Rhein-Neckar/Südwesten, 09. Oktober 2018. (red/pro) In Hamburg ist im September durch die AfD-Fraktion eine Art „Beschwerdeplattform“ online gegangen, bei der es sich tatsächlich um ein email-Formular handelt. Die Partei geht davon aus, dass insbesondere an Schulen durch Lehrer gegen die Neutralitätspflicht zu Lasten der AfD verstoßen wird und fordert Schüler und deren Eltern auf, solche mutmaßlichen Verstöße zu melden. Die Wellen schlagen hoch: Ministerpräsident Winfried Kretschmann bezeichnete laut dpa diese Meldeplattformen als „offen organisiertes Denunziantentum“ – und denunziert damit jeden, der möglicherweise erhebliche Probleme erleidet.
Kommentar: Hardy Prothmann
Direkt von den Landtagswahlen in Bayern und Hessen ist der AfD wieder einmal ein PR-Coup geglückt. Seit September gibt es in Hamburg ein „Informationsportal Neutrale Schulen Hamburg“:
Zur Stärkung eines demokratischen und freien Diskurses an den Hamburger Schulen startet die AfD-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft im Schuljahr 2018/19 die Aktion „Neutrale Schulen Hamburg“ (NeuSchuH). Mit der Aktion wollen wir umfassend über die Rechtsvorschriften rund um das Neutralitätsgebot aufklären. Zugleich wollen wir ein Bewusstsein dafür schaffen, wie Neutralität in der schulischen Praxis rechtskonform umzusetzen ist und wie sich Betroffenen im Falle von Neutralitätsverstößen schulintern zur Wehr setzen können,
heißt es auf der der Seite der AfD-Fraktion in der Hamburgerischen Bürgerschaft. Dazu dokumentiert die Seite Rechtsvorschriften zur Neutralitätspflicht.
Auch auf den Beutelsbacher Konsens wird eingegangen: 1976 wurde dieser auf Initiative der Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Württemberg ins Leben gerufen. Hier wurden drei Ziele definiert: Überwältigungsverbot, Kontroversität, Schülerorientierung. Das Überwältigungsverbot (auch Indokrinationsverbot) soll gewährleisten, dass Schülern durch einen Lehrer keine Meinung aufgezwungen wird, sondern durch den Unterricht den Weg zu einer eigenen Meinungsbildung eröffnet.
Laut dpa hat sich Winfried Kretschmann (Grüne) heute derart geäußert:
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) kritisierte am Dienstag in Stuttgart: „Jetzt wird sozusagen offenes Denunziantentum organisiert.“ Er sprach von „Bausteinen ins Totalitäre“.
Man könnte auch sagen, er ist brav übers Stöckchen gesprungen und viele Medien machen mit.
Warum Lärm und nicht inhaltliche Prüfung?
Statt viel Lärm zu erzeugen, könnte man auch der Frage nachgehen, was denn dran sein könnte am Verdacht der AfD, dass eine mutmaßlich eher links-orientierte Lehrerschaft möglicherweise in Einzelfällen oder auch organisiert, sich zu Lasten einer Partei, in diesem Fall der AfD, nicht neutral verhalten könnte.
Immerhin: Dass AfD-Gegner massiv und teils mit allen Mitteln Druck machen, muss hinlänglich bekannt sein. Gastronomen und andere Unternehmer, die Veranstaltungsräume anbieten, wurden in der Vergangenheit massiv unter Druck gesetzt, was bis zu Sachbeschädigungen und Drohungen gegen Personen ging. Empörte Rufe hat man aus den Reihen der etablierten Parteien dazu so gut wie nie wahrnehmen können. Das RNB hat dies immer wieder kritisiert, nicht, um sich mit einer Partei zu solidarisieren, sondern um deutlich zu kritisieren, dass die Wahl der Mittel die politische Auseinandersetzung sein muss und keine Drohungen gegen Sachen oder Leib und Leben.
Die AfD-Fraktion im Stuttgarter Landtag hat auf RNB-Anfrage bestätigt, dass man ein solches Informationsangebot mit Meldemöglichkeit ebenfalls plane. Dies werde nicht übereilt erstellt, sondern sorgfältig, auch juristisch geprüft, solle aber noch in diesem Jahr starten. Selbstverständlich werde man Aspekte des Persönlichkeitsschutzes sehr sorgfältig beachten.
Die vorliegenden Beschwerden von Schülern und Eltern lassen vermuten, dass in möglicherweise unbedachtem Überschwang die parteipolitische Neutralität im Unterricht verlorengeht. Darauf hinzuweisen ist Sinn und Zweck dieser Plattform. Natürlich wird die Verschwiegenheit des Abgeordneten und seiner Mitarbeiter in der AfD-Fraktion gewährleistet. Eine Verletzung von Persönlichkeitsrechten können wir daher nicht erkennen. Die Darstellung eines Sachverhalts ist zunächst einmal kein Vorwurf an den Adressaten. Vielmehr handelt es sich um die Weitergabe von Beschreibungen oder Situationen, die die Kinder als belastend erlebt haben. Dieser Situation der Schutzbefohlenen gilt es, Rechnung zu tragen. In der Öffentlichkeit (Klassenzimmer) geäußerte Verlautbarungen muss sich der Lehrer zurechnen lassen. Er kann sich nicht auf eine Verschwiegenheitspflicht seiner Schüler berufen, dies wäre erkennbar abwegig,
teilt der Bildungspolitische Sprecher, Dr. Rainer Balzer, auf RNB-Anfrage mit. Auch in anderen Bundesländern wollen AfD-Fraktionen ein solches Angebot machen.
