Rhein-Neckar, 09. März 2020. (red/pro) Der italienische Ministerpräsident Guiseppe Conti hat am Abend eine drastische Entscheidung der Regierung verkündet. Er werde umgehen ein Dekret unterschreiben, dann ist ganz Italien eine „Schutzzone“. In der Konsequenz bedeutet das eine weitgehende Einschränkung der Bewegungs- und Versammlungsfreiheit für alle Menschen im Land – Italiener und möglicherweise auch Ausländer.
Von Hardy Prothmann
„Die Zahlen sagen uns, dass wir ein bedeutendes Wachstum der Infektionen haben sowie der Menschen, die auf der Intensiv- und Subintensivstation stationiert sind, und leider auch der Verstorbenen. Unsere Gewohnheiten müssen daher geändert werden. Sie müssen jetzt geändert werden. Ich habe beschlossen, sofort noch strengere Maßnahmen zu ergreifen“, sagte Herr Conti auf einer Pressekonferenz am Abend. Die Maßnahmen sollen bis mindestens 03. April 2020 gelten.
Bislang waren nur einige Regionen und Provinzen im Norden von den Beschränkungen betroffen. Aktuell werden die Maßnahmen auf das ganze Land „homogenisiert“, nachdem es einen sprunghaften Anstieg der Fallzahlen gab. Von gestern auf heute ist die Zahl der Toten von 360 auf 463 Personen gestiegen. Nach Altersgruppen: 1 Prozent von 50 bis 59 Jahren; 10 Prozent von 60 bis 69; 31 Prozent von 70 bis 79; 44 Prozent von 80 bis 89; 14 Prozent über 90 Jahre alt. Die Zahl der Kranken stieg auf 7.985, eine Zunahme von 1.598 Personen im Vergleich zu gestern.
Landesweit sind kurzfristig rund eine Million Schutzmasken geliefert worden, von denen einhunderttausend an Gefängniseinrichtungen geliefert worden seien. Die italienische Bevölkerung umfasst rund 60 Millionen Menschen. Nach verschiedenen Medienberichten hat es in über zwei Dutzend Gefängnissen Revolten gegeben, bei denen auch mehrere Menschen ums Leben gekommen sein sollen, da keine Besuche und Freigänge mehr erlaubt sind.
Was genau die Maßnahmen bedeutet, ist noch unklar. Arbeitnehmer und Dienstleister sollen auch mit dem öffentlichen Nahverkehr weiter zur Arbeit fahren können – doch wer nicht nachweisen kann, dass er einen dringenden Grund für eine „Reise“ hat, würde eine Straftat begehen. Wie diese geahndet werden soll, ist vollständig unklar.
Nach Informationen unserer Kontakte in Italien sollen auch die Grenzkontrollen verstärkt werden. Das Auswärtige Amt hatte schon vor Tagen darauf hingewiesen, Reisen nach Italien sorgfältig zu prüfen.
Die Folgen dieser Maßnahme sind noch überhaupt nicht absehbar. Italien ist ein wichtiger Wirtschaftspartner für Deutschland, beispielsweise betreibt BMW Produktionsstandorte in erheblichem Umfang. Insbesondere Norditalien ist das Wirtschaftszentrum des Landes – ob und wie Warentransporte von Italien nach Deutschland und umgekehrt von den Maßnahmen betroffen sind, ist noch völlig unklar.
Für den Tourismus ist die Entwicklung schon jetzt katastrophal – in Südtirol ist die Ski-Saison bereits gestern beendet worden.
In Deutschland wiederum scheint es eine Tendenz zu geben, sich ebenfalls einer zentralen Linie zu unterwerfen. So korrigierte Sozialminister Manne Lucha eine Pressemeldung, die zunächst über eine Empfehlung des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn lediglich berichtete, dass dieser empfehle, Veranstaltung von mehr als 1.000 Personen nicht mehr durchzuführen und meinte dann, man werde sich an die Empfehlungen der Bundesregierung zur Vereinheitlichung halten.
