Mannheim/Rhein-Neckar, 11. Derzember 2014. (red/me) Während die Kritiker des europäisch-deutschen Freihandelsabkommens TTIP große Aufmerksamkeit erfahren, tun sich die Befürworter des Abkommens schwer, mit ihren Argumenten Gehör zu finden. Für die IHK Rhein-Neckar bezog deren Geschäftsführer für Internationales, Matthias Kruse, klar Position pro TTIP und argumentierte, dass Mittelständler aus der Region davon profitieren würden. Viele Ängste, wie beispielsweise die der Kommunen, seien darüber hinaus unbegründet. Überraschend war, dass selbst der IHK-Geschäftsführer die Schiedsgerichte als nicht wirklich zwingend notwendig ansieht.
Interview: Mathias Meder, Mitarbeit: Hardy Prothmann

Matthias Kruse, IHK-Geschäftsführer „Internationales“, hat keine Angst vor TTIP, sondern sieht überwiegend Vorteile.
Gibt es in anderen Ländern der Europäischen Union (EU) ebenfalls große Diskussion über TTIP oder ist das ein rein deutsches Phänomen?
Matthias Kruse: Wir Deutschen sind ziemlich sensibilisiert durch die Nichtregierungsorganisationen (NGO’s). Bei den öffentlichen Konsultationen der EU gab’s aufgrund der Massenmailings von NGO’s eine starke Reaktion aus England, Österreich und Deutschland. Rund 100.000 Menschen haben sich beteiligt. In allen anderen Ländern war die Beteiligung mit etwa einem Prozent wesentlich geringer, obwohl Italien, Polen oder Spanien auch einen großen Bevölkerungsanteil in der EU haben. In manchen Ländern wird TTIP in den Medien stark aufgegriffen und in anderen gar nicht.
Vorteile für Unternehmen?
Man hört überwiegend nur Argumente gegen TTIP. Was sind ganz konkret die möglichen Vorteile für Unternehmen in der Rhein-Neckar-Region, wenn denn TTIP kommt?
Kruse: Beispiel Zollabwicklung. Unternehmen müssen nicht nur Zoll bezahlen, sondern auch Zollverfahren durchlaufen. Das ist oft ein sehr bürokratischer Aufwand. Die Unternehmen versprechen sich von TTIP, dass diese Zollverfahren einfacher werden, Und dass die Standards für Produkte gegenseitig anerkannt werden. Um mal ein Gefühl dafür zu bekommen: Bei Maschinenanlagenbauern kann man von rund 45 Prozent des eigentlichen Umsatzes ausgehen, die das Produkt beim Export verteuern. In der Bauindustrie müssen wir sogar von einem hundertprozentigen Aufschlag sprechen, wenn man in Richtung USA liefert. Hier könnte man durch TTIP einiges einsparen.
Das sind dann also nicht die Gebühren, die der Zoll verlangt, sondern rechnerische Größen, die durch das Drumherum bei der Einfuhr entstehen?
Kruse: Richtig. Während die eigentlichen Zölle nur rund drei Prozent des Preises ausmachen, entstehen den Unternehmen wesentlich höhere Kosten dadurch, dass andere Vorschriften und Standards gelten und eingehalten werden müssen, um überhaupt exportieren zu dürfen. Die Zölle sollen komplett abgebaut werden. Bei den Verhandlungen zu TTIP geht es hauptsächlich um den Abbau der sogenannten nicht-tarifären Handelshemnisse.
Wenn die Zölle wegfallen, dann fehlen doch aber den Staaten wichtige Einnahmequellen. Wer soll das dann wieder ausgleichen?
Kruse: Bei der Einfuhr von Produken fällt ja auch noch Umsatzsteuer an. Wenn mehr Produkte eingeführt und gehandelt werden, ist zu erwarten, dass die entfallenen Zolleinnahmen durch ein Einnahmeplus bei der Einfuhrumsatzsteuer überkompensiert werden. Dass das sinnvoll ist, darüber ist man sich eigentlich einig. Für den Staat ist das also durchaus attraktiv. Auch ist zu erwarten, dass es einen Zuwachs an Arbeitsplätzen geben wird.
Also dadurch, dass weniger Papiere ausgefüllt werden müssen und Zeit eingespart werden kann, würde so viel eingespart werden können?
