Rhein-Neckar/Viernheim/Weinheim/Heidelberg, 10. Juli 2013. (red) Der Sommer 2013 bringt eventuell einen Wirtschaftskrimi. Seit Jahren ermittelt die Staatsanwaltschaft Frankfurt – gestern hat sie zugeschlagen. Bundesweit wurden 28 Wohnungen und Büros von 200 Beamten und 14 Staatsanwälten durchsucht. Drei von zehn Verdächtigen wurden vorläufig festgenommen, Werte in Höhe von knapp drei Millionen Euro beschlagnahmt. Und als wäre das nicht alles spannend genug, gibt es für unsere Region einen „großen“ Namen: Jürgen B. Harder – der mit der van Almsick.
Von Hardy Prothmann
Drei wegen diverser Wirtschaftsstrafen verdächtige Männer werden heute gegen 13:00 Uhr dem Haftrichter in Frankfurt vorgeführt, der die Haftgründe prüfen muss. Es geht um einen möglichen Millionenschaden für die Fraport AG, um mindestens 630.000 Euro Schmiergelder, die in Zusammenhang mit Immobiliengeschäften bei „Cargo City Süd“ gezahlt worden sein sollen.
Es geht um den Verdacht der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr, der Untreue, des Betrug, der Geldwäsche und der Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit der Entwicklung der Logistik-Immobilie Cargo City Süd, wie die Staatsanwaltschaft mitteilt. Neben den drei vorläufig festgenommenen Personen wird gegen sieben weitere ermittelt – unter anderem den hier ansässigen Unternehmer Jürgen B. Harder. Das berichten verschiedene Medien ohne Quellenangabe. Doris Möller-Scheu, Oberstaatsanwältin, gibt freundlich Auskunft, soweit es „ermittlungstaktisch“ möglich ist und bestätigt den Namen auf Anfrage nicht.
Auf die Razzia folgt die Skandalisierung
Gestern Nachmittag gab es erste Hinweise auf eine großangelegte Razzia. Leser meldeten sich bei uns mit „Beobachtungen“ und „Gehörtem“. Es soll um Durchsuchungen gehen, unter anderem beim Immobilienunternehmer Jürgen B. Harder (53) – für Medien wie Bild ein gefundenes Fressen, denn Harder ist mit dem Ex-Schwimmstar Franziska van Almsick (35) liiert. Das Paar hat zwei Kinder. Harder gilt als steinreich, mit guten Verbindungen. Als erstes nennt die Bild-Zeitung den Namen.
Bei der Recherche wird klar, dass niemand den Namen dementiert, aber tatsächlich keine unserer Quellen eine belegbare Information geben kann, die den Namen bestätigt. Deswegen haben wir Namen in unserem ersten Bericht auch weggelassen. Am Nachmittag geht unsere Nachricht online. „Lokaler Bauunternehmer soll verhaftet worden sein“ steht in der Überschrift. Und das „soll“ haben wir richtig gesetzt, weil der „lokale Bauunternehmer“ vermutlich (noch) nicht verhaftet worden ist, wie sich später heraustellt. Wir versuchen, Nachrichten zu überbringen, aber Zweifel deutlich zu machen. Denn wir verlassen uns im Gegensatz zu anderen nur auf belegbare Quellen.
Nun haben Bild, Welt, Hessischer Rundfunk, SWR und andere im Laufe des Abends mehrere Namen veröffentlicht. Eine offizielle Quelle nennt kein Medium. Die eindeutigste Tatsachenbehauptung veröffentlicht der SWR:
Der Partner der früheren Schwimmerin Franziska van Almsick, der Heidelberger Immobilienhändler Jürgen B. Harder, ist ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten.
Damit ist die Treibjagd eröffnet. Es geht um einen Aufsteiger, Moneten, um Geldadel, eine Goldmedaillen-Gewinnerin, fast 20 Jahre Altersunterschied, gemeinsame Kinder, Lebensverhältnisse, Jet-Set, Gerüchte. „Die Medien“, also ein Teil davon, werden sich darauf stürzen. Herr Harder muss sich warm anziehen. Seine Lebensgefährtin auch. Und das mitten im Hochsommer.
Indizien
Indizien auf die Person gibt es, weil mindestens vier der 28 Durchsuchungen in unserem Berichtsgebiet stattfanden: In Viernheim zwei (wo die J.B. Harder Verwaltung GmbH & Co. KG sitzt), in Weinheim eine (Lützelsachsener Straße, wo Harder ein Anwesen hat), eine in Heidelberg (wo Harder wohnt). Die J.B. Harder Verwaltung GmbH & CO.Kg hat weitere Geschäftsadressen in Hockenheim und Frankfurt/Main – auch in diesen Städten gab es Durchsuchungen. In Hockenheim weiß eine Mitarbeiterin von nichts, die „Herrschaften“ seien gerade zu Mittag, da ist es rund 15:00 Uhr.
