Mannheim/Rhein-Neckar, 09. Juli 2019. (red/pro) „Nur“ 20 leicht verletzte Bewohner forderte der Schwelbrand eines „Müllabwurfschachts“ in einem Hochhaus an der Neckarpromenade – dank des Einsatzes der Mannheimer Feuerwehr, Unterstützung der Wehren aus Ludwigshafen und Heidelberg sowie des Technischen Hilfswerks und der Polizei. Die Verletzten wurden vor Ort von verschiedenen Rettungskräften (DRK, JUH) versorgt. Eine Bewertung.
Von Hardy Prothmann
Eine Frau verlässt das Hochhaus Neckarpromenade 15. In der einen Hand hat sie eine Tasche, in der anderen einen Transportkorb. Darin eine schwarze Katze. Vor dem Haus ruft ein Junge: „Anne, Anne“, was türkisch „Mama“ heißt. Er und seine kleine Schwester lachen. Hier und da stehen Grüppchen von Jugendlichem herum, einige rauchen verbotenerweise (wegen des Alters verboten). Frauen mit Kopftüchern unterhalten sich.
Das könnte alles eine ganz alltägliche Szene sein, wären da nicht die großräumigen Absperrungen gewesen, bewacht von Polizeibeamten. Und die Fahrzeuge von Feuerwehr, THW und Rettungskräften. In einem Rondell vor dem Eingang ruhen sich Feuerwehrleute aus. Die Jacken sind offen, damit die Wärme entweichen kann, auf dem Boden liegen die Atemschutzgeräte, auf der Stirn steht Schweiß. In einem Zelt nebenan koordiniert die Einsatzleitung das Geschehen. Immer wieder werden Menschen von Feuerwehrleuten aus dem Haus gebracht – ebenso wie die Frau mit der Katze. Sie haben Taschen dabei, die sie tragen können, die kleinen Kinder ihre Kuscheltiere unterm Arm. In den Gesichtern ist Erleichterung, aber auch Verunsicherung zu erkennen.
Das Feuer hatte sich versteckt
Als am Montagmorgen um 05:50 Uhr die Brandmeldeanlage auslöste, rückte ein Vortrupp der Feuerwehr aus. Reine Routine. Häufig gibt es Fehlalarme, doch jeder Alarm ist erstmal ein Alarm. Vor Ort stellt die Feuerwehr Rauch und Ruß im Treppenhaus fest, jetzt rückt die Kavallerie mit viel Gerät an.
Die Feuerwehr lokalisiert zumindest theoretisch das Feuer – der Müll brennt und wohl auch der „Müllabwurfschacht“. Ein Schacht, in den die Bewohner vom 29. Stock bis zum Erdgeschoss ihren Müll einwerfen, der dann im Keller in Sammelbehälter fällt. Die Feuerwehr beginnt zu löschen und stellt fest, dass die Situation so nicht lösbar ist, denn es entwickelt sich dadurch noch mehr Rauch.
Der Amtsleiter für Feuerwehr und Katastrophenschutz, Karlheinz Gremm, beschreibt die Lage so: „Das Feuer hat viele Glutnester entwickelt, an die wir nicht so leicht rankommen, das Feuer hat sich sozusagen versteckt.“
Rund 550 Menschen leben in dem Hochaus. Im Verwaltungsstab der Stadt laufen die Informationen zusammen. Der zuständige Sicherheitsdezernent, Erster Bürgermeister Christian Specht, ist wie meist bei Großlagen selbst vor Ort und informiert, dass ein Schwelbrand der Dämmung des Müllschachts für eine erhebliche Verrauchung gesorgt habe: „Das hatte zur Folge, dass sich viele Bewohner auf die Balkone gerettet haben, weil sie das Haus selbständig nicht mehr verlassen konnten.“
Komplette Evakuierung
Dann sagt er: „Wir mussten erkennen, dass eine Brandbekämpfung mit Bewohnern im Haus keinen Sinn macht und haben deshalb die komplette Evakuierung beschlossen.“ Die verläuft weitgehend ohne Probleme. Auf Nachfrage sagt Polizeipräsident Andreas Stenger, dass einige wenige Bewohner einen „erhöhten Diskussionsbedarf“ gehabt hätten, aber letztlich verlief die Evakuierung zügig. Neben den Menschen wurden natürlich auch Hunde und Katzen und andere Tiere mit evakuiert. Einsatzkräfte vor Ort berichten, dass Bewohner teils schlaftrunken an die Tür kamen und bis dahin überhaupt nichts vom Einsatz mitbekommen hatten.
