Rhein-Neckar, 09. April 2014. (red/ms) In Baden-Württemberg gibt es bei Gemeinderatswahlen in einigen Ortschaften eine komplizierte Sonderregelung: Die unechte Teilortswahl. In unserem Berichterstattungsgebiet sind davon Weinheim und Schriesheim betroffen. Die unechte Teilortswahl sorgt dafür, dass verschiedene Ortsteile mit einer Mindestanzahl an politischen Vertretern im Gemeinderat vertreten sind. Allerdings stellt sie die Wähler auch vor große Herausforderungen – denn kaum ein Wahlsystem ist vergleichbar kompliziert.
Von Minh Schredle

Am 25. Mai sind Kommunalwahlen.
Das System der unechten Teilortswahl kam auf, als 1972 verschiedene kleine Kommunen zu größeren Gemeinden zusammengelegt wurden. Es wird nur in Baden-Württemberg angewendet und gilt laut der Landeszentrale für Politische Bildung als sehr umstritten.
Ziel der Regelung soll es sein, verschiedene Ortsteile, die räumlich voneinander abgetrennt sind, mit einer Mindestanzahl an Vertretern im Gemeinderat zu repräsentieren. In Weinheim ist zum Beispiel vorgesehen, dass mindestens zwei Stadträte aus der Ortschaft Oberflockenbach kommen. So soll sichergestellt werden, dass nicht nur die „Innenstadt“ ihre Interessen vertritt, während die der anderen Ortsteile vernachlässigt werden.
Hoher Anteil ungültiger Stimmen
Das ist ein guter Ansatz – doch auch eine große Herausforderung für den Wähler: Bei keiner anderen politischen Wahl in Deutschland ist der durchschnittliche Anteil an ungültigen Stimmen höher. Meistens liegt er um die fünf Prozent, in einigen Ortschaften sogar noch deutlich höher.
Normalerweise wird es bei Gemeinderatswahlen so gehandhabt, dass Listen nur so viele Bewerber aufstellen dürfen, wie es freie Plätze im Gemeinderat gibt. Bei beispielsweise 18 freien Plätzen also maximal 18 Bewerber. Nun sind einige Teilorte aber sehr klein im Vergleich zum Ortskern, sodass den Teilorten manchmal nur ein oder zwei Sitze zugeordnet werden.
Vorsicht bei der Stimmenvergabe
Um als Wähler mehr Alternativen zu haben, ist es den Listen in diesem Fall durch eine Sonderregelung erlaubt, einen Bewerber mehr aufzustellen, als Sitze für den Ortsteil zu vergeben sind. Das Problem: Trotzdem dürfen nur so viele Personen Stimmen erhalten, wie es freie Sitze für den Teilort gibt.
Das heißt konkret: Stehen für einen Teilort zwei Bewerber auf der Liste, während dem Ort nur ein Sitz im Gemeinderat zugeordnet ist, darf der Wähler nur einem der beiden Kandidaten seine Stimmen geben. Gibt er mehr Kandidaten Stimmen als Sitze für den Ortsteil vorgesehen sind, werden alle Stimmen, die diesen Ortsteil betreffen ungültig. Merke: Kumulieren ist erlaubt, das heißt ein Ortsteilkandidat darf bis zu drei Stimmen erhalten – gibt es aber mehr Kandidaten als Sitze, dürfen nur so viele Kandidaten gewählt werden, wie Sitze für den Teilort vorhanden sind.
Beispiel: Fünf Kandidaten, zwei Sitze. Man gibt zwei Kandidaten je eine bis drei Stimmen. Wählt man mindestens einen Kandidaten mehr, verliert die Stimmabgabe für den Teilort ihre Gültigkeit – sofern man bei der „großen“ Wahlliste keine Fehler gemacht hat, bleiben diese Stimmen gültig. Die Kandidaten, die für eine Ortschaft zur Wahl antreten, müssen in der jeweiligen Ortschaft wohnen. Allen Wählenden steht allerdings frei ihre Stimmen auf beliebige Kandidaten, also auch denen aus anderen Ortschaften, zu verteilen.
Auch im Ortsteil Verhältniswahl
In den Ortsteilen gilt weiterhin die Verhältniswahl. Wenn es einen Sitz zu vergeben gibt und nur zwei Listen zur Wahl antreten, die jeweils zwei Bewerber stellen, erhält die Liste mit den meisten Gesamtstimmen den Vorzug.
Dazu ein Beispiel: Liste A hat einen Bewerber, der 800 Stimmen erhält, und einen, der 200 Stimmen erhält. Die Kandidaten von Liste B kommen dagegen auf 500 Stimmen, beziehungsweise 501 Stimmen.
In diesem Fall erhält der Bewerber von Liste B mit den 501 Stimmen den Vorzug vor dem Kandidaten der Liste A mit 800 Stimmen, weil Liste B insgesamt mehr Stimmen erhalten hat.
Überhangsmandate zum Ausgleich
Dadurch, dass Teilorten auf jeden Fall eine Mindestanzahl an Sitzen zugesprochen wird, könnte es ohne weitere Regelungen zu deutlichen Verzerrungen kommen: Eine Liste könnte durch viele „Direktmandate“ aus den einzelnen Orten mehr Sitze im Gemeinderat bekommen als ihr verhältnismäßig nach den abgegebenen Stimmen aus der gesamten Gemeinde zustehen sollte.
Daher gibt es in Orten, die die unechte Teilweise anwenden, Überhangsmandate: Die Parteien oder Wählervereinigungen, die gemessen an der absoluten Anzahl abgegebener Stimmen benachteiligt würden, dürfen weitere Stadträte benennen bis das Verhältnis ausgeglichen ist.
So kommt es zum Beispiel dazu, dass es in Weinheim aktuell 43 Stadträte gibt, obwohl bei einer Bevölkerung von etwa 44.000 Menschen eigentlich nur 32 vorgesehen sind.