Heidelberg/Rhein-Neckar, 10. April 2013. (red/ld) Die Regensburger Kanzlei Urmann und Co. wollten Personen an den „Porno-Pranger“ stellen, die über Tauschbörsen einschlägige Filme heruntergeladen hatten – dieses Vorhaben ist rechtswidrig. Allerdings: Wer Filme, Musik und Software aus dem Internet über Tauschbörsen herunterläd, muss weiter mit Abmahnschreiben und hohen Kosten rechnen, sofern der Tausch illegal ist. Doch bevor man die Abmahnkosten zahlt und eine Unterlassungserklärung unterschreibt, sollten Nutzer einen Rechtsanwalt einschalten. Das spart Geld und Ärger. Jetzt stehen die abmahnenden Anwälte von U+C selbst im Visier der Justiz.
Von Lydia Dartsch
In der vergangenen Woche berichtete Stefan Aigner von unserem Partnerblog „Regensburg Digital“ über die Ermittlungen der Regensburger Staatsanwaltschaft gegen die Abmahnkanzlei Urmann und Co.
Im August hatte die Kanzlei angekündigt, eine sogenannte „Gegnerliste“ im Internet zu veröffentlichen. Darauf sollten die Namen von Betroffenen veröffentlicht werden, die von der Kanzlei abgemahnt wurden. Dem Vernehmen nach, weil sie angeblich illegal Filme – vornehmlich Pornos – aus dem Internet herunter- bzw. hochgeladen haben. Einem Bericht des Regensburger Wochenblatts zufolge sei aus Kreisen der Kanzlei die Zahl von 150.000 Betroffenen „durchgesickert“. Immerhin 0,2 Prozent der deutschen Bevölkerung. (Regensburg-digital.de, 02. April 2013)
Der Heidelberger Rechtsanwalt Andreas Forsthoff hat sich auf Urheberrecht und gewerblichen Rechtsschutz spezialisiert. Von den 150.000 Betroffenen vertritt er 250. Fast alle sind Privatpersonen. Er rät jedem, einen Anwalt einzuschalten, wenn ein Abmahnschreiben im Briefkasten liegt. Falsche Scham, wenn es dabei um Pornofilme geht, sollten die Mandanten nicht haben, sagt er.
Ermittlungssoftware überwacht das Netz
Den Anfang nimmt das Abmahnverfahren, wenn der Nutzer auf der Webseite einer Tauschbörse „Herunterladen“ klickt und urheberrechtlich geschützte Inhalte illegal downloadet. Dafür müssen die Nutzer zunächst eine Tauschbörsensoftware installieren. Über diese werden die heruntergeladenen Dateien automatisch anderen Nutzern zum Download angeboten – über den freigegebenen „Shared Files“-Ordner auf dem jeweiligen Computer. Andere Nutzer können diese Dateien dann über das Internet von dem Rechner laden.
Mit einer Ermittlungssoftware überwachen die Abmahnanwälte oder beauftragte Firmen solche Tauschbörsen. Die Software sucht gezielt nach den „Hash“-Werten von urheberrechtlich geschützten Dateien.
Der Hashwert ist der digitale Fingerabdruck einer Datei.
sagt Andreas Forsthoff. Findet die Software die gesuchten Dateien, wählt sie sich in die Tauschbörse ein und lädt probeweise ein Stück der Datei herunter. Gleichzeitig ermittelt das Programm die IP-Adresse des Anbieters. Jetzt kann das Abmahnverfahren seinen Lauf nehmen:
Es bringt auch nichts, die Datei schnell aus dem Shared-Files-Ordner wieder zu löschen. Die IP-Adresse kann schon ermittelt werden, während der betreffende Nutzer die Datei herunterlädt. Das Netz wird sehr engmaschig bewacht.
Mit der IP-Adresse lassen sich eindeutig die Namen und Adressen der Nutzer ermitteln. Wem wann welche IP-Adresse zugeordnet war, ist beim Provider gespeichert. Ohne weiteres kommen die Kanzleien nicht an diese Daten, denn diese unterliegen dem Datenschutz.
Der Provider darf Daten ohne richterliche Anordnung nicht herausgeben
Die Abmahnanwälte brauchen eine richterliche Anordnung, um an die Adressen zu kommen. Bei dem für den Provider zuständigen Landgericht stellen die Kanzleien einen Antrag. Sobald der Antrag eingeht, wird der betreffende Provider angeschrieben, seine Verkehrsdaten für das Ermittlungsverfahren aufzubewahren. Normalerweise werden die Daten nach einer Woche gelöscht.
Das Landgericht stellt eine einstweilige Anordnung an den Rechteinhaber oder den beauftragten Rechtsanwalt aus. Dem Provider wird der Beschluss zugestellt, die betreffenden Adressdaten der Abmahnkanzlei zuzuschicken, die dann mit Textbausteinen ein Abmahnschreiben verfasst:
„Ich verpflichte mich dazu, … zu unterlassen.“
In dem Abmahnschreiben wird gefordert, eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben und zurückzusenden. Darin verpflichten sich die Nutzer, die urheberrechtlich geschützten Inhalte nicht weiter zu verbreiten. Andernfalls droht eine Vertragsstrafe mit Kosten von mehreren tausend Euro. Außerdem werden den Abgemahnten die entstandenen Anwalts- und Verfahrenskosten in Rechnung gestellt sowie ein Schadensersatz gefordert.
