Südwesten/Ellwangen, 09. Mai 2018. (red) Die verhinderte Abschiebung eines Togolesen und der folgende Großeinsatz der Polizei in der Landeserstaufnahmeunterkunft Ellwangen gärt als Politikum weiter. „Die Bewohner“ werfen der Polizei nun Rassismus vor und eine politische Instrumentalisierung.
Fest steht so viel: Keiner der Bewohner hat die in sehr gutem Deutsch verfasste „Dokumentation“ geschrieben. Ob auch alle 292 Personen, die vom Polizeieinsatz betroffen waren, mit dem Verfasser gesprochen haben, darf bezweifelt werden – mindestens 27 waren nicht dabei, denn die sind verhaftet worden.
Angeblich wurde „nichts gefunden“ – das widerspricht Angaben der Polizei, die mitteilte, Drogen und große Bargeldmengen sichergestellt zu haben.
Der Vorwurf des Rassismus wiegt schwer und wird auch prompt in anderen Medien kolportiert, beispielsweise bei Zeit Online.
Beide Aktionen, die verhinderte Abschiebung eines Togolesen sowie der Großeinsatz der Polizei, waren bundesweit Thema. In der Nacht zum 30. April wollten zwei Streifenwagenbesatzungen einen Togolosen abholen, der im Rahmen von Dublin II nach Italien abgeschoben werden sollte. Eine Menschenmenge von rund 150 Personen verhinderte das. Die Beamten zogen sich zurück, am 03. Mai gab es dann am frühen Morgen den Einsatz von hunderten Beamten sowie die oben erwähnten Festnahmen von Personen, die schon häufig als Krawallmacher aufgefallen sein sollen.
In Ellwangen sich aktuell rund 500 Zugewanderte untergebracht, die meisten aus afrikanischen Ländern und nach unseren Informationen überwiegend Männer. Die Polizei rechtfertigte den Großeinsatz, weil sie Informationen haben will, dass sich „innerhalb der LEA Strukturen bilden, die darauf abzielen, behördliche Maßnahmen zu unterbinden“. Daraus ergebe sich die „Gefahr, dass sich hier ein rechtsfreier Raum bildet“.
Zwei der Bewohner haben laut Behördenangaben eine Demonstration angemeldet: „Die Versammlung beginnt um 17 Uhr mit einem Pressegespräch vor dem Eingangstor der LEA. Ab ca. 18 Uhr ist ein Marsch über die L 290 in die Innenstadt vorgesehen. Der Marsch führt dann durch die Marien- und Spitalstraße zum Marktplatz und schließlich zum Bahnhof. Das Ende der Veranstaltung ist dort für ca. 20 Uhr vorgesehen.“
In diesem Video soll sich der abzuschiebende Togolese äußern.
Innenminister Thomas Strobl (CDU) plant in Mannheim ein „Ankerzentrum“ mit bis zu 3.500 Personen. Hier sollen Zugewanderte aufgenommen und registriert werden. Wer keine Bleibeperspektive hat, soll aus diesen Einrichtungen heraus abgeschoben werden (siehe unsere Berichte hier und unterhalb des Artikels).
Dokumentation der Stellungnahme des Flüchtlingsrats Baden-Wüttemberg:
„Viel wurde über uns geredet, jetzt reden wir!“
Stellungnahme von Geflüchteten in Ellwangen
Wir dokumentieren eine Stellungnahme von Bewohner*innen der Landeserstaufnahmestelle in Ellwangen zu den Ereignissen der letzten Woche.
„Wir, Bewohner*innen der Landeserstaufnahmeeinrichtung Ellwangen laden für Mittwoch den 9. Mai 2018, um 17 Uhr zu einer Pressekonferenz ein und rufen ab 18 Uhr zu einer Demonstration auf. Zwischen 12 bis 18 Uhr findet auf dem Marktplatz in Ellwangen eine Mahnwache statt.
Die Pressekonferenz wird direkt vor der Landeserstaufnahmeeinrichtung Ellwangen stattfinden. Dort wird auch die Demonstration beginnen. Wir rufen alle demokratisch gesinnten Menschen auf, sich an der Demonstration zu beteiligen und diese zu beschützen. Unterstützen sie unseren gerechten Protest und hören sie uns zu, was wir als Betroffene zu dem Polizeieinsatz zu sagen haben. Viele von uns sind durch den bürgerkriegsähnlichen Polizeieinsatz tief verunsichert.
Am Montag den 30. April gegen 2.30 Uhr sollte ein Togoer von der Polizei aus der Landeserstaufnahmeeinrichtung abgeholt werden. Der Protest entstand spontan. Einige Abschiebungen bei dem die Polizei laut und aggressiv vorgegangen ist, haben wir schon erlebt. Unser Protest war bestimmt, aber zu jedem Zeitpunkt friedlich. Vorwürfe, jemand sei gegen die Polizei mit Gewalt vorgegangen sind falsch und haben sich auch nicht bestätigt. Falsch ist auch, dass die Person die man abschieben wollte, bereits im Polizeiauto saß. Der Togoer stand entfernt neben uns in Handschellen. Die Polizei verließ während des Protests die Landeserstaufnahmeeinrichtung und gab einem dort beschäftigten Security-Mitarbeiter die Schlüssel für die Handschellen. Der Togoer war, nach dem die Polizei sich entfernt hatte, noch etwa eineinhalb Stunden in Handschellen, bis die Security ihm die Handschellen abnahm. Das ist die wesentliche Geschichte vom Montag. Der Betroffene ist auch nicht untergetaucht, wie behauptet wurde. Niemand ist bei dem spontanen politischen Protest zu Schaden gekommen.
Am Donnerstag den 3. Mai 2018 kam es in der Nacht zwischen 3 und 4 Uhr zu einem Polizeieinsatz an dem mehrere hundert Polizisten beteiligt waren. Auch ein Polizeihubschrauber war im Einsatz. Ziel waren drei Gebäude, wovon 292 Personen betroffen waren. In den Gebäuden positionierte sich die Polizei vor sämtlichen Türen und schlug zeitgleich alle Türen ein, obwohl man die Türen in der Einrichtung nicht abschließen kann. Wir waren alle im Bett. Die Polizei leuchtete mit Taschenlampen. Niemand durfte sich anziehen. Alle mussten die Hände in Höhe halten und wurden gefesselt. Die Zimmer wurden durchsucht. Viele wurden bei der Polizeiaktion verletzt. Wer Fragen stellte musste mit Gewalt rechnen.Wir dachten es handelt sich um eine großangelegte Abschiebeaktion. Wie wir später erfuhren, durften die Bewohner*innen der Nachbargebäude ebenfalls die Gebäude nicht verlassen. Die Polizei unterstellte in einer Pressemitteilung wir hätten Waffen und gefährliche Gegenstände. Nichts von dem ist wahr, nichts wurde bei den Durchsuchungen gefunden. Mehr dazu erfahren Sie am Mittwoch bei der Pressekonferenz.
Wer auch immer diesen Polizeieinsatz zu verantworten hat, er war politisch motiviert und inszeniert. Die bundesweite Berichterstattung und Diskussionen über eine nächtliche spontane, friedliche und politische Aktion, zeigt, wie stark dieses Land mit fremdenfeindlichen Ressentiments aufgeladen ist. Viel wurde in den letzten Tagen über uns geredet. Niemand hat uns nach unserer Meinung gefragt. Am Mittwoch möchten wir über die Polizeiaktion und über unsere Situation in der Landeserstaufnahmeeinrichtung sprechen. Wir hoffen, es werden uns viele zuhören.“