Mannheim/Sinsheim/Rhein-Neckar, 08. Mai 2014. (red/ld) Die RTL-Reportage “Team Wallraff” über die Burger King-Filialen der Yi Ko Holding haben deutschlandweit für Ensetzen und Ekel gesorgt. Eine dieser Filialen ist in Sinsheim. Auch da werden Angestellte ausgebeutet, herrschen hygienische Mängel, sagt Volker Daiss, als Gewerkschaftssekretär bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) zuständig für die Region Mannheim-Heidelberg im Interview. In der Systemgastronomie ist Mitarbeiterausbeutung “fast normal”.
Interview: Lydia Dartsch
Die einzige Burger King-Filiale der Yi Ko in der Region Mannheim-Heidelberg ist in Sinsheim. Welche Probleme sind Ihnen dort bekannt?
Volker Daiss: Es gibt dort die selben Probleme, wie sie deutschlandweit in den Filialen der Yi Ko vorkommen und in dem Bericht gezeigt wurden: Maßregelungen, Druck, gesetzeswidriges Verhalten seitens der Geschäftsleitung. Es werden Leistungen vorenthalten und es kam seit der Übernahme im Mai 2013 zu einem ganz massiven Personalabbau. In den jeweiligen Schichten wurde zwischen 10 und 15 Prozent weniger Personal eingesetzt als vorher. Wenn es möglich war, Mitarbeiter ohne Kündigung loszuwerden, wurde das massiv genutzt. Beispielsweise, indem befristet Beschäftigte nicht übernommen wurden.
Sie sprachen gerade auch Rechtsverstöße seitens der Geschäftsführung an. Was genau ist da vorgefallen?
Daiss: Beispielsweise wurden direkt nach der Übernahme durch die Yi Ko Abrechnungen viel später erstellt, als das vorher üblich war. Das kann daran gelegen haben, dass durch den Wechsel der Verantwortlichkeiten bedingt gewesen sein. Vorher war dafür ja die Burger King Beteiligungs GmbH in München zuständig und wurde nach der Übernahme anderweitig vergeben. Dadurch haben nahezu alle Beschäftigte ihren Lohn deutlich später erhalten, als sie es gewohnt waren. Das waren Verzögerungen von mehreren Wochen bis über einen Monat.
Was hatte sich noch durch die Übernahme durch Yi Ko verändert?
Daiss: Es ging sofort los, dass Zulagen, wie für Nachtarbeit, nicht mehr gezahlt wurden. Endgeltfortzahlungen im Krankheitsfall wurden nicht mehr geleistet, mit zum Teil hanebüchenen Begründungen. Es wurde behauptet, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seien nicht vorgelegt worden, obwohl das Gegenteil der Fall war. Eine andere Anrgumentation war, dass die Mitarbeiter in der Krankheitszeit gar nicht eingeplant gewesen seien.
“Die Leitung steht unter hohem Druck utopische Vorgaben zu erfüllen”
Es gibt doch Dienstpläne?
Daiss: Das ist das Problem: Der Dienstplan hängt in der Filiale, wird dort ständig verändert – muss er ja auch, wenn jemand ausfällt zum Beispiel. Die Mitarbeiter haben den Dienstplan nicht zur Verfügung. Sie können also nicht nachweisen, dass eine Arbeitsverpflichtung bestanden hatte, bevor sie krank wurden. Das müssen sie aber, um Anspruch auf Entgeltfortzahlungen zu haben.
Dann müssen die Chefs ehrlich sein und die Krankheitszeiten ordentlich abrechnen.
Daiss: Die Beschäftigten in den oberen Hierarchie-Ebenen der Restaurants stehen unter einem wahnsinnigen Druck – insbesondere seit der Übernahme durch die Yi Ko. Sie müssen die teils utopischen Leistungsvorgaben der Yi Ko erfüllen. Das hat zur Folge, dass nur noch die Zeit bezahlt wird, in der tatsächlich gearbeitet wird. Also keine Entgeltfortzahlungen im Krankheitsfall mehr. Für die Fortzahlung im Urlaub wird nur die vertraglich vereinbarte Stundenzahl herangezogen. Diese Vorgaben haben auch einige der hygienischen Mängel hervorgerufen.