Die Abmahnung enthält meist auch ein Vergleichsangebot – das heißt weniger Arbeit für die Abmahnanwälte bei satten Einnahmen:
Es heißt: Zahl 1.200 Euro. Dann gehen wir nicht vor Gericht. Das macht diese Verfahren so lukrativ für Abmahnkanzleien.
sagt Rechtsanwalt Forsthoff. Lukrativ ist es vor allem deshalb, weil die Ermittlungsprogramme gleich hunderte IP-Adressen sammeln und ebenso viele Abmahnverfahren ins Rollen bringen. Darauf eingehen sollte man aber nicht:
Die Abmahnung sollte eigentlich dem Abgemahnten einen kostengünstigen Weg ebnen, um eine Rechtsverletzung zu beheben.
sagt er. Um das Verfahren wirklich kostengünstig abzuwickeln empfiehlt Rechtsanwalt Forsthoff, einen Anwalt einzuschalten, der eine sichere Unterlassungserklärung aufsetzt und künftigen Ärger und Vertragsstrafen vermeiden kann. Außerdem können die geforderten Kosten noch gesenkt werden:
Es gibt immer eine Möglichkeit, den Betrag zu reduzieren. Man kann aber auch die Unterlassungserklärung abgeben und sagen: Ich zahle nicht. Dann muss man die dreijährige Verjährungsfrist abwarten.
Mit anwaltlicher Hilfe die Abmahnkosten senken
Die Frist beginnt zum 01. Januar des Folgejahres. Für Verfahren aus 2013 läuft sie also vom 01. Januar 2014 bis zum 31. Dezember 2016. Passiert in der Zeit nichts mehr, ist das Verfahren erledigt:
Das kann reichen. Es kommt immer darauf, an wie klagefreudig die Abmahnkanzleien sind und ob die Abgemahnten anwaltlich vertreten sind. Ich habe beobachtet, dass man die in der Regel in Ruhe lässt.
Um horrende Anwaltshonorare zu umgehen, rät der Rechtsanwalt, mit dem eigenen Rechtsbeistand eine Pauschale für die außergerichtlichen Verfahren zu vereinbaren, bevor der Auftrag erteilt wird. 250 Euro werden bei der Rechtsanwaltskanzlei Forsthoff fällig. Die Pauschale decke die Unterlassungserklärung sowie den weiteren Schriftverkehr in der Sache während der Verjährungsfrist ab.
Unser Ziel ist es, dass es mit der Unterlassungserklärung getan ist, und keine weiteren Forderungen auf unsere Mandanten zukommen.
Dubiose Geschäftspraktiken und Betrugsverdacht
Die „Pornopranger-Anwälte“ Urmann und Co aus Regensburg stehen nun allerdings selbst im Visier der Staatsanwaltschaft. Gegen sie wird wegen des Verdachts auf versuchten Betrug ermittelt. Der Grund sind Abmahnungen gegen Internethändler wegen fehlerhafter AGBs, die die Kanzlei im Auftrag der Firma KVR verschickt hatte.
Hinter KVR verbirgt sich Frank Drescher, ein „Internetabzocker“, wie er ihn Stefan Aigner in seinem Beitrag auf Regensburg-digital.de bezeichnet. Angesichts der Masse an verschickten Abmahnungen besteht der Verdacht, dass Frank Drescher nur vorgibt, einen Internethandel zu betreiben:
Damit eine Abmahnung wegen fehlender oder falscher AGBs berechtigt ist, muss zuerst eine Wettbewerbssituation zwischen den beiden Firmen bestehen. In der Menge der Abmahnungen, die im Namen von KVR verschickt worden waren, müsste die Firma einfach alles verkaufen,
sagt Andreas Forsthoff, der auch in diesem Fall zahlreiche Betroffene vertritt. Aus seiner Sicht scheint das Wettbewerbsverhältnis konstruiert. Zudem liege der Verdacht nahe, dass die Kanzlei Urmann und Co finanzielle Absprachen mit der Firma KVR getroffen hatte. Andernfalls dürfte sich dieses Vorgehen für Geschäftsführer Frank Drescher kaum lohnen, so die Überlegung. Die in den Abmahnungen geforderten Anwalts- und Verfahrenskosten werden nur auf das Konto der Anwälte gezahlt. Herr Drescher selbst hätte davon nichts.
Die Regensburger Staatsanwaltschaft ermittelt in dem Fall (Aktenzeichen 103 Js 16997/12). Vor dem Amtsgericht Regensburg läuft außerdem ein Verfahren wegen einer Regressklage gegen die Anwaltskanzlei (Az. 4 C 3780/12). Der Verhandlungstermin wurde für den 26. April festgelegt.