Kruse: Vor zwei Wochen habe ich mit einem Unternehmen aus der Luft- und Klimatechnik der Metropolregion Rhein-Neckar gesprochen. Das Familienunternehmen mit knapp 50 Mitarbeitern hat bislang darauf verzichtet, den amerikanischen Markt zu bearbeiten, da man sonst nochmal alle Zulassungen für ihre Produkte hätte durchlaufen müssen. Man hat es jetzt doch bei ihrem Hauptprodukt gemacht. Stellen Sie sich am besten eine Klimaanlage vor. Im Rahmen der Zulassung mussten rund 95 Prozent aller Teile verändert oder neue Teile eingebaut werden. Die Leistung der Luft- und Klimaanlage war letztendlich die gleiche wie zuvor, aber nur so war das Zulassungsverfahren für die USA zu packen. Das ist ein enormer Aufwand gewesen – das kann man sich nicht bei jedem Produkt leisten. Deswegen hat das Unternehmen ja auch so lange darauf verzichtet, den für sie eigentlich größten neuen Absatzmarkt zu beliefern.
Und das wäre alles ganz überflüssig nach TTIP?
Viele kleine und mittlere Unternehmen lassen den amerikanischen Markt lieber unbearbeitet.
Kruse: Stellen Sie sich so eine Luft- und Klimaanlage vor mit rund 400 Einzelteilen, bestehend aus Schrauben, Dichtungen, Schläuchen aus ganz unterschiedlichen Materialien wie Metall, Plastik, Aluminium mit einem Stromanschluss. Wenn Sie dazu die Konstruktion offenlegen, kann es sein, dass für jedes einzelne Teil bei den Amerikanern andere Vorschriften gelten. Und dafür brauchen Sie jedes Mal eine extra Genehmigung. Nur deswegen, weil in den USA vielleicht ein Teil statt aus Plastik eben aus Metall sein muss oder ein Gewinde rechtsdrehend statt linksdrehend Standard ist. Und das müssen Sie dann eben in ihrem Produkt ändern.
Sie wollen damit also sagen, dass hauptsächlich die kleinen und mittleren Unternehmen von TTIP profitieren?
Kruse: Nehmen Sie das Beispiel Wasserarmaturen. Da kann es passieren, dass Sie nur amerikanisches Eisen und Stahl in ihren Produkten verarbeiten dürfen. Das können Unternehmen mit einer Tochterfirma in den USA leisten, wenn diese direkt in den USA produzieren. Dazu brauchen Sie dann aber schon eine gewisse Größe und die hat ein mittelständisches Unternehmen aus der Rhein-Neckar-Region eben meist nicht. Um also an öffentliche Aufträge im Wasserbereich in den USA ranzukommen, können Sie keinen deutschen Stahl verwenden. TTIP soll also bewirken, dass hier eine Gleichbehandlung mit den Inländern und darüber eben eine Öffnung des Marktes stattfindet.
Und das Exportgeschäft ist wirklich so zentral für die Unternehmen aus der Metropolrergion?
Kruse: Wir haben in unserem IHK-Kammerbezirk eine Exportquote von rund 59 Prozent der Industriebetriebe. Das macht ungefähr 14 Milliarden Euro. Und das ist nur die direkte Exportquote. Innerhalb Baden-Württemberg haben wir die größe Exportquote und rund zehn Prozent aller Exporte gehen in die USA. Damit sind die USA der wichtigste Exportpartner.
Ein häufiger Vorwurf an TTIP ist, dass die Verhandlungen über TTIP sehr instransparent sind und nur die Wirtschaftslobby gehört wird. Wie kann die IHK denn bei den Verhandlungen über TTIP mitreden?
