Mannheim, 11. Mai 2016. (red/me) Im Laufe des vergangenen Jahres trat der NSU-Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtages insgesamt 33 mal öffentlich zusammen. Jetzt wurde der Bericht vorgelegt und Bilanz gezogen. Das Ergebnis wird wohl nur ein Zwischenergebnis sein und ein neuer Untersuchungsausschuss vom neuen Landtag eingesetzt werden. Was die Landtagsabgeordneten aufgearbeitet haben war umfangreich und doch sind viele offene Fragen geblieben.
Unter dem Vorsitz des langjährigen SPD-Abgeordneten Wolfgang Drexler trat der NSU-Untersuchungsausschuss von Baden-Württemberg am 15. Januar 2016 letztmalig zusammen, um in dieser Sitzung seinen nun veröffentlichten Abschlussbericht zu beschließen.
Darin wird dem neu gewählten Landtag empfohlen, einen neuen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Denn viele Fragen aus dem Zusammenhang des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) und des Rechtsterrorismus in Baden-Württemberg sind unbeantwortet geblieben.
977 Seiten Bericht, 682 Seiten Anlagentexte
Sowohl der Abschlussbericht, als auch diese Empfehlung wurden einstimmig von allen Fraktionen beschlossen. So ist zu erwarten, dass der neue Landtag noch im Mai dieser Empfehlung folgen und die Einsetzung eines neuen Untersuchungsausschusses beschließen wird.
Der Landtag hatte am 5. November 2014 beschlossen, einen Untersuchungsausschuss gemäß Artikel 35 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg einzusetzen mit folgendem Auftrag:
Der Untersuchungsausschuss hat den Auftrag, umfassend aufzuklären, in welcher Weise die baden-württembergischen Justiz- und Sicherheitsbehörden auf der Landesebene und mit den Bundesbehörden und anderen Länderbehörden in Zusammenhang mit der Aufklärung des Mordes an der Polizeibeamtin M. K., dem versuchten Mord an ihrem Kollegen und der NSU- Mordserie zusammengearbeitet haben und welche Fehler und Versäumnisse es bei der Aufklärung der Straftaten in Baden-Württemberg im Rahmen der Ermittlungsarbeit und des Zusammenwirkens der Sicherheitsbehörden gab und welche Verbindungen des NSU und seiner Unterstützer nach Baden-Württemberg tatsächlich bestanden haben.
Insgesamt wurden im Laufe des vergangenen Jahres vom Ausschuss 140 Beweisbeschlüsse auf Antrag der vier vertretenen Fraktionen (CDU, Grüne, SPD, FDP) gefasst und 136 Zeugen und 18 Sachverständige vernommen.
Bei zwei Vor-Ort-Terminen hatte sich der Untersuchungsausschuss selbst ein Bild gemacht und unter anderem der Tatort des Heilbronner Polizistenmords besichtigt. Die genauen Ergebnisse des Untersuchungsausschusses sind in 977 Seiten Bericht und weiteren 682 Seiten Anlagentexte detailliert aufgeführt und können auf der Website des Landtags eingesehen werden.
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Und doch werden vermutlich nie sämtliche Mythen, Fragen und Verschwörungstheorien aus der Welt geschafft werden. Dazu sind zu viele Behörden und Personen in den ganzen Komplex eingebunden, denen gegenüber oft mit Unwissen und aber auch Misstrauen begegnet wird.
Raum für Spekulationen
Wenn Generalbundesanwaltschaft, Landeskriminalamt oder auch das FBI in der Zusammenarbeit mit den Aufklärern des Landtages Informationen schwärzen oder offen mitteilen oder ausgesagt wird, man habe darüber keine Kenntnisse, dann bleibt Raum für Spekulationen und Interpretationen.
