Mannheim, 12. April 2016. (red/nh) Das ehemalige Postverteilungszentrum am Mannheimer Hauptbahnhof muss weg. Hier soll auf einer riesigen Baufläche ein neues Quartier entstehen: Das Postquadrat. Eine große Herausforderung im Entwurfsprozess, denn: Die Lage bringt einige Schwierigkeiten mit sich – viel Lärm und hoch frequentierte Straßen.
Von Naemi Hencke
Peu à peu verschwindet das im Jahr 1987 erbaute alte Postverteilungszentrum – die Abrissarbeiten schreiten voran und lassen einen erahnen, was sich dahinter verbirgt. Ein riesiges Bauareal: Etwa 57.000 Quadratmeter Bruttogrundfläche. Diese soll nun neu gestaltet werden. Ein Mammut-Projekt.
Die Fläche wurde in drei Teile aufgeteilt – die größte Baufläche erwarb die Peter Ostermayer Wohnbau GmbH, 21.000 Quadratmeter. Das seit 25 Jahren familiengeführte Unternehmen, mit Hauptsitz in Altrip, betreut professionell alle Phasen des Wohnungsbaus – von der Standortanalyse bis hin zur Vermarktung des Bauprojekts.
Ideenwettbewerb zur Fassadengestaltung
Um eine qualitativ hochwertige Planung zu ermöglichen, lobte die Peter Ostermayer GmbH in Zusammenarbeit mit der Stadt Mannheim im Dezember vergangenen Jahres einen nicht-offenen Ideenwettbewerb aus. Hierfür konnten insgesamt zehn überregional qualifizierte Architekturbüros gewonnen werden – die sich allesamt intensiv mit der Gestaltung der Fassaden auseinandergesetzt haben.
Die Planungen sehen eine Blockrandbebauung vor, die nicht höher als sechs Geschosse sein darf. Die Lage des Baugebiets stellt mitunter eine große Herausforderung dar: Am Rande der Schwetzingerstadt direkt am Hauptbahnhof gelegen und durch die vielbefahrene Reichskanzler-Müller-Straße begrenzt – es ist sehr laut. Vor allem Nachts, wenn der direkt angrenzende Güterverkehr vorbeirollt. Und sehr belebt: Etwa 110.000 Fahrgäste steigen am Mannheimer Hauptbahnhof täglich aus, ein und um.
Doch diese Lage ist natürlich genau deswegen auch sehr zentral. Die Uni liegt in unmittelbarer Nähe und Pendler kommen schnellstmöglich mit der Bahn nach Stuttgart, Karlsruhe oder Frankfurt.
Die Bauvorgaben schließen Wohnungen im Erdgeschoss aus. „Geschosswohnungsbau mit unterschiedlichen Wohnungsgrößen und Wohnformen ist im Kernbereich sowie entlang der Heinrich-von-Lanz-Straße und der verlängerten Keplerstraße geplant„, heißt es im Bebauungsplan Nummer 42.17.
Weiter heisst es dort: „An der Reichskanzler-Müller-Straße sowie an der Heinrich-von-Stephan-Straße sollen aufgrund der hohen Schallemissionen in der Nacht Gewerberiegel mit überwiegender Büronutzung entstehen. Der Bereich zum Bahnhofvorplatz und der geplante Hochpunkt sind im Bebauungsplan als eingeschränktes Gewerbegebiet festgesetzt. Dieser Bereich soll weitgehend der geplanten Hotelnutzung dienen.“
Wie geht man mit diesen Voraussetzungen um?
Vor allem sollen Büros, Wohnungen für Studenten und Unterkünfte für ältere Menschen und zwei Hotels als Nutzungsbereiche ihren Platz im neuen Quartier finden. Im „parkähnlichen und verkehrsfreien Innenbereich“ sind zudem vier Stadtvillen geplant.
Ein wichtiges Anliegen der Stadt Mannheim sei die Nachverdichtung – bereits genutzte Flächen sollen auf diese Weise weiterentwickelt werden. Die Entwurfsplanungen würden das Ziel verfolgen, ein qualitätsvolles Quartier zu schaffen, das auch identitätsstiftend auf dessen Bewohner wirkt und somit eine Bereicherung für den Stadtteil sein wird.
Laut der Auslobung seien die Themen beziehungsweise die Beurteilungskriterien des Wettbewerbs beispielsweise die städtebauliche Adressbildung und die gestalterische Qualität: Der Umgang mit dem städtebaulichen Kontext soll das Gebiet in den Stadtkörper einbinden. Gleichzeitig soll es vielfältig zugehen und über die Materialien sowie die verwendeten Oberflächen (Texturen und Strukturen) eine besondere Plastizität entstehen.
