Viernheim, 11. Juli 2017. (red/pm) Die Stadt Viernheim will die Risiken bei Starkregenereignissen in Zukunft mindern. Dafür soll ein zusätzlicher Kanal die Stadtentwässerung entlasten. Dieser soll rund zwölf Millionen Euro kosten.
Information der Stadt Viernheim:
“Auf Grund der besonderen Höhenlage des Viernheimer Stadtgebietes sowie der generell gestiegenen Gefahr von Starkregenereignissen bedarf es weiterer Veränderungen im Abwassersystem. Um gegen Starkregen bzw. „Jahrhundertregen“ besser gewappnet zu sein, will die Stadt Viernheim den Ausbau des Abwassernetzes vorantreiben. Ein zusätzlicher Kanal soll für Entlastung sorgen. Erhebliche Investitionen sind hierfür notwendig.
Bürgermeister Matthias Baaß, Erster Stadtrat Jens Bolze, Stadtwerke-Geschäftsführer Dr. Ralph Franke und die für Entwässerungsfragen zuständige Dipl.-Ing. Marianne Hielscher (Stadtwerke) bezifferten im Rahmen eines Pressegespräches die voraussichtlichen Kosten auf ca. 12 Mio. Euro.
Rund 120 Kilometer lang ist das städtische Kanalnetz. Die Stadt muss dafür sorgen, dass das Abwassersystem dem Stand der Technik entspricht. Dieses muss zukünftig nach wie vor nicht jeden Regen auffangen können, aber mehr als bisher. Und um genau dies zu ermöglichen, soll gebaut werden. Aus heutiger Sicht könnte mit den Bauarbeiten voraussichtlich im Jahre 2019 begonnen werden.
Basierend auf den Planzahlen 2017 und der Annahme, dass sich die prozentuale Verteilung der kalkulatorischen Kosten zwischen Schmutzwasser und Niederschlagwasser nicht verändert, könnten sich in Konsequenz dieser Maßnahme folgende Gebührenerhöhungen ergeben:
Schmutzwassergebühr mindestens um 0,06 Euro und maximal um 0,16 Euro pro m³,
Niederschlagswassergebühr mindestens um 0,19 Euro und maximal um 0,30 Euro pro m².
Zur Information:
Viermal in Folge gab es in den Jahren 2007 – 2010 Starkregenereignisse. In besonderer Erinnerung sind vielen Bürgern die Ereignisse am 12.Juni 2007 und am 27.Juli 2008. Die Stadt ist Betreiber des 120 Kilometer langen Abwassernetzes und muss dafür Sorge tragen, dass dieses System den Regeln der Technik entspricht. Der Klimawandel und mehr Starkregenereignisse auch in vielen anderen Orten sorgen für Änderungen bei den “Regeln der Technik”. So sind die statistischen Grundlagen des Starkregenkatalogs des Deutschen Wetterdienstes den neuen Erfahrungen angepasst worden. Das Abwassersystem muss zukünftig nach wie vor nicht jeden Regen auffangen können, aber mehr als bisher. Und um genau dies zu ermöglichen, soll gebaut werden.
Aufgrund der besonderen topographischen Lage Viernheims, der gestiegenen Gefahr von Starkregenereignissen sowie der Versiegelung im Stadtgebiet wurden Kapazität und Leistungsfähigkeit des bestehenden Kanalnetzes kritisch hinterfragt.
Auf Basis der durchgeführten Untersuchungen steht nunmehr eine wichtige kommunalpolitische Entscheidung zur Sicherstellung der städtischen Abwasserentsorgung an. Konkret geht es um den notwendigen Bau eines neuen Sammlers (Kostenvolumen geschätzt 12 Mio. Euro).
Umfangreiche Untersuchungen in den letzten Jahren unter Betrachtung kostengünstiger Alternativen haben aufgezeigt, dass eine Erhöhung der Ableitungskapazitäten auf der Trasse Saarlandstraße bis Industriestraße erforderlich ist, um eine Entwässerung auf Basis der anerkannten Regeln der Technik zu ermöglichen.
Entwässerungssituation Viernheim
Im kanalisierten Stadtgebiet von Viernheim gibt es keinen Vorfluter (Gewässer wie zum Beispiel einen Bach oder Fluss), in dem bei Regenereignissen Mischwasser entlastet werden kann. Jeder Tropfen Regenwasser, der im Stadtgebiet fällt und ins Kanalnetz gelangt, fließt zum Tiefpumpwerk und wird dort über Pumpen zur Gemeinschaftskläranlage weiter geleitet. Das darüber hinaus anfallende Mischwasser wird im Kanalnetz zwischengespeichert und bei entsprechenden Wasserständen im Tiefpumpwerk ins Tosbecken und weiter in die Regenüberlaufbecken gepumpt, von wo es in den Ableitungsgraben und weiter in den Bannholzgraben entlastet wird.