So begegnet einem schon zu Beginn des Berichts das Zitat des freien Journalisten Thomas Moser, der als Sachverständiger dem Untersuchungsausschuss Rede und Antwort stand:
„Wir wissen nicht, wie es war, wir wissen nur, wie es nicht war. So, wie es die Bundesanwaltschaft darstellt, war es nicht. Damit sind wir mitten im Problem.“
Der Untersuchungsausschuss dagegen kommt bei der Beantwortung seiner vielen Fragen stets zu der Überzeugung, dass die öffentlich bekannten Zusammenhänge korrekt sind und sieht mögliche Zweifel gegenüber der Aufklärungsarbeit der Behörden als ausgeräumt an.
Unberechenbare Täter
Mit berücksichtigt wurden indes auch die Erkenntnisse des Bundestags-Untersuchungsausschusses zu den NSU-Morden. Der Vorsitzende des Ausschusses, der Böblinger CDU-Bundestagsabgeordnete Clemens Binniger, Polizeioberrat a.D., erläuterte in Stuttgart die in Berlin gewonnenen Erkenntnisse. Aus seiner Sicht der Dinge müsse man davon ausgehen, dass bei allen anderen Opfer des NSU die Willkür ihrer Auswahl genau das gewesen sei, was aus Perspektive der Täter wohl den Schrecken der Taten demonstrieren. Nach seiner Überzeugung hätten diese sagen wollen:
Wir reinigen hier in irgendeiner Form Deutschland nach unseren Vorstellungen, aber wir sind dabei unberechenbar. Wir haben kein Muster, auf das sich irgendjemand verlassen kann, sondern wir schlagen willkürlich da zu, wo wir es für richtig halten.
Vor diesem Hintergrund müsse man auch den Heilbronner Anschlag auf die Polizisten sehen. Polizisten seien als solche erklärtermaßen ein Ziel des Rechtsterrorismus, „Copkiller“ sei ein fester Begriff. Und damit stand dann wohl auch „die Wegnahme der Waffen als gewissermaßen die Insignien der Macht“ für die Täter im Vordergrund.
Hinsichtlich möglicher Tatmotive legt sich auch der Untersuchungsausschuss des Landtages fest:
Trotz intensiver Befassung mit der Frage nach den Beweggründen für den Mordanschlag auf der Theresienwiese konnte der Untersuchungsausschuss nicht einen einzigen Beleg für ein in der Person der Opfer, M. K. oder M. A., liegendes Motiv des Mordanschlags finden. Insbesondere liegen keine konkreten Anhaltspunkte von Bezügen der Opfer zu den Rechtsterroristen des NSU vor. Im Ergebnis teilt der Ausschuss die Einschätzung des Generalbundesanwalts, dass die Tat nicht gegen M. K. oder M. A. persönlich, sondern gegen die Polizei als Repräsentanten des Staates gerichtet war.
Was die Zusammenhänge zum NSU-Komplex angeht, kommt der Ausschuss auch hierbei zu einem eindeutigen Fazit:
In der Gesamtschau aller dargelegter Indizien – Kontrolle des Wohnmobils in Oberstenfeld, gleichartige Nutzung von Wohnmobilen bei anderen Taten des NSU, Fund der Tatwaffen, Dienstwaffen und anderer Ausrüstungsgegenstände, Fund der Jogginghose mit Blutantragungen von M. K. und Spuren von Uwe Mundlos, Einlassung von Beate Zschäpe vor dem OLG München – hat der Untersuchungsausschuss wie dargestellt keinen Zweifel an der Täterschaft von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos.
Trotz dieser eindeutigen Bewertung des ersten Untersuchungsausschusses des Landtags von Baden-Württemberg zum NSU-Komplex im Land, konnten jedoch weite Bereiche des Rechtsterrorismus nicht ausreichend aufgearbeitet werden.
In diesen Bereichen weiter Fragen zu stellen bleibt eine Aufgabe für den neuen Landtag. Denn nur dann wird es möglich sein, zukünftig ähnliche Entwicklungen zu verhindern. Im Falle des NSU-Komplexes war man ja schon bei der Aufdeckung des Netzwerkes überfordert.
