Rhein-Neckar, 10. Oktober 2014. (red/ms) Die Datenautobahnen Deutschlands sind eine riesengroße Baustelle: Vielerorts ausbaufähig und gerade in ländlichen Gegenden oft in einem katastrophalen Zustand. Langsame Internetverbindungen drosseln den Datenverkehr und bremsen die Wirtschaft aus – oft mit schwerwiegenden Folgen. Denn für viele Betriebe ist das Internet inzwischen mindestens genauso wichtig wie gute Straßen. Doch die Politik hat das lange Zeit verschlafen: Wegen mangelhafter Anschlüsse erleiden derzeit fast zwei Drittel der Unternehmen in Baden-Württemberg Produktivitätsverluste und Wettbewerbsnachteile. Mehr als 15 Prozent denken deswegen sogar über einen Standortwechsel nach.
Von Minh Schredle
Das Internet ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Nicht aus dem privaten und noch viel weniger aus dem beruflichen. Laut einer Studie von ARD und ZDF benutzen zwei Drittel der Deutschen das Internet täglich – und zwar im Durchschnitt für 166 Minuten.
Einen sogar noch größeren Stellenwert nimmt das Internet allerdings in der Wirtschaft ein. Für viele Unternehmen ist es als Standortfaktor sogar ebenso bedeutend wie Gewerbeflächen oder die Infrastruktur des Verkehrs – und dennoch ist seitens der Politik bislang wenig geschehen, um den Ansprüchen der Betriebe gerecht zu werden.
Deutschland nur EU-Mittelmaß
Die “kritische Grenze” bei der Internet-Geschwindigkeit für wirtschaftliche Nutzung wird von Experten derzeit auf 25 MBit/sec geschätzt – hierzulande haben nach Angaben des Statistischen Bundesamts allerdings gerade Mal ein Viertel der Unternehmen Zugang zu Internet mit dieser oder einer höheren Geschwindigkeit. Damit liegt Deutschland nur knapp über dem EU-Durchschnitt (20 Prozent). Spitzenreiter ist Dänemark mit 44 Prozent, gefolgt von Belgien und den Niederlanden mit jeweils 41 Prozent.
Auch Baden-Württemberg ist im bundesweiten Vergleich gerade mal Durchschnitt. Und das ist lange nicht gut genug, um den Ansprüchen moderner Unternehmen langfristig gerecht zu werden. Im Januar diesen Jahres wurde der Landesregierung eine Studie vorgestellt, in der der Bedarf von Hochgeschwindigkeitsinternet in der Wirtschaft analysiert wurde. Die Ergebnisse sind alarmierend.
65 Prozent der Unternehmen unzufrieden
Von 1.378 befragten Unternehmen benutzen 99 Prozent das Internet – aber nur etwa 35 Prozent sind auch zufrieden mit der Daten-Geschwindigkeit, die ihnen zur Verfügung steht. Fast zwei Drittel erleiden Einbußen wegen Produktivitätsverlusten und Wettbewerbsnachteilen. 15,6 Prozent ziehen deswegen sogar einen Standortwechsel in Betracht – 2,5 Prozent haben ihn schon verlegt.
Man will sich gar nicht ausmalen, welche fatalen Konsequenzen es für die Wirtschaft haben würde, wenn man ein knappes Sechstel der Unternehmen vertreiben würde. Es besteht also Handlungsbedarf. Und zwar dringend. Denn diverse Prognosen sagen voraus, dass der Bedarf weiterhin rapide steigen wird.
Bedarf wird sich bis 2018 verdreifachen
Laut der Studie läge der durchschnittliche Bedarf, um nicht durch zu langsames Internet eingeschränkt zu werden, bei knapp 54 MBit/sec. Bis 2018 soll dieser Bedarf auf 169 MBit/sec steigen. Baden-Württemberg ist momentan meilenweit davon entfernt diesen Ansprüchen gerecht zu werden – aktuell verfügt die Hälfte der Unternehmen gerade mal über 6 MBit/sec.
