Mannheim, 07. März 2016. (red/cr) Im Rahmen des Literaturfestivals „lesen.hören 10“ trafen am Freitagabend die Autoren Peter Stamm und Thomas Glavinic auf die Schauspielerin Annette Schiedeck. Dabei ging es um „Das Schreiben. Das Leben. Und die Frauen.“. Wie beiläufig wurden die Gespräche – mal humorvoll, mal kritisch, mal nachdenklich – um Auszüge aus den neuesten Romanen der beiden Autoren ergänzt.
Von Christin Rudolph
Peter Stamm und Thomas Glavinic sind laut Programm des Literaturfestivals lesen.hören 10, das am Sonntag endete, „zwei der wichtigsten Autoren, die die deutschsprachige Literatur derzeit zu bieten hat“.
Und „zwei Autoren, die gegensätzlicher nicht sein könnten“. Die beiden Männer redeten allerdings an diesem Abend vor allem über ihre Gemeinsamkeiten. Gleich zu Beginn demonstrierten sie ihre Einigkeit darüber, dass sie gar nicht so verschieden sind.
Ihre neuen Romane handeln beide von Fluchten. Ihre Figuren stellen ähnliche Fragen – wenn auch in verschiedenen Lebenswelten.
Flucht im weitesten Sinne
Bei Peter Stamm treibt es einen Familienvater „Weit über das Land“ – eines Tages steht er einfach auf und läuft los. Verlässt Frau und Kinder, sein altes Leben. Einfach so. Auf und davon.
Die Fluchten der drei Protagonisten in Thomas Glavinics „Der Jonas-Komplex“ sind vielfältig. Ein 13-Jähriger flieht vor der übergriffigen Mutter ins Schachspielen, ein Wiener Schriftsteller namens Glavinic stürzt sich in ein exzessives Leben, und Jonas macht eine Reise zum Südpol.
Annette Schiedeck ist Schauspielerin, Komödiantin und Musikerin. Bekannt ist sie vor allem für ihre Merkel-Imitation in der szenischen Lesung von Roger Willemsens „Das Hohe Haus – Ein Jahr im Parlament“, in der sie an der Seite von Roger Willemsen selbst und dem Hörfunk-Moderator Jens-Uwe Krause das Buch über den parlamentarischen Alltag und seine Menschen zum Leben erweckte. Am Freitagabend überließ sie in der Alten Feuerwache Peter Stamm und Thomas Glavinic das Lesen. Und stellte ihnen Fragen.
Fragen über das Leben
Die wirkten teilweise trivial, ausgelutscht oder sogar komisch. Spätestens bei den Antworten der Autoren wurde jedoch klar, dass sie ihren Gesprächspartnern damit Raum bot – und ein paar mal aus der Reserve lockte.
Wie schreibt man so ein Buch?
Beide Autoren zeigten sich einig – sie erzählen, was ihnen am nächsten liegt. Herr Stamm erinnerte sich, er habe einmal den „blöden Fehler gemacht“, etwas für eine Alzheimer-Anthologie schreiben zu wollen und sich dabei in einen Betroffenen hineinzuversetzen.
Leider gleich vergessen,
warf Frau Schiedeck humorvoll ein. Den Text würde Herr Stamm wohl am liebsten vergessen. Denn wie Herr Glavinic schreibt er „gute Texte“ zu einem gewissen Grad immer über sich selbst.
80% der Bücher kann man vergessen
Für seinen Kollegen ist klar:
Es wird viel zu viel geschrieben.
Sobald man darüber nachdenken müsse, worüber man schreiben soll, laufe etwas schief. Wobei Herr Glavinic bei einem seiner Lieblingsthemen zu sein schien. Den gesamten Abend über brachte er immer wieder seine Haltung zum Ausdruck: 80 Prozent der Literatur auf dem deutschen Markt sei zu nichts zu gebrauchen.
