Mannheim, 08. Oktober 2015. (red/ms) Christiane Springer hat überhaupt keine Zeit für ein Interview – aber sie nimmt sich die Auszeit. Christiane Springer ist eine Symbolfigur für Menschen, die sich Zeit nehmen, um anderen Menschen zu helfen. Sie ist hauptamtliche Geschäftsführerin für den hiesigen Kreisverband des DRK – aktuell ist sie alles, Chefin, Krisenmanagerin, Organisatorin, aber in den Augen von vielen Flüchtlingen, egal ob groß oder klein, egal aus welchem Land, ist sie ein Mensch, der sich kümmert. Sie ist Mutter eines Sohnes, der Bundeswehrsoldat ist. Und sie ist, wird Mama für tausende Menschen. Täglich neu. Mama hat viele Kinder – nicht nur die Flüchtlinge, sondern auch die Ehrenamtlichen. Und Mamas Laden läuft – nicht immer ideal, aber insgesamt rund. Ein Porträt einer ungewöhnlichen Frau, die für sich und vor allem für andere symbolisiert, was aus dem fernen Berlin zu hören ist: “Wir schaffen das”.
Von Minh Schredle
Ein Stimmenwirrwarr aus verschiedensten Sprachen bricht los und in nur wenigen Augenblicken hat sich eine Traube aus mehreren Dutzend Menschen um Christiane Springer gebildet. Die Menschen reden wild durcheinander und alle haben sie unterschiedliche Anliegen vorzubringen.
Frau Springer lacht freundlich, fragt nach, fokussiert, konzentriert sich, gibt Antwort, strahlt die Menschen um sie herum an und irgendwie fühlen sich alle ernst genommen und “bedient”.
Ich gucke und denke nur: “Krass – das hätte mich vermutlich jetzt gerade komplett überfordert.” Doch Frau Springer ist dieses scheinbare Chaos nicht nur gewohnt – sie ordnet es. Immer wieder. Und ich denke: “Respekt. Was hat die Frau Nerven – das wirkt so einfach.” Zuvor habe ich mit ihr, dem Pressesprecher Nico Losse, meinem Chefredakteur rund eineinhalb Stunden ein konzentriertes Gespräch gehabt und viel erfahren. Ich weiß, dass es nicht “einfach” ist, aber es wirkt so einfach, wie Frau Springer das macht.
Frau Springer ist eine herzensgute Frau, die aber genau weiß, was sie will: Sie muss Ordnung und Struktur schaffen und dabei die Menschen wichtig nehmen. Das macht sie – und deswegen ist sie für die Menschen hier so wichtig. Deswegen nehmen die Menschen hier sie so wichtig. Deswegen fangen diese Menschen an, sie Mama zu nennen. Denn sie nimmt die Menschen wichtig und das danken ihr die Menschen.
Gerade hat sie das Gebäude 295 auf dem Columbus-Quartier verlassen – hier hat das Deutsche Rote Kreuz (DRK) eine provisorische Verwaltungszentrale eingerichtet. Von hier aus wird die Flüchtlingsunterbringung auf einem großen Teil des Benjamin Franklin Village koordiniert. Als Geschäftsführerin des DRK Kreisverbands Mannheim hat Frau Springer das Sagen. Sie hält die Hierarchie flach, aber zeigt sich souverän resolut, wenn das nötig ist. Aber sie verwaltet nicht nur die unglaublich anspruchsvoll-logistische Aufgabe – sie kümmert sich vor allem um die Menschen. Das sind: Ihre Mitarbeiter, die Freiwilligen und die Flüchtlinge. Und wer sonst noch um die Ecke kommt. Auch Journalisten.
Frau Springer nimmt sich Zeit, die sie eigentlich nicht hat. Sie hört den Menschen zu. “What is the problem?”, fragt sie. “Have a look on my documents, are they ok?”. Frau Springer guckt. Konzentriert. “Yes, don`t worry.” Der Mensch strahlt, Frau Springer strahlt. Augenkontakt. Keine Berührungsängste. Kompetenz. Die Menschen vertrauen ihr, weil sie Vertrauen ausstrahlt.
