Weinheim/Rhein-Neckar, 10. Dezember 2015. (red) Die Stadt Weinheim sperrt die Stadthalle und das Rolf-Engelbrecht-Haus für alle Parteien. Der Gemeinderat hat dazu eine Nutzungsänderung beschlossen. Damit will die Stadt weitere NPD-Bundesparteitage verhindern und könnte wiederum scheitern.
Kommentar: Hardy Prothmann
Ich bin gerade bei einer Konferenz in Tunis. Zwischen 0:00-05:00 Uhr herrscht hier Ausgangssperre. Ich befinde mich also in der Hauptstadt Tunesien, 730.000 Einwohner leben hier und wenn ich nach Mitternacht vom Balkon auf die Straße schaue, ist dort kein Mensch. Kein Auto. Kein Moped.
Nur die Katzen halten sich nicht an die Ausgangssperre. Aber auch sie wechseln schnell die Straßenseite. Sie verhalten sich ruhig. Vielleicht aus Instinkt. Die Ruhe fühlt sich vermutlich auch für Katzen „seltsam“ an.
Strikte Sperre
Wenn ein Fahrzeug vorbeikommt, leuchtet ein „Rotlicht“ auf dem Dach. Polizei. Die Ausgangssperre wird strikt eingehalten.

Tunis by night. Kein Mensch, kein Fahrzeug ist auf der Straße. Ausgangssperre nach einem Terroranschlag Ende November.
Die Stadt Weinheim hat drei NPD-Bundesparteitage hinter sich. Der erste kam überraschend. Der zweite musste „überraschenderweise“ erlaubt werden. Der dritte war ein Triumphzug für die rechtsradikale NPD.
Während man in der Stadthalle „gesittet“ tagte und die NPD sich als „sympathische Heimatpartei“ darstellte, griffen „Antifaschisten“ die Polizei an und stellten die Operation danach als „Polizeigewalt“ dar. Abseits davon fand ein „Kulturfest Weinheim bleibt bunt“ statt.
Politischer Klamauk
Das waren lauter Inszenierungen.
Der Gemeinderat hat nun die neue Realität beschlossen. Weder in der Stadthalle noch im Rolf-Engelbrecht-Haus (das bislang nicht betroffen war) soll es künftig „parteipolitische Veranstaltungen“ mehr geben. Punkt.
Laut Pressemitteilung der Stadt heißt es in der Entscheidung:
, dass eine Überlassung der Räumlichkeiten für Veranstaltungen von politischen Parteien, Wählergemeinschaften und ihnen nahestehende Organisationen ausgeschlossen wird.
Eine Ausnahme bildeten „nur Veranstaltungen, die einen überparteilichen Charakter haben“:
Die Veranstaltungsräume dienen laut Benutzungsordnung jetzt nur noch der „Durchführung von Veranstaltungen, die einen kulturellen, sozialen, bildungspolitischen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Charakter aufweisen oder einen regionalspezifischen Bezug zu Weinheim haben, und dadurch dem Interesse der Bürgerinnen und Bürger Weinheims dienen.
Der Weinheimer Gemeinderat mag das als „Sieg“ feiern wollen. Doch die letzte Sitzung vor Weihnachten ist eine Niederlage.
Nie mehr politische Selbstdarstellung
Die Stadt Weinheim hat aus beiden großen Hallen die politische Selbstdarstellung verbannt. In Zukunft können nur noch „überparteiliche“ Veranstaltungen stattfinden. Die CDU muss also immer die Freien Wähler einladen, die SPD die Grünen und so fort. Am Besten noch irgendeinen Sportverein, damit es nicht zu „einseitig“ politisch wird.
Anders ausgedrückt: Die Allianz der Mehrheit der politischen Akteure in Weinheim hat beschlossen, nicht mehr politisch in beiden Hallen aktiv sein zu können, weil man sich der NPD beugt, indem man sich selbst behindert, um eine Partei, die möglicherweise in wenigen Monaten verboten wird, zu verhindern. Das ist ein Drama. Das ist eine der Verlust von Souveränität.
Wo ist Sckerl?
In diesem Weinheimer Stadtrat sitzt der grüne Landtagsabgeordnete Hans-Ulrich Skerl. Nach eigener Darstellung einer der entscheidendsten Treiber des NPD-Verbotsfahrens.