Der mediale Tenor dazu beschränkt sich empört auf „Online-Pranger“.
Denunziant oder Whistleblower?
Den Vorwurf der „organisierten Denunziation“ kann ich journalistisch nicht erkennen. Diesen müsste der Ministerpräsident dann gegenüber jedem Medium und Journalisten erheben, die ihre Leserschaft auffordern, über mutmaßliche Missstände zu informieren.
Insbesondere investigativ arbeitende Medien wie das RNB benötigen regelmäßig solche Hinweise, also Informationen, die man eben nicht auf offiziellem Weg erhält. Verantwortliche Medien prüfen die Hinweise sehr genau, recherchieren offen die zugrundeliegenden Fakten und berichten dann verantwortlich, sofern ein Missstand vorliegt oder eben nicht.
Sollten Lehrer ihre Neutralitätspflicht verletzen, wäre das ein Missstand von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung. Die für Bildung zuständigen Länder müssen selbst ein erhebliches demokratisches Interesse haben, dass es mögliche Verletzungen der Neutralitätspflicht eben nicht gibt. Hier stellt sich die Frage, was diese bislang unternommen haben, um mögliche Missstände zu erkennen und zu beheben.
Was in modernen Unternehmen längst Standard ist, nämlich Vertrauensleute oder auch anonyme Meldesysteme, sollte eigentlich schon in der schulischen Erziehung früh gelernt werden können – verantwortlich und eben nicht negativ abfällig als „Denunziantentum“, sondern als verantwortliches Informantentum. Informationszuträger, die Nachteile befürchten müssen, nennt man im Journalismus „Whistleblower“. Journalisten können diese ähnlich wie die Schweigepflicht bei Rechtsanwälten und Ärzten durch „Quellenschutz“ schützen – kein Gericht in Deutschland kann die Preisgabe von Quellen erzwingen.
Quellenschutz ist mir heilig. Mir ist noch nie eine Quelle verbrannt – heißt, noch niemand, der sich mir anvertraut hat, um Missstände zu belegen, hat Nachteile erleiden müssen.
Aber nicht jeder, der sich anvertraut ist ein guter Mensch und frei von Strafe – siehe Edward Snowden. Er hätte andere Möglichkeiten gehabt, der hat die illegalen gewählt.
Die Reaktion von Herrn Kretschmann ist befremdlich: Jemanden pauschal als „Denunzianten“, also ohne Kenntnis und pauschal als eine Person zu bezeichnen, die gezielt und aus niederen Beweggründen andere „anschwärzt“, ist extrem negativ konnotiert. Darunter leiden bis heute viele Whistleblower, die als „Verräter“, „Kollegenschwein“ und ähnlich betitelt werden. Als keine Verbrecher, aber Herr Kretschmann, der viel über Indokrination weiß, als ehemaliger Kommunist, weiß, wie man normale Menschen und auch Schüler in Verräter umdeutet – ohne einen faktischen Beweis.
Oder nehmen Sie sich selbst: Wenn Sie Ihren Nachbarn beobachten, wie dieser offenbar unter Einfluss von Rauschmitteln mit dem Auto wegfährt – werden Sie mit Hinweis an die Polizei dann zum „Blockwart?“ Eher nicht, Sie retten als Hinweisgeber möglicherweise Leben. Anders verhält es sich, wenn Sie Nachbarn ausspionieren – doch das wird in einem Klassenzimmer, in dem das offene Wort geführt wird, eher nicht der Fall sein.
Entscheidend ist der Umgang mit Hinweisen
Entscheidend ist nicht ein Hinweis, sondern der Umgang damit. Aus meiner journalistischen Praxis heraus weiß ich, dass „Quellen“ nicht immer aus den edelsten Motiven heraus handeln. Mal wurde die Ehefrau betrogen, mal jemand bei einer Beförderung übergangen, mal soll ein Konkurrent beschädigt werden. Der Antrieb entspringt also häufig einer „Denunziation“. Manchmal sind es aber auch Gewissensbisse oder Gerechtigkeitsverständnisse, die Personen bewegen, uns Informationen zuzutragen.
Entscheidend ist deshalb der verantwortliche Umgang mit Informationen. Treffen Vorwürfe zu? Wenn ja wie und mit welchen Folgen für wen? Liegt ein individuelles oder ein strukturelles Problem vor? Viele weitere Fragen schließen sich meist an.
Die Landesregierung kann also dieser „Informationsplattform“ der AfD ganz einfach, neutral und verantwortlich begegnen, indem sie Meldesysteme prüft, ob diese verlässlich funktionieren – also Vertrauenslehrer oder anonyme Briefkästen beispielsweise wie auch Evaluationen mittels Befragungen. Dies läßt sich transparent dokumentieren. Sollten dabei Verstöße festgestellt werden – und die gibt es mit Sicherheit, kann man alle notwendigen Schritte unternehmen, um diese zu beheben.
Beispiele für Lehrer, die links wie rechts einseitig informierten und sogar politische Indoktrination versuchten oder betrieben, gibt es einige. Auch bei uns im Raum – hier wurde beispielsweise einem linksradikal eingestellten Lehrer von 2004-2007 durch das Land ein nicht rechtmäßiges Berufsverbot auferlegt und in Mannheim, Heidelberg und Ladenburg unterrichtete 20 Jahre lang ein Rechtsextremist, der 1988 aus dem Schuldienst entlassen wurde – ohne Informationen über dessen rechtsradikalen Äußerungen wäre dies mit Sicherheit nicht möglich gewesen.