Dr. Iris Gebauer ist die Projektleiterin der Studie. Sie betont:
Der hohe Bedarf wird zunehmend branchenunabhängiger.
Es seien nicht allein die IT-Unternehmen und Betriebe der Kreativwirtschaft, die den Durchschnitt nach obenhin “verzerren” – also durch einen höheren Verbrauch statistisch aufblähen. Auch Kleinst- und Kleinunternehmen von “der Schreinerei bis hin zur KFZ-Werkstatt” sind mittlerweile auf ein schnelles und zuverlässiges Internet angewiesen, um konkurrenzfähig zu bleiben.
Langsames Internet abschreckend für Investoren
“Kunden erwarten inzwischen eine Online-Präsenz”, sagt Frau Gebauer. Stand 2013 hatten laut Angaben des Statistischen Bundesamts zwei Drittel der Unternehmen in Deutschland eine eigene Website. Die Expertin hält es zwar für “relativ unwahrscheinlich”, dass die Konzerne alle auf einmal reihenweise abwandern, wenn nicht sofort etwas getan wird, da viele davon “an ihren Standort gebunden sind”.
Allerdings sollte man es sich “besser nicht mit ihnen verscherzen”, indem man sie zu lange warten lässt. Und man dürfe auf keinen Fall vernachlässigen, wie “abschreckend langsames Internet für potenzielle neue Investoren ist”.
Metropolregion im Verhältnis gut
Gemessen am niedrigen Standard steht die Metropolregion Rhein-Neckar verhältnismäßig gut da: “Nur” etwa 20 Prozent der Unternehmen sind unzufrieden. Das ergab eine Befragung der Industrie- und Handelskammer Rhein-Neckar (IHK), an der 570 Unternehmen teilnahmen.
In in einem Bericht von Die Welt aus dem Juli diesen Jahres heißt es sogar, Mannheim sei derzeit Spitzenreiter, was die durchschnittliche Daten-Geschwindigkeit in Gr0ßstädten angeht. Doch gibt es innerhalb der Region sehr große Unterschiede. Tendenziell gilt: Je mehr Einwohner, desto besser die Verbindung.
Ländlicher Bereich vernachlässigt
Das liegt daran, dass der Ausbau der Netze bislang nicht von der Politik, sondern vor allem von Großunternehmen vorangetrieben wurde, hauptsächlich der Telekom und KabelBW, beziehungsweise Unitymedia.Während die Versorgung in Städten meist zufriedenstellend ist, wurden ländliche Gegenden stark vernachlässigt.
Da die Bevölkerungszahl und -dichte nicht so groß ist, erscheint der Ausbau hier nicht wirtschaftlich genug. Aktuell sind Glasfaserkabel der modernste Stand der Technik – doch der Ausbau kostet schon in einer kleinen Gemeinde meist mehrere Millionen Euro.
Politik muss regulieren
Wenn der Markt versagt, muss die Initiative von der Politik kommen. Doch viele Gemeinden und Kommunen könnten sich die Aufrüstung aus eigener Kraft nicht leisten. Die Landesregierung bezuschusst den Ausbau von Hochgeschwindigkeitsnetzen auf Kreisebene.
Deswegen gründete der Rhein-Neckar-Kreis den Zweckverband High-Speed-Netz Rhein-Neckar, der es “sich zum Ziel gesetzt hat, den flächendeckenden Ausbau von Breitband-Internet mit Glasfaserkabeln in der Region voranzutreiben”. Die Kosten hierfür werden auf 250 Millionen Euro geschätzt.
Teure Tiefbauarbeiten
Teilnehmende Gemeinden müssen mit etwa einem Drittel Eigenanteil für die Finanzierung rechnen. Und das kann eine enorme Summe sein: Ladenburg hat beispielsweise knapp 11.500 Einwohner. Die geschätzten Kosten für die Stadt belaufen sich auf knapp sechs Millionen Euro.
Was den Ausbau so teuer macht, sind nicht die Glasfaserkabel an sich, sondern die notwendigen Tiefbauarbeiten: Da die Kabel in unterirdischen Rohren verlaufen, müssen für die Verlegung die Straßen aufgerissen und anschließend erneuert werden.
