Guten Tag!
Rhein-Neckar, 08. November 2011. (red/cm) Am 27. November steht Baden-Württemberg erstmalig in der Landesgeschichte eine Volksabstimmung bevor. Das Thema könnte dabei nicht schwieriger sein. Es geht um „S21“. Einen milliardenschweren Bahnhof für Stuttgart (S21), der in den vergangenen Monaten abertausende Bürger auf die Straßen getrieben hat. Im Rahmen der Volksabstimmung wird nun deutlich werden, wie breit die Ablehnung oder Unterstützung für „S21“ ist – vor allem wird interessant sein, wie sich die Bürgerinnen und Bürger fernab von Stuttgart verhalten.
Von Christian Mühlbauer
Das monatelange Kräfteziehen um das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 (S21) lässt sich nur schwer knapp zusammenfassen – es ist ein komplexes Projekt, sechszehn Jahre ist es in der Entwicklung, seit über einem Jahr überschlagen sich die Entwicklungen.
Angefangen vom „schwarzen Donnerstag“, als die Polizei friedliche Bürger verprügelte bis hin zur Landtagswahl 2011, als es einen historischen Regierungswechsel gegeben hat, der ohne „Stuttgart 21“ kaum denkbar war.
Bei Befürwortern wie Gegnern gibt es einfach zu umfangreiche Facetten. Die wesentlichen Kernpunkte sind jedoch einfach nachvollziehbar.
Pro-Seite
Auf der einen Seite stehen die Schöpfer und Befürworter von Stuttgart 21, die aus dem obererdigen Kopfbahnhof einen unterirdischen Durchgangsbahnhof machen wollen.
Dieser soll – verteilt auf mehrere Ebenen – die Stadtentwicklung vorantreiben. Gemeint ist damit auch die Schaffung neuer wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Möglichkeiten, die der Bahnhof im Zentrum Stuttgarts ermöglichen soll. Darüber hinaus wird aufgrund der Durchfahrtmöglichkeit eine Fahrzeitverkürzung mit ebenfalls daraus hervorgehenden Zunahmen bei den Bahnreisenden angenommen.
Contra-Seite
Die Projektgegner halte indes entgegen, dass das Mammut-Projekt eher schädlich für die Region ist. Die Bahnkunden würden durch den Bahnhof nichts gewinnen. Auch die angekündigte Fahrzeitverkürzung sei bestenfalls marginal. Aufgrund der größe des Bauprojektes finde zudem eine nicht akzeptierbare Beeinflussung der Umwelt vor.
Auch hinsichtlich der Baukosten des Projektes seien die Schätzung fernab der Realität, von der enormen Investitionslast, an der auch das Land Baden-Württemberg beteiligt ist, ganz zu schweigen. Insgesamt soll Stuttgart 21 über 4 Milliarden Euro kosten. Die Kritiker gehen von einem deutlich höheren Betrag aus.
Nachdem die Grünen in Baden-Württemberg im Zuge der Landtagswahlen und durch die Wahl ihres Koalitionspartners bemüht zeigten, gegen Stuttgart 21 vorzugehen, brachte man im September den entscheidenden Schritt auf den Weg.
Das Kündigungsgesetz
Mit Ausnahme der Grünen stimmten alle Parteien gegen das sogenannte Kündigungsgesetz , mit dem der Ausstieg des Landes aus der Finanzierung des Bahnhofsprojektes ermöglicht worden wäre. (Information der Landesregierung und Dokumentation des Entwurfs finden Sie hier.)
Aufgrund des Scheiterns des Gesetzes wurden die Grünen nun in die Lage versetzt, eine Volksabstimmung auf den Weg zu bringen. Es brauchte hierzu lediglich die Initiative von einem Drittel der Abgeordneten. Nach Ansicht des Verfassungsrechtlers Paul Kirchoff ist eine derartige Volksabstimmung jedoch rechtlich nicht möglich.
Nur wenig später wurde dann auch die Frage bekannt, mit der die Bürger im Rahmen der Volksabstimmung konfrontiert werden. Diese werden nämlich nicht etwa gefragt, ob sie für oder gegen Stuttgart 21 sind.
Vielmehr muss sich eine Volksabstimmung auf das gescheiterte Kündigungsgesetz beziehen. Deshalb werden die Bürger Baden-Württembergs am 27. November folgender Frage in den Wahlkabinen gegenüberstehen:
„Stimmen Sie der Gesetzesvorlage, Gesetz über die Ausübung von Kündigungsrechten bei den vertraglichen Vereinbarungen für das Bahnprojekt Stuttgart 21′ (S-21-Kündigungsgesetz) zu?“
Wer sein Kreuzchen bei „Nein“ macht, erklärt damit, dass er gegen das „Kündigungsgesetz“ ist, mit dem das Land aus den vertraglichen Vereinbarungen rund um das Bahnprojekt Stuttgart 21 aussteigen könnte.
Wer sein Kreuzchen hingegen bei „Ja“ macht, spricht sich für das „Kündigungsgesetz“ aus. Dies ebnet den Weg, damit das Land Baden-Württemberg aus dem Bahnprojekt aussteigen kann.
(Siehe auch unseren weiteren Bericht hier im Blog.)
Ungeachtet der möglichen Abstimmungsergebnisse bleibt indes jedoch fraglich, ob die Volksabstimmung überhaupt erfolgreich zustande kommt.
Damit dies geschieht, muss ein sogenanntes „Quorum“ erreicht werden. Das bedeutet, dass ein Drittel der wahlberechtigten Bevölkerung im Rahmen der Volksabstimmung ihre Stimme mit Ja abgeben müssen. Wenn dies nicht geschieht, entsteht kein Quorum, so dass auch die Volksabstimmung gescheitert wäre.
Laut der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg müssten etwa 2,5 Millionen Bürger zu den Wahlurnen gehen.
Um diesen Wert ins Verhältnis setzen zu können: Bei der Landtagswahl 2011 in Baden-Württemberg gingen rund 5 Millionen Bürger des Landes zur Wahl. Die Grünen erhielten rund 1,2 Millionen Stimmen.
Der CDU-Landtagsabgeordnete Georg Wacker hatte zwar das Direktmandat gewonnen, aber nur mit deutlichen Verlusten. (siehe unseren Artikel zur Stimmenauszählung.)
Der grüne Abgeordnete Hans-Ulrich Sckerl (hier in unserem Video nach der Wahl) hingegen wurde zweiter und darf als „Gewinner“ gelten, hat er doch deutliche Stimmungzuwächse auf sich vereinigen können.
Der SPD-Abgeordnete Gerhard Kleinböck wurde dritter, wie sein Konkurrent Wacker musste auch er Stimmeinbußen hinnehmen. Die FDP hat ihr Mandat verloren.
Der Wahlkreis gilt traditionell als konservativ, aber es ist viel Bewegung drin. Die Abstimmung wird also spannend.
(siehe auch unseren Kommentar: Grün-rot hat gewonnen – und zwar einen Haufen Probleme.)