Was ist mit Arbeitsschutz? In der Reportage ist von Verbrennungen mit heißem Frittierfett die Rede.
Daiss: Selbst gesehen habe ich es nicht. Es wurde mir schon berichtet. Es wird aber von den Beschäftigten nicht als so großes Problem angesehen. Das zählt schon als “normale” Vorfälle in dem Bereich.
“Die Menschen nehmen die Bedingungen in Kauf, weil sie keine andere Arbeit finden”
Die Arbeitsbedingungen sind schlecht, die Angestellten werden ausgebeutet, können sich nicht wehren. Das klingt ja nicht gerade nach Traumjobs, die da geboten werden. Wer sind die Beschäftigten, die diese Jobs annehmen?
Daiss: Das sind Menschen, die auf ein Einkommen angewiesen sind, um ihre laufenden Kosten zu decken. Sie sind ständig an der absoluten Grenze. Wenn der Lohn ein paar Tage zu spät kommt, gibt es Probleme: Das Dispo-Limit ist weit überschritten, die Vermieter sitzen im Nacken. Die Kolleg/innen haben alle Ratenkredite, weil sie ansonsten keine größeren Anschaffungen – wie zum Beispiel eine Waschmaschine – tätigen können. Diese Raten werden nicht gezahlt und es fallen Mahngebühren an. Alles zusätzliche Belastungen.
Warum arbeiten die Menschen noch dort?
Daiss: Weil sie keine andere Arbeit finden. Deshalb nehmen sie diese Bedingungen in Kauf – wenn auch zähneknirschend. Ihnen fehlen meist die Qualifikation oder Deutschkenntnisse: In der Systemgastronomie ist der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund deutlich höher als in anderen Branchen.
Kommen die Leute mit dem Lohn rum?
Daiss: Diese Beschäftigten können trotz einer Vollzeitstelle keinen finanziellen Puffer aufbauen. Dazu kommt, dass der überwiegende Teil der dort Beschäftigten Teilzeitverträge hat. Dort ist deutlich weniger Arbeitszeit eingetragen, als sie in der Realität eingesetzt werden. Dadurch schafft sich der Arbeitgeber ein Druckmittel.
Wie wird dieser Druck aufgebaut?
Daiss: Die Kolleg/innen sind oftmals für 5 bis zu 20 Stunden in der Woche eingestellt. Wenn sie darüberhinaus benötigt werden, nimmt man sie gerne. Aber wenn sie sich nicht wohl verhalten – also sich beschweren – werden sie nur noch im arbeitsvertraglichen Rahmen eingesetzt.
Kann man die Verträge nicht anpassen?
Daiss: Laut Tarifvertrag können Teilzeitbeschäftigte verlangen, dass der Arbeitsvertrag angepasst wird, wenn sie drei Monate über den darin getroffenen arbeitszeitlichen Umfang gearbeitet haben. Das müssen die einzelnen Beschäftigten aber im Zweifelsfall gerichtlich durchsetzen – und die geleistete Arbeitszeit nachweisen.
“Die Hemmschwelle, sich zu wehren ist sehr hoch”
Wie viele Beschäftigte gehen denn im laufenden Arbeitsverhältnis gegen ihren Arbeitgeber vor?
Daiss: Die wenigsten. Man geht mit seinem Arbeitgeber in der laufenden Beschäftigung nicht vor Gericht. Man möchte ja ein konfliktfreies Beschäftigungsverhältnis haben. Das merke ich in den Beratungsgesprächen.
Wie läuft das denn, wenn Sie von Gewerkschaftsseite eingeschaltet werden?
Daiss: Auch da gibt es sehr hohe Hemmschwellen uns hinzuzuziehen. Und dann müssen die Beschäftigten ihren Arbeitgeber auch mit dessen Versäumnissen konfrontieren. Damit ist der Konflikt schon vorprogrammiert. Und da zieht dann das Druckmittel der vertraglich vereinbarten Teilzeitarbeit.