Ernsthaftigkeit zwischen Späßen
Mitten im Gespräch zündete sich Herr Glavinic eine Zigarette an. Ein leises Raunen ging durch den ausverkauften Saal.
Darf der das? Auf jeden Fall hat er es einfach gemacht. Wenn Helmut Schmidt sowas dürfe, dann er auch, murmelte er. Herr Stamm machte munter mit, zusammen wirke das „Motiv des sturen alten Mannes schließlich noch authentischer“.
Zwischen Späßen und den Fragen wurde vorgelesen. Die Ausschnitte aus Herrn Stamms Roman wirkten geradezu als Ruhepole. Bevor er zu lesen begann, warnte Herr Stamm sogar, man dürfe nichts Lustiges erwarten.
Unaufgeregte Literatur
Keine Einsicht in die Gedanken und Gefühle der Figuren, kaum ein gesprochenes Wort, keine Vergleiche. Dafür Beschreibungen und Details, präzise wie Fotos. Beim Zuhören fügen sich die Bilder vor dem inneren Auge zu einem Film zusammen.
Wäre allerdings das der Anfang eines Films gewesen, so drängt sich die Vermutung auf, hätten die allermeisten Zuschauer wohl nach dem ersten Minuten abgeschaltet – zu wenig „Action“. Äußerlich findet wenig Handlung statt.
Frauen und Männer sind gar nicht so verschieden
Die Fortsetzung des Gesprächs bildete dazu einen harten Kontrast.
Fühlt man sich nach dem Schreiben von manchen Kapiteln, als ob man duschen wolle oder ist Schreiben wie Duschen?
Frau Schiedecks Fragen überraschten die Autoren und das Publikum gleichermaßen. Das Thema „die Frauen“ in Bezug auf ihre Bücher verwunderte zudem die beiden Herren. Ihre Frauenfiguren beschrieben schließlich nicht „die Frauen“, sondern jeweils eine bestimmte.
Bei Steven Spielberg etwa, so Herr Stamm, wirkten die Frauenfiguren immer blass und seien nie entscheidend. Daraus könne man Schlüsse auf den Regisseur als Person ziehen. Bei ihm und Herrn Glavinic aber sei das nicht der Fall und so generelle Aussagen nicht möglich.
Absurditäten aus dem Leben eines Autors
Den größten Bruch bildete der zweite Ausschnitt aus „Der Jonas-Komplex“. Das Buch beinhaltet drei Erzählstränge. Im ersten Ausschnitt unterhält sich ein Junge mit dem Geist eines toten Freundes – über existentielle Fragen. Und trotzdem sehr humorvoll.
Im zweiten Ausschnitt scheiterte das Sex-Date eines Wiener Schriftstellers mit einer Tierärztin an deren Geständnis, ein Frettchen unnötig eingeschläfert zu haben, um pünktlich beim Liebesspiel zu sein. Das rief großes Gelächter hervor, sogar der Autor selbst musste grinsen.
Aus dem Buch herausgerissen schien diese Textstelle eine völlig andere Art von Literatur zu sein als die, die Tomas Glavinic und Peter Stamm von der Masse abheben wollen. Konträr zu den anderen Themen des Abends ist sie auf jeden Fall.
Filme, die fordern, oder Popcorn
Gegen Ende wurde auch Herr Stamm emotional, allerdings auf eine andere Weise.
Über Kritiker sagte er, sie würden nur Fehler suchen und verurteilen. Gefühle zuzugeben, etwa, zu Tränen gerührt gewesen zu sein, wage niemand bei einer großen Zeitung. Hier konnte ihm Herr Glavinic nur beipflichten:
Ich mag ihn so gern. Er hat so Recht.
Außerdem griff Herr Stamm die Kritik am Großteil des Buchmarktes auf. Dafür bediente er sich der Metapher eines Kinobesuchs. Das meiste befriedige einfach nur Bedürfnisse, mache satt. Literatur aber müsse mehr sein, er wolle seine Leser fordern.
Das Popcorn ist auch nicht die Antwort.