Rhein-Neckar/Straßburg, 08. Juli 2016. (red) Vor zwei Wochen haben 52 Prozent der Stimmberechtigten in Großbritannien für den „Brexit“, also das Verlassen der EU gestimmt. Kurze Zeit darauf hieß es, viele hätten nicht wirklich gewusst, was sie da abstimmen. Woher wissen die Leute eigentlich etwas zum Thema und wie sie abstimmen wollen? Über Medien. Und wer glaubt, dass diese unabhängig berichten, der glaubt auch noch ans Sandmännchen. Udo Seiwert-Fauti kennt sich mit den Medien im UK gut aus und beschreibt eine dramatische Lage.
Von Udo Seiwert-Fauti, Europa- und Schottland-Korrespondent, Strasbourg-Edinburgh

Klare Handlungsempfehlung
Die „ wo stehen eigentlich die britischen bzw. englischen Zeitungen beim Brexit? “- Bilanz kurz vor dem britischen EU Referendum war eindeutig:
Die Tageszeitungen Times, Guardian, Financial Times, London Evening Standard, Daily Mirror, die Onlinezeitung Independent, die Sonntagzeitung Mail on Sunday , die Magazine Economist und New Statesman bekannten sich zum Remain, dem Verbleib in der EU.
Die Tageszeitungen Daily Mail, The Sun, Daily Express, Daily Telegraph, die Sonntagszeitungen Sun on Sunday, Express on Sunday, Sunday Telegraph, Sunday Times und das Magazin The Spectator unterstützten Leave, die Kampagne zum Verlassen der EU.
Schottland ist nicht England
Ganz anders sah das in Schottland aus. Wenn es auch in einigen Zeitungen durchaus kritische EU-Töne und Artikel gab, beispielsweise im Edinburgher Scotsman, schrieben Zeitungen wie The National , The Herald und Sundayherald (alle Glasgow), Scotland on Sunday (Edinburgh) oder das Aberdeen Press and Journal sehr eindeutig für den Verbleib in der EU.
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Die redaktionelle wie publizistische Unterstützung der einen oder anderen Seite geschieht im United Kingdom nicht nur in redaktionellen Artikeln, sondern vor allem auch mit klaren und deutlichen Ansagen auf der Seite 1, die dann an allen Zeitungsständen um UK nicht zu übersehen sind.
So titelte das Murdoch-Tabloidblatt The Sun am Tag der Wahl : „ Be Leave“, der Daily Express „ Vote Leave Today“. Fetter gingen die Schlagzeilen nicht!
Kampagnenjournalismus
Wer vor großen politischen Ereignissen eine unabhängige und vor allem unparteiische Berichterstattung der britischen Zeitungen erwartet, ist ziemlich allein gelassen. Bei großen politischen Events wie Unterhauswahlen oder einem EU-Referendum werden alle britischen Zeitungen mehr oder weniger zu Werbe- und Kampagnenblättern, die ihre Klientel, die sie meist sehr gut kennen, bedienen wollen und müssen.
Verkaufe und Erlöse gehen dann vor unabhängigen und unparteiischen Journalismus. Wer für diese Zeitungen und Medien arbeitet, weiß im UK klar, worauf er sich einlässt.
Um dieses britische Zeitungsverhalten zu verstehen, lohnt sich immer wieder ein Blick auf die Besitzverhältnisse der jeweiligen Zeitungen und Medien.
Wer bezahlt, bestimmt

The Sun feiert das Ergebnis
The SUN, Times, Sunday Times sowie der TV Kanal Sky TV (inkl. Sky News und Sky Sport Deutschland) gehören News Corp. Dahinter steht der US-australische Medienunternehmer Rupert Murdoch. Der wird immer wieder mit folgendem Ausspruch zitiert: „Wenn ich No10 Downing Street etwas sage, tun sie es. Wenn ich der EU etwas sage, geschieht nichts!“ Euro und EU sind für Murdoch immer wieder Aufreger oder anders ausgedrückt: Sie sind das rote Tuch für den mit Ex -Mick Jagger-Ehefrau Jerry Hall neu verheirateten Medienzar.
