Rhein-Neckar/Neckar-Odenwald/Karlsruhe, 12. August 2015. (red) Die Landräte Stefan Dallinger (Rhein-Neckar-Kreis), Dr. Achim Brötel (Neckar-Odenwald-Kreis) und Dr. Christoph Schnaudigel (Landkreis Karlsruhe) haben gemeinsam Forderungen an Ministerpräsident Winfried Kretschmann gestellt. Dringendster Appell: Asylsuchende vom Balkan sollen in den Landeserstaufnahmestellen verbleiben und so schnell als möglich abgeschoben werden. Insbesondere die nördlichen Kreise im Südwesten haben aktuell über 60 Prozent der Neuankömmlinge zugewiesen bekommen. Wir dokumentieren das Schreiben.
Anm. d. Red.: Hinweis an die Leser/innen. Alle drei Landräte sind CDU-Mitglieder. Dies ist entscheidend, um auch die politische Dimension des Schreibens zu erfassen.
Gemeinsamer Appell der Landträte vom 11. August 2015:
“Herrn Ministerpräsident
Winfried Kretschmann
Staatsministerium Baden-Württemberg
Richard-Wagner-Straße 15
70184 Stuttgart
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
wir erleben gegenwärtig eine große Hilfsbereitschaft der Menschen in unserem Land. Viele Ehrenamtliche setzen sich mit großem Engagement für ihre Mitmenschen ein, die durch Krieg, Bürgerkrieg oder politische Verfolgung dazu gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Gerade auch im Umfeld von Einrichtungen für die vorläufige Unterbringung von Flüchtlingen in den Stadt- und Landkreisen erleben wir großes Verständnis und tätige Hilfe. Es leuchtet letztlich jedem vernünftigen Staatsbürger ein, dass wir Männer, Frauen und Kinder, die aus großer Gefahr zu uns fliehen, nicht abweisen können, sondern dass wir ihnen im Gegenteil Hilfe und Zuflucht gewähren müssen.
Wir sind auf dieses hervorragende Engagement, auf die Akzeptanz der Bevölkerung und den umfassenden Konsens in unserer Bürgergesellschaft in besonderem Maße angewiesen, wenn die Unterbringung auch größerer Zahlen von Flüchtlingen gelingen soll.
Vor diesem Hintergrund begrüßen wir Ihre Ankündigung ausdrücklich, zukünftig einen Schwerpunkt auf die Integration der Menschen mit Aufenthaltsperspektive zu legen.
Die jüngst veröffentlichten Zahlen des BAMF (Juni 2015) zeigen aber, dass nach wie vor ein erheblicher Teil des bundesweiten Flüchtlingszugangs (30 – 40% bei den Erstantragstellern und 2/3 bei den Folgeantragstellern) aus den Balkanstaaten zu uns kommt. Bei diesem Personenkreis liegt die Schutzquote unter 0,1 %, weil sie nahezu ausnahmslos aus asylfremden Gründen ins Bundesgebiet einreisen.
Damit die unteren Aufnahmebehörden ihrer Pflicht zur Unterbringung, Betreuung und Integration, insbesondere der Flüchtlinge, die unserer Hilfe in besonderer Weise bedürfen, noch in angemessener Weise Rechnung tragen können, ist es zwingend notwendig, den Zugang von Personen aus den Balkanstaaten in das Asylsystem kurzfristig und vor allem wirksam zu begrenzen.
Als erster Schritt darf dieser Personenkreis ab sofort nicht mehr in die Verteilung zu den Stadt- und Landkreisen einbezogen werden. Bei den derzeit hohen Zugangszahlen wird es ansonsten nicht mehr möglich sein, die Aufnahme und Unterbringung von Asylsuchenden insgesamt zu gewährleisten. Durch entsprechende Verfahrensumstellungen, mit den daraus resultierenden Folgen, muss den Zuwanderern aus den Balkanstaaten deutlich signalisiert werden, dass eine Einreise nach Deutschland unter Berufung auf das Asylrecht unattraktiv und nicht geeignet ist, die persönliche Perspektivlosigkeit dieser Menschen zu verbessern.
