Heidelberg, 08. Juni 2013. (red/zef) Seit Juli 2012 bietet das Amt für Chancengleichheit zusammen mit dem Heidelberger Jobcenter und dem Verein „Wir gestalten Berufstätigkeit und Vereinbarkeit“ den Workshop „Raus aus dem Alltag, ich plane meine Zukunft“ an. Dieser soll Alleinerziehenden, die ausschließlich für ihr Kind sorgen oder gesorgt haben, den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt erleichtern. Unter der Leitung von Diplompädagogin Liselotte Kühne haben sich von Dienstag bis Donnerstag sieben alleinerziehende Mütter aus Heidelberg getroffen. Gemeinsam suchten sie drei Tage nach Wegen, um künftig wieder im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. In Anwesenheit des Gemeinderatsmitglieds Frau Dr. Barbara Greven-Aschoff (Bündnis90/Die Grünen) formulierten sie Forderungen, was künftig in Heidelberg verbessert werden muss.
Von Ziad-Emanuel Farag
In 2.985 Heidelberger Haushalten mit einem Kind unter achtzehn Jahren lebt nur ein Elternteil. Damit sind 25,6 Prozent aller Eltern in der Stadt alleinerziehend – gut ein Vierteil also. Heidelberg liegt somit deutlich über dem bundesweiten Durchschnitt, der 2011 zwanzig Prozent betrug. Der Titel des Workshops war geschlechtsneutral gehalten, er stand also alleinerziehenden Eltern beider Geschlechter offen. Doch männliche Teilnehmer suchte man vergeblich, es kamen sieben Teilnehmerinnen. 2010 waren nur sechzehn Prozent aller alleinerziehenden Elternteile in Heidelberg Männer, das sind immerhin noch circa 500 Väter.
Auch Männer haben Interesse. Sie hören aber vorab, dass nur Frauen teilnehmen. Das erhöht natürlich die Hemmschwelle, dann noch in die Gruppe zu gehen. Vielleicht sollten sich alleinerziehende Väter in so einem Workshop auch erst einmal untereinander verständigen können oder das Format sollte überdacht werden,
so Workshopleiterin Liselotte Kühn. Dafür sind aber die Teilnehmerinnen sehr verschieden. das Alter variiert zwischen 22 Jahren und 41 Jahren. Unter ihnen ist zum Beispiel Cecilia Zarcos-Lamolda, eine 22-jährige Muslimin aus dem Stadtteil Emmertsgrund. Sie trägt freiwillig den Hijab, die traditionelle Verschleierung von Kopf, Armen und Oberkörper im Islam. Ihr Gesicht zeigt sie offen. Selbstbewusst trägt sie zusammen mit zwei weiteren Teilnehmerinnen vor, was sie zum Thema „Ausbildung für Alleinerziehende über 25 Jahren“ erarbeitet haben.
Die Vorteile, wenn Frauen über 25 Jahre eine Ausbildung machen, liegen auf der Hand: Sie sind organisiert, zielsicher, zuverlässig und haben viel Lebenserfahrung. Sie haben eine größere Motivation, die Ausbildung auch wirklich abzuschließen. Die Ausgangssituation ist jedoch schwierig: Sie stehen unter großem Druck und sind daher anfälliger für Krankheiten. Sie müssen sich neu orientieren. Wichtig ist da auch eine gute Beratung, die zukunftsorientiert denkt. Es hilft nichts, wenn man uns einfach einen Ein-Euro-Job für sechs Monate gibt, ohne dass wir danach eine Perspektive haben.
Aktuell läuft die Kampagne „AusBILDUNG wird was – Spätstarter gesucht“ durch die Bundesagentur für Arbeit. Sie soll Menschen zwischen 25 Jahren und 35 Jahren ermöglichen, die noch keinen Beruf erlernt haben, dies nachzuholen. Neben Gesprächen und Coachings kontaktiert die Arbeitsagentur hierfür auch gezielt Unternehmen, um die künftigen Auszubildenden zu vermitteln.
Mit dem Thema rennen Sie bei uns offene Türen ein. Die große Herausforderung für uns im Jobcenter ist, ihre Knackpunkte zu kennen, damit sie punktgenau im Arbeitsmarkt landen können. Jeden Fall muss man individuell prüfen. Durch den Fachkräftemangel können wir nun auch Personen bis 35 Jahre verstärkt helfen, einen Ausbildungsplatz zu finden. Wenn Sie jedoch keinen Schulabschluss haben, haben Sie ein Problem,
sagte Petra Hartwig vom Heidelberger Jobcenter. Einer 41-jährigen Teilnehmerin hilft das jedoch nicht mehr:
Ich überlege, was ich jetzt mache. Ich war zwanzig Jahre lang Hausfrau und Mutter und habe einen Hauptschulabschluss. Ohne eine Ausbildung wird man nicht beschäftigt. Nur: Wenn man schon mit 35 alt ist, dann bin ich schon uralt. Als ich mit einem Berater im Jobcenter vor einem Jahr gesprochen habe, sagte er mir, ich sei 40, ich solle putzen. Ich habe jahrelang meine Kinder und meinen Mann versorgt. Ich muss noch, bis ich 70 Jahre alt bin, arbeiten. Ich bin mehr als eine Putzfrau und kein Stück Müll, mit dem ein Berater so achtlos umgehen kann. Ich möchte gerne Erzieherin werden, wenn das nicht klappt wäre Tagesmutter auch eine Möglichkeit. Die drei Tage hier mit den anderen Frauen geben mir jedoch neuen Mut, dass man sich niemals aufgeben sollte.
