Ludwigshafen, 09. März 2016. (red/as) Das Festival „Offene Welt“ vom 04. bis zum 13. März 2016 im Ludwishafener Pfalzbau lädt Bürger aller Nationalitäten ein. Mit Kunst und Literatur wird der „culture clash“ analysiert. Es soll ein Zeichen für Akzeptanz und Respekt gesetzt werden. Am Dienstagabend war der Autor Feridun Zaimoglu eingeladen, um aus seinem Roman „Siebentürmeviertel“ zu lesen.
Von Annika Schaffner
Feridun Zaimoglus Vater war über den Besuch seines Sohnes in Ludwigshafen wahrscheinlich aufgeregter, als der Autor selbst. Denn er hat in den 60ern in Ludwigshafen gelebt und bei der BASF gearbeitet, als er „ein knackinger junger Mann war“.
Denke dran, da hat das Deutschlandabenteuer angefangen!,
hat der 85-Jährige seinem Sohn aus der Türkei mitgegeben.
Feridun Zaimoglu ist in der Türkei geboren und lebt seit 45 Jahren in Deutschland, wo er in Kiel Kunst und Humanmedizin studierte. Neben seiner Tätigkeiten als Journalist und Drehbuchautor, ist er ein sehr bedeutender Gegewartsliterat und hat für seine Bücher einige Preise erhalten können.
Siebentürmeviertel – Ein kleiner Junge zwischen den Kulturen
„Siebentürmeviertel“ ist sein neuestes Werk, in dem er sich in das Istanbul von 1939 versetzt. Es erzählt die Geschichte eines deutschen Jungens, der plötzlich in eine andere Kultur versetzt wird:
Der 6-jährige Wolf muss 1939 mit seinem Vater vor den Nationalsozialisten in die Türkei fliehen. Sein Vater macht ihn für den Tod seiner Mutter verantwortlich, da sie bei Wolfs Geburt verstarb. Wolf wird daher in einer türkischen Pflegefamilie abgegeben und wächst in Istanbul auf, genauer gesagt, im Siebentürmeviertel. Die Pflegeeltern sieht er bald als seine richtigen Eltern an.
Als deutscher Junge sticht er in dem Viertel hervor, alle schauen ihn an, lassen ihn deutsche Worte aussprechen. Sie finden es amüsant ihn „kleine Arierseele“ zu nennen oder ihm eine „vererbte Mordlust“ nachzusagen. Sie verstehen nicht, dass Wolf genau davor geflohen ist. Und auch Wolf versteht mit seinen sechs Jahren noch nicht, warum er so anders behandelt wird. Später erfährt Wolf mehr über die Stellung seines Pflegevaters und bekommt mehr Probleme. Siebentürmeviertel erzählt von Wolfs neuer Welt, in der verschiedene Kulturen und Religionen aufeinander treffen. In dieser muss er sich beweisen.
Eine besondere Schulzeit
Mit einer sehr angenehmen, rauen Stimmen liest Feridun Zaimoglu eine Passage aus der Schulzeit des kleinen Jungens vor. Es wird eine sehr strenge Erziehung zur Tüchtigkeit beschrieben, wo die Lehrerin mit dem Zeigestock auch mal Schläge verteilt. Wolf hat von seiner Mutter gelernt sehr schön zu schreiben. Doch dafür wird er vom Schuldirektor hart getadelt, die Frauen würden ihn zur Memme erziehen: „In meiner Schule wird kein Knabe zum Knäbchen!“ Der ungefilterte Eindruck des 6-jährigen Ich-Erzählers wirkt sehr hart. Man kann sich in seinen Respekt vor der Schule reinversetzen.