Eigentlich ist das Regierungspräsidium Karlsruhe für die Unterbringung von Flüchtlingen auf dem Benjamin Franklin Gelände zuständig. Das ist es formell nach wie vor, allerdings hat es Leitung und Trägerschaft für das Columbus-Quartier an den DRK Kreisverband Mannheim übertragen, womit die Verantwortung vor Ort in den Händen des gemeinnützigen Vereins liegt. Und das funktioniert. Sehr gut sogar. Seitdem das DRK die Leitung am 18. September übernommen hat, ist es im Columbus-Quartier ruhiger geworden.
In vielen Flüchtlingslagern bekommt man Bilder von erschreckenden Zuständen zu sehen: Ekelhafte Vermüllung und eine unterirdische Hygiene. Schwangere Frauen und Kleinkinder, die auf engstem Raum zusammengepfercht leben. Die Blicke sind kalt, abweisend, verschlossen. Desillusioniert. Verzweifelt. Nur selten sieht man lachende Gesichter – im Columbus-Quartier wirken die allermeisten Menschen zufriden. Hoffnungsvoll. Regelrecht unbeschwert. Und das, obwohl die Ausgangsbedingungen eigentlich alles andere als ideal sind.
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Wie kann das sein? Das Columbus-Quartier wurde im Eiltempo bezugsfähig gemacht. Naja, “Supereiltempo” wäre eigentlich treffender.
Seitdem mussten die Kapazitäten mehrfach “spontan” erweitert werden. Das ging nur mit Notlösungen und Provisorien. Es gibt zwar Strom und die Heizungen funktionieren – aber immer noch kein fließendes Wasser. Wie kann es sein, dass unter diesen Umständen bis zu 6.000 Menschen aus den verschiedensten Kulturkreisen der Welt auf engem Raum zusammenleben, ohne dass es zu größeren Problemen kommt?
Indem alle involvierten Kräfte unkonventionell und unbürokratisch zusammenarbeiten und dabei hervorragend koordiniert werden: Die Rettungskräfte, das Sicherheitspersonal, die Polizei, die Politik – und nicht zuletzt Mannheims Bevölkerung. Es gebe eine riesige Hilfsbereitschaft, zu spenden und aktiv mitanzupacken, sagt Frau Springer:
Ich glaube, mich hat noch nie nichts so sehr beeindruckt und fasziniert, wie die Zusammenarbeit für unser gemeinsames Ziel.
Ohne ehrenamtliche Hilfe würde bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise alles zusammenbrechen. Gleichzeitig sind die Belastung und der Anspruch an diese ehrenamtliche Arbeit enorm – und die Verantwortung dafür. Wie lange wird man sich noch auf so viel Mithilfe verlassen können?
Bis die Luft raus ist,
antwortet Frau Springer sehr trocken auf diese Frage. Natürlich kenne man die Sorge, dass die Hilfsbereitschaft irgendwann abflauen könnte. Natürlich gebe es Grenzen der Belastbarkeit. Aber momentan sei man noch in der Lage, die Herausforderung zu bewältigen – wenn auch mit viel Improvisation. Schritt für Schritt.
Bei der Flüchtlingsunterbringung in Mannheim sind so viele Kräfte involviert, dass man leicht den Überblick verliert. Rund 300 Flüchtlinge wurden der Stadt Mannheim zur Anschlussunterbringung zugewiesen, sie sind bereits registriert und haben ihren Asylantrag gestellt. Die Gemeinschaftsunterkunft in der Industrie-/Pyramidenstraße fungiert als reguläre Landeserstaufnahmestelle (LEA) für die Registrierung von Flüchtlingen in Baden-Württemberg und wird nicht von der Stadt Mannheim, sondern dem Land Baden-Württemberg geleitet.
