Rhein-Neckar, 10. September 2018. (red/pro) Die Debatte um die „Vorfälle“ von Chemnitz dauert nun schon 14 Tage an. Die Empörung wuchs und wuchs und verlagert sich nun – weg von einem Tötungsdelikt und Demonstrationen hin zur „Politik“, aber mehr und mehr zur medialen Verantwortung. Und hier drohen härtere Ausschreitungen, als sich bislang viele vorstellen können. Wenn eines klar ist, dann dies: So geht das nicht weiter, meint Hardy Prothmann in seinem Leitartikel.
Von Hardy Prothmann
Dieser Text ist die Ergänzung, die man möglicherweise nur versteht, wenn man zuvor bereit war, Geld für Journalismus auszugeben. Haben Sie leider nicht? Nun ja, kein Mitleid. Dann sind Sie gekniffen und können weitersurfen, weil Sie leider nichts verstehen werden.
Es brennt gerade lichterloh in Deutschland. Nein, keine Synagogen und auch keine Asylbewerberheime, keine Moscheen und auch nicht die deutsche „Leitkultur“. Aber das könnte man so meinen, denn der Ereiferungswahn fiebert erheblich.
Angeblich ging es in Chemnitz drunter und drüber. Ich bezweifle das erheblich. Nicht, dass es nicht „unschöne“ Szenen und auch Straftaten gegeben hat. Sondern ich bezweifle, ob das tatsächlich Hetzjagden, Pogrome und insgesamt „Weimarer Zustände“ waren.
Ich war nicht dabei, kann also nur fremde Quellen prüfen, die ich geprüft insgesamt aktuell als mindestens unzuverlässig einordne.
Fremde Quellen zu prüfen ist übrigens mein Hauptjob. Denn selbst, wenn ich in Chemnitz gewesen wäre, kann ich persönlich, wie jeder andere Mensch immer nur meine eigene, persönliche Perspektive beurteilen. Diese ist abhängig von meinen Lebenserfahrungen, meinem Geschlecht, meiner Physis, meinem Alter, meiner Profession, meiner Körpergröße, meinem Blickfeld, meiner Konzentration und vielen anderen Perspektiven, über die ich fast nie eine absolute Kontrolle habe. Sprich: Ich kann nie persönlich objektiv wahrnehmen – jede meiner Wahrnehmungen ist immer subjektiv und mein journalistischer Leitsatz ist: „Traue keinem“. Damit meine ich auch mich selbst. Ich kann mich immer täuschen – aus welchen Gründen auch immer.
Aktuell fühle ich mich erheblich getäuscht – von vielen anderen und hier vor allem von Medien und Politikern.
Was ich in den vergangenen zwei Wochen erleben musste, schlägt dem Fass den Boden aus. So viel geballte Propaganda, so viel dummes Geschwätz war selten. Ich vermute, dass das erst ein Vorgeschmack ist, auf das, was noch kommen wird.
Es gibt für mich überhaupt keinen Zweifel, dass aktuell in Chemnitz mehrfach Rechtsradikale aufgetreten sind und aggressiv waren und auch Straftaten begangen haben. Doch an der Art der Berichterstattung und an der Beschreibung, was war, habe ich erhebliche Zweifel.
Nicht, weil ich irgendwas von dem rechten Dreck entschuldigen wollte, sondern weil es mir immer auf gesicherte Information ankommt.
Es spielt aus meiner Sicht überhaupt keine Rolle, ob in Chemnitz weniger Ausländer leben als in Düsseldorf oder Berlin oder Mannheim. A propos Mannheim. Hier gab es Anfang der 90-iger Jahre übrigens einen echten Pogrom – dagegen war Chemnitz Pillepalle. Erinnert sich jemand an „Tschenau“?
Damit bin ich bei der Regionalberichterstattung und einem gewichtigen Thema: Es gibt immer wieder – sehr gut und auch vernünftig gemeinte Wünsche an das RNB – doch mehr „regional“ zu machen und „nicht so viel über Medien“.
