Heidelberg, 10. März 2016. (red/hmb) Gewissenlose Dreckskerle, blutiges Gebohre und zerzauste Rastalocken: Aktuell wird am Theater und Orchester Heidelberg mit “Richard III.” eines von William Shakespears beliebtesten Stücken aufgeführt. Es erzählt vom Aufstieg und vom tragischen Untergang des gleichnahmigen Widerlings.
Von Hannah-Marie Beck
Wer ist wie mit wem verwandt? Wer gehört zu welchem Haus? Und wer hat wen warum umgebracht?,
Fragen über Fragen – an denen man scheitern wird. Immer verwirrender wird die Handlung von William Shakespears Historiendrama “Richard III.” und immer unverständlicher die Beweggründe der Figuren.
So komplex, wie es auf den ersten Blick erscheint ist Shakespeares Stück aber eigentlich gar nicht: Letzten Endes dreht sich alles nur um eines: Macht. Und an der klebt ganz schön viel Blut.
Hervorragende Masken und Kostüme
Wilde Gitarrenklänge und Bässe. Grell-weißes “Stroboskoplicht”. Hohe metallene Wände.
All das passt nicht wirklich ins 15. Jahrhundert und zu der alten Sprache. Dennoch bilden in Elias Perrigs Inszenierung klassisch und modern ein stimmiges Bild. Eine spannende Mischung. Einen fließenden Übergang.
Besonders gelungen sind dabei Maske (unter der Leitung von Kerstin Geiger) und Kostüm (Sara Kittelmann), die eben diesen Übergang perfekt darstellen. Sie vereinen zum Beispiel Reifrock mit Lederboots, Jacket mit Rüstung und perfekt aufgetürmte Haare mit zerzausten Rastalocken.
Klassisch muss eben nicht immer klassisch sein und modern nicht immer modern. Zwar spielt das Stück vor vielen Jahren, doch das Thema ist top-aktuell.
Blutgeil bis zur Macht
Richard III. (überzeugend blutgeil und heuchlerisch: Andreas Seifert), hält nicht viel vom “Friedenstralala”. Er hat für sich selbst beschlossen ein Bösewicht zu werden und sich die Königs-Krone zu ergattern. Zu verlieren hat er nichts – ist er doch sowieso schon ein Ausgestoßener, bucklig und hässlich. Ein Einzelgänger, der alle am Hofe nur anwidert. Ein Mann, der noch nicht einmal mehr Mitleid für sich selbst empfinden kann.
Kluge Kinder sterben früh,
meint er. Doch nicht nur Kluge, nicht nur Kinder müssen ihr Leben auf Richards Weg zur Krone lassen: Richards Bruder, seine Neffen, seine Frau,… – am Schluss sind nahezu alle tot. Im wahrsten Sinne des Wortes “durchbohrt”.
Vom Schweigen und Wegsehen
Das Stück spielt in England zur Zeit der Rosenkriege. Die Adelshäuser York und Lancaster leben zwar gemeinsam am Hof, doch herrscht zwischen ihnen eine ständige Rivalität: Denn sie erheben beide Anspruch auf den Thron. Und dabei misstrauen sie einander so sehr, dass sie nicht den nötigen Zusammenhalt aufbringen, um den wahren Feind unter sich zu besiegen.
Die Welt ist schlecht, sie wird zugrunde gehen. Das Land voll Blut und keiner hats gesehn’,
meint eine der Figuren. Und das ist die wahre Ironie des Stücks: Denn von Anfang an scheinen in Wirklichkeit alle zu wissen, dass Richard durch und durch böse ist und er vor nichts zurückschreckt.
Dennoch braucht sich der Bösewicht nur zurückzulehnen, die einzelnen Figuren gegeneinander aufzuhetzen und eine heuchlerische Maske zu wahren.
Zwar teilt er seine bösartigen Pläne nur dem Publikum in Monologen mit, trotzdem gewinnt man den Eindruck, dass die meisten am Hofe Richards Spiel durchschauen.
Aber keiner greift ein – im Gegenteil, viele unterstützen ihn sogar. Kein einziges Mal muss Richard mit seinen eigenen Händen einen Mord durchführen – immer schickt er andere vor. Und während die ihm aufs Wort gehorchen, scheinen sie dabei ihr eigenes Grab zu schaufeln.
Gewissenhaft gewissenlos
Besonders toll inszeniert ist ein Gespräch zwischen zwei von Richards Auftragsmördern. Sie sollen seinen Bruder, Clarance (Hendrik Richter, der zusätzlich besonders großartig die Rolle des König Edward besetzte), umbringen. Eigentlich tun sie es des Geldes wegen, doch dann beginnen sie an ihrem Auftrag zu zweifeln.
Gewissen ist ein Wort für Feige nur,
meint Shakespears Richard – und die beiden Mörder versuchen ihm zuzustimmen. Meinen, wer so etwas mit sich herumschleppe, der bringe es zu nichts. Dennoch zögern und hadern sie mit sich selbst.
Als Clarance schließlich stirbt, verbirgt einer der beiden das Gesicht im Kragen seiner Jacke und will die Belohnung nicht annehmen. Diese zwei, beinahe komischen Figuren, scheinen die einzigen im Stück zu sein, die sich mit ihrem Gewissen herumschlagen müssen und davon geplagt werden. Die einzigen, die überhaupt etwas derartiges besitzen.
Die meisten anderen Figuren in Shakespears Stück scheinen von diesem “Gewissen” nicht belastet zu sein. Genauso wenig belastet es scheinbar Shakespeare selbst.
Denn mit dem Stück folgt er einer, mittlerweile aufgeklärten, “Rufmord-Kampagne”. In Wirklichkeit war Richard der III. nämlich gar nicht ein solch böser Bösewicht – und auch nicht so absolut hässlich, wie durch Shakespeare beschrieben. Heute weiß man: Die meisten Könige vor und nach ihm kamen auch nicht unehrenhafter an die Macht, als Richard III.
Warum? Widersetzt sich? Niemand?
Vielleicht lässt sich das unverständlich-gewissenlose Handeln der Figuren also damit erklären, dass sie zwar auf Menschen basieren, die tatsächlich gelebt haben, aber dennoch rein fiktiv sind – dass es einen derartigen Widerling wie Richard nie gegeben hat.
Dennoch lässt einen die Frage nach dem “Warum?” nicht los. Warum widersetzt sich niemand? Schätzen sie die Gefahr nicht hoch genug ein? Wollen sie nur Profit für sich selbst herausschlagen?
Eine Antwort scheint es darauf nicht zu geben – oder vielleicht doch? Manchmal wiederholt sich die Geschichte. Es scheint, als habe Shakespeare in “Richard III.” die Zukunft vorausgesehen.
Weitere Aufführungen finden am 17. März; 01. und 11. April; 15. und 28. Mai; 01., 07., 09. und 14. Juni sowie am 09. Juli statt. Der Eintritt kostet 7 bis 32 Euro.