Mannheim, 10. April 2015. (red/pm) „Die große Errungenschaft von Ernst Ludwig Kirchner und den anderen Brücke-Künstlern war der ganz neue Umgang mit der Ölfarbe“, erklärt Katrin Radermacher, „sie verdünnten die Farben soweit wie nur irgend möglich.“ Die Restauratorin der Kunsthalle Mannheim beleuchtet seine besondere Maltechnik in ihrem Vortrag am Mittwoch, 15. April 2015 um 18:00 Uhr.
Information der Kunsthalle Mannheim:
„Um eine matte Farboberfläche zu erhalten, benutzte er wenig Bindemittel und gab außerdem Wachs hinzu, das er in Benzin löste. „Kirchner verwendete auch keinen Firnis am Ende, das der Farbe zwar Tiefe verleiht, aber eben auch seinen Glanz, den die Brücke-Maler alle vermeiden wollten. Seiner Maltechnik blieb Kirchner sein ganzes Künstlerleben treu.“
In ihrem Vortrag geht Katrin Radermacher auf die Palette des Malers ein und eruiert die Wirkung und Strahlkraft der in der Ausstellung gezeigten Werke anhand von Farbe und Pinselduktus. Ernst Ludwig Kirchner war Autodidakt wie Erich Heckel, Fritz Bleyl und Karl Schmidt-Rottluff, mit denen der 1905 in Dresden die „Brücke“ gründete.
Sie haben gemeinsam Bilder gemalt, gemeinsam Leinwände aufgezogen, die gleichen Rahmen genutzt sowie die ihre Malweise einander angenähert. Sie machten regen Gebrauch von Tubenölfarben, die Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts aufkamen.
Experementierfreude
„Plötzlich war eine riesige Palette an verschiedenen Anilin- bzw. Teerfarben erhältlich, die es vorher nicht gegeben hat – und Kirchner war sehr experimentierfreudig“, weiß Katrin Radermacher. Dass seine Gemälde erstaunlich haltbar sind, läge wohl am Anteil des Wachses und der Verbindung zur Grundierung.
Eine besondere Herausforderung stellt für Restauratoren die beidseitige Bemalung mancher Kirchner-Bilder dar, die noch bis zum 31. Mai 2015 in der Ausstellung „Der doppelte Kirchner. Die zwei Seiten der Leinwand“ in der Kunsthalle Mannheim thematisiert wird.
„Man muss jede der beiden Seiten wie ein einzelnes Gemälde behandeln und richtet seine Arbeit nach den Schäden der Seite, die man gerade restauriert“, erläutert die Expertin. Die Schäden können dabei sehr unterschiedlich, wenn eine Leinwand schon beidseitig bemalt war und dann gerollt wurde. „Die Innenseite ist dann deutlich angegriffener als die außen.“
Aufgerollt wurden Gemälde vor allem bei einem Umzug, als Kirchner 1911 von Dresden nach Berlin zog und später von Berlin nach Davos. „Für den Transport hat er viele seiner Bilder vom Keilrahmen abgespannt und aufgerollt – leider oft mit der Bildseite nach innen, was den Bildern nicht so gut getan hat, da dann viel Druck auf der Farbe lag“, so Radermacher. Oft wurden gar mehrere Bilder zusammen zu einer Rolle gewickelt.
Am neuen Wohnort angekommen, ergriff den Maler eine neue Schaffensphase. „Dann hat er kurzerhand einen der Keilrahmen zusammengesetzt und sich eine der Leinwände genommen und aufgezogen. Das hat er sein ganzes Leben lang und über seine ganze Schaffenszeit hinweg so gehandhabt.“ Unter Umständen hat er die Leinwände sogar zurechtgeschnitten. „Das hintere Bild war ihm in dem Moment nicht mehr wichtig.“
Aus restauratorischer Sicht kann die doppelseitige Bemalung nützlich sein und einen positiven Einfluss haben für die jeweilige Vorderseite: Diese wird durch die Bemalung der Rückseite geschützt, z.B. vor der Luftfeuchtigkeit einer kalten Galeriewand. „Grundsätzlich nutzen wir bei Gemälden immer eine rückseitige Schutzbespannung.“
Kooperationsarbeit
Dass Katrin Radermacher so umfassend über Ernst Ludwig Kirchners Arbeits- und Maltechnik Auskunft geben kann, liegt auch an einem interdisziplinären Forschungsprojekt, das bereits seit 2009 in Zusammenarbeit des Instituts für Technologie der Malerei in Stuttgart, dem Kirchner Museum Davos, dem Doerner Institut München, Staatsgalerie München und dem Schweizer Institut für Kunstforschung Zürich läuft. Hier arbeiten Kunsthistoriker, Restauratoren und Naturwissenschaftler zusammen und forschen über die Maltechnik Kirchners.
„Man darf nicht vergessen, dass Kirchner mit seiner Kunst gelebt hat“, bemerkt die Restauratorin. „Er war von seinen Werken umgeben und hat diese immer wieder, zeit seines Lebens verbessert. Dabei ist er wenig wissenschaftlich vorgegangen, sondern oft auch durchaus praktisch.“
Häufig sind die von ihm als Rückseiten hinterlassenen Bilder nur Studien oder Skizzen. So ist das auch bei dem Gemälde aus der Sammlung der Kunsthalle Mannheim: Während die Vorderseite, „Engelufer, Berlin“ (1913) ein ausgearbeitetes Werk darstellt, wirkt der „Marokkaner“ auf der Rückseite wie eine lebhafte, farbenfrohe Skizze.
Freier Eintritt
„Unser Gemälde ist übrigens das einzige mit der originalen zweiten Bespannung und dem Zierrahmen, den Kirchner ausgesucht hat“, erklärt Katrin Radermacher stolz. Schlussfolgern kann sie das aufgrund der Analyse der Farbspuren auf dem Rahmen.
Realisiert wird die Sonderschau „Der doppelte Kirchner. Die zwei Seiten der Leinwand“ als Kooperationsprojekt mit dem Kirchner Archiv in Wichtrach/Bern und dem Kirchner Museum Davos.
Der Vortrag von Katrin Radermacher findet am Mittwoch, 15. April 2015, um 18:00 Uhr statt. Der Eintritt ist frei, die Teilnehmerzahl wird begrenzt.