Das kann ich nachvollziehen, aber ich muss widersprechen: „Regional“ ist abstrakt. Im vergangenen Herbst brannte in Mannheim die Hütte wegen krimineller „UMAs“ – unbegleiteter, minderjähriger Flüchtlinge. Es gab massive Anstrengungen, die „Systemstörer“ wurden vertrieben. Nach meinen Informationen tauchten die in Dänemark und Frankreich wieder auf. Ist damit das „regionale Problem“ gelöst oder stellt sich nicht die Frage, ob es regionale Probleme geben könnte, weil in Dänemark oder Frankreich Systemstörer vertrieben werden, die plötzlich in Mannheim zum Problem werden? Auch medial?
Die Globalisierung meint übersetzt, dass die Welt vor Ort stattfindet. Und das immer schneller und überraschender.
Oho – meine speziellen Freunde aus dem linken Lager werden jetzt sagen: „Beweis – das ist AfD-Sprech wie „Kandel ist überall“. Sorry, liebe Leute. Kandel ist nicht überall. Die Behauptung ist Quatsch. Aber Kandel könnte überall sein – damit nähern wir uns der Debatte.
Der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin, begangen durch einen Intensivtäter, der sich frei überall im Land und im Ausland bewegen konnte, könnte tatsächlich auch hier oder anderswo stattgefunden haben (Liebe Staatsanwaltschaft Mannheim – habe ich jetzt schon wieder eine Straftat begangen?).
In Kandel und Wiesbaden wurden junge Frauen getötet, in Chemnitz ein Deutsch-Kubaner und aktuell gibt es einen neuen Vorfall.
In meinen privaten Kreisen wird das auch diskutiert. Ein Bekannter sagte mir am Sonntag: Es gibt pro Jahr rund 400 Morde – wird jedes Mal so ein Aufstand gemacht wie in Chemnitz? Klare Antwort: Nein. Und: Die allermeisten Morde sind Beziehungstaten und werden nicht im öffentlichen Raum begangen. Morde im öffentlichen Raum unterscheiden sich davon erheblich und die Umstände können durchaus gesellschaftlich relevant sein.
Politiker und Medien müssen fundamental umdenken, wenn sie nicht fundamentale Gegenreaktionen weiter forcieren wollen.
Der Impuls, Probleme zu verdrängen, ist menschlich und bekannt. Medien und Politiker sind aber keine Individuen, sondern sollten Profis sein, die vor allem eins nicht tun sollten: Aus naheliegenden Gründen populistisch zu agieren. Doch das ist leider der Extremfall, der zum Standard wird.
Die AfD ist die mit atemberaubendem Abstand erfolgreichste Parteineugründung der Nachkriegszeit. Sie wird von Anfang an bekämpft und kontinuierlich stärker. Aktuell überholt sie in den Umfragen die älteste Partei Deutschlands, die SPD.
Wer die AfD nicht ernst nimmt, hat nichts verstanden. Ich habe diese Partei von Anfang an sehr ernst genommen und leider haben das viele nicht verstanden, weil man meinte, die AfD mit illegitimen Mitteln „beseitigen“ zu können. Das ist fehlgeschlagen – zu recht – und wird weiter scheitern. Vermutlich sogar erheblich.
Ich persönlich musste mich – aus dem linken Lager und auch aus anderen – erheblichen Verunglimpfungen aussetzen. Aus erschütternden Gründen: Ich werde von Links als „Lügenpresse“ wahrgenommen, beschimpft und bedroht. Und bekämpft.
Sogar Gemeinderäte nutzen jede Gelegenheit, zum Boykott gegen das von mir verantwortete redaktionelle Angebot aufzurufen. Allen voran, der linksradikale Gerhard Fontagnier. Aber auch eine Marianne Bade von der SPD ist dabei und andere.
Verblendete Ideologen kann niemand erreichen. Alle RNB-Leser/innen, die unser Nachrichtenangebot über längere Zeit verfolgen, stellen aber fest, dass wir so gut wie immer richtig liegen. Wir haben die Probleme mit den UMAs zwei Jahre vor dem Knall berichtet und auch auf die zunehmende Radikalisierung der Außenränder dieser Gesellschaft hingewiesen. Wir haben Kandel und Wiesbaden sofort korrekt eingeordnet und immer wieder auf massive Fehler in der medialen Berichterstattung und beim politischen Handeln hingewiesen.