Wie die Lage sich in Deutschland entwickeln wird, ist aktuell völlig unklar. In Italien gibt es Kritik, dass die Infizierten wohl viel zu spät entdeckt worden sind und das Corona-Virus schon viel weiter verbreitet war, als angenommen. Durch zunehmende Tests stiegen dann die Zahlen und damit auch die Maßnahmen an. Dies könnte auch in Deutschland der Fall sein.
In Ladenburg ist heute die Merian-Realschule für diese Woche geschlossen worden, da Lehrpersonal und Schüler in Norditalien Ferien gemacht und Symptome gezeigt hatten. In Edingen-Neckarhausen wurde die Pestalozzi-Grundschule bis 16. März 2020 geschlossen. In Schriesheim findet hingegen der Mathaisemarkt mit rund 100.000 Besuchern statt.
Das Polizeipräsidium Mannheim teilte RNB auf Anfrage heute mit, dass 16 Beamte ebenfalls in Norditalien Urlaub gemacht hatten und freigestellt worden sind.
Die Corona-Krise ist aus Sicht der Behörden deshalb so dramatisch, weil bei einem Massenanfall von schwer erkrankten Personen die Intensivkapazitäten in den Krankenhäusern nicht ausreichen werden. Zum Virus liegen in vielerlei Hinsicht noch zu wenige Daten vor – Männer und hier alte und insbesondere solche mit Vorerkrankungen gelten als besonders gefährdet, wie auch die Zahlen in Italien zu belegen scheinen.
Daher wird aktuell in Italien versucht, die Kontakte zwischen Personen auf ein Minimum zu reduzieren, damit die Ansteckungswelle wenigstens verzögert werden kann – in der Hoffnung, dass nach Genesung der Patienten Plätze für weitere schwer kranke Personen frei werden. Ob diese Strategie aufgeht, ist unklar. Aktuell gibt es keine bessere.
Unabhängig von behördlichen Entscheidungen können alle Bürger ihr Bestes für sich und das Gemeinwohl tun und von sich aus unnötige Kontakte meiden. Händeschütteln ist aktuell nicht angesagt, dafür aber eine umfangreiche Handhygiene. Nach Expertenmeinung ist es ausreichend, sich mit Wasser und schäumender Seife rund 20 Minuten die Hände zu waschen. Weiter gilt die Hust- und Nießetikette am besten in die Armbeuge. Dazu sollte man einen Mindestabstand von 1,5 Meter zu anderen Personen halten. Außerdem sollte man sich vor einer Handreinigung nicht ins Gesicht und vor allem nicht an Mund und Nase fassen.
Desinfektionsmittel sind nicht nutzlos, betreffen aber nur die Handhygiene. Schutzmasken sind nach Expertenmeinung weitestgehend unnötig.
In der Praxis bedeutet das beispielsweise auch beim Einkauf Abstand zu anderen zu halten. Hier kann es sinnvoll sein, Handschuhe zu tragen. Innerhalb der eigenen Wohnung sollte man nach dem Nachhausekommen zunächst die Hände gründlich waschen. Benutzt man ein Auto, macht es Sinn, das Lenkrad und die Bedienelemente abzuwischen – auch hier reicht ein frischer, seifiger Lappen, denn der Hauptübertragungsweg scheint die Tröpfeninfektion zu sein, also der Transport der Viren über Tröpfen, die beim Husten, Nießen oder auch sprechen von Mensch zu Mensch wandern können.
Wichtig ist die Inkubationszeit, also die Zeit von der Ansteckung bis zum Entwickeln von Krankheitssymptomen. Die soll nach Expertenmeinung etwa vierzehn Tage betragen. Wer also rückwärts gerechnet vor längerer Zeit in Norditalien war, dürfte sich nicht angesteckt haben oder bereits auskuriert sein. Wer Symptome bemerkt, wie Fieber, starker Husten in Kombination mit Durchfall sollte sich umgehend telefonisch an den Hausarzt oder das zuständige Gesundheitsamt wenden – die Nummern lassen sich leicht im Internet finden. Gehen Sie nicht einfach so in eine Arztpraxis, sondern lassen Sie sich telefonisch beraten, was zu tun ist. Auch, wenn Sie nicht gleich durchkommen.
Das RNB kann keine ärztlichen Ratschläge geben, sondern fasst zusammen, was Behörden mitgeteilt haben.