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Im Folgenden werden die Fragestellungen des Untersuchungsausschusses mit den Antworten aus dem Abschlussbericht (als Zitate gekennzeichnet) gegenübergestellt:
Was war über den NSU-Komplex in Baden-Württemberg bekannt?
„Der Untersuchungsausschuss kommt zu der Überzeugung, dass die baden-württembergischen Justiz- und Sicherheitsbehörden vor dem Bekanntwerden des Trios im November 2011 keine Kenntnis von der Existenz des NSU und seiner Straftaten hatten.
Dem Untersuchungsausschuss liegen auch keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass es zwischen baden-württembergischen Justiz-und Sicherheitsbehörden Kontakte zum NSU bzw. dessen Umfeld gab. Ebenso liegen dem Untersuchungsausschuss keinerlei Anhaltspunkte vor, dass V-Leute des Landesamtes für Verfassungsschutz bzw. des Staatsschutzes Kenntnis von der Existenz des NSU hatten.“
In welchem Zusammenhang stehen NSU und Mordanschlag von Heilbronn?
„Am 25. April 2007 wurde die Polizeibeamtin M. K. auf der Theresienwiese in Heilbronn erschossen. Ihr Streifenpartner, der Polizeibeamte M. A., wurde durch einen Kopfschuss schwer verletzt und überlebte den Anschlag nur mit Glück. Die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft und die Suche nach den Tätern verliefen über Jahre hinweg ohne Erfolg – erst die Ereignisse vom 4. November 2011 in Eisenach, wo Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos nach einem Banküberfall den Tod fanden, und Zwickau, wo Beate Zschäpe die gemeinsam genutzte Wohnung in Brand setzte, führten zu der Erkenntnis, dass der Mordanschlag in Heilbronn von einer rechtsterroristischen Organisation namens „Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)“ begangen wurde.
Der Fall der getöteten Polizeibeamtin M. K. gilt als rätselhaftester Mord des NSU. Denn sie stammte aus dem thüringischen Oberweißbach, dem Herzland des „Thüringer Heimatschutzes“ (THS), der als Keimzelle des NSU gilt. Der Untersuchungsausschuss geht dennoch davon aus, dass die Polizistin, ein Zufallsopfer ist. In einer Erklärung von Beate Zschäpe vor dem Münchner Oberlandesgericht am 9. Dezember 2015, die diese verlesen ließ, führte sie aus, dass Böhnhardt und Mundlos ihr gegenüber nach der Tat in Heilbronn gesagt hätten, dass es ihnen „nur um die Pistolen der zwei Polizisten ging“.
Der Untersuchungsausschuss hat dem Mordanschlag von Heilbronn und der Aufarbeitung der Ermittlungen bei seiner Arbeit breiten Raum gegeben und durch Vernehmung zahlreicher Sachverständiger und Zeugen umfangreich Beweis zu diesem Komplex erhoben.“
Muss an der Täterschaft des NSU beim Mordanschlag von Heilbronn gezweifelt werden?
„Die Frage, wer die schreckliche Tat in Heilbronn – den Mord an der Polizeibeamtin M. K. und den versuchten Mord an ihrem Streifenpartner, dem Polizeibeamten M. A. – begangen hat, war naturgemäß eine der zentralen Fragen der Arbeit des Untersuchungsausschusses im Komplex „Mordanschlag von Heilbronn“. Der Ausschuss hat sich intensiv mit dieser Frage beschäftigt; im Ergebnis hat er keine begründeten Zweifel an der Einschätzung des Generalbundesanwalts, dass die Tat durch Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos begangen wurde.