Kruse: Aktuell zum Beispiel haben Unternehmen die Möglichkeit, über eine öffentliche Konsultation im Internet auf der Seite der Generaldirektion Handel der EU ihre Probleme zu schildern. Da kann man als Unternehmen sagen, wo einen der Schuh drückt und was bei TTIP verhandelt werden soll. Gleichzeitig können wir uns als IHK über unseren Spitzenverband Deutscher Industrie- und Handelskammertag und über unserern europäischen Dachverband ‚Eurochambres‘ einbringen. Das geht dann über den Beirat der EU-Generaldirektion Handel, der den europäischen TTIP-Verhandlungsführer, Ignacio Garcia Becerro, berät. Das übrigens macht nicht nur die Wirtschaft, sondern das machen viele in diesem Beirat. Da sind Verbraucherschutzverbände genauso dabei wie Umweltschutzverbände oder Gewerkschaften – beispielsweise auch die europäische Dachorganisation der IG Metall. Und alle diese Beiratsmitglieder haben die Möglichkeit, alle Verhandlungsunterlagen einzusehen. Übrigens schon seit dieser Beirat besteht, also seit Februar 2014 und nicht erst seit der Veröffentlichung des Verhandlungsmandats des Europäischen Rates im Oktober.
Also finden Sie, dass die Verhandlungen zu TTIP transparent ablaufen?
Die Transparenz hat zugenommen.
Kruse: Zunächst nicht. Inzwischen sind wir der Meinung, die Verhandlungen sind so transparent wie bei sonst keinem anderen Freihandelsabkommen. Ich glaube, das Problem ist, dass man die Ängste nicht frühzeitig ernst genommen hat.
Gibt es auch Nachteile für deutsche Unternehmen, die Sie jetzt schon erkennen können?
Kruse: Die Konkurrenz durch amerikanische Unternehmen. Aber das will man ja gerade durch TTIP. Durch den zunehmenden Wettbewerbsdruck muss jedes Unternehmen leistungsfähiger werden und kann dadurch wieder besser auf den Märkten bestehen.
Häufige Kritik entzündet sich auch immer wieder an den geplanten Schiedsgerichten. Reichen denn die staatlichen Gerichte wirklich nicht aus?
Kruse: Also die Möglichkeit, vor staatlichen Gerichten zu klagen, gibt es ja immer. Ein Investor entscheidet sich heute unter bestimmten Rahmenbedingungen für eine Investition und erlebt, dass der Staat die Rahmenbedingungen dann plötzlich wieder ändert. Man kann sich also als Investor nie wirklich sicher vor Willkür sein. In Argentinien zum Beispiel wurde der Ölkonzern Repsol enteignet, weil es aus Sicht der Argentinier im staatlichen Interesse war. Dies war eigentlich völlig gegen geltendendes Recht und dennoch wird man vor einem argentinischen Gericht kaum erwarten können, Recht zu bekommen, da die Gewaltenteilung nicht wirklich funktioniert. Man muss also genau anschauen, was für eine Situation in den Ländern herrscht. Deutschland hat daher mit rund 130 Staaten bereits solche Investitionsschutzabkommen getroffen. Die EU verhandelt gerade auch ein Investitionsschutzabkommen mit China. Wieso sollten die Chinesen den Investitionsschutz und Schiedsgerichte akzeptiere, wenn das bei den USA ausgenommen wurde? Ich denke, wir sind uns darüber einig, dass die Justiz in China nicht so unabhängig wie in Deutschland ist. Ich würde daher die Investitionsschutzabkommen nicht nur nachteilig sehen.
Aber wieso braucht es dann nicht-staatliche Gerichte? Können das nicht auch die staatlichen Instanzen leisten?
Kruse: Die Schiedsgerichte werden festgelegt durch das Abkommen und auch die Richter werden von beiden Seiten, also Staat und Unternehmen, gesetzt. Das bedeutet doch, dass auch der Staat seine Richter einbringen kann. Und diese Schiedsgerichte müssen auch nicht intransparent sein. Man kann zum Beispiel im Abkommen festlegen, dass die Klageschrift und das Urteil öffentlich gemacht werden. Lediglich die einzelnen Prozessunterlagen könnten Betriebsgeheimnisse enthalten und müssten dann eben an diesen Stellen geschwärzt werden.
Warum organisiert man diese Schiedsgerichte als quasi private Instanz und schafft nicht einfach staatliche Schwerpunktgerichte, ich nenne es mal ‚Europäisches Handelsgericht‘, mit Juristen besetzt und von allen Europäischen Staaten finanziert?
Man kann über die Schiedsgerichte mal nachdenken.
Kruse: Wenn man nicht erst durch die nationalen Gerichtsbarkeiten hindurchklagen muss, sondern gleich auf europäischer Ebene ein Gericht hätte, dann wäre das sicher denkbar. Ich bin kein Jurist, aber ich finde, man kann da mal drüber nachdenken. Das ist mal ne Idee.
