichtigsten: Hat er gar das Unberechenbare berechnet?
Nach Studien scheitert trotz eines immensen Marketingaufwands der Großteil aller neu am Markt erscheinenden Produkte bereits nach kurzer Zeit. Wie verlässlich sollen dann eine zehn-Jahres-Prognosen sein? Aus meiner Sicht sollte man sie mit großer Vorsicht genießen.