Weinheim/Hirschberg/Rhein-Neckar, 10. April 2018. (red/pro) Der noch amtierende Weinheimer Oberbürgermeister Heiner Bernhard (SPD) hat seine Mitarbeiter angewiesen, auf Öffnung von Gesichtsschleiern zu bestehen, wenn dies behördlich notwendig ist. Beim Neubürgerempfang wurde eine vollverschleierte Frau deutscher Staatsbürgerschaft abgewiesen. Beides erzeugte Schlagzeilen. Wir wollten vom Kandidaten Manuel Just (39, parteilos) wissen, der selbst Bürgermeister in Hirschberg ist, wie er mit dem Thema umgehen würde.
Interview: Hardy Prothmann
Der noch amtierende Oberbürgermeister Heiner Bernhard ist derzeit in den Schlagzeilen, weil er seine Verwaltung angewiesen haben soll, vollverschleierten Frauen keine Pässe auszustellen und wohl auch eine Neubürgerin (vermutlich dieselbe Frau) beim Neubürgerempfang abgewiesen worden ist. Sie selbst sind amtierender Bürgermeister in Hirschberg und Kandidat für die kommende Oberbürgermeisterwahl im Juni in Weinheim. Was würden Sie gegenüber Ihren Verwaltungsmitarbeiter/innen anordnen, wenn eine vollverschleierte Frau einen neuen Pass möchte?
Manuel Just: Einen vergleichbaren Fall hatten wir in Hirschberg bisher noch nicht, was mich demzufolge auch noch nicht veranlasst hat, über das Thema intensiver nachzudenken oder dieses über eine Anweisung zu regeln. Gleichwohl kann ich die Intention meines Amtskollegen der Stadt Weinheim verstehen, da gegebenenfalls die Identifikation im Rahmen behördlicher Vorgänge durch eine Vollverschleierung erschwert oder gar überhaupt nicht durchgeführt werden kann. Nach meiner Rechtsauffassung gibt es im Personenstands- und Melderecht sogar in der Tat auch einschlägige Richtlinien. Hier heißt es beispielsweise: …“Das Gesicht muss von der unteren Kinnkante bis zur Stirn erkennbar sein.“ Eine ergänzende Dienstanweisung kann insofern auch eine Art Gleichbehandlung für dieses Fälle erwirken, um sich gegebenenfalls dem Eindruck einer Einzelfallbetrachtung zu entziehen. Sollte die „Verschleierung“ weiterhin möglich sein und gleichzeitig ein Öffnen tatsächlich erforderlich sein, (solange es der Gesetzgeber nicht abschließend regelt), so könnte das Öffnen in Würdigung des religiösen Glaubens selbstverständlich nur von Frau zu Frau und bestenfalls in einem Nebenraum erfolgen.
Es fehlt an gesetzlichen Handhaben
Die Nebenraumlösung wäre also geeignet, die Entscheidung der Frau für eine Vollverschleierung zu respektieren und die gesetzlichen Grundlagen trotzdem einzuhalten. Das könnte man als „Bürgerservice“ einordnen. Die Frage bleibt trotzdem: Wie weit kommt man „einzelnen“ Bürgern entgegen und wann ist Schluss mit Rücksichtnahmen?
Just: Aktuell fehlt es mir an einer gesetzlichen Handhabe als Behörde gar nicht mit vollverschleierte Menschen in Kontakt zu treten, da teilweise eine Identifikation für einige Behördenangelegenheiten nicht notwendig ist. Manche Fragen werden ja auch am Telefon beantwortet. Gleichwohl halte ich es für notwendig, dass der Gesetzgeber sich diesem Thema annimmt, um eine klare Regelung hierzu zu treffen, denn ähnlich wie mein Kollege sehe auch ich, dass der Islam zu einem weltoffenen Deutschland gehört, die Vollverschleierung – nicht zuletzt auch aufgrund des steigenden Sicherheitsbedürfnisses der Menschen vor Ort – allerdings nicht.
Es sollte ein Verbot der Vollverschleierung geben
Hätten Sie der vollverschleierten Frau ebenfalls den Zugang zum Neubürgerempfang verweigert? Wem noch und warum?