Bei allen anderen Flüchtlingsunterkünften handelt es sich um Bedarfsorientierte Erstaufnahmestellen (BEA), die eigentlich überhaupt nur im “Notfall” belegt werden sollen und auch nur solange, bis es in den regulären LEAs keine Kapazitätsengpässe überstanden sind. Tatsächlich sind landesweit auch BEAs seit geraumer Zeit massiv überbelegt und ein Verzicht auf nur eine dieser Einrichtungen scheint bei den aktuellen Zugangszahlen vollkommen undenkbar.
Stattdessen werden BEA-Kapazitäten zunehmend erweitert – so auch in Mannheim. Inzwischen werden gar keine Belegungsobergrenzen mehr für solche Einrichtungen genannt – vielleicht weil die “Zusagen” des Landes ohnehin nie eingehalten werden können. Auf dem gesamten Benjamin Franklin Village sollten eigentlich nur 600 und maximal 1.000 Menschen untergebracht werden. Inzwischen ist es nicht unwahrscheinlich, dass es bis zu 20.000 werden.
Als wir vor etwa drei Wochen zugesagt haben, eine BEA zu leiten, sind wir noch von ganz anderen Dimension ausgegangen,
sagt Frau Springer. Damals sei die Rede von “bis zu 1.500 Menschen” gewesen, die im Columbus-Quartier untergebracht werden sollten.
Zwischenzeitlich waren es bereits 6.000 Personen. Inzwischen werden zudem andere Teile von Franklin für die Flüchtlingsunterbringung verwendet oder dafür vorbereitet. In den Funari-Kasernen leben aktuell rund 2.000 Menschen – die werden allerdings nicht vom DRK betreut, sondern von dem Unternehmen European Homecare. Nach Kenntnisstand der Redaktion werden gerade außerdem Franklin-Mitte und das Spinelli-Areal ertüchtigt.
Die Lage kann sich innerhalb von Stunden ändern
“Aktuell leben im Columbus-Quartier etwa 4.000 Menschen,” erklärt Nico Losse, Pressesprecher des DRK Mannheims.
Bei einer Belegung von 6.000 Menschen sind die Kapazitätsgrenzen des Columbis-Quartier maximal ausgereizt – das beinhaltet auch die Belegung von Hallen und einer ehemaligen Grundschule.
Zum Vergleich: Eigentlich hatte der Mannheimer Gemeinderat geplant, das gesamte Benjamin Franklin Village als neuen Stadtteil für 5.000 bis 8.000 Menschen zu entwickeln – jetzt sind auf einem kleinen Teilgebiet, das überwiegend zur gewerblichen Nutzung vorgesehen war, etwa so viele Menschen untergebracht. Das eigentliche Wohngebiet Franklin-Mitte ist noch nicht bezogen.
Über den Winter soll das gesamte Franklin-Areal zur Unterbringung von Asylbewerbern hergerichtet werden. Wie viele Menschen kommen werden, ist unklar. Angeblich ist die Belegung zeitlich befristet bis zum 31. März 2016.
Durch die Winterunterbringung auf Franklin solle verhindert werden, dass massenweise Menschen in Zeltstädten überwintern müssen, heißt es vom Land gegenüber der Stadt. Aber was, wenn diese Zusage nicht eingehalten werden kann? Was, wenn die Flüchtlingszahlen weiter steigen, bis zu einem Punkt, an dem auf die Nutzung des gesamten Geländes auf Franklin nicht mehr verzichtet werden kann?
Was wird morgen sein?
Das Zermürbende an der Informationslage ist: Es gibt keine verlässlichen Aussagen mehr. Die Umstände können sich im Stundentakt vollständig ändern. Das verunsichert nicht nur die Bevölkerung – sondern auch die Rettungskräfte und sogar die Politik selbst. Was morgen sein wird? Die traurige Antwort: Das weiß niemand mit Sicherheit.
