Mannheim/Rhein-Neckar, 11. Märt 2016. (red/ms) Was ist eigentlich aus der Nachfolgepartei von AfD-Gründer Bernd Lucke geworden? Nicht besonders viel – zumindest bis jetzt. In den Umfragen für die bevorstehenden Landtagswahlen spielt die Allianz für Fortschritt und Aufbruch (ALFA) keine Rolle. Vor dem Erstarken der AfD ist diese Entwicklung auffällig. Denn in vielen zentralen Fragen gehen die Positionen der beiden Parteien in eine ähnliche Richtung. Prof. Dr. Joachim Starbatty ist für die AfD ins Europaparlament eingezogen – heute ist er in der ALFA. Für die sei es aktuell schwierig, Fuß zu fassen. Doch handle es sich um die „einzig wählbare Alternative für Anständige“, sagt er auf einem Vortrag in Mannheim. Ob dieses Bild so in der Öffentlichkeit ankommt, ist fraglich.
Von Minh Schredle
Als ich noch in der AfD war, sind zu meinen Vorträgen mehr als 100 Menschen gekommen,
sagt der Europaparlamentsabgeordnete und Wirtschaftsprofessor Dr. Joachim Starbatty. Einmal, erzählt er, habe sich ein Kreisverband bei ihm entschuldigt, weil „nur 80 Personen“ erschienen sind. Heute spricht Prof. Starbatty im Mannheimer Maritim vor gerade einmal 18 Zuhörern – und das nur drei Tage vor richtungsweisenden Wahlen. Immerhin sei sein Publikum dafür „intellektuell elitärer“, sagt er. Dr. Gerhard Schäffner, Stadtrat und ALFA-Landtagskandidat für den Mannheimer Norden, kommentiert, der Vortrag habe „den Charakter eines Oberseminars“.
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Dr. Gerhard Schäffner sagt, er konkurriere im Wahlkreis Mannheim Nord gegen fünf Extremisten: NPD, Republikaner, AfD, Die Linke und Gerhard Fontagnier (Die Grünen). Dr. Schäffner macht sich keine Hoffnungen auf den Einzug in den Landtag. Wenn er sich einen Direktmandatsgewinner aussuchen könnte, wäre das Stefan Fulst-Blei von der SPD – dieser habe als einziger Konkurrent das „intellektuelle und charakterliche Format“ für ein Landtagsmandat.
Es ist eine denkwürdige Entwicklung: Als sich die Alternative für Deutschland im Jahr 2013 gegründet hatte, wurde sie zunächst als eurokritische Professorenpartei belächelt. Dann wurde zunehmend über rechte Tendenzen berichtet, gerade im Osten Deutschlands. Trotzdem hat die AfD Zulauf wie kaum eine andere neue Partei: Der Einzug in den Bundestag wird 2013 nur um 0,3 Prozentpunkte verpasst – nur wenige Monate nach Gründung.
Abspaltung vieler Parteigründer
Ein Jahr später, im Mai 2014, zieht die AfD schließlich mit sieben Abgeordneten In das Europaparlament ein und kommt auf 7,1 Prozent der Stimmen. Doch zu diesem Zeitpunkt ist die AfD intern schon höchst zerstritten. Im Sommer 2015 kommt es schließlich zur Spaltung: Dr. Frauke Petry löst Dr. Bernd Lucke in einer Kampfabstimmung auf dem Bundesparteitag in Essen als Parteivorsitzenden ab. Etliche (Gründungs-)Mitglieder, vor allem aus dem Westen Deutschlands, verlassen die Partei.
Zwischenzeitlich wirkte es, als sei die AfD am Ende – aktuell erfährt sie so viel Zustimmung, wie nie zuvor. Der Ökonom Hans-Olaf Henkel, Europaparlamentsabgeordneter und Mitgründer der AfD, spricht von einem „widerwärtigen Rechtsruck“, verlässt die Partei und erklärt öffentlich:
Ich habe ein Monster geschaffen.
Zusammen mit vier anderen Europaparlamentsabgeordneten tritt er aus der AfD-Fraktion aus, in der nur noch Beatrix von Storch und Marcus Pretzell zurückbleiben. Auch kommunal hat der „Spaltungsparteitag von Essen“ Auswirkungen: In Mannheim und Ludwigshafen treten alle AfD-Stadträte aus der Partei aus und schließen sich, mit Ausnahme vom inzwischen parteilosen Helmut Lambert in Mannheim, der neugegründeten Allianz für Fortschritt und Aufbruch unter dem regelrecht verehrten Bernd Lucke an.