Just: Die Frage ist schwierig zu beantworten und ich bin froh, dass ich nicht ad hoc entscheiden musste. Natürlich kann man über das Hausrecht argumentieren und ich verstehe den Ansatz meines Kollegen, dem ich mich wahrscheinlich auch angeschlossen hätte. Auch ich möchte das Gesicht meines Gegenüber sehen und würde andere Personen mit Motorradhelm oder Sturmmaske genauso abweisen wie jemanden mit Vollverschleierung. Ich stelle mir allerdings die Frage der Durchsetzbarkeit in unserem Rechtsstaat. Stichwort: Zugang zu öffentlichen Einrichtungen. Gegebenenfalls würde an dieser Stelle daher eine klare gesetzliche Regelung ebenfalls helfen, um den Behörden eine Möglichkeit zum rechtssicheren Handeln an die Hand zu geben. Bei Versammlungen haben wir dies beispielsweise. In einem Fußballstadion darf man sich auch nicht vermummen.
„Weinheim bleibt bunt“ ist von mehreren Organisationen und Personen getragen, die sich gegen „rechte Umtriebe“ positioniert und für Akzeptanz und Integration einsetzt. Ist es Ihrer Meinung nach richtig, wenn ein grüner Landtagsabgeordneter Hans-Ulrich Sckerl öffentlich bekennt, dass man Vollverschleierung akzeptiere?
Just: Meines Wissens werben auch Herr Sckerl und „Weinheim bleibt bunt“ dafür Gesicht zu zeigen. Zumindest war dies den hiesigen Zeitungen in den vergangenen Tagen zu entnehmen.
Zur Integration gehört das Erlernen der deutschen Sprache
Die Debatte über Vollverschleierung dauert schon lange an und die Positionen sind gesetzt. Wenn Sie Gesetzgeber wären, welches Gesetz würden Sie versuchen zu verabschieden?
Just: Wie oben bereits angedeutet glaube auch ich, dass die Vollverschleierung anders als der Islam nicht zu Deutschland gehört. Daher sollte es meines Erachtens tatsächlich ein Vollverschleierungsverbot geben. Wie dies juristisch sauber geregelt wird, wäre natürlich Aufgabe des Gesetzgebers. Damit wären die Behörden aus der in meinen Augen aktuell undurchsichtigen Rechtslage entlassen und hätten eine klare Handhabe.
Die gesellschaftliche Debatte um Integration ist Alltag. Auch hier zwei Fragen: Gehört der Islam für Sie zu Deutschland? Welche Pflichten sehen Sie bei Migranten, um sich erfolgreich zu integrieren?
Just: Inwieweit der Islam zu Deutschland gehört, habe ich meines Erachtens ja schon deutlich gemacht. Die wesentliche Verpflichtung bei Migranten sehe ich darin, die deutsche Sprache zu erlernen. Diese ist der Schlüssel für jegliches Verständnis – auch für das Verständnis für unsere Kultur.
Eine Gemeinde ist immer Vorbild
Insbesondere in Zusammenhang mit der NPD hat die Stadtverwaltung Weinheim enorme Fehler gemacht, die man „historisch“ bezeichnen kann. Es gab den bislang größten Polizeieinsatz in der Geschichte der Stadt mit enormen Kosten, verletzten Beamten und zahlreichen Strafverfahren gegen „Autonome“. Der Staatsgerichtshof erlaubte der NPD die Stadthalle für einen Bundesparteitag zu nutzen, weil belegt klar war, dass die Stadtverwaltung mit unlauteren Mitteln vorgegangen ist. Dazu zwei Fragen: Was halten Sie davon, dass man in Weinheim „alles“ getan hat, um eine rechtsradikale Partei zu verhindern und darüber hinaus, auch die AfD so gut es geht in demokratischen Rechten einzuschränken? Ist die Einschränkung demokratischer Teilnahme demokratisch?
Just: Auch diesbezüglich verstehe ich die Intention der Stadt. Weinheim ist eine weltoffene und tolerante Stadt und möchte dies auch bleiben. Dass dies nur im Rahmen der demokratisch festgelegten Spielregeln erfolgen darf – die nicht immer von der Stadt selbst festgelegt werden, sondern durch Gesetze, Rechtsprechung, etc. – versteht sich von selbst. Eine Gemeinde darf als Teil des Staates – und als Vorbild – immer nur mit den rechtlich-demokratisch zur Verfügung stehenden Mitteln agieren.