Dabei verkennt der Ausschuss nicht, dass es keine unmittelbaren Tatzeugen gibt, die Uwe Böhnhardt oder Uwe Mundlos bei der Tat beobachtet hätten oder bezeugen könnten, dass sich die beiden zum Zeitpunkt der Tat im Bereich der Theresienwiese aufgehalten haben. Auch haben weder Böhnhardt noch Mundlos am Tatort DNA-Spuren hinterlassen. Nach einhelliger Meinung der Ausschussmitglieder liegt jedoch eine solche Vielzahl belastender Indizien vor, die auf eine Täterschaft von Böhnhardt und Mundlos hindeuten, dass kein Raum für vernünftige Zweifel an ihrer Täterschaft verbleibt.
Wesentlicher Hinweis auf die Täterschaft von Böhnhardt und Mundlos ist die im Rahmen der unmittelbar nach der Tat ausgelösten Ringalarmfahndung erfolgte Registrierung des Wohnmobils der Marke Fiat/Chausson mit dem amtlichen Kennzeichen C-PW 87 an der Kontrollstelle in Oberstenfeld gegen 14.37 Uhr. Der Zeitpunkt der Registrierung des Wohnmobils C-PW 87 passt vom Zeitablauf uneingeschränkt zu den sonstigen zeitlichen Feststellungen des Tatablaufs.“
Stammten die gefundenen Tatwaffen von Bo?hnhardt und Mundlos?
„Im Brandschutt der ausgebrannten Wohnung des NSU-Trios in Zwickau wurden nach dem 4. November 2011 insgesamt zwölf Schusswaffen sichergestellt. Darunter befanden sich auch die Tatwaffen des Mordanschlags von Heilbronn. Zwar konnten auf den Tatwaffen keine DNA-Spuren von Uwe Böhnhardt oder Uwe Mundlos festgestellt werden, dennoch stellt dieser Fund ein ganz wesentliches Indiz für ihre Täterschaft dar. Dass andere Personen die Tat ohne Beteiligung von Böhnhardt und Mundlos begangen und ihnen hinterher die Tatwaffen übergeben haben könnten, schließt der Ausschuss in der Gesamtschau aller für ihre Täterschaft sprechenden Indizien aus.“
Was bedeutet der Fund der Polizei-Dienstwaffen im ausgebrannten Wohnmobil in Eisenach am 4. November 2011?
„In dem von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos im Zuge des Banküberfalls in Eisenach genutzten und in der Folge ausgebrannten Wohnmobil wurden am 4. November 2011 acht Schusswaffen aufgefunden, unter denen sich auch die beiden Dienstwaffen befanden, welche die Täter den beiden Polizeibeamten K. und A. am 25. April 2007 in Heilbronn entwendet hatten. Beide Dienstwaffen konnten aufgrund ihrer Individualnummer zweifelsfrei identifiziert und M. K. und M. A. zugeordnet werden. Schon der Fund der Dienstwaffen allein ist ein deutlicher Hinweis auf die Täterschaft von Böhnhardt und Mundlos, lässt sich doch der Besitz der entwendeten Waffen anders nicht plausibel erklären.“
Was beweist der Fund einer bluverschmierten Jogginghose?
„Ganz wesentliches Indiz für die Täterschaft von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos ist die im Brandschutt der Wohnung in Zwickau gefundene graue Jogginghose mit Blutantragungen der ermordeten Polizeibeamtin M. K. Wie die Zeugin Dr. S. dem Ausschuss nachvollziehbar und plausibel erläutert hat, konnten die sich im unteren Bereich des rechten und linken Hosenbeins befindlichen Blutantragungen eindeutig – mit einer biostatistischen Wahrscheinlichkeit von 1:31 Billiarden – dem Opfer M. K. zugeordnet werden.