Die Kanalnetzplanung stellt deshalb eine besondere Herausforderung dar, auch aufgrund des vorhandenen vermaschten Netzes mit dem sehr flachen Gefälle.
Generalentwässerungsplan Viernheim mit Stand April 2017
Im April 2007 wurden die Ingenieurleistungen zur Erstellung eines Generalentwässerungsplanes, der letztlich ein Simulationswerkzeug zur Erfassung der Leistungsfähigkeit des Kanalnetzes ist, freigegeben.
Die hydraulische Leistungsfähigkeit des Kanalnetzes für den Istzustand im Jahre 2007 wurde mit dem so erstellten hydrodynamischen Berechnungsprogramm für ein 3-jährliches und ein 5-jährliches Regenereignis berechnet.
Im rechnerischen Ergebnis waren 556 Schächte (rund 22 %) von 2.580 Schächten bei einem 3-jährlichen und 825 Schächte (rund 32%) beim 5-jährlichen Regenereignis überstaut.
Die überstauten Schächte lagen im Gebiet zwischen den Straßen Berliner Ring, Mannheimer Straße, Heinrich-Lanz-Ring, Königsberger Straße, Am Schmittsberg, Kreuzstraße, Wormser-/Nibelungenstraße, Kirschenstraße, An der Oberlück, Großer Stellweg, Friedrich-Ebert-Straße und August-Bebel-Straße, also im Wesentlichen um die Innenstadt mit ihren vor 1960 gebauten Kanälen für das 3—jährliche Regenereignis.
Beim 5-jährlichen Regenereignis verschärft sich die Situation für das bereits beim 3-jährlichen Ereignis betroffene Gebiet, und weitere Gebiete wie die Oststadt im Bereich der Bensheimer Straße kommen hinzu.
Für das 3-jährliche Regenereignis wurde ein Sanierungskonzept aufgestellt mit einer Kostenschätzung, die bei ca. 24.300.000 Euro für ein saniertes Kanalnetz lag.
Das Konzept sah die Südspange (Mannheimer Straße, Mönchhofstraße, Am Königsacker, Beethovenstraße) und den Bau des Kanals in der Heidelberger Straße vor, die in den Jahren 2009 bis 2012 umgesetzt wurden.
Um das städtische Kanalnetz für ein fünfjährliches Regenereignis zu ertüchtigen, fielen dann aber in der ersten Kostenschätzung ca. 51.200.000 Euro für die erforderlichen Baumaßnahmen an. Von diesen 51.200.000 Euro sind ca. 6.600.000 Euro für die Südspange und die Heidelberger Straße abzuziehen, so dass ca. 44.600.000 Euro übrigblieben.
Als wesentliche Maßnahme ist hierbei ein neuer Sammler zu nennen, der beginnend am Tiefpumpwerk durch die Industriestraße, Friedrich-Ebert-Straße, Wormser Straße, Illertstraße, Siegfriedstraße, Kreuzstraße bis zum Pumpwerk Saarlandstraße führt mit Durchmessern von DN 2100 bis DN 2600. Die Kostenschätzung allein für diese Maßnahme lag bei ca. 24.200.000 Euro.
Da aber bei den Starkregenereignissen in den Jahren 2007 bis 2010 eine geringere Anzahl von Überstauungen aufgetreten waren, als das Berechnungswerkzeug vorhergesagt hatte, wurde im Hinblick auf die geschätzten Investitionskosten beschlossen, das Berechnungsmodell durch gezielte Messungen von Niederschlägen und Abflüssen im Kanalnetz mit einer anschließenden Kalibrierung auf ihre Genauigkeit hin zu überprüfen.
Im Mai 2012 wurden die Arbeiten für die Niederschlag-Abfluss-Messungen vergeben. Insgesamt wurden 13 Durchflussmesseinrichtungen und fünf Niederschlagsschreiber eingerichtet und über die Messdauer von Anfang Juni 2012 bis Ende Oktober 2012 betrieben. In der Zeit wurden 20 Regenereignisse registriert und hinsichtlich Volumen, Dauer, maximaler Wiederkehrzeit und Regenspende analysiert.
