Mannheim, 10. März 2017. (red/cr) Wie wollen Mannheimer in Zukunft wohnen, arbeiten, mobil sein und zusammenleben? Die nachhaltige Stadt von morgen soll schon heute unter Beteiligung von Bürgern geplant werden. Heute startete das Projekt „Willkommene Perspektiven – Migrants4Cities“ mit einem ersten Workshop. In den folgenden zwei Jahren sollen hochqualifizierte Migranten aus unterschiedlichen Ländern und Fachgebieten in acht weiteren Workshops Lösungen für Mannheim entwickeln. Zwischenergebnisse sollen der Öffentlichkeit an drei Terminen präsentiert werden.
Von Christin Rudolph
Wer eine Geschirrspülmaschine benutzt, kennt das: Auf den Böden von Tassen sammelt sich Wasser an. Also über jede einzelne Tasse mit einem Handtuch wischen, bevor sie in den Schrank kommt. Ärgerlich.
Ein Ingenieur wird versuchen, die Spülmaschine zu optimieren. Wie trifft der Wasserstrahl auf die Tasse? Wird das Geschirr auch mit weniger Wasser sauber?
Doch die Lösung des Problems liegt bei der Tasse selbst. Wird bei der Herstellung eine Kerbe in den unteren Rand der Tasse eingefügt, kann später das Wasser in der Spülmaschine abfließen.
Kleine und große Innovationen
Mit diesem Beispiel verdeutlicht Prof. Elke Pahl-Weber das Konzept des Design Thinking. Sie als geschäftsführende Direktorin des Instituts für Stadt- und Regionalplanung an der Technischen Universität Berlin beschränkt sich allerdings nicht auf kleine Dinge wie die Tassen aus dem Beispiel.
Mit der an der TU entwickelten Methode des Urban Design Thinking sollen Lösungen für die nachhaltige Stadt von morgen gefunden werden – und zwar konkret für Mannheim.
Mannheim macht sich auf den Weg der nachhaltigen Stadtentwicklung,
erklärte Prof. Pahl-Weber die Wahl der Stadt. Neben dem hohen Migranten-Anteil habe Mannheim mit Dr. Peter Kurz einen Oberbürgermeister, der sich Nachhaltigkeit besonders auf die Fahne geschrieben habe.
Die TU Berlin, die Stadt Mannheim und das Berliner inter 3 Institut für Ressourcenmanagement arbeiten beim Projekt „Willkommene Perspektiven – Migrants4Cities“ zusammen mit 20 Mannheimer Migranten und Migrantinnen an technischen und sozialen Innovationen.
Ergebnis offen
Am Freitag startete der erste von insgesamt neun Workshops, die in den kommenden zwei Jahren stattfinden sollen. Dabei arbeitet jede der fünf Gruppen an jeweils einem der Themenfelder Wohnen, Arbeiten, Mobilität, Zusammenleben oder Mitmachen.
Eine solche fünf- bis siebenköpfige Gruppe besteht aus qualifizierten Migranten sowie Verwaltungsmitarbeitern, die beruflich mit dem jeweiligen Thema befasst sind.

Von rechts nach links: Lena Werner, Projektkoordinatorin der Stadt Mannheim, Maria Petrova, Projektteilnehmerin und Referentin für Qualitätsmanagement an der Universität Mannheim, Fjolla Myftari, Projektteilnehmerin und CEO bei myRapunzel, Dr. Daniel Salecich, Projektteilnehmer und Musiker, Prof. Elke Pahl-Weber, Projektleiterin Urban Design Thinking der TU Berlin sowie Dr. Susanne Schön und Helke Wendt-Schwarzburg vom inter 3 Institut für Ressourcenmanagement
Die in den ganztägigen Workshops erarbeiteten Lösungen sollen „mit Geschäftsmodellen unterlegt“ und in Mannheim umsetzbar sein.
Das kann fast alles beinhalten, von smarter Mobilität über virtuelle Tauschbörsen bis hin zu ressourcenschonendem Zusammenleben.
Kaum Kosten für Mannheim
Die Stadt und die TU Berlin wollen dabei herausfinden, ob und wie die Methode in kommunale Strukturen integriert werden kann. Von den Ergebnissen sollen Partnerstädte profitieren. Ihnen werden Zwischenergebnisse mitgeteilt und erprobt, ob die Ideen auch in anderen Städten implementierbar sind.
Finanziert wird das Projekt zu 100 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Maßnahme „Nachhaltige Transformation urbaner Räume“. Die Teilnahme für die 20 Projektteilnehmer mit Migrationshintergrund ist ehrenamtlich und kann als Bildungsurlaub anerkannt werden.
Die Protagonisten des Projekts, die Mannheimer Migranten, sollten der Idee nach eine bunt gemischte Gruppe sein. 18 verschiedene Herkunftsländer auf fünf Kontinenten führt die Stadt Mannheim in einer Mitteilung auf, von Nigeria über Spanien bis Mexico.
Menschen verbinden
Dr. Daniel Salecich etwa ist Komponist, Violinist und Musiklehrer. Der gebürtige Australier hofft, als Musiker einen anderen Blickwinkel mitzubringen. Er selbst habe lange in Wien gelebt und dort als Migrant keine Stimme gehabt.
Solche Projekte können Leute zusammenbringen, die da, wo sie sind, keine Zukunft sehen.
Ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl der Interessierten: die Qualifizierung. Ob Gesundheitsmanagement, Integrationsberater, Unternehmer, Architekt, Bankkaufmann, Bildungsberater oder Musiker – alle Teilnehmer sind hochqualifiziert.
Auf die Frage eines Pressevertreters hin äußerte Dr. Salecich Kritik daran. Er finde den Ansatz nicht gut, da so zum Beispiel körperlich hart arbeitende Mannheimer ausgeschlossen würden. Im Gespräch äußerte auch Maria Petrova ihre Bedenken.
Ausschließlich hochqualifizierte
Die gebürtige Kasachin ist als Referentin für Qualitätsmanagement an der Universität Mannheim oft von Akademikern umgeben. Bei ihrem Hobby Angeln, so erzählte sie, komme sie aus ihrer „sozialen Suppe“ heraus. Die Menschen im Angelverein hätten völlig andere Hintergründe, Sichtweisen und Probleme.
Was ist, wenn wir etwas übersehen?
Die Antwort der wissenschaftlichen Seite kam von Prof. Pahl-Weber. Dieses Projekt sei keine Bürgerversammlung, sondern eines, bei dem hoch komplexe Themen besprochen würden. Sie stellte jedoch in Aussicht, diese Vorgehensweise beim ersten Workshop zu präsentieren.
Wie sich die relative Homogenität der Projektteilnehmer auf die Ergebnisse auswirken wird, bleibt abzuwarten. Zumindest bis zum ersten Zwischenstand.
Denn drei der Workshops sind als öffentlich geplant. Dort sollen die Teilnehmer des Projekts bisherige Ergebnisse präsentieren und so Feedback von außen erhalten.