Hardheim/Rhein-Neckar, 09. Oktober 2015. (red/pro) Als Bürgermeister Volker Rohm (Freie Wähler) einen „Leitfaden für Flüchtlinge“ auf der Internetseite der kleinen Odenwald-Gemeinde Hardheim veröffentlicht, entrüsten sich überregionale Medien: „Bürgermeister vergreift sich im Ton“, meint Spiegel Online, „Flüchtlings-Knigge löst Kritik aus“, schreibt die Süddeutsche Zeitung, „Das Dokument bedient sich vieler Vorurteile“, resümiert Die Welt. Der Bürgermeister hingegen berichtet von „hunderten Zuschriften von Menschen, die unseren Leitfaden richtig finden“.
Von Hardy Prothmann
Der „Empörungsreflex“ des politisch-korrekten Journalismus funktioniert wie immer eindeutig: Da veröffentlicht ein Bürgermeister ein Dokument „Hilfestellung und Leitfaden für Flüchtlinge“ und sofort rauscht es im Blätterwald: „Klischeehaftes Denken“ (Merkur), „Keine gute Idee“ (Frankfurter Rundschau), „…könnte nach hinten losgehen“ (Stuttgarter Zeitung). „Empörung über Flüchtlings-Knigge“ (Neue Osnabrücker Zeitung) – und so weiter und so fort.
Was erregt diese „Empörungswelle“? Ein freundlich verfasster Text mit einfachsten „Benimm-Hinweisen“ zum Wie und Wo man seine Notdurft verrichtet und wo man sich wie aufhalten darf und wie man miteinander umgeht. Es kommt auf den Standpunkt des Betrachters an, nicht alle, aber die meisten Medien versuchen den Vorgang zu skandalisieren.
Bürgermeister Rohm gibt am Telefon bereitwillig Auskunft:
Wir haben aktuell 1.000 Flüchtlinge auf knapp 4.700 Einwohner in der Kerngemeinde. Das ist vollkommen unverhältnismäßig. Ohne das sehr große ehrenamtliche Engagement der Hardheimer würde nichts funktionieren. Es gibt aber zunehmend Probleme und darauf habe ich reagiert.
Insgesamt zählt die Gemeinde im Nordosten Baden-Württembergs (Neckar-Odenwald-Kreis) 6.800 Einwohner – bislang waren hier 340 „Kreisflüchtlinge“ untergebracht, weitere 660 „Landesflüchtlinge“ zogen seit Mitte September in die frühere Carl-Schurz-Kaserne der Bundeswehr ein. Die Sorge geht um, dass es mehrere Tausend werden könnten.
Laut Bürgermeister ist das, was er im Schreiben anspricht, bestätigt: In Büschen und Hecken verrichtete Notdurften, Eindringen auf Privatgelände, respektloser Umgang mit Frauen und weiteres Fehlverhalten, was sich aus dem „Leitfaden“ herauslesen lässt:
Viele Medien interpretieren das Schreiben als „Benimmregel“ oder „Knigge“ – das ist es nicht. Es ist eine Handreichung, es sind Hinweise auf klare Regeln, damit ein Zusammenleben gut und problemlos funktioniert. Nicht mehr, nicht weniger.
Er lasse sich nicht in die rechte Ecke stellen und seine Gemeinde schon gar nicht:
Wir geben uns hier jede Mühe um ordentlich zusammenzuleben. Die Politik des Landes ist aber katastrophal. Man kann einen kleinen Ort nicht so verantwortungslos überfordern. Unsere Gemeinschaft zeigt hier einen hohen Einsatz, aber ich stelle auch fest, dass ein Wandel eintritt. Die Menschen wollen helfen, sind aber an einem Punkt, wo sie Unterstützung erwarten und nicht noch mehr Belastungen.