Wieso wird es trotzdem gemacht?
Daiss: Die einzelnen Beschäftigten müssen ihre Arbeitsleistungen und die Abrechnungen in jedem einzelnen Monat prüfen und wenn man Differenzen feststellt, muss man als Beschäftigter für jeden Monat belegen, worin diese Differenzen bestehen. Das gilt auch für die Nachtzulage. Da müssen die Beschäftigten nachweisen, dass sie in diesem Zeitraum gearbeitet haben. Das machen aber die wenigsten. Außerdem würdigen viele Arbeitsgerichte die eigenen Aufzeichnungen als nicht beweiskräftig genug. Es gibt aber keine Verpflichtung, dass der Arbeitgeber, die erfassten Arbeitszeiten aushändigt. Ein Riesenproblem.
“Mitarbeiter werden eingeschüchtert”
Wie sieht es denn in Sinsheim mit einem Betriebsrat aus? Sie waren ja dabei, dort einen zu schaffen. Wie lief das ab?
Daiss: Dieses Vorhaben ist in die Leitungsebene durchgedrungen – mit der Konsequenz, dass der Initiator umgehend von Sinsheim nach Ludwigshafen versetzt wurde. Der hatte dann von einem Tag auf den anderen einen viel weiteren Arbeitsweg und wir hatten unseren Multiplikator in der Filiale verloren: Man braucht ja einen Beschäftigten, der sich zuständig und verantwortlich fühlt und der die Akzeptanz der Kolleg/innen hat. Und die verbliebenen – auch interessierten – Kolleg/innen sahen sich nicht in der Lage, die Betriebsratswahlen durchzuführen.
Die waren eingeschüchtert?
Daiss: Natürlich. Bei dem Kollegen in Sinsheim war es so, dass an dessen freiem Tag der Restaurantleiter und ein Manager vor der Wohnungstür standen und ihm seine Versetzung überreicht haben, ohne sie zu begründen.
Hat sich der Kollege dagegen gewehrt?
Daiss: Das hat er und war auch gerichtlich erfolgreich. Die Versetzung ist also unwirksam. Ein zwischenzeitlich ebenfalls eingeleitetes Kündigungsschutzverfahren läuft derzeit noch. Für den Arbeitgeber scheint die Dauer des Verfahrens und die Kosten keine Rolle zu spielen. Die Beschäftigten sehen sich dadurch aber einem immensen psychischen Druck ausgesetzt.
“Beschäftigten wurde Diebstahl unterstellt, um sie fristlos zu entlassen”
Welche anderen Fälle in der Systemgastronomie sind Ihnen in der Region noch bekannt?
Daiss: Insbesondere bei Pizza Hut in Heidelberg habe ich von noch krasseren Bedingungen gehört. Der Franchisenehmer ist die M Restaurant GmbH aus Frankfurt. Dort wurde beispielsweise zum Jahresende ein Store geschlossen und die Angestellten erst drei Tage vorher darüber informiert. Es gab mehrere Fälle, in denen den Beschäftigten Diebstahl vorgeworfen wurde mit der Konsequenz einer außerordentlichen, fristlosen Kündigung. Da läuft aktuell ein Verfahren.
Was ist mit den Burger King-Filialen in Mannheim, Heidelberg, Viernheim und Weinheim? Diese Restaurants betreibt die Shaffi Group. Wie sind die Verhältnisse dort?
Daiss: Da hatten wir vor mehreren Jahren mehrere Verfahren wegen untertariflicher Beschäftigung. Damals wurden schon die Grundlöhne nicht gezahlt. Wir haben einige Verfahren eingeleitet. Aber der Franchisenehmer hatte dann von sich aus eingelenkt, als wir für unsere Mitglieder die Ansprüche geltend gemacht haben. Ein Arbeitsgericht war da nicht mehr nötig. In jüngster Zeit sind uns derartige Probleme nicht mehr an uns herangetragen worden.