Die geballte ökonomische Kompetenz der ehemaligen AfD ist heute bei ALFA gelandet,
sagt Hans-Olaf Henkel. Doch die AfD ist erfolgreich. Am kommenden Sonntag wird sie in alle drei Landtage einziehen – dabei wird sie in Sachsen laut Umfragen etwa 20 Prozent erreichen und in Baden-Württemberg ein voraussichtlich zweistelliges Ergebnis erzielen. Währenddessen taucht die ALFA noch nicht einmal in Umfragen auf.
Wie das Institut INSA auf Rückfrage der Redaktion erläutert, liege das daran, dass ALFA „zu wenige Anhänger“ habe, um eine „statistisch seriöse Prognose“ abzugeben. Da für eine repräsentative Umfrage in der Regel etwa 1.000 Personen angehört werden, würden die Schwankungen bei Klein- und Kleinstparteien zu groß sein, um belastbare Aussagen treffen zu können.
Professoren vor der Pleite
Kurz gesagt: Während die AfD am Sonntag triumphieren wird, könnten die Landtagswahlen für ALFA zu einem vollständigen Debakel werden. In Rheinland-Pfalz stellt die Partei nur in sechs von 51 Wahlkreisen Direktkandidaten auf. Die Frage, was man sich denn als Ziel für die Landtagswahl gesetzt habe, beantwortet Andreas Hofmeister, ALFA-Stadtrat in Ludwigshafen, folgendermaßen:
ALFA hat sich das Ziel fünf Prozent plus X gesetzt, denn wir möchten Verantwortung übernehmen und politisch gestalten.
Das kann getrost als völlig unrealistisch abgetan werden – spannender wird da eher die Frage, ob es für mehr als ein Prozent reichen wird. Dann würde die ALFA eine staatliche Erstattung der Wahlkampfkosten erhalten. Ohne diese Mittel könnte die Partei in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Eberhard Will, Stadtrat in Mannheim und Generalsekretär der ALFA Baden-Württemberg, sagte am Ende einer Wahlkampfveranstaltung:
Aus unserer Sicht kann Frau Merkel noch bis zur nächsten regulären Bundestagswahl 2017 durchhalten. Aktuell sind wir nämlich ziemlich pleite.
Das hindert die „neue Partei für Wirtschaftsprofessoren“ aber nicht daran, am Donnerstag im luxuriösen Maritim zu tagen, wo nur etwa ein Fünftel der Sitzplätze auch tatsächlich mit Besuchern besetzt ist. Referent Joachim Starbatty lässt sich davon allerdings nicht beirren – der Inhalt seines Vortrags ist ohnehin nicht sonderlich massentauglich.
Prof. Starbatty redet etwa 90 Minuten über die Flüchtlingskrise und insbesondere das „Europroblem“, das „mindestens genau so scharf sei“ – teils hat das tatsächlich den „Charakter eines Oberseminars“, denn überwiegend verkneift Herr Starbatty sich plakative Parolen und plumpe Zuspitzungen, sondern steigt tief in volkswirtschaftliche Zusammenhänge ein. Schwarzbrot statt Zuckerkuchen – Herr Starbatty begründet auf Rückfrage:
Wir wollen für eine Politik der Vernunft stehen. Uns ist es wichtig, unsere politischen Forderungen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zu untermauern. Das ist vielleicht nicht besonders leicht zugänglich. Aber es fehlt in der aktuellen Debatte.
So habe Yves Mersch aus dem Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB) jüngst vor dem Bundesverfassungsgericht eingestanden, dass eine Währungsunion immer auch eine Haftungsgemeinschaft sei – damit müsse klar sein, dass die „No-Bail-Out-Klausel“, die eigentlich hätte verhindern sollen, dass Euro-Staaten für die finanziellen Verfehlungen anderer Mitgliedsländer haften müssen, von Vornherein eine Farce gewesen ist.
