Mannheim, 08. September 2015. (red/ms) Der Kiosk-Besitzer Muhamed K. (48) wird von seinen Freunden als hilfsbereit und zuvorkommend beschrieben. Er sei ein „herzensguter Mensch“ gewesen. In der Nacht vom 02. März 2015 wurde Herr K. in der Mannheimer Mittelstraße umgebracht. Der 30-jährige Guiseppe L. hat ihn ermordet – das hat der Angeklagte vor Gericht bereits gestanden. Doch sein Motiv ist noch völlig schleierhaft. Wurde er zur Tat angestiftet?
Von Minh Schredle
Muhamed K. litt unter finanziellen Sorgen – in diesem Punkt sind sich die Zeugenaussagen allesamt einig. Manchmal habe er die Miete nicht rechtzeitig zahlen können, teilt der Hausmeister mit.
Er hat viel an Automaten gespielt,
erzählt einer seiner Bekannten. „Machmal habe ich auch das Geld für seine Getränkelieferung ausgelegt,“ sagt einer seiner Freunde: „Das Geld habe ich dann aber immer schnell zurückbekommen.“
Ob Muhamed K. auch Schulden gemacht hat? Nicht ein paar hundert Euro – sondern „im größeren Stil“?
Mit Sicherheit konnte das bislang keiner der geladenen Zeugen gegenüber dem Landgericht Mannheim aussagen. Ein paar vermuten das. Andere wollen es nicht ausschließen. Ein Freund sagt, er könne sich das nicht vorstellen.
Geschädigter wollte seinen Kiosk aufgeben
Muhamed K. hat knapp drei Jahre einen Kiosk in der Mannheimer Mittelstraße betrieben. Wie verschiedene Zeugen übereinstimmend aussagten, habe er „den Laden dicht machen wollen“. Warum? Verschiedene Zeugen erzählen dazu verschiedene Geschichten.
Das Geschäft habe sich einfach nicht mehr rentiert, behauptet einer. Ein anderer sagt, Muhamed sei nur mit dem Standort unzufrieden gewesen und es hätten Sanierungsarbeiten angestanden, die er sich nicht hätte leisten können.
Einem anderen zufolge habe Muhamed das Geld gewollt, um in seine Heimat – den Libanon – zurückzukehren. Worin die Angaben wieder übereinstimmen: Wäre es zu einem Geschäft gekommen, hätte das Kiosk wohl für etwa 15.000 Euro den Besitzer gewechselt.
Doch dazu ist es nicht gekommen. Denn Muhamed K. wurde am 02. März 2015 von Guiseppe L. umgebracht.
Angeklagter gesteht Mord
Guiseppe L., ein 30-jähriger Italiener ist wegen Mord an Muhamed K. angeklagt. Bereits am ersten Verhandlungstag hat der Angeklagte gestanden, den Kioskbetreiber mehrmals mit einem Messer in die Brust gestochen zu haben.
Am zweiten Verhandlungstag im Prozess gegen Guiseppe L. sitzt dieser größtenteils regungslos auf der Anklagebank und starrt zu Boden. Seine dunkelbraunen Haare sind kurz geschoren. Er ist nicht dick, aber kräftig. Und klein. Etwa zwischen 1,65 Meter und 1,70 Meter groß.
Er wirkt übermüdet. Dunkle Augenringe. Tiefe Furchen auf der Stirn. Er wirkt angespannt. Und wenn er sich bewegt, bewegt er sich ruckartig. Gehetzt.
„Ich wurde angestiftet“
Er sei zu dem Mord angestiftet worden, gab Guiseppe L. gegenüber dem Gericht am ersten Verhandlungstag an. Sein Rechtsanwalt, Wolfgang Spoor, verlas eine Erklärung, in der Angeklagte ein Geständnis ablegte. Allerdings wurde in der Erklärung auch erwähnt, dass eine Graziella O. den Angeklagten zum Mord angestiftet habe.
Angeblich soll Graziella O. den Angeklagten überhaupt erst nach Deutschland gelockt und ihm falsche Versprechungen gemacht haben. Schließlich soll sie nach Darstellung der Verteidigung den Angeklagten dazu angestiftet haben, den Kiosk in der Mittelstraße auszurauben und den Ladenbesitzer umzubringen.
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Lesetipp: Unser Bericht zum Polizei-Einsatz am 02. März
„Tatort Mittelstraße: Ladenbesitzer erstochen“„
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Unabhängig davon stellt sich die Frage, welches Motiv Guiseppe L. gehabt haben könnte, als er den offenbar unbekannten Muhamed K. niedergestochen hat. Denn anscheinend hat er im Anschluss an die Tat nichts aus dem Kiosk entwendet. In der Anklage wird dem 30-Jährigen der Tatvorwurf Mord zur Last gelegt – aber nicht „Mord in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge“.