Die teils absurden, teils vollständig widerwärtigen Behauptungen von AfD-Politikern teile ich persönlich nicht, sondern stelle mich persönlich häufig dagegen. Aber im Kern komme ich – in Teilen – zu der Auffassung, dass die AfD nicht grundsätzlich falsch liegt.
Nein – und dass ich das schreiben muss, ist eigentlich widerlich -, dass ist kein Bekenntnis zur AfD, sondern eine Feststellung von Tatsachen. Die AfD hat die etablierten Parteien arg getrieben und macht das weiter. Sie ist auch damit eine äußerst erfolgreiche Oppositionspartei, auch, wenn das außer dem RNB kaum jemand feststellen will.
Das RNB stellt damit nicht fest, dass die AfD Recht hat, wohl aber, dass sie großen Erfolg hat und wachsende Zustimmung.
Man kann nun auf die AfD aus allen Rohren „feuern“ – das Ergebnis ist bekannt. Die Zustimmung zu dieser neuen Partei wächst. Wer sie immer weiter rechts verordnen will, verordnet auch die Zustimmung in dieser Richtung. Das kann für große Überraschungen sorgen, denn Bürger, die rasante Entwicklungen nicht wollen und rechts „eingenordet“ werden, könnten dazu neigen, sich „dann halt als recht zu sehen“ – und dies selbstverständlich.
Auch das ist im Zusammenhang mit „Islam“ und Zuwanderung eine wichtige Information für Sie. Unabhängig davon, dass es zunehmend schwerer wird, journalistische Mitarbeiter zu finden, ist es vollständig unmöglich, Mitarbeiter zu finden, die aus und über die „türkische Community“ berichten. Aus Angstgründen. Ich versuche das seit sieben Jahren und bin komplett gescheitert – nicht an meinem Willen, sondern, weil sich niemand traut.
Hier stehen Türken gegen Kurden, Sunniten gegen Schiiten. Und das sind nur die groben „Frontlinien“. Hier ein Hinweis: Kennen Sie ein Medium, das ganz selbstverständlich rund 10 Prozent der Berichterstattung über rund 10 Prozent dieser Bevölkerung leistet? Ich nicht. Sind diese Migranten, über die man wenig bis nichts weiß, also „integriert“? Stellen Sie sich aktuellen Debatten und nehmen daran Teil? Daran habe ich erhebliche Zweifel.
Vor allem, weil ich sehr viele, sehr intellektuelle und gebildete Freunde aus diesen „Kulturkreisen“ habe, mit denen ich sehr offen sprechen kann. Nur zitieren lassen will sich keiner – man hat immer Sorgen vor „Problemen“ – und ich habe den Eindruck, diese können gewaltig sein.
Es gibt in diesen Kreisen einen großen Zorn über die AfD, aber auch über die eigene Community. Und über sich selbst, weil man weiß, dass die Probleme echt und gegeben sind, man eigentlich gute Ziele hat, aber gleichzeitig mit Sorge auf den zunehmenden Fundamentalismus blickt.
Eigentlich ist man im selben Boot, aber jeder rudert und paddelt vor sich hin – es gibt viele Ziele, aber kein gemeinsames. Das kann nur zu Schiffbruch führen.
Sorry, dass ich keine positiven Nachrichten habe. Um ein Schiff ans Ziel zu führen, braucht es klare Hierarchien und Disziplin.
War schon immer so und wird immer so bleiben.
Alles andere endet schlimm.
Ich bin mir sicher, dass „wir das schaffen“. Nur nicht so, wie das seit Jahren läuft. Es muss anders werden, auch, wenn das vielen nicht gefällt.
P.S. Ich bin Segler, habe ein Patent und ordne mich als Matrose immer unter, weil man an Bord immer nur Teil der Mannschaft ist. Auf See fühle ich mich noch nicht in der Lage, das Kommando zu führen. In der Demokratie auch nicht – Demokratie ist oft wie Segeln unter harten Bedingungen. Das Kommando hat der Rechtsstaat und dabei soll es bleiben.