
Keine Berichte zum Festival von uns – weil wir uns weigern, für unsere Arbeit auch noch zu bezahlen.
Ludwigshafen/Rhein-Neckar, 10. Juni 2013. (red/pro) Für das Festival des deutschen Films haben wir vier Reporter vorgesehen, die je über mindestens drei Filme berichten sollten. Es wären also mindestens zwölf Artikel erschienen. Doch diese erscheinen nicht, weil wir die Zugangsbedingungen ablehnen – denn das Management verlangt für jeden akkreditierten Reporter eine Gebühr von 30 Euro.
Von Hardy Prothmann
Können Sie sich vorstellen, dass Sie morgens zur Arbeit fahren und Ihr Chef oder Ihre Firma erstmal Geld von Ihnen verlangt, damit Sie arbeiten dürfen? Nein? Wir Journalisten werden damit zunehmend konfrontiert.
Vorbemerkung: Lesen Sie diesen Text genau. Es ist ein Hintergrundbericht, der drei Jahre alt ist. Die Bedingungen sind nicht besser, sondern schlechter geworden. Die Achtung vor Journalismus ist gesunken. Weil es immer mehr „PR-Journalismus“ gibt, statt unabhängiger Berichterstattung. Immer mehr „Deals“, statt Aufklärung. „Lügenpresse“ gab es damals noch nicht als Schlagwort. Insbesondere bei Sport, Reisen und Boulevard, sprich Unterhaltung, wozu Film gehört, raten wir Ihnen an, erstmals gar nichts zu glauben, was veröffentlicht wird. Wir hatten übrigens eine „Kommunikation“ mit dem Chef des Filmfestivals. Der verzichtet gerne auf uns – über die Gründe lässt sich spekulieren. Was meinen Sie, sollten wir mal in eine Recherche einsteigen? Uns genau umschauen? Es gab Berichte über, sagen wir mal, „Unregelmäßigkeiten“. Und das klingt immer nach Ärger. Wenn Sie wollen, dass wir uns drum kümmern, können Sie unsere Recherche gerne finanzieren. Wir machen Ihnen dazu in Kürze ein Angebot. RNB, 15. Juni 2016.
Der Plan, vier Reporter zu beauftragen, ist schon teuer genug. Ich bezahle jeden einzelnen Artikel – ohne Möglichkeit, irgendetwas daran zu verdienen. Denn die Redaktion läuft strikt getrennt vom Werbegeschäft.
Das gilt für alle unsere Artikel. Geld verdienen wir durch den Verkauf von Anzeigen und die können wir verkaufen, weil wir Aufmerksamkeit erhalten und unsere Werbepartner diese auf sich ziehen wollen. Außerdem erhalten wir Geld durch Förderbeiträge und Spenden.
Öffentlich vs. privat
Zusätzliche Kosten drücken erheblich aufs Redaktionsbudget – der Kostenfaktor stört mich dabei nur vordergründig, die Konsequenzen aus Akkreditierungsgebühren und -bestimmungen sind viel drastischer. Im Ergebnis höhlen sie eine freie journalistische Berichterstattung aus.
Im Gegensatz zu öffentlichen Einrichtungen müssen private Veranstalter erstmal keine Presse zulassen. Sie können sich auf ihr Hausrecht berufen, ob und wen sie zulassen. Doch wie privat ist eine Veranstaltung mit mehreren tausend Menschen? Antwort: Privat ist privat, solange es nicht auf den öffentlichen Raum ausstrahlt.
Aber wie privat ist eine Veranstaltung, wenn diese unmittelbar oder mittelbar teilweise mit öffentlichen Geldern finanziert wird? Und geradezu Öffentlichkeit sucht? Antwort: Gar nicht.
Das Filmfestival wird beispielsweise durch Sponsoren wie die Stadt Ludwigshafen, das Klinikum Ludwigshafen und die Technischen Werke Ludwigshafen mitfinanziert – also aus Mitteln der öffentlichen Hand. Dazu kommt der Großsponsor BASF und seit neuestem auch die Rheinpfalz. Ob die Rheinpfalz für ihre Reporter auch bezahlen muss oder ob das im „Sponsoring eingepreist“ ist? – dazu gibt es keine transparente Information. Ein sicher erheblicher Teil der Filme, die gezeigt werden, ist über staatliche Filmfördermittel finanziert worden. Veranstalter ist die „Festival des deutschen Films gGmbH“. Also eine gemeinnützige GmbH, die teilweise oder ganz von der Steuerpflicht befreit ist, weil ihre Geschäftsziele ja dem „Gemeinwohl“ dienen sollen.
Absurde Argumentation
Wenn solche Veranstaltungen mit Gebühren für Journalisten versehen werden – warum dann nicht auch Gemeinderatssitzungen? Absurd? Oder bei Demonstrationen? Noch absurder?