Gier scheint also nicht das Motiv gewesen zu sein. Eine persönliche Abneigung oder Feindseligkeit zwischen Täter und Opfer hat es offenbar ebenso wenig gegeben. Keiner der Zeugen hat bislang einen möglichen Streit, der eskaliert ist, auch nur angedeutet – eine Anstiftung zum Mord sollte vom Landgericht demnach sorgfältig als ernstzunehmende Option überprüft werden.
Außerdem ist Frau Graziella O. nach den Angaben von Rechtsanwalt Spoor am Mannheimer Landgericht bekannt -gegen sie laufe ein Verfahren wegen des Verdachts auf Betrug.
„Er war einfach zu gutmütig“
Die Bekannten von Muhamed, die am Tag der Tat mit ihm in Kontakt waren, schildern den Geschädigten vor Gericht allesamt als freundlich und zuvorkommend.
Muhamed sei kein Geschäftsmann gewesen, sagt einer. Vielleicht habe er seine ständigen finanziellen Sorgen seinem guten Gewissen zu verdanken:
Wahrscheinlich hat Muhamed sich nur deswegen so oft übers Ohr hauen lassen, weil er so gutmütig war.
Einmal habe er beim Glückspiel tatsächlich etwas gewonnen, schildert ein Freund – direkt im Anschluss habe er alle Anwesenden zum Essen eingeladen. Da wäre das Geld wieder weg.
Leben unter ärmlichen Umständen
Der Hausmeister, an den Muhamed die Kiosk-Miete bezahlte, schilderte, wie der Geschädigte unter ärmlichen Umständen, getrennt von seiner Frau und seinen beiden Kindern, gelebt habe:
Er hatte nur ein kleines Zimmer, in dem er gelebt hat. Seine Kinder haben ihn trotzdem gerne und oft besucht.
Etwa vier bis fünf Monate, bevor er umgebracht wurde, habe Muhamed außerdem einen Schlaganfall erlitten.
Nachdem Guiseppe L. Muhamed K. niedergestochen hatte und den Laden gerade verlassen wollte, wurde er von einem Zeugen überrascht, der gerade Zigaretten kaufen wollte. L. gelang es, zu fliehen. Der Zeuge verständigte wenig später den Rettungsdienst und die Polizei.
Auf der Straße hat er weitere Passanten auf den Vorfall aufmerksam gemacht. So hat auch der Hausmeister, der sich zum Tatzeitpunkt in einer Gaststätte auf der anderen Straßenseite befunden hat, vom dem Ereignis mitbekommen.
„Seine Augen waren voller Tränen“
Vor Gericht schildert er, er sei sofort herüber gerannt, habe den regungslosen Körper geschüttelt:
Muhamed, was ist passiert?
Muhamed habe noch einmal die Augen aufgerissen, voller Tränen – aber nichts mehr erwidert.
„Ihr seid schuld“
Auch ein anderer Zeuge, ein Bekannter des Angeklagten, der sich zum Tatzeitpunkt offenbar ebenfalls in einer nahegelegen Gaststätte befand, will hinübergelaufen sein und noch Lebenszeichen erkannt haben:
Er hat noch nach Luft geschnappt, als er am Boden lag.
Der Zeuge schreit den vorsitzenden Richter Dr. Ulrich Meinerzhagen förmlich an:
Ihr seid schuld, dass Muhamed tot ist.
Es habe „mindestens 20 Minuten“ gedauert, bis ein Rettungswagen vor Ort war – obwohl Theresienkrankenhaus und Uniklinikum keine drei Kilometer vom Tatort entfernt sind.
Wen trifft schuld?
Wie lange es tatsächlich gedauert hat, bis die Rettungskräfte vor Ort waren, ist der Redaktion nicht bekannt. Allerdings hat Richter Meinerzhagen der Darstellung des Zeugen zumindest nicht widersprochen.
Ab dem vierten Verhandlungstag – am Mittwoch, dem 16. September – werden Zeugen von Polizei und Rettungsdiensten befragt. Womöglich wird dann Klarheit geschaffen, wie lange die Einsatzkräfte bis zum Tatort gebraucht haben.
Unabhängig davon ist sehr unwahrscheinlich, dass auch die besten Rettungskräfte bei mehreren Stichen in die Brust die Tragödie noch hätten verhindern können – sie trifft ganz sicher nicht die Schuld am Tod von Muhamed K.
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