Auch angesichts dieser Erfahrungen sprachen sich die Teilnehmerinnen dafür aus, sich künftig ihre Berater im Jobcenter und in der Arbeitsagentur aussuchen zu können. Petra Hartwig erklärte jedoch, dass das nicht ginge, da dann der Aufwand zu hoch wäre. Sie sicherte jedoch zu, bei künftigen Problemen als Ansprechpartnerin bereit zu stehen. Zudem bestehe jederzeit die Möglichkeit, sich an einen Vorgesetzten zu wenden. Sie bestätigte, dass die Situation für Menschen über 35 Jahre schwieriger sei.
„Mehr Mehr-Generationenhäuser wären hilfreich“
Eine weitere Gruppe beschäftige sich mit dem Thema „Netzwerk und Wohnprojekte“. Hier ging es darum: Wie können Alleinerziehende sich ein Umfeld aufbauen, dass für sie Familie und Beruf vereinbar macht? Welche Rolle spielt dabei die Wohnsituation? Zunächst einmal wäre den Müttern zufolge günstiger Wohnraum hilfreich. In diesem Zusammenhang verwiesen sie auf die frei werdenden Konversionsflächen in Rohrbach. In Wohngemeinschaften alleinerziehender Eltern, die sich in der Betreuung ihrer Kinder abwechseln können, könnten sich Väter und Mütter selber darin unterstützen, Beruf und Familie besser zu vereinbaren. Eine weitere Alternative dazu wären mehr Mehr-Familienhäuser. Die Gruppe „Rund um Alleinerziehende“ führte an, dass diese oft von Existenängsten betroffen seien. Alle Teilnehmerinnen waren sich darin einig, dass es viele Beratungs- und Informationsangebote gibt. Sie wünschen sich jedoch eine zentrale Anlaufstelle.
Es ist hervorragend, dass sie hier alles so offen ansprechen. Ich bin genau diese Anlaufstelle und habe diese Lotsenfunktion,
nahm Petra Hartwig die Anregung an. Liselotte Kühn erklärte stolz, wie selbstbewusst die Frauen schon nach drei Tagen auftraten:
Am Montag wollte keine die Ergebnisse präsentieren und jetzt stellen sie uns so souverän die Ergebnisse des Workshops vor.
Welche Perspektiven haben die Teilnehmerinnen nach dem Workshop?
Der Workshop selbst wurde von den Teilnehmerinnen sehr positiv bewertet:
Ich habe hier viele neue Informationen erhalten und dieser Workshop war eine große Hilfe für mich. Ich kann jetzt klare Ansagen machen, was ich einfach bräuchte, wenn es für mich unklar ist, wie es weitergeht. Auch wenn ich jetzt einen Ausbildungsplatz als Altenpflegerin rein zufällig vor dem Workshop bekommen habe, bin ich noch in einer ungewissen Situation. Ich habe studiert, ohne einen Abschluss zu haben und bin jetzt 34 Jahre alt. Ich war noch nie im Arbeitsleben und versuche seit einigen Jahren mich zu finden,
sagte die Teilnehmerin Vessela Kulms auf Nachfrage. Auch Cecilia Zarcos-Lamolda zieht ein positives Fazit:
Der Workshop hat mir gezeigt, welche Ausbildung ich machen will. Ein anderes Problem gibt es für mich natürlich noch: In Deutschland sagt man, es gäbe Religionsfreiheit, aber eine Lehrerin zum Beispiel darf kein Kopftuch tragen. Oftmals akzeptiert das auch der Arbeitgeber nicht, ich kenne eine Hotelfachfrau mit guten Noten, die wegen des Kopftuchs nicht genommen wurde. Viele denken, dass die Frauen dazu gezwungen würden, ein Kopftuch zu tragen. Die Religionsfreiheit ist daher nicht umgesetzt, man kann mich nicht zwingen, mich auszuziehen. Ich werde jetzt erst einmal die Schule nachholen und meinen Realschulabschluss machen.
Susanne Fieck vom Amt für Chancengleichheit der Stadt Heidelberg lobte die Gruppe:
Das hier war der dritte Workshop, einen weiteren gibt es im November. Diese Gruppe sprühte vor Power. Es wäre natürlich wichtig, zu erfahren, was nach dem Workshop passiert. Wir versuchen für den nächsten Termin Frauen von einem der Workshops im letzten Jahr zu gewinnen, die inzwischen Fuß gefasst haben und ihre Erfahrungen weitergeben wollen.
Das Gemeinderatsmitglied Dr. Barbara Greven-Aschoff (Bündnis90/Die Grünen) resümierte:
Danke an alle, die Teilnehmerinnen und die Organisatorinnen für den Workshop. Ich ermuntere Sie, dass Sie diese Informationen auch in Ihrem Freundeskreis verbreiten. Das ersetzt keine Beratung, aber die Grundvoraussetzung ist immer, dass man sich auch in der Bürokratie als Mensch begegnet. Das Projekt hier muss man unbedingt weiterführen.