Mannheim, 09. Februar 2016. (red/pro) Der „Petry-Skandal“ sollte eine AfD-Politikerin enttarnen. Die glorreichen Helden wollten zwei Chefredakteure von Lokalzeitungen sein. Tatsächlich entpuppt sich das Manöver als Flop mit einem enormen Kollateralschaden. „Die Medien“ sind nicht vertrauenswürdig, halten sich nicht an Abmachungen und im Zweifel muss man fürchten, vorgeführt und „enttarnt“ zu werden. Journalismus kann dazu nicht „Danke“ sagen, sondern nur „Hilfe“ rufen.
Kommentar: Hardy Prothmann
Nichts liegt mir ferner, als eine Dr. Frauke Petry „herauszuhauen“. Das tue ich mit diesem Kommentar auch nicht.
Über einen Schusswaffengebrauch gegen Flüchtlinge an deutschen Grenzen in der jetzigen Situation auch nur nachzudenken, ist hanebüchener Unsinn. Aber ebenso unsinnig ist eine versuchte „Enttarnung“ mittels einer Provokation, jemandem einen „DDR-Schießbefehl“ in den Mund legen zu wollen.
Dokumentation der eigenen Unzulänglichkeit
Noch unsinniger wird das Ganze durch die Art und Weise, wie das passiert. Das erinnert an Zeiten, als angehende Rekruten, die den Militärdienst verweigerten, gefragt wurden, ob sie unter diesen oder jeden Umständen bereit wären zu töten. Man erzeugt ein Dilemma und einen Tod muss man sterben.
Die AfD-Bundsvorsitzende Dr. Frauke Petry musste beide Tode sterben. Sowohl die Kritik an ihrem „ultima ratio“-Geschwafel als auch den Versuch einer Korrektur. So geht das mit Dilemmata. Hätte Sie gegenüber der Rhein-Zeitung keine Korrektur versucht, wäre sie als Wiederholungstäterin dran gewesen.
Mitleid muss man mit der Frau keins haben. Sie sucht die Kontroverse – sie hat sie bekommen. Was viele nicht verstehen: Warum soll Frau Dr. Petry aber „böser“ sein soll als ein Boris Palmer (Grüne) oder ein Horst Seehofer (CSU), der das Land „bis zur letzten Patrone verteidigen“ will (lesen Sie dazu ein sehr spannendes Interview) und aktuell der Kanzlerin Angela Merkel eine „Herrschaft des Unrechts“ vorwirft.
Der Preis ist erheblich. Denn zwei Lokalzeitungen haben die Kontroverse gesucht und waren bereit, journalistische Standards über Bord zu werfen.
Der Mannheimer Morgen dokumentiert, dass er sich sogar in eigene Fragen hineinredigieren lässt, sich nicht an „Endfassungen“ hält – und merkt diese Peinlichkeit noch nicht einmal. Weiter dokumentiert die Zeitung, dass persönliche Kommunikationen umgehend öffentlich gemacht wird, wenn es den eigenen Zwecken der Zeitung dient.
Fataler Grenzübertritt
Damit ist eine Grenze überschritten worden, die fatal ist. Die Vertraulichkeit des Gesprächs wurde ohne Warnschuss niedergestreckt.
Der Vorwurf der AfD-Bundesvorsitzenden trifft ins Ziel „Sie können es nicht lassen“ – besser hätte die Überschrift nicht sein können. Da wird ein sehr langes Gespräch über 40 Minuten geführt und gerade mal vier Minuten werden öffentlich – mit dem Ziel zu beschädigen. Das zeigt auch die Agitation in der Folge.
Damit macht sich eine Zeitung zum politischen Akteur – es wird nicht umfassend berichtet, sondern gezielt agitiert. Am Ende steht die Erkenntnis, dass nicht die Information im Mittelpunkt steht.
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Vollständig von hinten-durch-die-Brust-ins-Auge agiert die Rhein-Zeitung. Sie verpasst den Hype, den der MM erzeugt hat. Doch Chefredakteur Christian Lindner ist ein erfahrener Journalist. Er erkennt die Welle und will sie auch reiten.
Selbstverständlich hätte er den Ball flach halten können – ok, die Petry hat ordentlich was abbekommen, sie lernt, entschärft. „Wir sind halt zu spät gekommen“, hätte er sich denken können.
Stattdessen entschließt er sich, die Vereinbarung der „Freigabe“ zu brechen. Man muss die Welle reiten, solange sie rollt.