Enorme Einsparmöglichkeiten
Wenn die Rohrverlegungen mit ohnehin anstehenden Tiefbaumaßnahmen kombiniert werden, ist in Einzelfällen mit Einsparungsmöglichkeiten von bis zu 80 Prozent zu rechnen. In Ilvesheim habe man beispielsweise laut Bürgermeister Andreas Metz “schon seit Jahren darauf geachtet, geeignete Lehrrohre mitzuverlegen, wenn Straßensanierungen anstanden”.
Somit ist gut möglich, dass die Projektkosten im Endeffekt erheblich günstiger werden als in den Kostenschätzungen kalkuliert. Der Zweckverband wird sich voraussichtlich am 01. Januar 2015 gründen, die ersten Inbetriebnahmen sollen gegen Ende 2015 erfolgen. Bis 2030 sollen Breitbandanschlüsse überall Standard sein.
Es gibt keine optimale Generallösung
Glasfaserkabel sind derzeit unerreicht, was Geschwindigkeiten angeht – und werden das wohl vorerst auch bleiben. Die Datenübertragung erfolgt über Licht – das schnellste Trägermedium überhaupt.
Forscher berichten von Übertragungen mit über 70 Terrabit pro Sekunde. Das sind mehr als 70.000.000 Megabit. Diese Werte sind momentan nur in High-Tech-Laboren unter Spezialbedingungen möglich. Dennoch verdeutlicht es, wozu die Technologie in der Lage ist.
“Mindestens 50 Jahre Ruhe”
Prof. Dr. Jürgen Anders war an der Erstellung der Studie beteiligt für die Landesregierung beteiligt. Jetzt arbeitet er auch bei der Planung für den Zweckverband mit. Er sagt:
Mit Glasfaserkabeln hat man mindestens die nächsten 50 Jahre Ruhe.
Und trotzdem werden nicht alle 54 Kommunen und Gemeinden des Rhein-Neckar-Kreises dem Zweckverband beitreten. Denn auf den Ausbau zu verzichten, kann tatsächlich dann sinnvoll sein, wenn die Höhe der Kosten keine wirtschaftlich tragfähige Investition sind.
Funktechnologie als Alternative?
Eine mögliche Alternative ist beispielsweise die kabellose Datenübertragung. Da die Funktürme nicht erst unterirdisch verlegt werden müssen, ist diese Technik in aller Regel wesentlich günstiger. Doch die Funkverbindungen haben auch einige Nachteile: Die Übertragung ist anfällig für Störungen und die Datensicherheit ist fragwürdig. Außerdem sei laut IHK bei manchen Methoden Strahlungsschäden zu befürchten.
Der IHK zufolge stellt für manche Gemeinden LTE-Technologie eine gute Lösung dar. Und zwar dann, wenn die ortsansässigen Betriebe nur zu gewissen Zeitpunkten, etwa früh morgens, ein hohes Datenvolumen brauchen. Bei LTE-Netzen handelt es sich um ein so genanntes “shared medium”. Das heißt: Alle Nutzer greifen auf das gleiche Netz zu.
Einzelfall entscheidend
Bei geringem Betrieb lassen sich ansehnliche Geschwindigkeiten von bis zu 300 MBit/sec erreichen. Bei sehr intensiver Nutzung nimmt die Geschwindigkeit allerdings ab, wodurch die Stabilität nur bedingt zuverlässig ist.
Es gibt also keine beste Lösung, wie überall für schnelles Internet gesorgt werden kann. Die ideale Lösung ist immer auf den Einzelfall abgestimmt. Sicher ist nur in jedem Fall: Es muss etwas getan werden. Und zwar so schnell wie möglich in ganz Deutschland. Nach verschiedenen Berechnungen könnten hier Investitionskosten von bis zu 70 Milliarden Euro notwendig sein – das ist sehr viel Geld, aber die Datenautobahnen sind unverzichtbar.