![joachim starbatty eurokrise landtagswahlkampf mannheim maritim-5803](https://www.rheinneckarblog.de/files/2016/03/joachim-starbatty-eurokrise-landtagswahlkampf-mannheim-maritim-5803.jpg)
Die Finanzpolitik der EU bezeichnet Prof. Starbatty als fehlgeleitet, Entscheidungen von EZB-Präsident Mario Draghi seien teilweise „hirnrissig“. Prof. Starbatty glaubt nicht mehr an eine europäische Lösung: „Ich glaube nicht, dass sich der Kollaps noch vermeiden lässt.“
Diese No-Bail-Out-Klausel ist zwar auf dem Papier in Artikel 125 der AEU-Verträge festgehalten – tatsächlich werde sie aber seit Beginn der Eurokrise fortlaufend durch neue Hilfspakete unterlaufen, so Prof. Starbatty. Schaden würden in erster Linie deutsche Sparer nehmen, nicht nur weil sie mit Steuergeldern zur Haftung gezwungen würden: Der 0-Prozent-Leitzins der EZB komme hier einer Enteignung der Ersparnisse gleich. Auf einer Klausurtagung der CSU habe Jean Claude Juncker vor der Einführung des Euros noch geworben:
Transferzahlungen in einer Währungsunion sind so unwahrscheinlich wie eine Hungersnot in Bayern.
Aus heutiger Sicht sei diese Äußerung „mehr als absurd“, so Prof. Starbatty. Stattdessen gehe der Trend immer mehr in Richtung Vergemeinschaftung: Bald werde es in der EU auch gemeinsame Renten- und Arbeitslosenversicherungen geben, was man dann mit der „europäischen Solidarität“ begründen würde. Doch diese „europäische Solidarität“ betrachtet Prof. Starbatty als illusorisches Konstrukt und Wunschdenken – die große Einigkeit und gemeinsame Zielsetzung der europäischen Nationalstaaten habe es nie gegeben.
![joachim starbatty eurokrise landtagswahlkampf mannheim maritim-5833](https://www.rheinneckarblog.de/files/2016/03/joachim-starbatty-eurokrise-landtagswahlkampf-mannheim-maritim-5833.jpg)
Laut Eberhard Will wäre es bei der Massivität der Rechtsbrüche kaum noch möglich, Protest zu äußern, ohne wie ein Extremist zu klingen.
In vielen Aspekten sind sich AfD und ALFA nach wie vor ähnlich. Beide wünschen sich die „Rückkehr zum Rechtsstaat“. Eberhard Will sagt dazu:
Es gibt Verträge, die interessieren aber niemanden. Die eigene Regierung handelt gegen den Rechtsstaat und es gibt kaum Möglichkeiten, sich zu wehren. Wenn man sich anschaut, was hier stattfindet – wie soll man da denn noch für Worte wählen, ohne wie ein Extremist zu klingen?
Neben fremdenfeindlichen Ressentiments und offenem Rassismus in Reihen der AfD scheine vor allem dieser Aspekt für den großen Zulauf zu sorgen: Eine riesige Unzufriedenheit in der Bevölkerung, dass geltendes Recht offenbar doch nicht für alle gleichermaßen gilt und dass reihenweise Rechtsbrüche begangen werden, ohne dass die Verantwortlichen dafür verantwortlich gemacht werden.
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Denkzettelwahl
Prof. Starbatty sieht „keine Zuwendung zur AfD, sondern eine Abwendung von den etablierten Parteien“. Viele würden ihren Protest mit einer „Denkzettelwahl“ zum Ausdruck bringen wollen. Die AfD könne aber den großen Hoffnungen kaum gerecht werden:
Da wird sich schnell Ernüchterung einstellen, wenn man ihnen erst einmal bei der Arbeit in den Landtagen auf die Finger schaut.
Für eine junge Partei wie die ALFA sei es dagegen schwierig, Fuß zu fassen – vor allem da man ihre Konzepte klaue: „Die sinnvollen Lösungen, die die AfD anbietet, stammen aber von den Leuten, die heute in der ALFA sind“. Manch einer würde dieser These sicherlich widersprechen wollen.
Die langfristigen Entwicklungen bleiben spannend: Wenn sich die AfD in der politischen Landschaft etablieren können? Auch die Republikaner haben in den 90er-Jahren einen schwunghaften Aufstieg erleben können und sind mittlerweile wieder in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwunden.
Allerdings – und da stimmen ALFA- und AfD-Anhänger überein – gibt es ein sehr großes Wählerpotenzial rechts der heutigen CDU – dass diese Stimmen in der Zukunft nicht politisch erschlossen wird, ist quasi unvorstellbar. Lange nicht alle sind zufrieden mit der Entwicklung hin zu mehr Souveränität für Europa. Das Denken als Nationalstaat Deutschland ist noch immer tief verankert. Die ALFA erhebt für sich selbst den Anspruch, eine „Alternative für Anständige“ sein zu wollen – ob das jemals von einer breiten Öffentlichkeit so wahrgenommen wird, ist gegenwärtig fraglich.
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