Heidelberg/Rhein-Neckar, 08. Oktober 2012. (red/xmu) (Aktualisiert) Am 02. Oktober hätte der Gemeinderat eigentlich entscheiden sollen, ob in Zukunft ihre öffentlichen Sitzungen über Livestream aufgezeichnet werden dürfen. Die Wählerplattform Generation HD und Bündnis 90/Die Grünen reichten den Antrag zum dritten Mal ein, doch anstatt endlich eine Entscheidung zu treffen, wird diesmal hingehalten.
Von Xiaolei Mu
Gemeinderatssitzungen filmen und ins Internet stellen, um für die Bürger mehr Transparenz in der Stadtpolitik zu schaffen – für viele, vor allem jüngere und mittelalte Menschen ein Angebot mit viel Potenzial. Für viele Stadträte aber nicht und wie so oft ist ausgerechnet die SPD der Bremsklotz. Am 02. Oktober stand dieses Thema auf der Tagesordnung, doch SPD-Stadträtin Anke Schuster stellte einen Vertagungsantrag mit der Begründung, dass wegen der unsicheren Rechtslage erst auf ein Urteil des Landesdatenschutzbeauftragten gewartet werden soll.
Im Grunde genommen wurde der Tagesordnungspunkt damit abgewürgt.
So kommentiert es Peter Holschuh von den Grünen. Dem Antrag wurde im Gemeinderat zugestimmt. Damit scheint das Thema mehr Transparenz zunächst auf Eis gelegt, denn der Antrag “verbietet” weitere Diskussionen zum Thema, bis es wieder aufgenommen wird.
Es handelt sich hier aber gleichzeitig um einen “Rückverweisungsantrag”. Wenn der Bericht des Landesbeauftragten für den Datenschutz eintrifft, muss die Stadt das Thema unaufgefordert aufgreifen. Wann der Bericht jedoch fertig ist, konnte Schuster auf eine gemeinsame Anfrage von Generation HD und Bündnis 90/Die Grünen nicht sagen.
Der Hüter der Anonymität
Heidelberg ist nicht die einzige Stadt in Baden-Württemberg, in der Politiker versuchen, die Gemeinderats- und Ausschusssitzungen per Video aus den Sälen heraus zu den Bürgerinnen und Bürgern zu bringen. Freiburg und Konstanz bemühen sich ebenfalls darum. Gerade Mitglieder aus dem Gemeinderat Konstanz versuchen seit letztem Jahr ihr Konzept durchzuziehen. Sie holten sich dabei eine blutige Nase beim Landesdatenschutzbeauftragten. Der Konstanzer Stadtrat Jürgen Leipold (SPD) bat Landesinnenminister Reinhold Gall (SPD) Anfang dieses Jahres in einem Schreiben darum, eine rechtliche Grundlage für die Internetübertragung von Gemeinderatssitzungen in Baden-Württemberg zu schaffen, allerdings ohne Erfolg. (Wie peinlich sich SPD-Politiker in Passau anstellten und letztlich doch zusagten, kann man beim Bayerischen Rundfunk nachlesen und sehen.)
Zu Innenminister Reinhold Galls Bedenken gehört einerseits ein schwerer Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung, die nur durch ein gewichtiges Informationsinteresse zu rechtfertigen sei. Andererseits fürchtet er, dass “psychologische Hemmnisse” bei “weniger wortgewandten Stadträten” die Sitzungsatmosphäre und eine lebhafte Diskussion beeinträchtigen könne – Bedingungen, die für die Arbeit im Gemeinderat wichtig seien.
Aus diesen Gründen bitte ich Sie um Verständnis, dass das Innenministerium derzeit von einer entsprechenden Initiative absieht.
Die Heidelberger Stadträte wissen von Konstanz und sie wissen auch von dem Briefwechsel. Die Mehrheit von ihnen deutet die Absage des Landesinnenministeriums als ein Zeichen dafür, Konstanz dabei zuzusehen, wie sie sich gegenüber den Hürden des Landesdatenschutzbeauftragten abstrampeln, während Heidelberg die ganze Debatte erstmal aussitzt.
Die Datenschutzexpertin
Eines der Hauptprobleme für den staatlichen Datenschützer ist die Frage danach, wer die Livestreams im Gemeinderat produziert. Die offensichtliche Antwort, wie auch im Antrag von Generation HD und Bündnis 90/Die Grünen gefordert, ist die Stadtverwaltung, aber genau hier liegt der Pferdefuß.