Die Polizei hat schließlich auch Aufwand. Nach der Logik des Filmfestivals könnte man darüber nachdenken. Auch Unternehmen könnten Gebühren verlangen, schließlich bezahlen die ja möglicherweise einen Pressesprecher, haben also Kosten. Die Filmfestival-Leitung argumentiert nach unserem Hinweis, dass wir nicht berichten, wenn wir eine Gebühr bezahlen müssen, per email folgendermaßen:
Filmfestivals kosten weltweit Akkkreditierungsgebühren, auch für Journalisten (lediglich Cannes verlangt keine Gebühren, zwingt aber dafür die Journalisten morgens um 8.30 Uhr ins Kino und erlaubt ihnen nicht den abendlichen Zutritt). Mit diesen relativ geringen Gebühren werden nur ein Bruchteil der Kosten ausgeglichen, die die Teilnahme der Fachgäste und Presse verursachen – beispielsweise den freien, unkomplizierten Zugang in jede gewünschte Filmvorführung. Es ist nicht möglich, diese vergleichsweise niedrigen Verwaltungsgebühren noch weiter zu reduzieren. Es sollte auch möglich sein, sie dem Auftraggeber und/oder Unternehmen in Rechnung zu stellen.
Zwei Euro die Stunde?

Je weniger frei die Medien berichten können, desto weniger klar kann man sich ein Bild machen.
Die Erklärung zeigt gleich mehrere Probleme auf. Viele Tageszeitungen zahlen ihren freien Mitarbeitern Zeilenhonorare von 20-50 Cent. Nehmen wir den Mittelwert von 35 Cent: Ein 80-zeiliger Artikel ergibt somit ein „Honorar“ von 28 Euro. Und dem „Auftraggeber in Rechnung stellen“ geht fast nirgendwo – die meisten Medien zahlen noch nicht einmal Fahrtkosten.
Das heißt: Der erste Artikel holt noch nicht einmal die „vergleichsweise niedrigen Verwaltungsgebühren“ herein. Der Aufwand für einen solide geschriebenen Artikel liegt bei mindestens zwei bis drei Stunden. Schreibt der freie Journalist also zwei „80-Zeiler“ und hat dafür sechs Stunden gearbeitet, hat er nach Adam Riese 56 Euro – 30 Euro/6 Stunden = 4,33 Euro verdient. Kann er noch einen 80-Zeiler absetzen, schafft er es auf sensationelle 6 Euro Stundenlohn. Ohne die Akkreditierungskosten käme er auf 9,33 Euro/Stunde. Für eine hochqualifizierte Arbeit.
Zur Erinnerung: Die Rechnung gilt für angenommene 35 Cent, was eher im „oberen“ Bereich bei Lokalzeitungen angesiedelt ist. Bei 20 Cent sind es gerade mal 48 Euro. Abzüglich der „relativ geringen Gebühr“ wären das 2 Euro/Stunde, bei 50 Cent kämen 10 Euro/Stunde heraus.
Wenn der freie Journalist auch noch anreisen und Unterkunft und Verpflegung bezahlen muss, geht die Rechnung weiter. Nehmen wir hier für Anreise und eine Übernachtung 200 Euro und den „Höchstsatz“ von 50 Cent an. Dann müssen knapp 6 Artikel zu 80 Zeilen geschrieben werden, um 200+30 Euro zu bezahlen. Und dann nochmal zweieinhalb, damit 100 Euro für einen Tag übrig bleiben. Im Ergebnis schreibt der auswärtige Journalist also 8,5 Artikel zu je drei Stunden Aufwand, arbeitet also 25,5 Stunden, um 100 Euro vor Steuern „zu verdienen“. Und er ist ein Vermarktungsgenie – mir persönlich ist nicht bekannt, dass ein freier Journalist mit 8,5 Artikel zu einer Veranstaltung von irgendeiner Redaktion beauftragt wird.
Wer hier überleben will, kann keine Qualität in die Arbeit stecken. Im Ergebnis schreiben viele Journalisten Pressetexte einfach nur ab und um. Eigene Recherche und eigene Gedanken sind zu viel Aufwand. Die umgeschriebenen Texte werden als vermeintlich „freie“ Berichte veröffentlicht. Diese „beeinflusste“ Veröffentlichung wiederum nutzen die Veranstalter, um damit für sich zu werben und „die Presse zu zitieren“. So ein Quatsch – sie zitieren sich selbst.
Ausverkauf des Journalismus
Viele Konzert- und Sportveranstalter gehen noch weiter. Sie reglementieren wann, wo und wieviel man berichten darf – insbesondere bei Fotos und Filmaufnahmen. Welchen Grund gibt es, dass man bei vielen Konzerten nur die ersten drei Lieder fotografieren darf? Einer liegt auf der Hand – die Künstler sehen noch frisch aus.
Im vergangenen Jahr hat mich der Geschäftsführer von Demi-Promotion, Dennis Gissel, angeschrien, weil ich zum Ende eines Konzerts Überblickfotos gemacht habe. Die Folge: Wir berichten nicht mehr über die Veranstaltungen dieser Agentur.
