Heidelberg/Rhein-Neckar, 09. November 2012. (red/ld) Mit „Tiempos Menos Modernos – Not So Modern Times“ von Simòn Solar wurde gestern das 61. Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg im Schlossgarten eröffnet. Der Film handelt von der Macht der Medien auf Menschen und wie sie das Leben eines argentinischen Einsiedlers auf den Kopf stellen.
![Szene aus "Tiempos Menos Modernos" Szene aus "Tiempos Menos Modernos"](https://istlokal-medien.de/rheinneckarblog1/files/2012/11/Tiempos-menos-modernos-Motiv1.jpg)
Szene aus „Tiempos Menos Modernos“
Payaguala lebt in der argentinischen Steppe mit seinen Schafen. Er hütet sie, reitet mit seinem Pferd aus, bestellt den Hof. Hin und wieder schlachtet er ein Schaf um Fleisch zu machen. Abends baut er im Schein seines Lagerfeuers argentinische Flöten. Niemand besucht ihn.
Ab und zu trifft er sich mit seinem Freund. „Ich bin kein Clown“, beharrt der Schafhirte Payaguala, als sein Freund ihm anbietet, Touristen durch die argentinische Steppe zu führen und diesen ein argentinisches Barbecue zu servieren. Dabei soll er ihnen seine Lieder vorsingen. Für die beiden Männer soll das mehr Geld bringen. Noch weiß Payaguala nicht, dass er schon in diesem Winter vor Touristen singen wird. Der Grund ist eine ominöse Holzkiste, die ein Grenzpolizist ihm eines Tages vor die Tür stellt.
Nur Vogelgezwitscher
Von Beginn des Films an setzt die Wandlung in Payagualas Leben ein: Nach einer Regression der Fortbewegungsmittel vom landenden Flugzeug mit der Kiste im Frachtraum zum Auto, sehen wir Payaguala auf einem Pferd über einen grasbewachsenen Hügel zu seinem Haus reiten. Man hört nur das Zwitschern der Vögel und das Rauschen in den Bäumen. Payaguala schlachtet ein Schaf und hängt das Fell zum Trocknen auf. Am Abend bemalt er eine Pfeife. Die Nacht erhellt nur der Schein seines Lagerfeuers.
Der Einsiedler will niemanden sehen, auch nicht den Grenzpolizisten, der ihm am nächsten Tag die Holzkiste bringt. Der Polizist klopft, ruft nach Payaguala, nichts passiert. Er lässt die Kiste stehen und fährt weg. Erst in dieser Szene sieht man den alten Mann, wie er dem wegfahrenden Truck durch sein Fenster misstrauisch hinterher sieht. Noch versucht er, sich abzuschotten und würdigt die Kiste keines Blickes.
Kiste der Pandora
Eines Morgens fällt seinem Besucher Felipe das seltsame Paket mit der Aufschrift „Fragil“ – zerbrechlich – auf und bringt den Einsiedler dazu die sprichwörtliche Kiste der Pandora zu öffnen: Darin befinden sich ein Telefon und ein Satellitenfernseher. Noch ist Payaguala skeptisch, doch, was die bewegten Bilder nehmen ihn mit. Sie zeigen ihm eine Welt, die er außerhalb seiner Hütte nicht kennt: Shopping-Sender, Nachrichten, Wetterbericht und Telenovelas ziehen ihn in ihren Bann. Statt lange Ausritte zu machen, um seine Freunde zu treffen, greift er zum Telefon, statt Instrumente zu bauen, verfolgt er gebannt Telenovelas, Chips essend vor dem Fernseher, bis er einschläft.
Clown wider willen
Der nahende Winter reißt ihn aus seinem Traum: „Die Ranch ist nicht gemacht. Es gibt kein Holz und keine Vorräte“, berichtet er entsetzt seinem Freund. Er wird also doch für Touristen singen. Payaguala wird zum Clown. Er hat keine andere Wahl, wenn er den Winter überleben will.
![solar-0314](https://istlokal-medien.de/rheinneckarblog1/files/2012/11/solar-0314.jpg)
Regisseur Simòn Solar beim Start des Filmfestivals in Heidelberg.
Simòn Solar schreibt mit seinem Film „Tiempos Menos Modernos“ einen Wechsel in einem Leben, der den Protagonisten vom Extrem des einsiedelnden Schäfers mit harter, anstrengender Arbeit ins Extrem des Medienkonsumenten, der sich in eine Telenovela verliebt und darüber die Welt und seine daraus resultierenden Probleme vergisst. Die Wandlung scheint sich langsam zu vollziehen, wie die langen Einstellungen mit der Stativkamera suggerieren. Entscheidend ist der Ton – die Geräuschkulisse. Solar montiert Natur gegen Unterhaltung, Geplapper gegen Gezwitscher.