Repräsentative Demokratie und Bürgerbeteiligung schließen sich nicht aus
Sie haben als Bürgermeister selbst einen Bürgerentscheid betreut, der dazu führte, dass Hirschberg keine weiterbildende Schule mehr hat. Dazu zwei Fragen: Ist das ein Verlust für Hirschberg? Und wenn ja, halten Sie Bürgerentscheide trotzdem für sinnvoll?
Just: Grundsätzlich ist Hirschberg in einer anderen Situation als die Stadt Weinheim. Wir waren noch nie ein ausgewiesener Bildungsstandort und werden dies auch nie sein. Der weit überwiegende Teil unserer Schülerinnen und Schüler geht seit jeher in andere Gemeinden auf weiterführende Schulen. Weinheim hat – nicht zuletzt als Mittelzentrum – an dieser Stelle eine ganz andere Rolle in der Raumschaft. Auch wenn es eine schwierige Entscheidung und eine schwierige Phase für die Gemeinde und mich persönlich war, würde ich den Bürgerentscheid wieder befürworten. Zur Erinnerung: Im Gemeinderat stand es damals 9 zu 9 und meine Stimme wäre sozusagen die Entscheidende gewesen. In einer solchen Situation die Bürgerinnen und Bürger einzubeziehen und mitzunehmen, halte ich auch im Nachgang für völlig richtig. Um mich jedoch dem Vorwurf zu entziehen, selbst keine Entscheidung treffen zu wollen oder keine Meinung zu haben, habe ich deutlich gemacht, wie ich entschieden hätte. Im Ergebnis wird es für mich immer wieder Themen geben, die geeignet sind für einen Bürgerentscheid. Das Problem ist leider oftmals der Umgang, der im Zuge einer dabei vorgelagerten Diskussion, entsteht. Oftmals werden Auseinandersetzungen sehr emotional und persönlich. Ich glaube an dieser Stelle können wir in Deutschland noch viel lernen.
Bürgermeister nach der süddeutschen Ratsverfassung haben eine sehr große Machtfülle. Der Mannheimer OB Dr. Peter Kurz meinte einmal in einem Gespräch mit uns, die sei, im Vergleich gesehen, weitaus größer als die eines Bundeskanzlers, was die Wirkungsmacht angeht. Auch hierzu zwei Fragen: Sehen Sie das ähnlich und wenn ja, welche Verantwortung folgt daraus? Wie verhält sich eine solche Machtfülle mit Wünschen nach mehr Bürgerbeteiligung?
Just: Als Machtfülle würde ich es nicht bezeichnen, vielmehr als starke Stellung oder verantwortungsvolle Stellung. Denn letztendlich bleibt auch bei einer herausgehobenen Stellung des Bürgermeisters, da er in Baden-Württemberg auch Vorsitzender des Gemeinderats und stimmberechtigtes Mitglied dieses Gremiums ist, dennoch der Gemeinderat selbst das Hauptorgan.
Ferner glaube ich, dass sich repräsentative Demokratie und Bürgerbeteiligung gegenseitig nicht ausschließen. Das ist auch der Grund, warum ich im Falle einer Wahl zum Oberbürgermeister in Weinheim eine Richtlinie erarbeiten möchte, bei welchen Verfahren die Bürgerinnen und Bürger in welcher Art und Weise zu beteiligen sind.
Sie haben zwar Ihr Programm noch nicht veröffentlicht, aber „Partizipation und Bürgerbeteiligung“ ist eins der Themenfelder – das aber auch mit repräsentativ verliehener Macht konkurriert. Verraten Sie uns schon ein Bisschen, wie Sie das Dilemma lösen wollen?
Just: Das ist die gerade genannte Richtlinie. Darüber hinaus gibt es das ein oder andere weitere Beteiligungsinstrument, das ich im Köcher habe. Lassen Sie und die RNB-Leserschaft sich diesbezüglich in den kommenden Wochen einfach überraschen.