Mannheim, 12. Dezember 2014. (red/pm) 70 laufende Meter, 1.000 Einzelakten mit rund 370.000 Bilddateien oder 4,5 Terabyte – die historischen Akten der Kunsthalle Mannheim von 1909 bis 1983 liegen jetzt nicht mehr nur analog, sondern auch digital vor. Von Januar 2013 bis Dezember 2014 hat das Stadtarchiv Mannheim – Institut für Stadtgeschichte (ISG) die Künstlerbriefe, Bildpostkarten und wichtige Dokumente in Handarbeit vollständig digitalisiert.
Information der Kunsthalle Mannheim:
“Heute, am 11. Dezember, konnte Herr Dr. Ulrich Nieß, Leiter des Stadtarchivs, der Direktorin der Kunsthalle Mannheim, Dr. Ulrike Lorenz, die digitalisierten Akten in Form einer handlichen Festplatte übergeben. Michael Grötsch, Bürgermeister für Wirtschaft, Arbeit, Soziales und Kultur freut sich über die erfolgreiche innerstädtische Zusammenarbeit bei dem Digitalisierungsprojekt: „In dieser beispielhaften Kooperation zweier städtischer Institutionen, die in besondere Weise das historische Gewissen Mannheims verkörpern, profitiert die Kunsthalle von der digitalen Expertise des Stadtarchivs und umgekehrt das Stadtarchiv vom spezifischen und in seiner Vollständigkeit außergewöhnlichen Archivbestand des Museums.“

Aus 1.000 Ordnern wird eine handliche Festplatte. Foto: Kunsthalle Mannheim
Datenvolumen insgesamt 4,5 Terabyte
Die äußere Form dieser Archivakten, die auch als Verzeichnungseinheiten bezeichnet werden, erwies sich als äußerst vielfältig. Zahlreiche Formate sowie unterschiedliche Papier- und Bindungsarten ließen den Arbeitsaufwand bei der Vor- und Nachbereitung sowie beim Scanvorgang selbst steigen. Die beiden Digitalisierungsexperten im Stadtarchiv Mannheim, Stephan Kunz und Thomas Böhler, benötigten für die Bearbeitung einer Akte zwischen einer und vier Stunden. Insbesondere das gerade in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gern verwendete, äußerst fragile Durchschlagpapier erforderte eine große Sorgfalt beim Scannen.
Die digitalen Dokumente, die insgesamt ein Datenvolumen von 4,5 Terabyte haben, wurden im Archivformat tif für den Langzeiterhalt gespeichert und zusätzlich in pdf-Form den Mitarbeitern der Kunsthalle Mannheim zu Forschungszwecken auf einem speziellen Laufwerk zur Verfügung gestellt. Aus ihren Erfahrungen erarbeiteten die beiden Experten außerdem einen Musterworkflow für die Digitalisierung von modernen Aktenbeständen, der in Zukunft auch beim Scannen weiterer Archivbestände Anwendung finden kann und von dem die deutsche Archivlandschaft insgesamt profitieren könnte.

An diesem Arbeitsplatz werden die Dokumente eingescannt. Foto: Kunsthalle Mannheim
250.000 Euro von der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Ermöglicht wurde dieses Vorhaben durch eine Zuwendung von knapp 250.000 Euro durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Rahmen des bundesdeutschen Pilotprojekts „Digitalisierung archivischer Unterlagen“, an dem das Stadtarchiv Mannheim als einziges Kommunalarchiv neben sechs weiteren Institutionen im gesamten Bundesgebiet beteiligt ist. Dr. Ulrich Nieß, Leiter des Stadtarchivs, unterstrich deshalb die Pionierleistung der Mannheimer Digitalisierung: „Das erfolgreiche Projekt zeigt, wie sich digital vernetzende Verwaltungs- und Kulturorganisationen einen Mehrwert für ihre eigene Arbeit sowie für die Fachöffentlichkeit herstellen können. Was hier auf den Weg gebracht wurde, hat Beispielcharakter für das Kulturschaffen im digitalen Zeitalter.“
In einem zweiten Schritt ist die Veröffentlichung von urheberrechtsfreien Aktenschriftstücken aus dem Bestand der Kunsthalle Mannheim auf der Homepage des Stadtarchivs sowie auf einem nationalen Archivportal geplant, um das kunst- und stadthistorisch äußerst bedeutsame Material der Forschung sowie der interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. „Es muss das Ziel der deutschen Archive sein“, appelliert Dr. Harald Stockert, stellvertretender Leiter des Instituts für Stadtgeschichte und Leiter des Zwischenarchivs mit EDV, „unser schriftliches kulturelle Erbe zu digitalisieren und der Öffentlichkeit online zur Verfügung zu stellen. Angesichts von tausenden Kilometern an historischen Quellen stehen wir hier vor einer wahren Mammutaufgabe. Mit dem gemeinsamen DFG-Projekt haben wir einen ersten wichtigen Schritt zu ihrer Bewältigung unternommen.“