Der Zeuge Prof. Dr. Wehner, der im Auftrag des Bundeskriminalamts gutachterlich untersucht hat, ob diese Blutantragungen bei der Tat durch die Schussbeibringung erfolgt ist, hat für den Ausschuss überzeugend dargelegt, dass aufgrund des Spurenbildes zwar nicht der Nachweis zu erbringen sei, dass der Träger der Hose auch den Schuss abgegeben habe, dass er jedoch jedenfalls im lokalen Umfeld des Opfers M. K. im Zeitpunkt der Schussabgabe anwesend gewesen sein müsse.
Aufgrund der an und in der Hose gefundenen Spuren kann die Jogginghose mit einiger Gewissheit Uwe Mundlos zugeordnet werden.“
Was sagte Beate Zscha?pe vor dem Oberlandesgericht Mu?nchen aus?
„Auch die, von einem ihrer Rechtsanwälte verlesene, Aussage von Beate Zschäpe vor dem Oberlandesgericht München ist ein deutlicher Hinweis auf die Täterschaft von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Laut ihrer Einlassung, die dem Ausschuss von ihrem Rechtsanwalt Mathias Grasel übersandt wurde, haben Böhnhardt und Mundlos die Tat begangen und ihr einige Tage später davon berichtet, dass sie zwei Polizisten ermordet hatten.“
Was war das Motiv für den Polizistinnenmord von Heilbronn?
„Im Ergebnis konnte der Untersuchungsausschuss keine konkreten Anhaltspunkte dafür finden, dass sich der Anschlag auf der Theresienwiese gezielt gegen M. K. und M. A. als Personen richtete. Der Ausschuss geht davon aus, dass es sich um einen Anschlag gegen die Polizei handelte. Diesem Anschlag sind M. K. und M. A. als zufällig auf der Theresienwiese anwesende Polizeibeamte zum Opfer gefallen.
In der öffentlichen Diskussion um ein mögliches Tatmotiv wurde und wird in erster Linie auf die Herkunft von M. K. aus Thüringen und die Frage abgehoben, ob sie aufgrund dessen nicht wie auch immer geartete Kontakte zum NSU, dessen Umfeld oder der rechtsextremistischen Szene im Allgemeinen gehabt haben könnte. Dem Ausschuss ist es ein Bedürfnis, ausdrücklich festzustellen, dass er in den gesamten Ermittlungsakten und auch bei seinen eigenen Vernehmungen keinen einzigen Anhaltspunkt dafür gefunden hat, dass M. K. wie auch immer geartete Kontakte zur rechtsextremistischen Szene gehabt haben könnte.
Der Untersuchungsausschuss hat keine Anhaltspunkte dafür gefunden, dass der Mordanschlag in Zusammenhang mit früheren Einsätzen von M. K. und M. A. stehen könnte.“ Daneben ergaben sich auch keine Anhaltspunkte für ein Ausspähen der Dienstpläne und für das Ausspähen, die Ortung oder Verfolgung des Streifenwagens am Tattag.
Welche Bedeutung hatte die Mitgliedschaft eines Polizeibeamten beim Ku Klux Klan?
„Bei der Suche nach möglichen Motiven für den Mordanschlag auf der Theresienwiese wurde – auch in der öffentlichen Diskussion – immer wieder die Frage aufgeworfen, ob ein möglicher Zusammenhang mit der Mitgliedschaft des Polizeibeamten T. H. beim Ku Klux Klan (KKK) in den Jahren 2001/2002 bestehen könnte, zumal T. H. am 25. April 2007 als Gruppenführer der Einheit von M. K. ebenfalls in Heilbronn im Einsatz war. Im Ergebnis schließt der Ausschuss jedoch einen Zusammenhang zwischen der früheren KKK-Mitgliedschaft des T. H. und dem schrecklichen Verbrechen in Heilbronn aus.
Im Ergebnis handelt es sich bei der früheren Mitgliedschaft des T. H. beim KKK nach Überzeugung des Ausschusses um einen Umstand, der in keinerlei Zusammenhang mit dem Mordanschlag in Heilbronn steht.“
Könnte es weitere Tatbeteiligte gegeben haben?