Oft erfahren wir erst wenige Stunden vorher, dass gleich hunderte Menschen am Bahnhof ankommen, die noch am selben Tag irgendwie untergebracht werden müssen,
sagt Frau Springer. Oft müssten dafür erst noch Schlafplätze geschaffen werden. Dann sei “Flexibilität” gefragt und man müsse auf unkonventionelle, unbürokratische Methoden zurückgreifen. An dieser Stelle macht Frau Springer eine kurze Pause. Sie sucht den Augenkontakt, so wie immer, wenn sie etwas klar machen will und sagt:
Mit bürokratischen Methoden würde hier gar nichts funktionieren.
Also wird improvisiert. Logischerweise könne man derzeit keine Rücksicht mehr auf alle Extrawünsche nehmen, sagt Frau Springer:
Das ist nicht ideal. Aber anders geht es nicht.
Dabei sucht sie wieder den Blick, lächelt und in ihren Augen liegt eine Tiefe, der man nicht widersprechen will. Mama hat gesprochen und Mama kann man vertrauen. Wenn Mama das so sagt, dann ist das so. Und Mama Springer schafft das, was vielen nicht gelingt – sie hat Herz und Autorität.
Man müsse Prioritäten setzen – und die sind eindeutig:
Zu allererst müssen die Grundbedürfnisse dieser Menschen gesichert werden. Sie brauchen ein Dach über dem Kopf, sie müssen sich ausruhen können und genug zu essen haben. Das ist absolut vorrangig. Danach können wir uns um alles andere kümmern.
Vieles befinde sich erst noch im Aufbau:
So eine Situation ist hier in Deutschland niemand gewohnt – niemand hat Erfahrung damit, so kurzfristig so viele Menschen unterzubringen. Natürlich machen wir Fehler und natürlich geht es manchmal turbulent zu. Aber wir lernen schnell dazu. Und wir werden immer besser.
Aktuell werden in der Flüchtlingskrise deutschlandweit – und darüber hinaus – riesige Potenziale verschenkt und unglaublich viele Ressourcen verschwendet. Das wird man sich langfristig nicht weiter leisten können. Aber diese Einschätzung ist die eines Reporters, nicht die von Frau Springer. Sie managt ihre Aufgabe vorbildlich.
Flüchtlinge in einer BEA haben noch nicht einmal ihren Asylantrag gestellt. Bevor sie das tun können, müssen verschiedene Formalitäten abgewickelt werden, unter anderem eine erkennungsdienstliche Erfassung und eine medizinische Untersuchung.
In den meisten BEAs sind allerdings nicht die notwendigen Voraussetzungen vorhanden, um diese Schritte durchzuführen – es muss also extern geschehen. Beispielsweise erfolgen die medizinischen Untersuchungen häufig in Kliniken – zusätzlich zum „gewöhnlichen Tagesgeschäft“.
Irrsinnige Verschwendung
Wie Frau Springer mitteilt, sei es in Mannheim bislang üblich gewesen, dass für jeden einzelnen Registrierungsschritt nur für diesen einen Zweck eine eigene Busfahrt hin und zurück für eine Gruppe von Flüchtlingen organisiert werden musste. Was für eine irrsinnige Geld- und Zeitverschwendung.
Immerhin: In Heidelberg entsteht gerade eine Zentrale Registrierungsstelle, in der alle Schritte und innerhalb von zwei Tagen durchgeführt werden sollen.
Frau Springer erzählt das frank und frei – ehrlich und kompetent. Und sie vertraut uns. Bekommt die Dame für Ihre Ehrlichkeit nun womöglich Probleme? Wenn Behördenstursinn der Vater des Gedankens ist, womöglich schon – wenn man ihr Potenzial heben wollte, könnte jemand vom Format einer Frau Springer schnell “Karriere machen”. Vermutlich will sie das gar nicht – sie will ihren Job gut machen und das tut sie.
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Lesetipp: Drei Viertel von Baden-Württembergs Flüchtlingen sollen im Patrick Henry Village registriert werden
Drehkreuz Heidelberg
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Ein weiteres großes Problem in vielen Flüchtlingslagern ist die gähnende Langeweile, der die Asylsuchenden ausgesetzt sind. Nach Erfahrungen der Redaktion kommt es vor allem dann zu Reibereien und Auseinandersetzung, wenn zu viele Menschen auf engem Raum unter einer chronischen Leere zu leiden haben.
