Mannheim/Rhein-Neckar, 08. Dezember 2014. (red) Die Pflege ist ein großes uns sensibles Thema in der Gesellschaft – häufig ein Problemthema. Es fehlen Kräfte, es fehlt oft an Qualität. Dabei denken die meisten bis dato vor allem an Deutsche, die zu Hause oder in einer Einrichtung gepflegt werden müssen, weil sie selbst nur noch teilweise oder gar nicht mehr pflegen können. Doch was ist mit den Millionen von Ausländern im Land, die auch älter werden und wie Deutsche pflegebedürftig werden? Viele Pflegeeinrichtungen sind in kirchlicher Trägerschaft – sind das geeignete Orte für Muslime beispielsweise? SPD-Stadträtin Marianne Bade beschreibt in ihrem Gastbeitrag die Herausforderungen und offenen Fragen zum Thema in der Reihe „Montagsgedanken“.
Gastbeitrag: Marianne Bade
Stellen sie sich vor, sie sind im Urlaub, vielleicht irgendwo in Asien. Sie werden krank, kommen in eine Arztpraxis, ein Krankenhaus, verstehen wahrscheinlich die Sprache kaum, die Umgebung ist ungewohnt, vielleicht sogar Angst und eigentlich widerstrebt ihnen das, was die Menschen dort von ihnen verlangen, denn es ist mit ihren Gewohnheiten absolut nicht kompatibel. Sie halten das aus, denn wenn Sie clever waren, haben Sie für einen schnellen Rücktransport vorgesorgt. Wenn nicht, müssen Sie sich in ihr „Schicksal“ fügen.
Bedürftig in der „Fremde“
Krank und bedürftig in der Fremde – eine Horrorvorstellung für sie? Für mich auch. Vielen Menschen geht das bei uns genau so. Es sind Menschen, die vor vielen Jahren zu uns kamen, um Geld zu verdienen und danach wieder nach Hause zu fahren und sich mit dem Ersparten in der „Heimat“ vielleicht ein kleines Häuschen, ein Feld zu kaufen und sorgenfrei zu leben. So waren viele Vorstellungen. Doch für viele kam es anders.
Die Menschen haben geheiratet. Sie haben Kinder bekommen. Hier bei uns waren die Bildungschancen besser und wie alle Eltern wollen dies Zuwanderer, dass es ihren Kinder besser geht als ihnen selbst. Viele sind hier geblieben – auch, weil „hier“ die Heimat ihrer Kinder ist. Sie haben hart gearbeitet. Für die Ausbildung ihrer Kinder. Und die Rechnung ging auf. Viele Kinder dieser „Fremden“ haben eine gute Ausbildung, ob eine gewerbliche oder ein Studium. Für die Eltern blieb wenig Zeit, unsere Sprache zu lernen. Vermutlich gab es auch nur wenig Möglichkeiten.
Alte Traditionen treffen auf neue Lebensrealitäten
Inzwischen sind die Eltern alt. Sie brauchen Hilfe. Pflege. In ihrer Heimat war das die Aufgabe der Schwiegertöchter, eine Familienangelegenheit. Aber es ist anders, als „man“ das kennt. Heute arbeitet die Schwiegertochter, hat selber Kinder und wohnt vielleicht in einer anderen Stadt. Die alte Tradition gilt nicht mehr wie früher.
Was kann man tun? Ambulante Pflege? Sicher zunächst eine gute Lösung. Aber wer kommt da zu den Menschen? Ist es jemand, der deren Muttersprache beherrscht? Ist es jemand, der weiß, was die Lebensgeschichte des Pflegebedürftigen ist, welche „kulturellen Eigenarten“ zu beachten sind? Akzeptiert er, die Schuhe vor der Wohnung aus zu ziehen? Weiß der Dienst, dass sich die Frau von keinem Mann waschen lassen wird und umgekehrt? Hat er Verständnis dafür, dass sich der Patient nicht ganz entkleiden wird, dass baden bisher nicht zu den täglichen Gewohnheiten gehört und dass Wasser kostbar ist und man es nicht verschwendet? Bei uns kommt sauberes Trinkwasser aus der Leitung – in vielen Ländern dieser Welt ist das nicht so.