Dieses Mal scheint allerdings die Murdoch´sche Anti-EU-Stallorder nicht so ganz befolgt worden zu sein. Ausgerechnet die konservative Times, die die Konservative Partei von Parteichef und Noch-Premier David Cameron unterstützte, sprach sich pro EU aus. Eine Umfrage unter ihren Lesern hatte kurz vor dem EU-Referendum ergeben, dass 62 Protzent der Leser Remain, den Verbleib in der EU, befürworteten. Auch die Financial Times befürwortete die EU, während die Sunday Times klar Stellung für Leave bezog.
Größter Konkurrent von Newscorp ist das Medienunternehmen DMG Media, das dem Daily Mail und General Trust gehört. Der Trust ist in 40 Ländern tätig und besitzt im UK die Zeitungen Daily Mail, Mail on Sunday, das erfolgreichste Onlineportal Mail Online und verlegt die erfolgreiche kostenlose Tageszeitung Metro, die in allen Edinburgher Bussen ausliegt. Daily Mail und Mail on Sunday befürworten eine klaren Ausstiegskurs, bis heute.
Auf der Leaveseite wird aber noch ein weiteres Medienimperium und sein Einfluss auf die veröffentliche Meinung deutlich. Den beiden in Monaco sowie auf der Kanalinsel Sark wohnenden Brüdern David und Frederick Barclay gehören The Scotsman in Edinburgh, The European, Sunday Business und die Daily Telegraph Gruppe mit Daily Telegraph, Sunday Telegraph und Spectator. Die „Barclay“-Zeitungen unterstützten – wer wundert sich?- Leave, während sich der Scotsman sicher mit knirschenden Zähnen für ein – „Na ja, wir bleiben drin“ – entschied. Alle schottischen Wahlkreise sprachen sich mit immer 63 Prozent für einen Verbleib in der EU aus, in Edinburgh, dem Scotsman Sitz, waren es gleich 74 Prozent.
Bei der englischen Zeitungsgruppe Express mit ihren Produkten Sunday Express und der Tageszeitung Daily Express wird die Verbindung von Politik und Medien im UK noch deutlicher. Vor der Unterhauswahl im Herbst 2015 spendete Express-Alleinbesitzer Richard Desmond 1 Million Pfund an die EU- und Europakritische Partei UKIP, die immer wieder mit LEAVE-Leader Nigel Farange von sich reden macht. Auch hier weiß also jeder Leser sehr genau, was er von den Expressprodukten zu erwarten hat.
Klare Positionierungen

Schottland ist Europa.
Eine komplett anderes Geschäftsmodell haben die Tageszeitung Guardian und ihre Sonntagsausgabe Observer sowie der neuerdings nur als Onlinezeitung erscheinende Independent: Guardian und Observer werden von der Guardian Media Group verlegt. Diese gehört wiederum dem Scott Trust Ltd. Er soll die Unabhängigkeit von Guardian und Observer gewährleisten.
Die auch in Deutschland bekannten Druckerzeugnisse Independent und Independent on Sunday wurden im März 2016 von ihrem Besitzer, dem russischen Milliardär Alexander Lebedev, endgültig eingestellt. Seither erscheint der Independent täglich nur noch als Online-„Zeitung“.
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Eine publizistische wie journalistische Besonderheit im britischen Medienmarkt ist die Glasgower Herald Group. Sie gehört zur britischen Newsquest Media Group, die ihrerseits zum US Medienkonzern Gannett gehört. Newsquest ist die zweitgrößte britische Lokal- und Regionalzeitungsgruppe, mit 165 Zeitungen 40 Magazinen. In Glasgow druckt Newsquest die Tageszeitung The Herald, die Sonntagszeitung Sundayherald, die Abendzeitung Evening Times und The National.