„Der Untersuchungsausschuss hat sich – auch aufgrund dahingehender Presseberichterstattung, Veröffentlichungen verschiedener Autoren und Hinweisen mehrerer Sachverständiger – intensiv mit der Frage befasst, ob – wovon der Generalbundesanwalt ausgeht – Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos die Tat auf der Theresienwiese in Heilbronn allein begangen haben oder ob es weitere Beteiligte gab.
Der Untersuchungsausschuss hat sich intensiv mit den Ermittlungen der Soko Parkplatz und des BKA zur Frage möglicher weiterer Beteiligter beschäftigt und umfangreiche eigene Beweiserhebungen durchgeführt. Im Ergebnis konnte er zwar die Beteiligung bislang unbekannter Dritter an dem Mordanschlag auf der Theresienwiese nicht ausschließen, er hat jedoch keine Belege für eine derartige Beteiligung gefunden.“
War der Anschlag von Heilbronn von rechtsextremistischer Symbolik geleitet?
„Auffallend für den Ausschuss ist die auffallende Häufung von den NSU-Terroristen zugeschriebenen Mordanschlägen an Mittwochen. In einem Teil der rechtsextremistischen Szene mit germanisch-mystischer Prägung hat der Mittwoch als „Wotanstag“, „Wodanstag“ oder „Odinstag“ offenbar eine große symbolische Bedeutung. Auch das NSU- Trio soll eine Affinität zu germanischer Mystik gehabt haben.
Dem Ausschuss ist bewusst, dass es sich bei diesen Erwägungen um Spekulationen handelt, die sich jedenfalls bislang nicht belegen lassen. Gerade die Fokussierung auf den Mittwoch als Tattag könnte jedoch auch schlüssig die ansonsten nicht auf den ersten Blick erklärliche Verlängerung des Mietzeitraums des Wohnmobils C-PW 87 erklären: Die ursprüngliche Anmietung des Wohnmobils erfolgte vom 16. bis 19. April 2007, also von Montag bis Donnerstag. Angesichts dieses Mietzeitraums erscheint es plausibel, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos ursprünglich geplant hatten, ihre Tat am Mittwoch, den 18. April 2007, zu begehen und das Wohnmobil am Folgetag zurückzugeben. Auch am 18. April haben Polizeibeamte die Theresienwiese in Heilbronn als Pausenplatz genutzt – an diesem Tag pausierten dort jedoch, anders als üblich, gleichzeitig zwei Streifenwagen des Taktischen Einsatzzugs 514 mit insgesamt vier Polizeibeamten, was das Risiko eines Anschlags für die Täter noch einmal deutlich erhöht hätte, weshalb sie möglicherweise ihre Tat nicht ausführen konnten. Aus diesem Grund könnten Böhnhardt und Mundlos, nachdem der Anschlag am 18. April nicht möglich war, den ursprünglich bis zum 19. April laufenden Mietzeitraum telefonisch um genau eine Woche bis zum 26. April verlängert haben, um eine Woche später – wiederum an einem Mittwoch, dem 25. April 2007 – erneut die Möglichkeit zur Begehung ihrer geplanten Tat zu haben.
In diesem Fall würde jedoch mehr als deutlich, dass es den Tätern nicht auf die konkreten Personen ihrer Opfer ankam, sondern darauf, ihre Tat an einem Mittwoch zu begehen. Ziel der Tat wären dann die Beamten, die an dem Tat-Mittwoch ihre Pause auf der Theresienwiese verbracht haben, als Repräsentanten „der Polizei“, nicht aber M. K. und M. A. persönlich.