In der Pressemitteilung der Stadt wird er nicht zitiert. Ich weiß nicht, wie er votiert hat. Aber ich lasse mich vom Bericht des Kollegen überraschen. Geht es nach meiner Vorstellung, sehe ich einen Kämpfer für die Freiheit des politischen Werbens um den Verstand und die Herzen der Menschen vor mir.
Jemanden, der glühend vor Überzeugung die Meinungsfreiheit verteidigt und an den Rechtsstaat glaubt. Jemanden, der sagt, dass der politische Kampf um diese Herzen und Köpfe niemals durch Verwaltungsvorschriften gewonnen werden kann, sondern nur durch Kommunikation, durch Austausch, durch Teilnahme. Und selbstverständlich gewaltfrei. Konsequent demokratisch.
Und natürlich erwarte ich, dass Hans-Ulrich Sckerl gemahnt haben sollte:
Lasst uns die Entscheidung vertagen. Anfang März wird das NPD-Verbot in Karlsruhe verhandelt. Wir schaffen das. Die werden verboten und wir müssen uns nicht einschränken.
Eben konsequent demokratisch. Im Vertrauen auf den Rechtsstaat. Überzeugt von sich selbst und dem Vorhaben, die NPD ob ihres verfassungsfeindlichen Agierens zu verbieten.
Sollte der grüne NPD-Verbotsverantwortliche keine glühende Rede gegen diese Entscheidung gehalten haben auf den „freedom of speech“, wie ich hier in Tunis die Sehnsucht vieler Araber erlebe, dann werde ich vermutlich enttäuscht sein.
Beim „freedom of speech“ geht es nicht um die Freiheit für Hetze, sondern um die Meinungsfreiheit. Es geht um deren Grenzen und die immer wiederkehrende Frage, wann diese erreicht ist. „Das Boot ist voll“ sagt der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann zwar nicht im Wortlaut – er definiert dafür Balkanstaaten als „sichere Herkunftsländer“.
Weinheim von „außen“ betrachtet
Wie gesagt – ich bin in Tunis, war nicht vor Ort in Weinheim. Es gab Netzprobleme, ich habe keine Rückmeldung von meinem Mitarbeiter.
Aber ich habe „Träume“ – bin gespannt, ob die in Erfüllung gehen oder einer anderen Realität weichen müssen.
Weinheimer Gemeinderat als „Vorabentscheidung“ für das Verbotsverfahren?
Und ich habe einen Tipp für unsere Leser/innen – sollte Herr Sckerl nicht siegessicher sein, könnte diese Gemeinderatsentscheidung „Geschichte schreiben“. Wenn der sich-selbst-als-absoluter-Treiber-des-NPD-Verbots-darstellende-Politiker Hans Ulrich Sckerl sich selbst nicht sicher ist, dass es dieses Beschlusses nicht bedurfte, könnte es sein, dass die NPD nicht verboten wird.
Deshalb braucht man dann vorsorglich einen Gemeinderatsbeschluss, der der „Verbots-Partei“ der Grünen gerecht wird und auf den sich andere Parteien einlassen, weil denen auch nichts Besseres einfällt.
In Tunis geschahen alle drei Attentate mit über 60 Toten nicht in der Nacht. Aber hier herrscht Ausgangssperre.
Für mich ist das in Ordnung, denn mein Hotelzimmer liegt an einer tagsüber „lebendigen“ Straße und bis 5 Uhr in der Früh ist es hier so ruhig als würde ich irgendwo im hintersten Odenwald nächtigen.
Ordre de mufti
Ob das gegen den Terror hilft? Erwartet man, dass Terroristen verlassene Mülleimer in die Luft sprengen statt eine Menschenmenge?
Erwartet der Weinheimer Gemeinderat, dass es mit diesem Beschluss kein braunes Gedankengut mehr in der Stadt gibt?
Irgendwie erinnert mich Weinheim an Tunis. Im Kopf habe ich: „par ordre de mufti“. Damit kann der Oberbürgermeister gemeint sein oder ein allgemeiner Muff.
Anm. d. Red.: Wir berichten über den Verlauf der Entscheidung nach.