Sprache, Essen, Glaube
Noch komplizierter wird es, wenn dann eine Pflege zu Hause nicht mehr möglich ist. Was ist das geeignete Haus für die Eltern? Gibt es dort jemanden, der die Sprache versteht? Wer kocht das Essen und kann ich erwarten, dass es halal oder koscher ist? Gibt es einen Samowar für den Tee? Ist das Zimmer groß genug, wenn die Familie zu Besuch kommt? Gibt es einen Raum, in dem man ungestört Gebete verrichten kann? Wohnt dort vielleicht schon jemand, der die Muttersprache spricht? Wird es möglich sein, dass man innerhalb von 24 Stunden beerdigt werden kann und zwar so, wie es die Religion vorschreibt?
Hinter all diesen Fragen stehen enorme Aufgaben, vor der wir beim Thema Pflege unserer Menschen mit Zuwanderungsgeschichte stehen.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Wir brauchen kein muslimisches Pflegeheim. Was wir aber brauchen, sind Einrichtungen, die sich auf die Würde dieser Menschen vorbereiten. Menschen mit nicht-christlichem Glauben. Menschen aus anderen Kulturen. Sei es im Bereich der Mitarbeiter mit Integrationsgeschichte, sei es mit der Ausstattung von Zimmern und Wohngruppen oder ganz schlicht und ergreifend zum Thema Essen.
Kultursensible Angebote müssen geschaffen werden
Wir alle wissen, dass gerade bei nur einer leicht demenziellen Entwicklung die Menschen die zweite Sprache schneller vergessen als die Muttersprache. Wir wissen auch, dass Lebensgewohnheiten, die man eigentlich abgelegt hat, wieder eine große Rolle spielen, vor allem dann, wenn sie mit Tradition und ethnischen Vorstellungen verbunden sind. Das gilt für uns Deutsche so und für alle Menschen aus anderen Kulturen.
Hier gilt es ein Angebot zu schaffen, das gerade darauf Rücksicht nimmt und bedürftige Menschen und deren Angehörige in die Einrichtungen integriert und nicht ausschließt.
Die schwerste Aufgabe dürfte es aber sein, die Menschen davon zu überzeugen, dass es richtig ist, diese Hilfe auch anzunehmen. Das gilt für die Betroffenen wie für die Angehörigen.
Vielleicht gibt es ja auch in naher Zukunft muslimische oder orthodoxe Religionsgemeinschaften, die solche Häuser erbauen und betreiben. Wenn die dann, genau wie der muslimische Kindergarten in Mannheim, offen sind für alle, dann haben wir viel erreicht und sind dem Ziel, „dass es normal ist, anders zu sein“, auch in Sachen „Integration“ einen großen Schritt näher gekommen.
ZUR PERSON: Marianne Bade wurde 1952 am Bodensee geboren. Sie ist ausgebildete Krankenschwester, war zunächst im Heinrich-Lanz-Krankenhaus angestellt und ist seit 1992 in der ambulanten Pflege (Ökumenische Sozialstation Neckarau) tätig. Sie hat zwei erwachsene Töchter. Seit 1988 ist sie SPD-Mitglied, seit 1994 Stadträtin, seit 2004 stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Sie ist Mitglied in zahlreichen Vereinen und Arbeitskreisen, beispielsweise Vorstandsmitglied Mannheimer Institut für Interkulturelle Zusammenarbeit und interreligiösen Dialog. Sie ist „Stimmkönigin“ der vergangenen Kommunalwahl und in Mannheim als engagierte Stadträtin und Bürgerin weithin bekannt und geschätzt. |
Anm. d. Red.: Dieser Beitrag wurde von uns angefragt. Wir freuen uns sehr über Vorschläge zu Themen, die wir bearbeiten sollen oder über Beiträge von Gastautoren in unserer neuen Reihe „Montagsgedanken“. Diese Kolumne steht allen offen, die zu einem gesellschaftlich relevanten Thema einen Beitrag verfassen und zur öffentlichen Diskussion stellen möchten. Die Themen sollten möglichst aktuell sein, es kann aber auch um „Grundsätzliches“ gehen. Wir prüfen die Inhalte, machen Redigiervorchläge, wenn wir dies für sinnvoll erachten. Die Veröffentlichung geschieht immer im Einvernehmen mit den Autor/innen. Ein Anspruch auf Veröffentlichung besteht nicht. Werbende Texte oder extremistische Inhalte veröffentlichen wir natürlich nicht.