Weinheim, 09. Juli 2015. (red/ms) Am 30. Juni gab das Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis bekannt, dass ab August 80 zusätzliche Asylbewerber im ehemaligen Hotel GUPS (GUt und Preiswert Schlafen) untergebracht werden. Das kommt für die Öffentlichkeit völlig „überraschend“: Vorherige Verhandlungen mit der Stadt Weinheim oder ihrer Stadtgesellschaft hat es nicht gegeben. Gestern erklärte das Landratsamt, vertreten durch Ordnungsamtsleiter Stefan Becker, dieses Vorgehen. Der Großteil des Gremiums zeigte sich verständnisvoll.
Von Minh Schredle
Nach Informationen des Landratsamts werden ab Anfang August bis zu 80 Asylbewerber im ehemaligen Hotel GUPS in der Eisleber Straße (Gewerbegebiet Weinheim-Waid) untergebracht. Das wurde am 30. Juni per Pressemitteilung bekannt gegeben – vorherige Verhandlungen mit der Stadt Weinheim und ihrer Bevölkerung haben nicht stattgefunden. Lediglich Oberbürgermeister Heiner Bernhard (SPD) scheint im voraus informiert worden zu sein, denn in der besagten Pressemitteilung wird er damit zitiert, dass „wir“ – wer auch immer das sein soll – die „Notlage des Kreises anerkennen“ würden.
In der Gemeinderatsitzung am Mittwochabend betonte Stefan Becker, Ordnungsamtsleiter des Landratsamts, nachdrücklich die „Notlage“ des Rhein-Neckar-Kreises. Wesentliche Informationen, die nicht bereits aus der Pressemitteilung vom 30. Juni hervorgehen, wurden dabei nicht genannt. Dennoch zeigte sich der Großteil des Gemeinderats „verständnisvoll“ für das Vorgehen des Kreises. Kritik wurde lediglich von der FDP geäußert.
Unreflektierter Sprachgebrauch schürt Fremdenfeindlichkeit
„Die Flüchtlingsströme reißen nicht ab“ – es ist eine dieser Formeln, die seitens der Politik gerne und ohne Reflektion in der Debatte um Asylbewerber verwendet wird. Bedenklich ist dabei nicht, dass die steigende Anzahl von Menschen auf der Flucht thematisiert wird – sondern dass die Wortwahl die hilfesuchenden Menschen zu einem bedrohlichen „Strom“ stilisiert, der droht „Deutschland zu überfluten“ – damit werden Ressentiments und Fremdenfeindlichkeit geschürt. Die Flüchtlinge werden sprachlich mit einer Naturkatastrophe gleichgesetzt. Wir kritisieren das seit Jahren – aber beim Landratsamt ist man vollständig „beratungsresistent“.
Aber die dramatische Wortwahl ist geeignet, um die „eigene“ Notlage zu begründen, aus der man nun „notgedrungen Notlösungen“ treffen muss.
Der Kreis müsse – so Becker – mittlerweile „jede sich bietende Gelegenheit nutzen“, um die Neuankömmlinge unterzubringen. Die vorhandenen Unterkünfte würden dazu nicht ausreichen. Deswegen sei der Kreis gezwungen, Unterkünfte anzumieten, um die Flüchtlinge „menschenwürdig unterzubringen“ – Turnhallen oder Zeltsiedlungen, wie sie in Teilen Deutschlands bereits zur Unterbringung verwendet werden, ziehe der Rhein-Neckar-Kreis daher nur im „äußersten Notfall“ in Betracht.
Notlösung: „In ihrer Qualität unerreicht“
Nach Schätzungen des Landratsamts müssen im Kreis in diesem insgesamt 4.000 neue Asylbewerber untergebracht werden – bislang haben nur etwa 2.200 eine Unterkunft. Das ehemalige Hotel GUPS sei laut Herrn Becker in Anbetracht der Umstände eine sehr gute Möglichkeit, den Menschen eine solide Unterkunft zu gewährleisten. Jedes Hotelzimmer habe eigene sanitäre Einrichtungen. Herr Becker sagt dazu:
Eine Unterbringung von dieser Qualität gibt es im Rhein-Neckar-Kreis sonst nirgendwo.
