Mannheim, 10. Juli 2017. (red/cr) Was kann Mannheim tun, um in Zukunft eine lebenswerte Stadt zu sein? Seit März beschäftigen sich nicht nur mehr Stadtplaner regelmäßig mit dem Thema, sondern auch Bürger. Beim Projekt „Willkommene Perspektiven – Migrants4Cities“ arbeiten Mannheimer Migrantinnen und Migranten gemeinsam an technischen und sozialen Innovationen. Im Oktober 2018 sollen die Ideen marktreif sein. Beim ersten öffentlichen Workshop am vergangenen Freitag zeigten sich bereits erste Trends.
Von Christin Rudolph
Fabrizio ist 33 Jahre alt und arbeitet als Ingenieur. Für sein Studium ist er nach Mannheim gezogen. In seiner Zeit als Student hatte er viele Kontakte zu anderen Studierenden.
Doch immer mehr seiner alten Freunde ziehen weg. Zu seiner Nachbarschaft und Ur-Mannheimern hat er wenig Kontakt. Daher ist er oft allein. Wie können wir Fabrizio helfen? Wie können wir Neu-Mannheimern zeigen, wie die Mannheimer ticken?

Fabrizio ist eine von fünf Personas der Gruppe Zusammenleben, die sich mit sozialen Innovationen wie Orten des Austauschs beschäftigt.
Das ist eine von vielen Fragen, die sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim Stadtentwicklungsprojekt Migrants4Cities stellen.
Verschiedenste Sichtweisen kommen zusammen
In insgesamt neun Workshops entwickeln seit März 20 hochqualifizierte Migranten und Migrantinnen aus unterschiedlichen Ländern und Fachgebieten Lösungen für Mannheim. Am vergangenen Freitag fand der dritte und erste öffentliche Workshop-Tag statt.
Bei Migrants4Cities arbeitet je eine Gruppe an dem Themenfeld Wohnen, Arbeiten, Mobilität, Zusammenleben oder Mitmachen. Fabrizios Problem zählt zum Thema Zusammenleben. Ihn gibt es nicht wirklich. Er ist eine fiktive Person.
Die Probleme sind allerdings echt. Die Projektteilnehmer und – teilnehmerinnen haben sich „umgehört“ – in ihrer Nachbarschaft, im Bekanntenkreis, auf Arbeit. Was stört etwa Menschen am Zusammenleben in Mannheim, was finden sie gut? Wie lernt man eigentlich neue Menschen kennen?
Zuerst das Problem, dann die passende Lösung
„Personas“ wie Fabrizio bilden einen Querschnitt der interviewten Personen. So sollen Motivationen, Probleme und Bedarfe der Menschen herausgearbeitet werden.
Denn wenn klar ist, was gebraucht und gewollt wird, lassen sich besser nachhaltige Lösungen entwickeln.
Das ist einer der Aspekte der Methode des Projektes – Urban Design Thinking. Sie wurde an der Technischen Universität Berlin entwickelt und wird bei Migrants4Cities in Mannheim erstmals in großem Stil auf Stadtplanung angewandt.
Wissenschaftlich methodische Betreuung

Marcus Jeutner und die anderen Coaches helfen, die Ideen und Diskussionsergebnisse in Leitfragen und konkrete Lösungsansätze zu fassen.
Marcus Jeutner, Projektverantwortlicher von der TU, findet das extrem spannend:
Man kann viele soziodemografische Statistiken lesen, aber hier kommen Erfahrungen aus dem Alltag der Menschen zusammen.
Er und vier seiner Kollegen sind als Coaches mit in den Arbeitsgruppen dabei. Sie strukturieren die Diskussionen und Ideen der Gruppen, formulieren Zwischenergebnisse.
Das ist auch nötig, denn beim letzten Workshop im Oktober 2018 sollen bereits marktfähige technische und soziale Innovationen präsentiert werden.
Verwaltung ist einbezogen
Damit diese tatsächlich in Mannheim umgesetzt werden können, werden die Gruppen thematisch von Fachkräften aus der Verwaltung begleitet.
Was ist möglich, wozu gibt es Anknüpfungspunkte zu bestehendem Engagement und was ist auf keinen Fall umsetzbar?
Durch die Expertise der Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter können die Gruppen effektiv arbeiten. Von den in den Workshops erarbeiteten Lösungen soll jedoch nicht nur Mannheim profitieren.
Sind die Ideen übertragbar?
