Rhein-Neckar, 11. April 2016. (red/pro) Die so genannten “Panama Papers” sind seit den ersten Veröffentlichungen am 03. April medienübergreifend eines der Top-Themen. Bislang allerdings nicht für unsere regionale Berichterstattung – oder doch? Ganz sicher sind sie auch regional ein Top-Thema, weil die Welt globalisiert ist und die Folgen der Enthüllungen oder auch Nicht-Enthüllungen Folgen auch bei uns vor Ort haben werden. Doch welche?
Von Hardy Prothmann
John Doe nennt sich der Informant der Süddeutschen Zeitung, der die 2,6 Terabyte Daten geliefert hat. Vertrauliche 11,5 Millionen Dokumente zu 214.000 Briefkastenfirmen der in Panama ansässigen Anwaltskanzlei Mossack Fonseca sind darin enthalten. Damit machte die Süddeutsche Zeitung auf:
Die Panama Papers sind das größte Daten-Leak, mit dem Journalisten je gearbeitet haben.
Als wenn das eine Nachricht wäre. Noch dazu eine, die aus Effektgründen enorme Unschärfen enthält. Die Panama Papiere sind keine. Es sind Daten, Dateien. Korrekt müssten sie also als Panama Files oder Data bezeichnet werden, wenn man den Begriff international verwenden möchte. Panama Papers klingt aber irgendwie schicker. Und auch Panama fehlt die nötige Schärfe, denn es sind nicht Daten des mittelamerikanischen Staates Panama, sondern die einer Anwaltskanzlei. Mossack Fonseca Files klingt aber eben nicht so gut wie Panama Papers.
Doch Panama Papers ist als Name gesetzt und kann nicht mehr zurückgeholt werden, weswegen wir den unzutreffenden Ausdruck auch verwenden. Doch das ist nicht das größte Problem an diesem mengenmäßig größten Leak aller Zeiten. Das größte Problem ist und bleibt die Gier.
Unbekannte Quelle – unbekannte Motivation
“Rund 400 Journalisten von mehr als 100 Medienorganisationen in rund 80 Ländern recherchierten in den vergangenen zwölf Monaten in den Dokumenten”, schreibt die Süddeutsche Zeitung, die im Rechercheverbund mit WDR und NDR an dem Leak arbeitet. Auch diese fragwürdige exklusive Zusammenarbeit gebührenfinanzierter Sender zugunsten einer privaten Zeitung soll nicht das Problem sein.
Das Problem ist, dass die Süddeutsche Zeitung wie jedes andere große Medienunternehmen angesichts der Masse der Daten vollständig überfordert wäre, diese “investigativ” zu bearbeiten. Deswegen hat man sich zusammengeschlossen, das amerikanische International Consortium for Investigative Journalists (ICIJ) koordinierte die Recherchen.
Das größte Problem an dieser Recherche ist die unbekannte Quelle. Laut Süddeutscher Zeitung wolle der geheimnisvolle John Doe aus “moralischen Gründen” illegale Machenschaften aufdecken:
Ich will, dass diese Straftaten öffentlich werden.
Das ist, mit Verlaub, vollständig unglaubwürdig und es ist mehr als erstaunlich, dass die Süddeutsche Zeitung dies glaubt. Whistleblower, wie man “Hinweisgeber” auch nennt, handeln in den seltensten Fällen aus “moralischen Gründen”. Das Hauptmotiv ist Rache und in vielen Fällen der persönliche Vorteil. Hinweisgeber fühlen sich selbst beschädigt und wollen deshalb beim Verursacher ebenfalls einen Schaden erzeugen oder durch den Schaden beim anderen ganz eigennützig einen Vorteil erzielen. Der entlassene Mitarbeiter, die nicht-erfolgte Beförderung, die betrogene Ehefrau… die Liste der nicht-moralischen Motive ist lang.
John Doe, der Name steht amerikanisch für unbekannte Personen, wollte kein Geld für seine Informationen – zumindest ist davon bislang nichts bekannt. Wie wahrscheinlich ist es, dass sich jemand illegal Daten beschafft – ob als “Inside-Job” oder durch einen Hack, es gibt nur diese beiden Möglichkeiten -, sich damit persönlich in allerhöchste Gefahr begibt und nichts tut, um sich abzusichern?