Und er entschließt sich, zu dokumentieren: Der „Audio-Beweis“ soll die „Wahrheit“ ans Licht bringen. Gleichzeitig gibt er bereitwillig Auskunft, dass man bei der Zeitung Gespräche vor dem Gespräch führt, über die niemand je etwas erfährt. Oder doch? Dann, wenn es der Zeitung passt?
Alarmsignal an alle Gesprächspartner
Diese verdrehte journalistische Haltung verschlägt einem den Atem.
Welcher Interviewpartner, der diesen Ablauf verfolgt hat, lässt sich zukünftig noch auf „Gespräche“ ein, ohne vorher ein umfangreiches Vertragswerk auf den Tisch zu legen, dass Vertragsbrüche mit höchsten Strafen belegt?
Das ist ähnlich wie mit der unseligen Kohl-Biographie und dem Verfasser Heribert Schwan.
Es werden zunehmend und in bedenklichem Maße Grenzen der Vertraulichkeit verletzt, nur um die schnelle Sensation zu erhaschen. Ist Dr. Frauke Petry und ihre AfD tatsächlich so beschädigt worden, wie man sich das erhoffte? Daran bestehen erhebliche Zweifel. Wer sich die Kommentare in den sozialen Medien anschaut, erkennt, dass sie eher in Schutz genommen wird. War das das Ziel? Hoffentlich nicht.
Sowohl der Mannheimer Morgen als auch die Rhein-Zeitung haben Frau Petry in ein Dilemma gebracht – sich selbst aber auch, weil handwerklich nicht einwandfrei gearbeitet worden ist.
Wenn die beiden Zeitungen für die brutalstmöglichste Transparenz eintreten wollen, müssen Sie die Tonbandprotokolle veröffentlichen. Damit „die ganze Wahrheit“ öffentlich auf den Tisch kommt. Wenn Sie das nicht tun, bleiben Sie der Öffentlichkeit den Nachweis schuldig.
Ein Dilemma geht nie gut aus
Egal, was sie tun – es wird ein Fehler sein. Das ist die Konstruktion des Dilemmas – ein Tod muss gestorben werden.
Was mich persönlich am meisten an der Sache aufregt, ist, dass auch ich als Journalist, der für die Arbeit von anderen nicht verantwortlich ist, in einem Dilemma bin. Eigentlich würde ich gerne wie sonst auch die größtmöglichste Transparenz fordern – aber zu Lasten der Vertraulichkeit?
Journalismus lebt von Vertrauen zu Gesprächspartnern. Wer dieses vorsätzlich für einen Schlagzeilen-Rausch opfert, beschädigt die Glaubwürdigkeit der Presse und die Demokratie. Journalisten sind so wenig im Besitz „der Wahrheit“ wie andere. Journalismus hat nicht die Aufgabe, „die Wahrheit“ zu verkünden, sondern nur, die Öffentlichkeit zutreffend zu unterrichten, damit sich diese eine Meinung bilden kann.
Auf die Demontage folgt die Verjuristerei
Erinnert sich noch jemand an die vorsätzliche Demontage des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff? Der sprach damals dem früheren Bild-Chefredakteur Kai Diekmann auf die Mailbox, weil er sich geärgert hatte und meinte, dass „die Grenze des Rubikons überschritten“ sei – Herr Diekmann zeigte dem Bundespräsidenten dann, was das in der Praxis heißt. Der öffentliche Schaden für das Amt war und ist enorm. Der zunehmend mangelnde Respekt auch der Botschaft „Merkel muss weg“ ist die Folge dieser skrupellosen Form von Verächtlichungsjournalismus.
Verantwortliche Journalisten achten nicht nur auf die eigene Arbeit, sondern auch darauf, wie sich die Branche entwickelt – und die entwickelt sich immer schlechter. „Lügenpresse“ ist die absolute Verachtung journalistischer Arbeit.
Wer als Journalist tatsächlich mit einem Text mal eben „aufräumen“ will, den hat der hat die Hybris gebissen – größenwahnsinniger geht nicht.
Miese Methoden tragen dazu bei, dass jedes Gespräch, jeder Kontakt immer mehr „verjuristet“ wird. Diese Methoden schaffen ein massives Problem – das kennt man schon aus der Musikszene, wo „Stars“ jeden Text und jedes Bild „autorisieren“ und damit eine Vollzensur betreiben. Alles vertraglich „abgesichert“.
Damit bleibt für die Öffentlichkeit die Vielfalt der Information auf der Strecke – übrig bleiben PR und Marketing. PR und Marketing gehen als Angebot vollkommen in Ordnung, aber nicht, wenn sie anstelle von unabhängiger, journalistischer Information treten.
Habe die Ehre. Dafür kein Danke.
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