Ein Sprecher der Fraport AG bestätigt nur, dass die Staatsanwaltschaft Einsicht in Unterlagen haben wollte und man durchweg kooperiert habe. Aber sonst keine Auskünfte geben könne, auch nicht über den vermeintlichen Hauptverdächtigen, der bis Juni 2008 als leitender Angestellter bei der Fraport AG tätig war. Vermutlich ist die Fraport AG sogar nur „geschädigt“.
Klar ist, dass Harder mindestens eine Halle im Gebiet Cargo City Süd entwickelt und verkauft hat. Ein weiteres Indiz, aber kein eindeutiger Beleg. „Die Medien“ werden trotzdem berichten. Die Bild im Boulevard-Stil und viele andere, die bei der Bild abschreiben und einen scheinbar objektiven Stil pflegen. Beispielsweise der Mannheimer Morgen:
Jürgen B. Harder, der mit seinem ehemaligen Schwiegervater, dem Viernheimer Immobilienunternehmer Werner F. Gutperle, den Golfplatz Gut Neuzenhof in Heddesheim betreibt, war gestern nicht erreichbar. „Kein Kommentar“ war die einzige Auskunft einer freundlichen Dame am Telefon der J. B. Harder Verwaltung GmbH & Co. KG.
Namen, Beziehungen, Geld & Glamour – es lebe der Boulevard
Was bitte haben der Schwiegervater und der Golfplatz in Heddesheim mit den aktuellen Ermittlungen zu tun?
Das Ende des Artikels im Mannheimer Morgen zeigt, worum es geht: Möglichst viele Namen ins Spiel zu bringen.
In der Metropolregion Rhein-Neckar ist Harder bekannt als erfolgreicher Projektentwickler mit einer großen Affinität zum Sport. Der Golfer aus Leidenschaft gilt als enger Freund von SAP-Mitgründer Dietmar Hopp. Der 53-Jährige soll im September 2012 Ex-Schalke-Manager Andreas Müller zu 1899 Hoffenheim geholt haben. Franziska van Almsick (35) lernte Harder, dessen Name in Magazin-Berichten gerne das Adjektiv „millionenschwer“ vorangestellt wird, 2005 kennen – zwei Jahre später zog der Schwimm-Star nach Heidelberg. Das Paar hat zwei Söhne.
„Leidenschaft“, „enger Freund“, Dietmar Hopp, Andreas Müller, Hoffenheim, van Almsick, „millionenschwer“ – noch mehr Namen und Anspielungen. Hier winkt ein tolles Thema, abseits eines langweiligen Wahlkampfs und am Eingang zum Sommerloch. Der SWR bringt den Namen der Lebensgefährtin sogar zuerst:
Razzia bei van-Almsick-Partner Jürgen B. Harder
Was von „den Medien“ immer wieder gerne vergessen wird, ist die Unschuldsvermutung. Und leider auch, nur belegbare Informationen zu veröffentlichen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, dann muss sie Anklage erhaben, dann gibt es ein Gerichtsverfahren und erst mit dem Urteil ist entschieden, zu welcher Auffassung das Gericht aufgrund der Beweislage gekommen ist.
Fixierung auf Skandale – nicht auf Aufklärung
Soweit die Theorie. Jörg Kachelmann könnte da eine andere Geschichte erzählen. Der erlebte die vermutlich größte jemals in Deutschland versuchte mediale Hinrichtung. Am Ende wurde er frei gesprochen. Bis dahin hatten Bunte, Bild und wie sie alle heißen und auch regionale Medien dem Volksaffen Zucker gegeben, sich an ihm abgearbeitet und gut verdient.
„Die Medien“ in ihrer Fixierung auf Skandale, die man möglichst an Personen und absolut an Bildern festmachen muss, werden auf Teufel komm raus die Geschichte machen. Pardon, die vielen, vielen Geschichten. Die allermeisten werden nur dem Gaffen dienen oder der Aufregung. Kleine Details werden für neue Überschriften reichen, die Story wird dann in umgeschriebenen Varianten immer wieder neu erzählt.
Zur spannenden Geschichte, also, was die Staatsanwaltschaft eigentlich verfolgt, Schmiergeld, Betrug, Steuerhinterziehung, etc., werden die wenigsten Medien konsequent recherchieren – denn das ist harte Arbeit und das kann man nur schlecht bebildern, das ist unsexy und weder gut für die Auflage noch für die Quote.