Weiter wurden Nutzungqualitäten, Funktionalität und Flexibilität, die Wirtschaftlichkeit, Wartung und der Umgang mit Ressourcen und Energie thematisiert.
Die Antworten der eingereichten Ideen auf diese Leitgedanken waren sehr unterschiedlich. Alle Architekten haben sehr spannende Synonyme und Bilder für diesen Megabau entwickelt,
so Kerstin Schulz, die selbst Architektin ist und die Stadt als Gestaltungsbeiräten unterstützt.
Die Zukunft sei sehr wichtig – gerade auch in Gestaltungsfragen und das für alle Beteiligten: Was wünscht sich der Bauherr? Was wünscht sich die Stadt? Was wünschen sich die Bewohner der Stadt? Diese Fragen dürften natürlich im Entwurfsprozess nicht vergessen werden, fügte Frau Schulz an. Alle diese Fragen wurden vom Preisgericht lange diskutiert und letztlich kamen sie vergangene Woche zu einer einvernehmlichen Entscheidung.
Das Büro Menzel I Kossowski Architekten aus Darmstadt gewann den 1. Preis des Wettbewerbs.
Frank Menzel erklärt die Idee:
Wir sind dem Wunsch nach Vielfalt und Abwechslung nachgegangen. Und der Frage, wie werden wir dem gerecht, ohne monoton zu wirken? Aufgrund der exponierten Lage ist die Adressbildung, die Schaffung von Identität, einem Wiedererkennungswert und der richtige Maßstab von besonderer Bedeutung. Unser Entwurfziel war es, das Aussen wie einen Mantel, wie eine Klammer erscheinen zu lassen, die den Bau zusammen hält.
Backstein – die Kröte
Den monumental wirkenden Block sollen Balkone, Loggien und offene Fassaden auf der Innenseite des Gebäudes aufbrechen. Zur öffentlichen Seite soll eine einheitliche Fassadengestaltung entstehen, die aber eine spezielle Vielfältigkeit aufweist – Reliefs aus Backsteinen sollen die Fassaden durch ihre Texturen, Farben und Schattenwürfe strukturieren.
Backstein. Diese Kröte muss man erstmal schlucken. Aber Backstein ist eine gute Investition,
erklärt Architekt Frank Menzel.
Der Instandhaltungsaufwand sei wesentlich einfacher als bei so manch anderen Fassadenaufbauten. Backstein sei widerstandsfähiger und weitaus weniger anfällig für Schmutz, der ja gerade bei dieser speziellen Lage eine ungeliebte Rolle spielen werde. Markante Backstein-Reliefs und die dadurch strukturierten Fassaden sollen die individuelle Gebäudenutzung sichbar machen – so wird der Passant von aussen erkennen können, ob sich hinter einem bestimmtem Gebäudeteil Wohn- oder gewerblichen Raum verberge.
Wir möchten Mehrklang statt Einklang schaffen,
fügt Frank Menzel hinzu.
Gerade das Fassadenthema sei sehr komplex gewesen, meint Professorin Kerstin Schulz.
Um nicht zu sagen: Harte Knochenarbeit. Doch dieses Kombinationsspiel wird sich lohnen und ist richtig und wichtig für die Zukunft.
Ein erster Platz und sechs Gewinner
Letztlich gibt es einen ersten Platz in diesem Ideenwettbewerb. Und dennoch sechs Gewinner. Denn im Verlauf dieses Wettbewerbs hat sich die Jury dazu entschieden, mehrere Entwürfe ins Rennen zu schicken. Entweder wird der Entwurf von Menzel I Kossowski Architekten verwirklicht oder eine Kombination aus den anderen fünf Gewinnerentwürfen – die gemeinsam betrachtet, wie ein Baukastenprinzip verwirklicht werden könnten. Das funktioniert bei dem 1. Platz allerdings nicht. Dieser müsse für sich alleine stehen, so Wolfgang Naumer.
Wie empfinden das wohl die Architekten des Gewinnerbüros? Frank Menzel und Wojtek Kossowski nehmen es gelassen.
Die Stadt Mannheim und Peter Ostermayer jedenfalls sind froh, dass dieses Ergebnis erreicht wurde. Und hoffen, dass das herausfordernde Mammut-Projekt in den nächsten zwei Jahren verwirklicht werden kann.
Ausstellung der Gewinnerentwürfe
Noch bis zum 29. April 2016 werden die Gewinnerentwürfe des neuen Postquadrats in S4 bei Naumer Architekten ausgestellt. Am 20.04 und 27.04., wird jeweils um 15:00 Uhr eine Führung durch die Ausstellung angeboten.
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