Whistleblower leben mit hohem Risiko
Whistleblower gehen enorme Risiken ein. Drei bekannte Fälle der jüngeren Vergangenheit:
Chelsea Manning – die Quelle für Wikileaks, die Videos weitergegeben hatte, unter anderem den tödlichen Beschuss irakischer Zivilisten und Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters durch einen amerikanischen Kampfhubschrauber am 12. Juli 2007 in Bagdad, die von Wikileaks unter dem Titel Collateral Murder bearbeitet und veröffentlicht worden war. Manning war zunächst ein Mann und litt beim Militär darunter, sich als Frau zu fühlen. Sie wurde zu 35 Jahren Haft verurteilt.
Julian Assange, Mitgründer von Wikileaks, lebt seit Juni 2012 in der ecuardorianischen Botschaft in London im “politischen Asyl”. Der frühere Hacker versteht sich als politischer Aktivist. Ihm wird eine Vergewaltigung in Schweden vorgeworfen, Großbritannien wollte ihn ausliefern. Er bezeichnet die Vorwürfe als Komplott, mit dem Ziel, ihn in die USA auszuliefern, wo ihn kein fairer Prozess erwarte.
Edward Snowden deckte die Überwachungspraktiken der NSA auf – seitdem lebt er im “politischen Asyl” an einem unbekannten Ort in Russland. Interessant ist, dass das erste “Opfer” der Panama Papers der isländische Regierungschef Sigmundur Davíð Gunnlaugsson ist – er hatte in Offshore-Firmen investiert und ist zurückgetreten. Snowden hatte in Island Asyl beantragt, dies aber verweigert bekommen.
Aktuell gerät der britische Regierungschef David Cameron unter Druck – wegen Offshow-Geschäften seines Vaters, an denen er vermutlich einen kleinen Anteil hatte. Strafbare Handlungen wurden ihm bislang nicht unterstellt – was ganz überwiegend bei den meisten Namen der Fall ist, die aktuell im Zusammenhang mit den Panama Papers fallen.
Sehr merkwürdig ist, dass bislang keine bedeutenden Namen aus Deutschland und den USA auftauchen – ist das wahrscheinlich, dass niemand in diesen Ländern Geschäfte über Mossack Fonseca abgewickelt haben sollte? Immerhin gilt die Kanzlei als Nummer vier weltweit bei der Gründung und Betreuung von “Briefkastenfirmen”.
Wer zieht die Fäden? Putin?
Den bislang besten Artikel zur Sache habe ich bei Newsweek gelesen – nicht, weil er die echte Quelle belegt, “Is Putin behind the Panama Papers?“, sondern weil der Autor Clifford G. Gaddy versucht zu analysieren, was die Motivation für die Übermittlung der Mossack Fonseca-Dateien ist und welche Folgen daraus entstehen.
Seine These: Nicht die veröffentlichten Daten sind entscheidend, sondern die unveröffentlichten. Die Veröffentlichung ist nur ein großes Theater, ein Tamtam fürs weltweite Publikum – die eigentlichen Empfänger der Botschaft sind aber andere und die Message ist:
Schau, so kann es Dir ergehen.
Das Story-Telling ist interessant – Wladimir Wladimirowitsch Putin wurde gleich zu Beginn Teil einer Verdachtsberichterstattung, die ohne jeden konkreten Beleg auskommt. Personen aus seinem Umfeld finden sich in den Leak-Dateien, sein Name aber kein einziges Mal. Wie Gaddy richtig schreibt – diese Verdächtigungen perlen an ihm ab wie Wasser an einem Entenbürzel.
Dafür stürzt ein unbedeutender Ministerpräsident, der englische Regierungschef gerät unter Druck und noch ein paar andere Personen, vornehmlich aus Entwicklungsländern, bekommen noch überschaubare Probleme. Jeder, der zwar legal, aber unmoralisch gehandelt hat, dürfte die Botschaft verstehen. Und natürlich noch mehr jeder, der illegal gehandelt hat – sowohl als Geschäftsmann oder als Politiker.
Lagen in Deutschland
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble stolperte Anfang 2000 über die “Spendenaffäre” und war am 16. Februar 2000 als Partei- und Fraktionsvorsitzender zurücktreten. Grund waren dubiose Barspenden des Waffenhändlers Karlheinz Schreiber, die unter “Sonstige Einnahmen verbucht wurden”. Interessant: Am 2. Dezember 1999 hatte der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele in einer Sitzung des Deutschen Bundestages durch Zwischenrufe nach Schäubles Kontakten zum Waffenhändler Karlheinz Schreiber gefragt. Woher wusste er davon?