Bürgermeister Rohm argumentiert vollständig vernünftig und ohne „böse“ Andeutungen. Vor seinem Amtsantritt am 01. August war der Revierförster 14 Jahre lang Gemeinderat und davon neun Jahre stellvertretender Bürgermeister im Ort – im Mai wurde er zum neuen Bürgermeister gewählt. Seit 28 Jahren lebt er in der Gemeinde.
Er wehrt sich gegen die üblichen Gerüchte:
Da wurde behauptet, es würden bei den Flüchtlingen IS-Flaggen gezeigt. Alles fremdenfeindliches Gerede, das wir schnell aufgeklärt und unterbunden haben. Ebenso Fantasiegespinste von „geschlachteten Schafen“ und so ein Zeug.
Aber – und das ist ihm wichtig – es komme täglich zu mehr Beschwerden, die nehme er ernst und fordert nun mehr Aufmerksamkeit für die Einwohner:
Der Leitfaden gibt nur einfachste Hinweise für ein gutes Zusammenleben in einfacher Sprache – ich brauche keine Abhandlung, sondern auch schriftliche und klar verständliche Hinweise an diese Menschen, was geht und was nicht geht. Bislang geschah das mündlich durch den Betreiber, jetzt bekommen die Menschen das schriftlich, in verschiedenen Sprachen. Das ist weit wichtiger als das Grundgesetz auf arabisch.
Aus seiner Sicht ist sein Vorstoß ein Versuch der Selbsthilfe:
Die Kreisflüchtlinge versuchen wir mit viel Energie einzubinden – ob die Kinder in der Schule oder die Betreuung durch ehrenamtliche Helfer. Aber die Landesflüchtlinge sind überwiegend noch nicht mal registriert, werden von hier zum Drehkreuz nach Heidelberg gefahren und später woandershin verteilt. Da können sie keine Integrationsarbeit leisten, sondern nur Hinweise geben, wie man sich so verhält, dass es keinen Ärger gibt. Ohne diese Hinweise wird es den aber geben.
A propos „Verhältnismäßigkeit“ – Rheinneckarblog-Leser/innen erinnern sich an die Aufregungen in Heidelberg-Kirchheim. Hier waren knapp 16.000 Einwohner des Stadtteils mit zunächst 1.000, dann 2.000, dann 3.000 und aktuell 4.500 Asylbewerbern im Patrick Henry Village „konfrontiert“. Die Sorgen der Bewohner waren mehr oder weniger deckungsgleich – der Unterschied: Heidelberg hat 150.000 Einwohner. Wollte man die „Belastung“ der Gemeinde und der Stadt in Beziehung setzen, wäre das so, als wären in Heidelberg rund 32.000 Flüchlinge untergebracht, also zehn Mal mehr als jetzt. Auf Mannheim bezogen wären es 64.000 Flüchtlinge.
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Lesetipp
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Selbst dieser Vergleich würde „hinken“ – denn Großstädte sind Großstädte, der Umgang mit „fremden“ Menschen ist hier anders „gewohnt“ als in kleinen Gemeinden.
All das berücksichtigen die „politisch-korrekten“ Empörungsmedien nicht – es reicht, dass man einen kleinen Ort vermeintlich skandalisieren kann. Trotzdem kann man den „Leitfaden“ natürlich kritisieren – aber mit Argumenten, nicht mit schnellen Vorurteilen.
Wir verweisen deshalb gerne auf die Stadt Hemsbach und das dortige Konzept für Integration – hier hat man keinen Handzettel ausgegeben, sondern ganz praktisch geübt. Wie begegnet man sich in Deutschland, wie benutzt man eine Toilette, wie geht man mit Frauen um, welche weitere grundsätzliche Regeln gibt es, die auch Flüchtlinge zu beachten haben.
LINK: Hier der Text auf der Gemeindeseite von Hardheim.
Und noch ein Lesehinweis – den mit Abstand dümmsten Artikel zum Thema hat die „Jugendseite“ Fudder aus dem Haus „Badische Zeitung“ veröffentlicht: „Die 17 Lügen im Hardheimer Flüchtlings-Knigge“
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