Im Columbus-Quartier hat man unbürokratische Lösungen gefunden, dem entgegenzuwirken: Während Flüchtlinge vielerorts untätig herumsitzen müssen und mindestens in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts nicht arbeiten dürfen, können sie hier gemeinnützige Arbeit für einen Stundenlohn von 1,05 Euro verrichten. Das gibt es auch in anderen Lagern, aber hier sollen möglichst viele arbeiten können.
Es gibt genug zu tun
Dabei kommt eine Vielzahl von Beschäftigungen in Frage: Putzdienste, Grünpflege, Küchenhilfe – es gibt keine festen Vorgaben. Nach Absprache und Genehmigung wird die Arbeitszeit dokumentiert und das Land Baden-Württemberg übernimmt die Kosten. Das funktioniere bislang völlig problemlos, sagt Frau Springer. Und:
Die meisten sind sehr glücklich, wenn sie einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen können. Die Arbeitsangebote werden gut nachgefragt.
Natürlich gebe es auch einige, die nicht gewillt wären, irgendetwas zu tun. Frau Springer guckt ernst. Aber dabei handle es sich um eine Minderheit – und solche Minderheiten gebe es überall.
“Wir brauchen mehr gegenseitigen Respekt”
Frau Springer sagt das mit voller Überzeugung und einer gewissen Entschlossenheit. Ob sie auch schon undankbare Flüchtlinge erlebt habe? Sie runzelt die Stirn und denkt eine Weile nach. Schließlich antwortet sie:
Ich halte das Wort “undankbar” nicht für angebracht. Sicher, es gibt einige, die mit falschen Erwartungen nach Deutschland kommen und dann erst einmal ihre Ansprüche nach unten schrauben müssen. Aber in den meisten Fällen handelt es sich um Missverständnisse, die schnell aus der Welt sind, wenn man nur offen darüber redet.
Voraussetzung für solche Gespräche sei gegenseitiger Respekt. Frau Springer betont: “Das Wort gegenseitig ist entscheidend.”
Keine Vorbehalte vor Hautfarbe oder Herkunft
Das macht die Begegnung mit Frau Springer zu einem Erlebnis in Zeiten der “Asyldebatte”: Viele fordern von den Flüchtlingen Werte ein, die sie selbst nicht befolgen: Respekt, Geduld, Vernunft, Genügsamkeit, Menschlichkeit.
Frau Springer lebt diese Ideale aktiv vor – und die Flüchtlinge spiegeln ihr Verhalten.
Ihre Linie ist klar und eindeutig: Sie ist höflich, aber bestimmt. Ruhig, aber hochkonzentriert. Sie begegnet ihren Gesprächspartnern offen, direkt und ehrlich – und erwartet, dass man ihr genau so begegnet. Ein bisschen merkt man ihr dabei ihre Ausbildung als Erzieherin an – denn erziehen kann sie ganz sicher. Und das tut sie auf Augenhöhe. Und ohne Vorbehalte vor Hautfarbe oder Herkunft.
Unter der Leitung von Frau Springer ist es gelungen, im Columbus-Quartier für Ordnung zu sorgen. Vieles ist noch weit davon entfernt, perfekt zu sein. Aber das “Gefühl” stimmt.
In nur drei Wochen kam ein Team zusammen, das bemerkenswert gute Arbeit leistet: Im Quartier ist es ruhig, sauber und die Menschen wirken geborgen. Das ist bemerkenswert, vor allem in Unterkünften dieser Größenordnung.
Top-Stimmung beim Freundschaftsspiel
Vielleicht auch, weil die Flüchtlinge nicht einfach “ruhig gestellt” werden – ganz im Gegenteil. Sie bekommen Angebote zur Teilhabe: Zum Beispiel kommt fast jeden Tag eine Fußball-Mannschaft zum gemeinsamen Training vorbei. Als wir vor Ort sind, ist es eine gemischte Mannschaft der Uni Mannheim.