Die Operation „Cargo City Süd“ verlief verdeckt. Irgendwann am Vormittag verschafften sich die Ermittler auch in mindestens einem Weinheimer Anwesen Zutritt, um die Wohnräume zu durchsuchen. Noch nicht einmal die Polizeidirektion Heidelberg war eingeweiht – das Landeskriminalamt angeblich schon, wie wir auf Nachfrage erfahren haben. Hatte man Sorge, dass die Operation nicht einwandfrei laufen könnte? Eine Frage, die gestellt werden muss – ob sie jemand beantwortet, ist fraglich. Wir haben noch niemanden gefunden…
Aus einer Quelle erfahren wir, dass die drei festgenommenen Personen die „Nehmer“ sind, also die Schmiergeldbezieher. Der Hinweis könnte bedeuten: Die anderen sieben Verdächtigen sind Schmiergeldzahler. Heißt übersetzt – die Käufer der geschmierten Immobilien haben mit Sicherheit das Schmiergeld mitbezahlt, ob mit oder ohne Wissen. Auch diese Frage ist spannend.
Die Schmiergeldzahlungen sollen über einen 73-jährigen liechtensteiner Treuhänder mittels fingierter Rechnungen abgewickelt worden sein. Auch der Treuhänder wurde laut Staatsanwaltschaft verhaftet. Insgesamt soll die Schmiergeld-Summe 630.000 Euro betragen. Zur Sicherung der Vermögensabschöpfung wurden Beschlagnahmungen von Werten in Höhe von 2,9 Millionen Euro vorgenommen.
Dokumentation der Pressemitteilung:
„Bundesweite Durchsuchungen wegen des Verdachts der Bestechung im geschäftlichen Verkehr
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt, Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Umwelt- und Wirtschaftsstrafsachen, führt ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr, der Untreue, des Betruges, der Geldwäsche und der Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit der Entwicklung der Cargo City Süd am Flughafen Frankfurt/M.
Das Verfahren richtet sich derzeit gegen 10 Beschuldigte.
Einer der Beschuldigten (50) war bis Juni 2008 als leitender Angestellter bei der Fraport AG mit der Entwicklung der Cargo City Süd beschäftigt. In diesem Zusammenhang entwarf er Vorstandsvorlagen für die Vergabe von Erbbaurechten und schloss anschließend für die Fraport die entsprechenden Verträge mit verschiedenen Unternehmen ab. Mit diesen Verträgen verpflichteten sich die jeweiligen Erbbauberechtigten gegenüber der Fraport, das betreffende Erbbaugrundstück am Frankfurter Flughafen mit Gebäuden für Speditions- und Logistikbetriebe zu bebauen und diese Betriebe dauerhaft zu betreiben oder betreiben zu lassen. In diesem Zusammenhang wird der Beschuldigte verdächtigt, als Gegenleistung für die bevorzugte Bestellung von Erbbaurechten von zwei Firmen Schmiergeldzahlungen erhalten und von einer weiteren Firma gefördert zu haben. Ferner soll er für den Verkauf eines Grundstückes auf dem Caltex-Gelände Schmiergeldzahlungen entgegengenommen haben.
Die Schmiergeldzahlungen sollen größtenteils über Scheinrechnungen eines liechtensteinischen Treuhändlers an einen Frankfurter Immobilienmakler generiert worden sein. Insgesamt sollen ca. 630.000,00 Euro auf ein liechtensteinisches Geschäftskonto überwiesen und sodann in bislang nicht genau bestimmbarer Höhe weitergeleitet worden sein. Zudem soll der ehemalige Mitarbeiter der Fraport mit einem der Beschuldigten einen Beratungsvertrag abgeschlossen haben, über den ebenfalls Schmiergelder generiert worden sein sollen.
Heute wurden bundesweit sowie in Liechtenstein insgesamt 28 Wohnungen und Geschäftsräume durchsucht. Dabei waren ca. 200 Polizeibeamte und 14 Staatsanwälte im Einsatz. Zur Sicherung der Vermögensabschöpfung bestehen dingliche Arreste in Höhe von insgesamt ca. 2.900.000,00 Euro.
Der beschuldigte ehemalige Fraport-Mitarbeiter, der 53-Jährige Immobilienmakler und der 73-Jährige liechtensteiner Treuhänder wurden aufgrund bestehender Haftbefehle festgenommen.
Doris Möller-Scheu
Oberstaatsanwältin“