Der Untersuchungsausschuss beabsichtigt nicht, mit diesen Überlegungen eine weitere oder gar eigene (Verschwörungs-)Theorie aufzustellen, sondern nimmt einen Gedanken auf, der auch bereits vor dem Oberlandesgericht München behandelt und von Vertretern der Nebenkläger des dortigen Verfahrens aufgegriffen wurde. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die dargelegte mögliche Motivstruktur – Mord an einem symbolträchtigen Ort an einem symbolhaften Wochentag gegen Polizeibeamte als Repräsentanten „der Polizei“ oder „des Staates“ – im Sinne einer ideologisch verbrämten, menschenverachtenden, rechtsterroristischen Verbrecherlogik zumindest nachvollziehbar wäre.“
Die Nutzung der Theresienwiese als Pausenparkplatz durch Polizeikräfte
„Für eine gezielte Tat gegen „die Polizei“ kann nach Einschätzung des Untersuchungsausschusses auch angeführt werden, dass jedenfalls in den Wochen vor der Tat die Theresienwiese sehr regelmäßig durch Polizeibeamte als Pausenparkplatz genutzt wurde; Personen, die in den Tagen oder Wochen vor dem 25. April 2007 die Theresienwiese als möglichen Ort eines Anschlags ausgekundschaftet hätten, könnten aufgrund des festgestellten „Pausenverhaltens“ der Beamten aus verschiedenen Einheiten durchaus den Eindruck gewonnen haben, dass dort regelmäßig Polizeibeamte bei ihrer Pause angetroffen werden konnten.
Die Ermittlungen der Soko „Parkplatz“ haben insoweit ergeben, dass allein im April 2007 an acht verschiedenen Tagen insgesamt elfmal eine Streifenwagenbesatzung ihre Pause auf der Theresienwiese eingelegt hat. Verschiedene Beamte und Zeugen haben auch gegenüber dem Ausschuss bestätigt, dass die Theresienwiese allgemein als „Pausenparkplatz“ der Polizei bekannt war.“
War die Beschaffung funktionstüchtiger Waffen das Motiv?
„Letztlich ist auch die Einlassung von Beate Zschäpe vor dem Oberlandesgericht München ein Indiz für eine gezielte Tat gegen Polizeibeamte, die sich jedoch nicht gegen die konkreten Opfer M. K. und M. A. richtete. Beate Zschäpe hat insoweit durch ihren Verteidiger verlesen lassen, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos hätten ihr im Anschluss an die Tat in Heilbronn gesagt, dass es ihnen nur um die Pistolen der zwei Polizisten gegangen sei; Böhnhardt und Mundlos seien mit ihren Pistolen wegen häufiger Ladehemmungen unzufrieden gewesen.
Der Ausschuss hat gewisse Zweifel daran, dass die Wegnahme der Dienstwaffen wegen fehlender Zuverlässigkeit der eigenen Waffen tatsächlich das einzige und ausschlaggebende Motiv für die Tat auf der Theresienwiese gewesen sein soll; die NSU-Terroristen hatten derart viele Handfeuerwaffen in ihrem Besitz, dass es für den Ausschuss kaum vorstellbar ist, dass ihnen keine einfachere und risikoärmere Variante zur Verfügung stand, an zuverlässige Waffen zu kommen.
Dass indes der Erhalt der Waffen bei der Motivation der Täter für die Tat auch eine Rolle gespielt hat, steht für den Ausschuss außer Zweifel. Was letztlich Hauptantrieb war beim Verlangen der Täter, an die Dienstwaffen der Polizeibeamten zu gelangen, vermag der Ausschuss nicht abschließend zu beurteilen. Der Gedanke, zuverlässig funktionierende Waffen zu erlangen, mag dabei eine Rolle gespielt haben; ebenso denkbar ist eine beabsichtigte symbolhafte Wirkung der Tötung und anschließenden Wegnahme der Dienstwaffen dahingehend, dass „die Polizei“ gegenüber dem Anschlag nicht nur wehrlos war, sondern den Beamten mit den Dienstwaffen auch die „Insignien ihrer (Staats-) Macht“ weggenommen werden konnten.“