Welche Vorteile sehen Sie für die Verbraucherinnen und Verbraucher?
Kruse: Grundsätzlich ist es doch so, dass ich aus mehr Angeboten auswählen kann, wenn es mehr Wettbewerber und damit auch mehr Angebote gibt. Ob ich die dann besser finde oder nicht, muss ich als Verbraucher auch heute schon entscheiden. Gleichzeitig ist es so, dass wenn es mehr Wettbewerber gibt, dann auch zu günstigeren Preisen angeboten wird.
Bleibt bei dem Preiswettbewerb nicht möglicherweise der Verbraucherschutz auf der Strecke?
Kruse: Viele befürchten, dass der Verbraucherschutz darunter leiden könnte. Dabei denken sowohl wir Europäer, wie auch die Amerikaner, dass wir jeweils den besseren Verbraucherschutz haben. Während wir in Europa für eine Zulassung erstmal belegen müssen, dass ein Produkt ungefährlich ist, muss man in Amerika ziemlich stark haften, wenn sich ein Produkt im Nachhinein als nicht verbraucherkonform herausstellt. Wenn man jedoch in das Verhandlungsmandat schaut, wird man feststellen, dass am Verbraucherschutzniveau gar nicht gerüttelt werden soll. Ich bin mir daher ziemlich sicher, dass kein europäischer Mitgliedstaat Abstriche am Verbraucherschutzniveau machen würde und die deutsche Bundesregierung hat sich ja darauf bereits festgelegt. Und da das Abkommen auch durch den deutschen Bundestag muss, würde das da dann sicher scheitern.
Auszug aus dem Verhandlungsmandat der Europäischen Union:
Quelle: http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-11103-2013-DCL-1/de/pdf |
Die Stadt Mannheim hat Anfang November ebenfalls eine Stellungnahme zu TTIP abgegeben und möchte insbesondere die kommunale Daseinsvorsorge und den Kulturbereich von TTIP ausgenommen haben. Was meinen Sie dazu?
Kruse: Ich zitiere Ihnen hierzu mal die Auffassung des Bundeswirtschaftsministeriums: „Die öffentliche Daseinsvorsorge wird durch TTIP nicht angetastet. Das hohe Schutzniveau für bestimmte grundlegende Dienstleistungen auf lokaler Ebene in Bezug auf Wasser, Gesundheit und Bildung in Europa steht nicht zur Debatte.
Auch zur öffentlichen Kulturförderung ist das Verhandlungsmandat klar: TTIP darf weder die EU noch ihre Mitgliedstaaten an der Weiterführung bestehender Politiken und Maßnahmen zur Unterstützung des kulturellen Sektors hindern. Es darf keine Bestimmungen enthalten, die die kulturelle und sprachliche Vielfalt in der Union oder ihren Mitgliedstaaten – insbesondere im kulturellen Bereich – beeinträchtigen würde.
TTIP nicht vor Ende 2015
Wenn TTIP abgeschlossen ist, ist für Sie die Welt in Ordnung? Oder was kommt dann als nächstes?
Kruse: Wenn die Welt perfekt wäre, dann wären wir eigentlich nicht für TTIP, sondern für ein einziges weltweites Handelsabkommen. Für einen Mittelständler ist es schwierig, sich in alle Abkommen reinzufinden, die immer wieder in bestimmten Punkten unterschiedlich funktionieren. Die Abkommen mit Singapur und Südkorea sind anders als das Abkommen, das jetzt gerade mit Kanada verhandelt wurde und wieder anders als mit den USA. Solange es „das“ weltweite Handelsabkommen nicht gibt, bringen die bilateralen Abkommen dem Mittelstand mehr als wenn man darauf verzichten würde.
Glauben Sie, dass TTIP tatsächlich noch abgeschlossen wird? Und wenn ja, wann?
Kruse: Ich glaube, es kommt. Wann, weiß ich nicht genau. Auf jeden Fall längst nicht so schnell wie immer angestrebt wird. Ich denke nicht 2015. Ich könnte mir 2016 oder 2017 vorstellen.
Matthias Kruse, Dipl.-Volkswirt, ist seit 2007 bei IHK Rhein-Neckar als Geschäftsführer International tätig zur IHK Rhein-Neckar |