Für die Kalibrierung des Berechnungsmodells blieben nach Prüfung acht Regenereignisse übrig, die genutzt werden konnten.
Obwohl die zur Verfügung stehenden Unterlagen (digitales Kataster, Luftbildaufnahmen und Insiderwissen des Betriebspersonals) bei der Erarbeitung des Generalentwässerungsplans sorgfältig ausgewertet wurden, ergab sich aus der Niederschlags-Abflussbilanzierung, dass der Anteil der abflusswirksamen Flächen stellenweise bis zu 40 % unter den bisherigen angenommenen Ansätzen liegt. Diese Ergebnisse liegen in einer Größenordnung, wie sie dem Dienstleister aus vergleichbaren Projekten bekannt ist.
Im Ergebnis konnten die angenommenen abflusswirksamen Flächen für die Berechnung des Istzustandes des Kanalnetzes (2012) auf 60 bis 80% reduziert werden.
In den letzten Jahren wurde zudem in der Branche begonnen, diese Berechnungswerkzeuge so zu erweitern, dass auch Wasser, das an der Oberfläche „transportiert“ wird, berücksichtigt wird. Dies passiert zum Beispiel bei Austritt des Wassers aus einem Schacht und Zuführung des Wassers über den Straßenraum zu einem anderen Schacht.
Im Februar 2016 wurden die erforderlichen Arbeiten für die hydraulische Gefährdungsanalyse (Überflutungsschutz) einschließlich der Aktualisierung des Generalentwässerungsplanes mit Berücksichtigung folgender Punkte vergeben:
- Um die hydraulische Gefährdungsanalyse durchführen zu können, ist der Generalentwässerungsplan mit Stand 2011 vorab zu aktualisieren.
- Die Erkenntnisse aus den Niederschlag-Abfluss-Messungen sind zu übernehmen.
- Die Bestandsdaten der bisher durchgeführten Kanalbaumaßnahmen (Südspange, Heidelberger Straße und Einsteinstraße / Werkstraße) sind in das Kanalnetzmodell einzupflegen.
- Die Leistungsfähigkeit des Kanalnetzes mit Stand 2016 wurde hydrodynamisch berechnet für ein 5-jährliches Regenereignis.
- Im Vergleich zur Berechnung von 2011 mit Istzustand 2007 sind jetzt nur noch 262 Schächte überstaut anstatt 825 Schächte.
- Für die Sanierungsberechnung wurden die befestigten abflusswirksamen Prognoseflächen überprüft und an die neuesten Erkenntnisse angepasst.
Im Ergebnis wurde das 2011 erarbeitete hydraulische Sanierungskonzept angepasst. Auf einen Teil der Kanalerneuerungen kann nun verzichtet werden. Anstatt ca. 13.900 m Kanal in 2011 sind nur noch ca. 8.700 m Kanal neu zu bauen. Der Durchmesser von neu zu bauenden Kanälen kann zum Teil verringert werden.
Die Kostenschätzung liegt bei Verwendung der gleichen Ansätze wie schon 2011 bei ca. 19.590.000 Euro. Dieser Betrag ist um die Kostensteigerung in den letzten 6 Jahren anzuheben.
Die Primär-Maßnahme, die auch die Grundlage für weitere Einzelmaßnahmen ist, bleibt jedoch weiterhin die Schaffung einer leistungsfähigen Ableitung vom Pumpwerk Saarlandstraße in Richtung Tiefpumpwerk. Zu einer Reduzierung der Kosten trägt jedoch bei, dass der neue Hauptsammler beginnend in der Karl-Marx-Straße über Kreuzstraße, Siegfriedstraße, Illertstraße, Friedrich-Ebert-Straße im Bereich der alten Einfahrt zum städtischen Bauhof in der Industriestraße an den dortigen Sammler angeschlossen werden kann. Die Fortführung bis zum Tiefpumpwerk ist nicht mehr erforderlich. Die Durchmesser des neuen Kanals liegen in der Karl-Marx-Straße bei DN 1000 und DN 1200 und im restlichen Verlauf bei DN 2000.
Die Kostenschätzung für diesen Sammler einschließlich Einbindung Friedrich-Ebert-Straße, Bürgermeister-Kempf-Straße und Pumpwerk Saarlandstraße, insgesamt ca. 2.500 m, liegen bei ca. 8.700.000 Euro (Stand 2011, ohne Nebenkosten wie Umlegungen vorhandener Leitungssysteme etc.). So dass derzeit mit Kosten von bis zu 12 Mio. Euro gerechnet werden muss.”