Berlin/Rhein-Neckar, 11. Juli 2016. (red/ms) Am vergangenen Wochenende wurden in Berlin 123 Polizisten bei den Ausschreitungen der Rigaer-Demonstration verletzt. Steine und Glasflaschen flogen, Autos brannten. Nach Angaben des Verfassungsschutz’ haben linksextreme Gewalttaten im Vergleich zum Vorjahr um 62 Prozent zugenommen. Dabei werde auch der Tod von Menschen billigend in Kauf genommen.
Von Minh Schredle
Autos brennen, Steine fliegen. Die Stimmung ist hochgradig aggressiv. 3.500 Menschen demonstrieren vor der Rigaer Straße 94 in Berlin – wofür genau, das ist unklar. Es soll wohl ein Zeichen sein: Gegen Gentrifizierung! Gegen den Kapitalismus! Und gegen die Räumung besetzter Häuser!
Das Resultat sind ein paar zerbrochene Glasscheiben, sinnlose Zerstörung und 123 verletzte Polizisten. Nach verschiedenen Medienberichten sollen auch Demonstranten zu Schaden gekommen sein. Über die Zahl der verletzten Personen liegen nach Kenntnisstand der Redaktion aktuell keine gesicherten Informationen vor. Die FAZ titelt:
Linke Gewaltorgie erschüttert Berlin.
In der taz kommentiert Gereon Asmuth:
Die Hauptstadt spielt mal wieder Häuserkampf.
Dabei gehe es eigentlich um die Show: Auf der einen Seite stehe die linksradikale Szene, die sich freuen könne, “mit der Rigaer 94 mal wieder ein Symbol im Kampf ums große Ganze zu haben, das konkret gegen Gentrifizierung, Kapitalismus, Spekulanten und Polizei verteidigt werden kann”. Auf der anderen Seite stehe Innensenator Frank Henkel (CDU), der – vor den Berlinwahlen im September – als starker Mann präsentieren könne.
Doch nicht einmal in der taz liest man etwas darüber, was die Demonstranten nun eigentlich genau wollen. Klar ist: Man ist irgendwie gegen die Räumung des Hauses und hätte gerne seine autonome Kneipe “Kadterschmiede” zurück, die der “staatlichen Repression zum Opfer” fallen soll. Bis dahin werden weiter Autos brennen, so die Ankündigung.
Inhalte? Fehlanzeige
Wie aber nun die Welt gerechter und solidarischer gestaltet werden soll, wie nun einerseits das verhasste Arbeitsamt abgeschafft und gleichzeitig mehr bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden soll, ja wie denn nun die sozialistische Revolution den Kapitalismus bezwingen und Polizisten überflüssig machen soll – das wird dem Außenstehenden trotz Steinwürfen und dem Skandieren einfältiger Parolen (“Bullenschweine raus aus Rigaer!”) nicht wirklich ersichtlich.
Was dagegen hängen bleibt, sind Bilder, die verstören. Und leider ist das auch ungefähr, was die “politischen” Aktionen gewaltbereiter linksradikaler Autonomer in den vergangenen Monaten erreicht haben: Nichts als Chaos und dummdreiste Destruktivität. Sollte es den Teilnehmern je ernsthaft um irgendwelche Inhalte gegangen sein, müssen diese sich spätestens jetzt das Scheitern auf ganzer Linie eingestehen. Denn diese Ausschreitungen überschatten jede noch so idealistische Utopie.
“aggressivste und gewalttätigste Demonstration der zurückliegenden fünf Jahre”
Nach Einschätzung des Berliner Verfassungsschutz handle es sich bei dem Gebäude in der Rigaer Straße 94 um eine “zentrale Institution der gewaltbereiten autonomen Szene Berlins”, in dem ein “harter Kern militanter Linksextremisten” verkehre. Nach dem Einsatz vom Wochenende kommt die Berliner Polizei zu dem Fazit:
Nach dieser Bilanz ist festzustellen, dass es sich um die aggressivste und gewalttätigste Demonstration der zurückliegenden fünf Jahre in Berlin handelte.
Über die vergangenen Monate und Jahre ist aus Sicht der Redaktion eine zunehmende Radikalisierung in der linksextremen Szene zu beobachten. Personenschäden scheinen zunehmend in Kauf genommen zu werden, für irgendeinen Zweck, den offenbar keiner so recht erklären kann.
Trauriger Tiefpunkt waren die Ausschreitungen im Rahmen der EZB-Eröffnung in Frankfurt. Doch auch hier im Südwesten steigert sich die Aggressivität des Vorgehens: Beim AfD-Bundesparteitag in Stuttgart haben Extremisten der Antifa Reifen in Brand gesetzt und damit Zufahrten blockiert. Dabei wurden vorsätzlich Menschenleben gefährdet. Ein Polizeisprecher erklärte gegenüber unserer Redaktion:
Brennende Barrikaden kennen wir, aber brennende Reifen auf Straßen in den fließenden Verkehr – diese Dimension ist neu.
Auch beim NPD-Bundesparteitag in Weinheim kam es zu massiven Ausschreitungen und 16 Polizeibeamte sind verletzt worden (wir haben umfangreich berichtet). Bei einer Wahlkampf-Veranstaltung der AfD in Mannheim wurden Gäste bespuckt, getreten und zu Boden gerungen. Dabei gingen die Linksradikalen unter anderem auch Frauen und Rentner an.