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Hinweis: Lesen Sie zum Thema unsere Reportage. Diese wurde bereits über 50.000 Mal gelesen
Schwetzingens Camp der Beschämung
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Als Landräte fordern wir die Landesregierung daher zu folgenden Sofortmaßnahmen auf:
1.
Die Landesregierung setzt sich bei der Bundesregierung dafür ein, dass Kosovo, Albanien und Montenegro in die Liste der „sicheren Herkunftsstaaten“ nach Anlage 2 zu § 29a AsylVfG aufgenommen werden.
2.
Die Landesregierung setzt sich bei der Bundesregierung dafür ein, dass die Visumspflicht für die Westbalkanstaaten wieder eingeführt und dass unerlaubt einreisende Staatsangehörige aus diesen Staaten an den Grenzen zurückgewiesen bzw. bei unerlaubter Einreise umgehend zurückgeführt werden.
3.
Personen aus den Westbalkanstaaten, die in Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes Asyl beantragen, werden, wie vom Land beim 2. Flüchtlingsgipfel angekündigt, ab sofort nicht mehr zur Weiterverteilung den Stadt- und Landkreisen zugewiesen. Sie verbleiben in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes bis das verkürzte Asylverfahren nach § 36 AsylVfG (Verfahren bei Unbeachtlichkeit und offensichtlicher Unbegründetheit) rechtskräftig abgeschlossen ist.
4.
Die Landeserstaufnahmeeinrichtungen und die Verwaltungsgerichte werden umgehend personell so ausgestattet, dass insbesondere für Asylbewerber aus den Westbalkanstaaten eine ordnungsgemäße Durchführung des verkürzten Asylverfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss, innerhalb der Drei-Monats-Frist nach § 47 AsylVfG, ermöglicht wird.
Das Land setzt sich bei der Bundesregierung wirksam dafür ein, dass die Personalausstattung beim BAMF umgehend in der Weise angepasst wird, dass die Behandlung der Asylanträge künftig unter strikter Einhaltung der Vorgaben des AsylVfG erfolgen kann.
Den Unterzeichnern ist bewusst, dass die kurzfristige Umsetzung dieser Forderungen für das Land nicht einfach sein wird. Allerdings verlangt das Land von den Unteren Aufnahmebehörden auch, die kurzfristige (monatsweise) Anpassung ihrer Aufnahmekapazitäten an den ständig steigenden Zugang, obwohl sich die Kreise bei ihren Planungen auf die Zugangsprognosen des BAMF und des Landes verlassen mussten. Vor diesem Hintergrund sehen wir das Land nunmehr in der Pflicht, bei der Umsetzung der Zusagen des 2. Flüchtlingsgipfels mit dem gleichen Tempo heranzugehen, wie dies von den Kreisen und Kommunen landesseitig stets eingefordert wird. Es ist unserer Bevölkerung nicht vermittelbar, dass Kreise und Kommunen, als letztes Glied der Kette, den außerordentlich ansteigenden Zustrom an Flüchtlingen alleine bewältigen müssen.
Behörden und Bevölkerung unseres Landes eint das gemeinsame Ziel, den Menschen, die vor Krieg, Bürgerkrieg und politischer Verfolgung zu uns fliehen, Zuflucht und eine angemessene Unterbringung zu gewährleisten. Wir bitten Sie darum, dass das Land alles dafür tut, um nicht nur die Leistungsfähigkeit unserer Aufnahme- und Unterbringungsverwaltung, sondern auch unseren gesamtgesellschaftlichen Konsens in dieser Frage.”
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Lesen Sie hier die Antwort der Landesregierung:
Staatssekretär Klaus-Peter Murawski antwortet mit offenem Brief auf Landräteschreiben
Landesregierung watscht Landräte ab
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