Der Müllschacht zieht sich durch das gesamte Gebäude – durch den Brand entwickelte er aber Kaminfunktion. Sobald irgendwo die Wand aufgestemmt wurde, gab das dem Feuer Nahrung. Letztlich musste das Feuer mit brachialer Gewalt durch Öffnung zahlreicher Stellen und massiven Wassereinsatz gelöscht werden. „Gegen 21:30 Uhr stellt die Feuerwehr fest: „Feuer aus“. Vorsichtshalber hatte man sich auf eine Nachtschicht eingerichtet und war dann doch schneller als gedacht erfolgreich. „Gegen 00:30 Uhr haben die letzten Einsatzkräfte das Hochhaus verlassen. Die Polizei hat das Gebäude über Nacht gesichert“, teilt die Stadt Mannheim am Dienstagvormittag mit.
Am Montagnachmittag wurde noch in der Sporthalle des Ludwig-Frank-Gymnasiums eine Auffangstation für Bewohner eingerichtet. Man wusste nicht, wie viele Hilfe benötigen würden und wie viele bei Familienangehörigen oder Freunden unterkommen. Letztlich wurden rund 40 Personen in einem Hotel untergebracht, einige wenige mussten medizinisch versorgt werden, weil sie auf Medikamente angewiesen sind.
Offene Fragen und klare Feststellung
Doch wann können die Bewohner zurück in ihre Wohnungen? Das ist zunächst noch unklar. Die Brandmeldeanlage ist defekt. Das ließe sich über ein paar Tage durch eine Brandwache beheben. Unklar ist aber auch der Zustand der Wohnungen – sind manche so verraucht und verrust, dass sie nicht bewohnbar sind? Diese Fragen sollen am Dienstagnachmittag beantwortet werden, nachdem die Feuerwehr das gesamte Gebäude begangen hat.
Am Dienstag sind auch die Sachverständigen der Brandermittlung der Kriminalpolizei eingetroffen, um die Ursache des Feuers zu ermitteln – sofern das möglich ist. Waren es unglückliche Umstände? Fahrlässigkeit oder war es Brandstiftung? In diesem Haus leben sehr viele Familien mit meist türkischem Migrationshintergrund.
Für die Bewohner gilt – sie hatten einerseits Glück, dass sich der Schwelbrand langsam entwickelte und dadurch eine Evakuierung gut möglich war. Andererseits können sie dankbar sein für eine sehr gut aufgestellte Feuerwehr samt anderen Rettungskräften, die erprobt (es gab allein fünf Großeinsätze in den vergangenen zehn Tagen) sind. Klar ist aber auch: Bei Großlagen wie diesen braucht selbst eine Feuerwehr Mannheim mit Berufsfeuerwehr und Freiwilligen Abteilungen trotzdem Unterstützung von außen: „Die Zusammenarbeit mit den Kollegen läuft sehr gut, man kennt sich und vertraut sich“, sagt Herr Gremm gegenüber RNB.
Herauszubehen ist auch der Sicherheitsdezernent Christian Specht – die Zusammenarbeit der verschiedenen Rettungskräfte läuft unter seiner Verantwortung insgesamt herausragend. Was angesichts dutzender Unternehmen mit gefährlichen Produktionsanlagen aber auch notwendig ist. Dieser Einsatz dürfte gezeigt haben, dass Investitionen in die Sicherheit, nicht nur in Geräte und neue Feuerwehrwachen, sondern auch in Personal und Weiterbildung, absolut notwendig sind. Ebenso wie eine eigene Rettungsleitstelle für Mannheim. An dem Einsatz waren gut 270 Feuerwehrleute, Dutzende Rettungskräfte und rund 50 Polizeibeamte beteiligt. Die Polizei sichert das Gebäude weiterhin.
Dieser glimpflich verlaufene Brand sollte zudem alle Hausbesitzer, aber auch Wohnungsmieter daran erinnern, dass Brandschutz keine lästige Aufgabe ist, sondern überlebensnotwendig, falls es zum Unglücksfall kommt. Auch das wird zu untersuchen sein – waren alle Vorkehrungen für einen optimalen Brandschutz gegeben oder wurde irgendwo gespart und dadurch das Leben von Menschen gefährdet?
Die Höhe des Sachschadens ist noch offen – ebenso, welche weiteren Schäden der notwendige Wassereinsatz bei den Löscharbeiten erzeugt hat.