Wie viele Beschwerden sind denn in den vergangenen fünf Jahren aus dem Raum Rhein-Neckar an die NGG herangetragen worden?
Daiss: Derzeit läuft noch ein Verfahren, in dem es um Entgeltfortzahlungen und Nachtzuschläge geht. Insgesamt haben wir aus dem Bereich der Systemgastronomie mehr als 100 Verfahren in den vergangenen fünf Jahren geführt, der überwiegende Teil wurde dabei außergerichtlich durch Anerkennung der Ansprüche erledigt.
Sie sagten vorhin, dass besonders geringqualifizierte Menschen und Menschen mit wenig Deutschkenntnissen solche Jobs annehmen. Wie schwierig ist es, dass sich die in der Gewerkschaft organisieren?
Daiss: Wir brauchen einen Multiplikator im Unternehmen, der die entsprechende Muttersprache spricht. Dann gelingt es uns als Gewerkschaft sehr gut, die Kolleg/innen zu organisieren und zu Aktionen zu motivieren. Das haben wir in Bezug auf die Yi Ko in den vergangenen Monaten auch mit Aktionen in Ludwigshafen, Speyer und Kaiserslautern gezeigt. Aber leider ist man erst jetzt durch die aktuelle Berichterstattung darauf aufmerksam geworden.
Welche Reaktionen haben Sie seit dem Bericht von den Kolleg/innen in der Branche gehört?
Daiss: Ein Beschäftigter eines Franchisenehmers aus dem Bereich der Systemgastronomie hat mir gesagt, dass derzeit deutlich weniger Gäste in dessen Restaurant kommen. Die Kunden scheinen darüber nachzudenken, ob die Systemgastronomie das Ideale ist – vermutlich wegen der bei den Yi Ko-Filialen aufgedeckten hygienischen Mängel. Dieser McDonalds-Mitarbeiter sagte mir: “Das hätten sie bei uns auch finden können.”
“Gutes Betriebsklima bedingt bessere Hygiene”
Also auch dort? Woran liegt das?
Daiss: Das ist zum Einen davon abhängig, wie die Führungsebene mit Hygienefragen und den Miarbeitern umgeht und zum anderen wie gut das Betriebsklima ist. Wenn man nur Druck und kaum Anerkennung für die Arbeit erfährt, dann sinkt die Verantwortlichkeit für den Arbeitsplatz und die Identifikation mit der Firma. Dann sind hygienische Mängel vorprogrammiert.
Gibt es in der Systemgastronomie auch Arbeitgeber, in denen die Verhältnisse besser sind?
Daiss: Wenn man mal von dem niedrigen Einkommensniveau absieht, werden bei den Company-Betrieben von McDonalds schon die tariflichen Arbeitsbedingungen eingehalten. Und die einzelnen Beschäftigten können sich auch mal beschweren, ohne Konflikte auszulösen. Das Paradies ist das sicher nicht, aber geht es einigermaßen fair zu.
Zurück zu Burger King: Was erwarten Sie nach dem Rücktritt von Ergün Yildiz, was sich in den von Yi Ko betriebenen Filialen ändert?
Daiss: Wenn es dem Franchisegeber Burger King mit einem Neustart ernst ist, gehört meiner Meinung nach zu allererst dazu, dass die arbeitsgerichtlichen Verfahren gegen die gewählten Betriebsrät/innen zurückgenommen werden. Niemand steht gerne dem – auch ungerechtfertigten – Vorwurf gegenüber gestohlen und betrogen zu haben. Selbst, wenn an den Vorwürfen nichts dran ist, bleibt an diesen Menschen etwas hängen. Und es sind immer noch Menschen.
Wie schätzen Sie die Chancen für einen Betriebsrat in Sinsheim nach dem Rücktritt von Ergün Yildiz ein?
Daiss: Es ist im Moment nicht zu erwarten, dass dort ein Betriebsrat gewählt werden kann. Das liegt daran, dass die Kolleg/innen durch die Versetzung des damaligen Initiators sehr unmittelbar erfahren haben, was passieren kann.