Seine Pflegeeltern erhalten nach diesem Schultag einen Brief vom Schuldirektor, in dem er strengere Erziehungsmaßnahmen für Wolf vorschlägt, da er den Unterricht gestört hätte. Aber Wolfs Mutter ist eine besondere und tapfere Frau. Sie zögert nicht, zu Wolfs Lehrerin nach Hause zu fahren, um sie zur Rede zu stellen. Sie weiß genau, was sie sagen muss und wirkt unglaublich sicher. So feilt sie einen Deal aus: Die Lehrerin muss den Zeigestock verschwinden lassen, dann wird Wolf auch artig sein. Der Lehrerin bleibt nichts anderes übrig, als zu zustimmen. „Die Figur der türkischen Mutter finde ich besonders interessant“, so eine Zuhörerin.
Feridun Zaimoglu liest ganz anders, als er spricht. Es ist ein fließender Rhythmus, der die Wörter und Sätze miteinander verbindet. Durch die detaillierten Beschreibungen ergänzt von seiner Gestik wirkt seine Erzählung überaus lebendig, authentisch und spannend.
Der erzählt, als ob man selbst dabei wäre!,
meint ein Zuschauer. Obwohl der Autor nicht einmal eine vollständige Stunde gelesen hat, befindet man sich schon in Welt von Wolf.
Ein Vollblut-Schriftsteller
Viereinhalb Jahre hat Feridun Zaimoglu an seinem Buch gearbeitet:
Ich wusste, dass das eine lange Reise wird.
Denn der Autor musste sich zunächst in eine ganz andere Zeit und in ein anderes Milieu versetzen. Dafür benötigte es zunächst viel Recherchearbeit: Er reiste nach Istanbul, studierte das Stadtarchiv und sprach mit den Menschen dort. Eine besondere Hilfe war dabei sein Vater, erzählt Feridun Zaimoglu, da dieser lange Zeit im Siebentürmeviertel gelebt hat. Genau diese Recherchearbeit würde ihn locken, eine Geschichte eines Türken in Deutschland wäre viel zu einfach gewesen, da er ja dann schon wüsste, wie sich das anfühlt.
Sobald der „Übersprung der Vermeidung von logischen Fehlern zu Bildern und Sprache in seinem Kopf“ getan war, gab es kein Halten mehr. Wenn Feridun Zaimoglu eine Geschichte schreibt, durchlebt er einen Bruch in sich selbst „eine Anverwandlung“, er verändert sich, um sich in die Rolle reinzuversetzen. Bei seinem Buch „Leyla“ nahm er dabei sogar eine Frauenrolle ein. Bei „Siebentürmeviertel“ war es die Perspektive des Kindes, die besonders reizend war, erzählt er.
„Am Ende war ich nicht glücklich; ich fühlte mich aus der Welt von Wolf vertrieben.“ Es kommt einem so vor, als würde Feridun Zaimoglu für seine Rollen leben.
Ich möchte meine Geschichten nicht aus der Perspektive eines klugschwätzenden Schreibers erzählen.
Der Autor wirkt beeindruckend. Beeindruckt sind die Zuhörer auch von seiner altmodischen Ader: Er schreibt nur auf seiner elektrischen Schreibmaschine, „was geschrieben ist, wird gedruckt“.
Auf die Frage, ob „Siebentürmeviertel“ ein politischer Roman sei antwortete Feridun Zaimoglu, dass er zumindest einen solchen Mehrwert hat. Bezogen auf die aktuellen Ereignisse in der Flüchtlingspolitik sprach er vor allem gegenüber Bundeskanzlerin Angela Merkel sehr kritisch.
Er findet es zum Beispiel „widerlich“, dass die Menschen in Deutschland vor vollendeten Tatsachen gestellt wurden, die dann als politische Leistungen bezeichnet wurden. Viele politische Schritte könne er derzeit nicht nachvollziehen und diese Politik werde bei den kommenden Wahlen auch ihre Quittung bekommen. Trotzdem hofft der Autor, dass alles gut ausgeht.
Die überwiegend älteren Zuhörer sind begeistert:
Das war ein sehr schöner Abend, obwohl wir komplett unvorbereitet waren.
Feridun Zaimoglu schaffte es ein Publikum aus Deutschen, gemischt mit einigen Türken, für sich zu gewinnen.