Die Besonderheit dieser vier Titel wird täglich dem Glasgower und schottischen Publikum vor Augen geführt. The Herald war und ist sehr EU-kritisch und strikt gegen Schottlands Unabhängigkeit. Der Sundayherald hingegen ist klar pro EU und unterstützt unmissverständlich Schottlands Unabhängigkeit. Während sich die Evening Times ziemlich mittendrin positioniert hat, ist es beim National sehr deutlich, wo er steht.
Im Untertitel der ersten Seite lässt die National Chefredaktion täglich keinen Zweifel am Standpunkt aufkommen: „Supporting Scotland´s Independence“. Beim EU Referendum stand die Zeitung klar hinter Schottlands sozialdemokratisch-linker Regierungspartei Scottish National Party, die nach wie vor für Schottlands Unabhängigkeit und Europa eintritt.
The National wurde im Herbst 2014, während des ersten Unabhängigkeitsreferendums Schottlands, vom damaligen Sundayherald Chefredakteur Richard Walker gegründet. Lag die Auflage anfangs bei 60- 70.000 Exemplaren, hat sich der Verkauf heute bei rund 20 – 30.000 täglich eingependelt.
Newsquest lässt an seinem neuen schottischen Stallmitglied keine Zweifel aufkommen. Die Zeitung trägt und verkauft sich, heißt es aus der Führungsetage.
Unabhängigen Journalismus? Gibt es – BBC

Udo Seiwert-Fauti ist EU-Experte und kennt vor allem das UK und seine Medienlandschaft sehr gut. Deutsche Medien haben die Beeinflussung der Menschen über Kampagnenjournalismus so gut wie gar nicht berichtet.
Wer diese Hintergründe der britischen Medienbesitzermacht kennt, fragt sich sehr oft, ob und wo es denn im UK überhaupt noch ein unabhängiges und von Verkaufsinteressen losgelöstes und vor allem ausgewogenes Medium gibt?
Die Antwort darauf heißt nach wie vor: BBC.
Die British Broadcasting Corporation BBC ist aufgrund der BBC Royal Charter und ihrer viele hundert Seiten umfassenden internen Editorial Guidelines verpflichtet, keinerlei Meinung zu berichten, sondern ausschließlich lange und intensiv recherchierte Fakten. Wer es nicht glauben will, die ständig upgedateten Guidelines sprechen für sich. Dieses Handbuch ist weltweit einmalig.
Wie in und von der BBC nicht anders zu erwarten, erarbeitete und veröffentliche die BBC für das EU-Referendum im UK strikte Richtlinien für die Öffentlichkeit und vor allem für ihre mehr als 20.000 Mitarbeiter.
Diese „EU Ref Guidelines“ haben nun nach dem Referendum innerhalb und außerhalb der BBC für intensive Diskussionen gesorgt. Der Vorwurf lautet, die BBC habe nach diesen Regeln so strikt die politische Ausgewogenheit gewahrt, dass sie einem Remain–Standpunkt sofort einen Leave-Standpunkt gegenübersetzte. Dabei habe sie ihre Aufgabe vergessen, journalistisch Lügen (vor allem einer Seite) auch als solche zu entlarven. Die Diskussion wird sich noch eine Weile fortsetzen – on-going heißt das auf Englisch.
Deutscher Verlag zweitgrößter Radio-Veranstalter im UK
Der Hamburger Bauer Verlag besitzt im UK über seine Abteilung Bauer Radio nahezu alle schottischen Lokalradios. Im UK sind es mittlerweile 80 Bauer Radios. Die Hamburger sind damit der zweitgrößte Radio-Anbieter im UK. 11 Millionen Digitalradiohörer verzeichnet das Unternehmen pro Woche und ist damit Marktführer im UK.
Und wie hat sich der große deutsche Radio Player im UK während des EU Referendums verhalten?
Alle ihm gehörenden Privatradios in Schottland und England richteten sich mehr oder weniger nach der BBC Devise aus. Man war auf keiner Seite, bezog für keine Seite Stellung und berichtete pro und contra.
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