Herr Becker betont, das Landratsamt habe schnell handeln müssen, um „eine Obdachlosigkeit zu vermeiden“. Daher habe im Voraus keine Information der Öffentlichkeit stattgefunden. Der Kreis hat das Hotel für die kommenden zehn Jahre angemietet.
„Geschlossene Zusammenarbeit notwendig“
Diese Informationen kamen mindestens überraschend. Der Großteil des Gemeinderats zeigte sich jedoch verständnisvoll gegenüber dem Vorgehen des Kreises. Laut dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Metzeltin habe „diese Dynamik niemand vorherahnen können“, mit so stark steigenden Zahlen von Asylbewerbern „hat niemand gerechnet“.
Eine kleine Prognose der Redaktion: So lange die Konflikte in den zahlreichen Krisengebieten dieser Welt nicht befriedet werden, werden die Zahlen von Flüchtlingen sogar noch weiter ansteigen.
Herr Metzeltin sagte außerdem, man müsse unter diesen Umständen gemeinsam und geschlossen agieren und dürfe „nicht weiter den schwarzen Peter zwischen Land, Bund, Kreisen und Kommunen hin- und herschieben“.
„Nicht unsere Aufgabe“
Der CDU-Fraktionsvorsitzende Holger Haring sagte, man sei froh, dass man in Weinheim nicht auf „alternative Unterbringungen“ – damit meint er beschlagnahmte Turnhallen oder Zelte – zurückgreifen müsse. Die „nicht abreißenden Flüchtlingsströme“ seien die größte Herausforderung der Politik. Herr Haring befürchte, die Akzeptanz der Bevölkerung könne bald kippen. Dazu sagte er:
Es ist aber nicht unsere Aufgabe, uns dafür Lösungen auszudenken, sondern die von Bund und Land.
Laut dem Landtagsabgeordneten und Stadtrat für die Grünen, Hans-Ulrich Sckerl, dürfe man die Problemlagen nicht romantisieren. Er sei aber zuversichtlich, dass „gut informierte Bürger Verständnis entwickeln“ werden.
Bürgerdialog? Diesmal nicht.
Kritik am Vorgehen des Kreises wurde lediglich von FDP-Stadtrat Günter Breiling geäußert. Er sagte, dass die Zusammenarbeit mit der Weinheimer Bevölkerung bislang vorbildich gewesen sei, unter anderem weil diese frühzeitig in die Planung miteinbezogen worden wäre und Informationen transparent kommuniziert wurden:
Diese Linie hat der Kreis aktuell verlassen.
Die FDP halte die Lösung nicht unbedingt für die beste, die vielleicht möglich gewesen wäre und bedaure, dass der Gemeinderat und die Bevölkerung vor vollendete Tatsachen gestellt worden seien. Dies würde eine Vertrauensbasis beschädigen.
„Wer das Vorgehen nicht gutheißt, ist unvernünftig“
Oberbürgermeister Bernhard, der in der Pressemitteilung vom 30. Juni bereits stellvertretend für die gesamte Stadt sein Verständnis für die „Notlage des Kreises“ zum Ausdruck gebracht hatte, verteidigte erneut das Vorgehen und sagte:
Wer sich objektiv und vernünftig mit dem Thema auseinandersetzt, wird einsehen, dass es keine sinnvolle Alternative gibt.
Aussagen wie diese sind vollkommen unangebracht. Alle, die die Akklammation des Landratsamts nicht einfach abnicken wollen, sind also unvernünftig? Und denkbare Alternativen – selbst die, die der Oberbürgermeister vielleicht noch gar nicht bedacht hat – werden von vornherein als „unsinnig“ abgetan?
So verbaut man sich jeden Weg für einen ergebnisoffenen Bürgerdialog.
Heute um 17:00 Uhr fand im „Waid“ eine Informationsveranstaltung für die „interessierte Bürgerschaft“ statt, um „unbegründete Ängste auszuräumen“. Wir berichten am Freitag.