Jedes Dokument muss einzeln bearbeitet werden. Foto: Kunsthalle Mannheim
Interessantes lässt sich allerhand in den Dokumenten finden: Akten über den „Freien Bund zur Einbürgerung der bildenden Kunst in Mannheim“ zum Beispiel, den 1911 der erste Direktor der Kunsthalle, Fritz Wichert, gegründet hat, oder der erhaltene Schriftwechsel der Kunsthallendirektion mit zahlreichen nationalen und internationalen Künstlern: So liegen etwa Briefe des in Heidelberg geborenen Malers Wilhelm Trübner, des Malers und Bildhauers Bernhard Hoetger – bekannt durch seine Tätigkeit in der Darmstädter Künstlerkolonie und als Neugestalter der Böttcherstraße in Bremen – sowie des bedeutenden deutschen Expressionisten Franz Marc vor.
Zahlreiche Briefe an Künstler aus dem badischen Raum und dem Rhein-Neckar-Kreis belegen zudem das Engagement der Kunsthallenleitung für die Förderung regionaler Künstler. Außerdem lässt sich in den Akten der Aufbau der Sammlung der Kunsthalle Mannheim nachvollziehen, deren besonderer Schwerpunkt in der Malerei des deutschen und französischen Impressionismus, des Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit liegt.
Akten der Mannheimer Schlossgalerie aufgetaucht
Als besonders erfreulich für die Erforschung der frühen Kunstentwicklung in Mannheim ist es zu bezeichnen, dass im Zuge der Digitalisierungsarbeiten unter dem Material der Kunsthalle auch Akten der Mannheimer Schlossgalerie aus den Jahren von 1834 bis circa 1917 auftauchten. Dies dürfte neue Erkenntnisse zur Geschichte der Großherzoglichen Gemäldegalerie im Schloss, über die bisher wenig bekannt war, ans Licht bringen.
„Die Vollständigkeit des Altaktenarchivs der Mannheimer Kunsthalle im Vergleich zur Überlieferung anderer deutscher Museen ist einzigartig, da selbst der Zweite Weltkrieg kaum zu Lücken geführt hat“, sagt Dörte Kaufmann, die Projektleiterin im Stadtarchiv für die Digitalisierung der Kunsthallen-Bestände. „Bedeutsam für die Forschung ist vor allem das umfangreich überlieferte Schriftgut aus der NS-Zeit. Hervorzuheben ist auch die Korrespondenz der Kunsthallendirektion mit zahlreichen nationalen und internationalen Künstlern wie Wassily Kandinsky, Edvard Munch oder dem in der Pfalz wirkenden Max Slevogt.“
Dr. Ulrike Lorenz, die Direktorin der Kunsthalle Mannheim, resümiert begeistert: „Mit der Digitalisierung des historischen Archivs der Kunsthalle, erhalten wir ein modernes Managementinstrument in die Hand, mit dem wir nicht nur unsere eigenen Forschungs- und Ausstellungsprojekte, allen voran die brisante Provenienzforschung, optimieren, sondern erstmals auch eine umfangreiche Veröffentlichung des historischen Materials sowie die effiziente Beantwortung externer Anfragen ermöglichen können. Künftig lagern wir die wertvollen Originalakten fachgerecht und neuverpackt in 350 Archivschachteln im Stadtarchiv unter optimalen Bedingungen. Damit erfüllen wir unseren gesellschaftlichen Auftrag zur Bewahrung und Vermittlung der Bestände in einer höchst effizienten, kooperativen Form.“