Das sorgt für Begeisterung und zwar nicht nur unter den Kindern: Zum Freundschaftsspiel “Deutschland gegen Afghanistan” kommen über 300 Zuschauer zusammen. Die “Zu”-Stimmung ist besser als bei vielen Kreisliga-Spielen.
Doch nicht alle Flüchtlinge können sich sofort nach ihrer Ankunft für Ballsport begeistern – denn einige sind schwerwiegend traumatisiert.
Oft zeigt sich das zu Beginn nicht so deutlich. Viele Opfer sind sehr still und schweigsam,
sagt Frau Springer. Man müsse sehr genau zuhören, bevor diese Menschen sich öffnen könnten – aber wenn sie es tun, gebe es kein Zurück mehr. Dann müsse man sie ausreden lassen und sich aufmerksam anhören, was sie zu sagen haben. Und manchmal sei das schwer zu ertragen.
Manchmal muss man zuhören
Sie erzählt, wie sie ein eigentlich völlig harmloses Gespräch mit einem der Flüchtlinge geführt habe und wie dieser ganz plötzlich mit Tränen in den Augen von seiner verstörenden Lebensgeschichte erzählt habe:
Ich hatte eigentlich sehr viele andere dringliche Dinge zu tun. Aber ich habe ihm eine Dreiviertelstunde lang zugehört, bis er alles ausgesprochen hatte, was er aussprechen wollte. Das ging nicht anders.
Wenn man Frau Springer so reden hört, wundert man sich nicht, dass viele Flüchtlinge sie “Mama” mittlerweile rufen. Die “Mama” ist vermutlich in allen Kulturen dieser Welt die, der man am meisten vertraut, die, die alles regelt. Und Frau Springer versucht, was sie kann. Und das ist enorm viel, weil es von Herzen und Erfahrung kommt.
Das Verhältnis zu den Menschen, für die sie Verantwortung hat, ist undistanziert. Persönlich. Und Welten wärmer als das leider viel zu verbreitete Verhältnis zwischen Verwalter und “Unterbringungsobjekt”.
Und Frau Springer weiß, dass sie eine Rolle hat. Sie ist für viele die “gute Seele”. Aber sie weiß auch, wem sie das zu verdanken hat: Den vielen Helfern und Unterstützern, die ihrerseits Engagement und ihre Zeit einbringen:
Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich allen bin, die hier zum Gelingen beitragen. Unser Team, die Freiwilligen, die Kollegen vom THW, den anderen Diensten, der Polizei, den beteiligten Behörden und auch den Menschen, die wir hier aufnehmen. Das ist für mich persönlich ein Gefühl von unglaublichem Glück, dass so viele gemeinsam unter teils widrigen Umständen alles geben, damit gut wird, was vorher oft nicht gut war.
Als Frau Springer das sagt, geht ihr Blick kurz nach innen – sie reflektiert kurz, was sie erlebt hat. Dann schaut sie wieder nach vorn, strahlt und lächelt dieses gewinnende Lächeln:
Da liegt noch viel vor uns. Mein Job ist es, die Menschen ankommen zu lassen und dabei unterstützen mich sehr, sehr viele Menschen. Das ist ganz wunderbar.
Frau Springer ist eine beeindruckende Frau – und sie beeindruckt andere. Ich weiß nicht genau, ob es zu wenige Persönlichkeiten wie Frau Springer gibt oder ob sie zu oft verhindert werden. Für mich wurde klar, dass Frau Springer sich Raum genommen hat und diesen ausfüllt.
Ganz kurzfristig wurde beispielsweise das “PX” mit gut 500 Menschen belegt. Aktuell ist dort niemand untergebracht. “Dafür habe ich gesorgt”, sagt Frau Springer und lächelt. Die Augen blitzen. Und sie weiß, dass sie die Bettenlagermassenunterkunft aktuell beendet hat.
Klappt das auch in Zukunft?
Ich werde mich bemühen.