Selbstgefällige Selbstjustiz
Im Verfassungsschutzbericht 2015 wird ausgeführt, linksextremistisch motivierte Gewaltdelikte hätten im Vergleich zum Vorjahr um nahezu 62 Prozent zugenommen. 2.246 Straftaten wurden erfasst. Dazu heißt es:
Nahezu alle Gewaltdelikte richteten sich gegen die Polizei, gegen den Staat, seine Einrichtungen und Symbole.
Die Militanz linker Extremisten habe “deutlich zugenommen”. Das Aktions- und Aggressionsniveau sei “beträchtlich angestiegen”. Das größte Gewaltpotenzial gebe es laut Bericht in Berlin, Hamburg und Leipzig/Sachsen.
Bundesweit wurden 2015 acht versuchte Tötungsdelikte erfasst – ebenso viele wie von Rechtsextremisten. Auch wenn verschiedene autonome Organisationen weitgehend voneinander unabhängig agieren, heißt es in der Einschätzung des Verfassungsschutz’:
In der ideologisch und was die strategische Ausrichtung angeht eher heterogenen Szene gilt Gewalt weithin als legitimes Mittel gegen die „strukturelle Gewalt“ eines „Systems von Zwang, Ausbeutung und Unterdrückung“. Die eigene Gewalttätigkeit wird verbrämt als moralisch gebotene Gegengewalt.
So konnte man ab dem 18. Juni 2015 auf der extremistischen Plattform linksunten.indymedia lesen:
Wir denken, in einer unanständigen Gesellschaft ist es anständig, Steine zu werfen.
Nach Eigendarstellung biete diese Plattform Bewegungen die Möglichkeit, frei von staatlichen Kontrollen und kapitalistischen Interessen Berichte, Erfahrungen, Analysen, Träume und Meinungen zu verbreiten, um Gegenöffentlichkeit zu schaffen:
Durch Indymedia können wir unsere Geschichte selbst schreiben: Bewegungen müssen Spuren ihrer Leidenschaft für zukünftige Generationen hinterlassen, denn vergessene Kämpfe sind verlorene Kämpfe.
Aktuell liest man dort etwa einen Beitrag unter dem Titel “Rauchzeichen an die Rigaertraße” (sic!) die Bekundung:
Gestern nacht haben wir in solidarität mit unseren kämpfenden gefährt*innen in berlin 2 fahrzeuge in frankfurt mit feuer angegriffen.
Auf selbigem Portal werden Polizisten gerne als “Schutzwall für Faschisten” diffamiert, weil sie deren Versammlungsrecht durchsetzen. Regelmäßig lassen sich außerdem mehr oder weniger unverhohlene Aufrufe zur Gewalt veröffentlicht, die Privatadressen politischer Gegner publik gemacht oder Chefredakteure, deren Berichterstattung das heroische Selbstbild angreifen, für vogelfrei erklärt.
“gezielte Tötungen nicht vollständig auszuschließen”
Während zwar die Zahl der Gewaltdelikte durch Linksextremisten über die Jahre schwanke, sei laut Verfassungsschutz ein Trend erkennbar, wonach die Intensität der Gewalt über Jahre hinweg ansteige. Insbesondere sei die Hemmschwelle gesunken, Polizisten anzugreifen. Zur Gewaltausübung heißt es:
Die Täter nehmen nicht nur schwerste Körperverletzungen, sondern auch den Tod von Menschen billigend in Kauf.
Besonders besorgniserregend ist die abschließende Einschätzung:
Zwar gibt es derzeit keinen Linksterrorismus in Deutschland. Dennoch sind bei radikalisierten Einzeltätern oder Kleinstgruppen auch strategisch geplante, gezielte Tötungen nicht vollständig auszuschließen.
Bislang haben die gewalttätigen Ausschreitungen auf Demonstrationen der jungen Vergangenheit noch keine Menschenleben gefordert – sollte es unverändert weitergehen wie bisher, ist es aus Sicht der Redaktion nur eine Frage der Zeit, bis es dazu kommt. Im Zweifel reicht ein einzelner Steinwurf, der sein Opfer tödlich trifft.
Weniger Unterstützer
Es ist daher allerhöchste Zeit, sich in aller Deutlichkeit von militantem Linksextremismus zu distanzieren – insbesondere SPD, Grüne und die Linke sind hier in Bringschuld, denn bislang muss man leider den Eindruck haben, dass zumindest die Aktionen der Antifa weitgehend prinzipiell durch linksorientierte Parteien gebilligt werden.
Spannend ist außerdem folgende Beobachtung: Während 2015 zwar deutlich mehr Gewalttaten durch Linksextremisten als im Vorjahr begangen wurden, ist das Personenpotenzial nach Beurteilung des Verfassungsschutz gesunken. 2014 ging der Verfassungsschutz noch 27.200 Personen aus, 2015 waren es hingegen nur 26.700.
Die Autonomen verlieren also offenbar Gefolgschaft. Warum, muss wohl spekuliert werden. Womöglich ist der militante Kurs selbst einigen Radikalen zu extrem geworden. Effektive Werbung für linke Ideologie sieht jedenfalls ganz bestimmt anders aus, als mit Steinen zu werfen und Autos in Brand zu setzen.