13 Städte sind Lernpartner des Projekts. Sie bekommen zum einen Dokumentationen über die Ergebnisse der Workshops. Zudem waren beispielsweise am Freitag Vertreterinnen der Städte Wolfsburg und Heilbronn vor Ort.
Zum anderen beantworten etwa 40 Akteure aus Verwaltung, Wirtschaft und Migrantenverbänden und -vereinen dieser 13 Städte Umfragen des inter 3 Instituts für Ressourcenmanagement.
Dabei soll herausgefunden werden, wie man Wissen am besten zwischen den Städten transferieren kann. Zudem untersucht das Institut, ob Hochqualifizierte mit Migrationserfahrung besondere Kompetenzen in Stadtentwicklungsprozesse einbringen – und wenn ja, welche.
Ausschließlich Hochqualifizierte
Im Vorfeld des Projektes waren Bedenken bezüglich der Gruppenzusammensetzung geäußert worden. „Was ist, wenn wir etwas übersehen?“, hatte etwa Maria Petrova gefragt. Sie ist in der Gruppe Mitmachen und fragt sich unter anderem, was Menschen zu Engagement motiviert.
An einem normalen Freitag ist Frau Petrova Referentin für Qualitätsmanagement an der Universität Mannheim. Genauso wie die anderen 19 Migrantinnen und Migranten im Projekt ist sie hochqualifiziert.
Am diesem Freitag, dem dritten Workshop des Projektes Migrants4Cities, zeigte sie sich zuversichtlich.
Überraschungen in den Gesprächen
Bei den Interviews mit Menschen aus ihrem Umfeld habe sie sich selbst und ihre eigenen Erfahrungen zurückstellen und die Perspektive des anderen einnehmen müssen. So würden Probleme und Anregungen mit in die Workshops getragen.
Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg.
Bei diesen Interviews gab es auch Überraschungen. So fand zum Beispiel die Gruppe Mobilität heraus, dass viele Fahrradfahren, obwohl hier Ausbaubedarf herrscht. Die Gesprächspartner fahren also aus Überzeugung mit dem „kleineren Übel“, aber nicht, weil Fahrradfahren in Mannheim so schön ist.
Anregungen aus verschiedenen Teilen der Gesellschaft
Die Gruppe Arbeiten hat mit Arbeitgebern gesprochen, vom Start-Up-Gründer bis hin zu Führungskräften etablierter Unternehmen, sowie mit Arbeitnehmern, vom Büroangestellten bis zum Werkstudenten.
Über diese verschiedenen Ebenen haben sie mehrere Themen mit viel Diskussionsbedarf identifiziert: Netzwerken, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit, mobiles Arbeiten.
Zahra Deilami, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Mannheim, sieht ebenfalls Vorteile in der Auswahl der Projektteilnehmerinnen und -teilnehmer:
Migranten sind ein Teil der Zukunft.
Hochqualifizierten spricht sie ein besseres Reflexionsvermögen zu. Sie könnten daher besser mehrere Interessen repräsentieren.
Nehmende und Gebende
In ihrem Arbeitsalltag, erzählte sie, habe sie oft mit Migrantinnen und Migranten mit niedrigem oder mittlerem Bildungsstand zu tun. Diese Gruppe werde meist als „nehmend“ wahrgenommen – als Nehmer von Unterstützung wie Förderprogrammen und ähnlichem.
Besonders Frau Deilami weiß, dass Migranten keine homogene Gruppe sind. Gerade deswegen freut sie sich, dass bei Migrants4Cities Hochqualifizierte berücksichtigt werden:
Auch diese Zielgruppe braucht den Dialog.
Sie zeigte sich sehr begeistert von dieser Art der Beteiligung.
Zwei Drittel kommen noch
Sie weiß aber auch, dass es beim Zusammenleben nicht nur auf fachliche Qualifikationen ankommt:
Schulische Bildung ersetzt interkulturelle Kompetenz nicht.
Wie die Prototypen der Gruppen später aussehen werden, welche Probleme sie lösen sollen und was davon tatsächlich einmal in Mannheim umgesetzt werden wird, kann aktuell nur spekuliert werden.
Der nächste öffentliche Workshop des Stadtplanungsprojektes Migrants4Cities soll im Frühjahr 2018 stattfinden. Dann sollen bereits Prototypen für Projekte vorgestellt werden.
Hintergründe zum Projekt finden sich im Artikel zum Auftakt von Migrants4Cities.