Dabei geht es noch härter: Es gibt Vereine und Veranstalter, die sogar eine inhaltliche Kontrolle verlangen. Das heißt, sie sichern sich vertraglich das Recht bei der Bildauswahl. Eine freie Berichterstattung ist nicht mehr möglich. Noch härtere Gangarten gibt es auch: Beispielsweise die exklusive Festlegung auf ein Medium und die Abtretung aller Rechte. Das heißt, ein freier Journalist kann nur einmal verkaufen und danach ist sein Werk unentgeltlich in Händen der Agentur, des Künstlers, des Vereins.

Journalismus wird von vielen Veranstaltern schon längst als reines Marketinginstrument gesehen – wir sehen schwarz für die Zukunft der freien Meinungsbildung, wenn das nicht aufhört.
Unzumutbare Arbeitsbedinungen denken Sie jetzt vielleicht? Nein. Ein System, dass immer weitere Kreise zieht. Sind die Veranstaltungen noch klein, wird um Berichterstattung gebettelt, ist sie groß genug, um Macht auzuüben, wird Berichterstattung gesteuert und reglementiert. Warum wehren sich Journalisten nicht dagegen, fragen Sie? Ganz einfach, weil auch Journalisten Geld verdienen müssen und es, wenn es der eine nicht macht, immer noch einen anderen gibt, der es macht.
Andererseits sind manche Reglementierungen nachvollziehbar: Die Cebit lässt beispielsweise nur Journalisten zu, die nachweisen können, dass sie auch fachlich und regelmäßig berichten. Die Mitschuld daran tragen vor allem die beiden Journalistengewerkschaften Verdi und DJV (die so tun, als wären sie für Journalisten da) – die hatten über Jahre Presseausweise an Hinz und Kunz inflationär ausgeteilt. Die Rechnung war einfach: Ich zahle 100 Euro für den Presseausweis und wenn ich vier Veranstaltungen zu 25 Euro frei besuchen kann, hab ich das Geld wieder drin. Der Presseausweis verkam so zur Rabattmarke.
Freie Meinungsbildung vs. mafiöse Strukturen
Die Cebit-Lösung ist vergleichsweise fair. Es kann auch andere Gründe für Beschränkungen geben – siehe den NSU-Prozess in München, wenn beispielsweise nur begrenzt Plätze zur Verfügung stehen. Hier kann man feste Vergaben mit Verlosungen und Pools mischen. Bei einem Pool einigen sich mehrere Medien auf einen Berichterstatter, dessen Material dann alle im Pool verwenden dürfen.
Akkreditierungsgebühren zwingen auch viele Journalisten zur Berichterstattung – auch, wenn sie auch welchen Gründen auch immer (noch) nicht berichten wollen, sondern der Besuch einer Veranstaltung eine Recherche für andere Zwecke ist. Ein Beispiel? Ein Kolumnist will über die Unterschiede von Besuchern von Rock-, Jazz- und Klassikkonzerten berichten. Also braucht er Eindrücke und muss mindestens drei Konzerte besuchen. Oder er will über einen Künstler schreiben, aber nicht über das jeweilige Konzert. Dann besucht er idealerweise mehrere Konzerte des Künstlers.
Jetzt könnte der Veranstalter kommen und fragen: Und was habe ich davon? Die Antwort ist einfach: Das, was alle von einer freien Presse haben. Die Chance, an einer freien Meinungsbildung teilzuhaben, die wesentliches Element für funktionierende Demokratien ist. Und noch besser: Freie Meinungsbildung aus Überzeugung zu unterstützen.
Und was haben Sie davon, liebe Leserinnen und Leser, bis zum Ende dieses Artikels gelesen zu haben? Sie können sich ebenfalls ihre Meinung bilden und sich fragen, wieso insbesondere Berichte über „Cannes“, über die „Berlinale“ und andere Filmfestivals die immergleichen Bilder zeigen, die immergleichen Artikel hervorbringen. Und was ein System mit „ausgewählten“ und vertraglich gebundenen Medienpartnern für Folgen hat – beispielsweise die korrupte Berichterstattung im Sport, wo Vereine, Politik und Wirtschaft teils mafiöse Strukturen ausgebildet haben. Unter Beteiligung der Medien.
Über das 61. Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg haben wir übrigens noch berichtet – weil die Autorin ohne mein Wissen die Akkreditierungsgebühr schon bezahlt hatte. Weil ich mehr zahle als die sagenhaften 50 Cent, sie nicht reisen und übernachten musste und insgesamt neun Artikel geschrieben hat, hat sie gut verdienen können.
Und das Filmfestival hat neun tatsächliche journalistische Berichte erhalten, die sehr gut aufgerufen worden sind und sicherlich das Interesse für das Festival fördern. Die künftigen Veranstaltungen müssen wie das Festival des deutschen Films ohne eine intensive Begleitung durch uns auskommen. Es ist nur ein Festival und es gibt viele andere spannende Themen, die wir gerne und intensiv für unsere Leser/innen recherchieren und schreiben.
Weiterführende Texte:
Berlinale 2009: Zu teuer für Journalisten?
Bilder nach Art des Hauses
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