Interessant: Seit seinem Amtsantritt fordert Herr Schäuble immer wieder härtere Maßnahmen gegen Steuerhinterzieher – passiert ist allerdings so gut wie nichts. Und auch jetzt kündigt der Bundesfinanzminister, der Ende 2014 “Steuerhinterziehung als immer unattraktiver nannte”, Konsequenzen an – nur welche, bleibt offen. Ebenfalls interessant: Nach Spiegel-Informationen ließ Herr Schäuble einen Informanten ungehört, der über dubiose Geschäfte der Bundesdruckerei berichten wollte – die untersteht dem Bundesfinanzministerium und es wird möglicherweise spannend, was unter dem Stichwort “Venezuela-Geschäft” noch herauskommt. Vielleicht ist auch das nur ein “Teaser”, um Signale an gewisse Personen zu senden.
Übrigens: Hans-Christian Ströbele flog bereits 2013 zu Edward Snowden nach Russland und forderte, den Whistleblower nach Deutschland zu holen. Der frühere RAF-Anwalt war Anfang der 80-er Jahre als “Unterstützer einer kriminellen Vereinigung” verurteilt worden und erwirkte eine Gegendarstellung zu einem Bericht, der ihm eine Billigung von Terrorakten nachsagte. Den “Eindruck” erwirkte eine Darstellung in einem Stasi-Protokoll.
Offene Fragen
Zurück zum Anfang: Warum hat der unbekannte Whistleblower John Doe ausgerechnet der Süddeutschen Zeitung sein Material ohne Gegenleistung übergeben? Warum in dieser Fülle? Und was steckt noch in den Daten drin, wenn 400 Journalisten ein Jahr lang diese Daten bearbeitet haben und offenbar nicht in der Lage sind, tatsächliche Steuerhinterziehungen oder andere krumme Geschäfte zu belegen?
Ist das Ziel ein “Informationskrieg”, wie Clifford G. Gaddy mutmaßt? Wer steuert den? Sind am Ende die Journalisten nur Handlanger anderer Interessen und Opfer ihrer eigenen Gier nach vielen Daten geworden, die sich öffentlichkeitswirksam als “Stories” gut verkaufen lassen? Die Süddeutsche Zeitung verkauft die Arbeit mit hohem Engagement und zieht die Enthüllung auf wie eine Telenovella – gezeichnete Charaktere geben der Enthüllung eine Art “Comic”-Charakter mit vermeintlichen Schurkenstories aus aller Welt. Ob es am Ende zu bedeutenden “Aufklärungen” kommt, ist aktuell weniger wichtig als das “große Kino”. Untertitel der Enthüllung bei der Süddeutschen ist: “Die Geheimnisse des schmutzigen Geldes.” Woher weiß die Süddeutsche, dass alles Geld “schmutzig” ist? Nur, weil es in Scheinfirmen versteckt wurde? Das ist ein wenig dünn.
Soviel steht fest: Nachrichten sind schnell und immer erst der Anfang echter Stories. Ein Gesamtbild entwickelt sich sehr viel langsamer und manchmal ganz anders, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte. Mal schauen, wie sich die Dinge entwickeln und wer in der nächsten Zeit auffliegt und wer in der nächsten Zeit unerwartete Entscheidungen treffen wird.
Möglicherweise dient das Leak auch als Vorbereitung auf internationale Entwicklungen – auch Libyen taucht darin auf und der Kampf um diesen “failed state” wird im Spannungsfeld von Kriegen, Terror und Flüchtlingen in den kommenden Jahren eine entscheidende Rolle spielen.
Anm. d. Red.: Unsere Kolumne Montagsgedanken greift außerhalb des Terminkalenders Themen auf – ob Kultur oder Politik, Wirtschaft oder Bildung, Gesellschaft oder Regionales oder Verkehr. Teils kommen die Texte aus der Redaktion – aber auch sehr gerne von Ihnen. Wenn Sie einen Vorschlag für Montagsgedanken haben, schreiben Sie bitte an redaktion (at) rheinneckarblog.de, Betreff: Montagsgedanken und umreißen uns kurz, wozu Sie einen Text in der Reihe veröffentlichen möchten. Natürlich fragen wir auch Persönlichkeiten an, ob sie nicht mal was für uns schreiben würden…
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