Die Verarbeitung personenbezogener Daten ist der Verwaltung nur in einem sehr engen Rahmen möglich,
so Stadträtin Schuster. Auch sie spricht von der “informationellen Selbstbestimmung” der Stadträte, die unter anderem abgewägt werden müsse gegenüber Zweckdienlichkeit und Erforderlichkeit einer Internetübertragung im Gemeinderat und den Ausschüssen. Außerdem gebe es in der Gemeindeordnung keine Regelung für eine Maßnahme wie den Livestream, womit sie ihre Meinung untermauert, dass der Landesdatenschutzbeauftragte die Sache richten soll. Auf die Frage hin, ob sie den Livestream grundsätzlich für sinnvoll hält, antwortet sie:
Die SPD ist für Transparenz und Bürgerbeteiligung. Die Bürger sollen Debatten der Stadtpolitik nachvollziehen können und es soll barrierefrei geschehen.
Den Antrag von Generation HD und Grünen hält sie aber für “nicht zielführend”. “Wenn schon Übertragungen der Gemeinderatssitzungen und Ausschüsse ins Netz gestellt werden”, so Schuster, “dann sollen sie sinnmäßig sein.” Der Bürger solle jederzeit und überall schnell und zuverlässig die stadtpolitischen Themen, die ihn interessieren, abrufen können. Deshalb fordert sie auch das “taggen” – sprich das digitale Markieren – der Tagespunktordnungen, so dass der Bürger in den stundenlangen Videofiles schnell die für ihn relevanten Diskussionen findet.
Der Landesdatenschutzbeauftragte hat schwerpunktmäßig §4 des Landesdatenschutzgesetzes zitiert, als er sein Veto für den Livestream in Konstanz einlegte. Dieses Gesetz ist aber abgesehen von einer größeren Revision im Jahre 2000, die eine Anpassung an EU-Richtlinien war, seit 21 Jahren mehr oder weniger unverändert. Gegenüber einer Gesellschaft, in der die Nutzung von Social Media wie Facebook und Twitter sowie Videoplattformen wie Youtube explodiert ist, bedarf es hier vielleicht einer Generalüberholung. Solange dieses Gesetz jedoch gilt, stehen sich sinngemäße Transparenz in einer Online-Gesellschaft und Datenschutzansprüche der Stadträte gegenüber.
Anke Schuster ist Dozentin an der SRH Heidelberg. Einer ihrer thematischen Schwerpunkte ist der Datenschutz. Als Expertin müsste ihr mehr als deutlich bewusst sein, das ihr kompromissloser Anspruch an Transparenz mit der aktuellen gesetzlichen Lage unvereinbar ist. Aber vielleicht ist ihr das gerade recht so. Sie kritisiert den Ansatz von Generation HD und Bündnis 90/Die Grünen, das Aufzeichnen der Sitzungen zur Aufgabe der Verwaltung zu machen, doch Alternativen nennt sie keine.
Stadtrat Peter Holschuh (Grüne) hält die Datenschutzbedenken für “etwas vorgeschoben”. “Uns wäre es recht gewesen, wenn wir es mal ausprobiert hätten”, kommentiert er die vertagte Entscheidung zum Livestream. Stadtrat Derek Cofie-Nunoo (Generation HD) sieht es ähnlich:
Im Gesetz ist ein Livestream nicht ausdrücklich erlaubt, aber auch nicht ausdrücklich verboten. Aber für manche Gemeinderäte ist das, was nicht ausdrücklich erlaubt ist, auch nicht sicher.
Tatsächlich könnte man sogar aus dem Schreiben von Innenminister Reinhold Gall an Konstanzer Stadtrat Jürgen Leipold herauslesen, dass er Städte und Kommunen zur Eigeninitiative ermutigt:
Eine Realisierung ist unter den vom Landesbeauftragten für den Datenschutz formulierten Rahmenbedingungen aufwändig. Grundsätzlich ist jedoch “livestreaming” aus Gemeinderatssitzungen auch nach den aktuellen gesetzlichen Bestimmungen möglich. Im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung können die Kommunen selbst entscheiden, wie sie mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung erreichen wollen.
Schließlich erinnert sich Peter Holschuh noch daran, wie die SPD zusammen mit Grünen, Generation HD und anderen bei der Abstimmung des Doppelhaushaltes 2011/12 für die Durchführung des Livestreams gestimmt hatte. Bei der Abstimmung eines Haushaltsplans steckt natürlich ein riesiges Bündel an Maßnahmen in einem einzigen Paket. Entsprechend äußert sich Peter Holschuh auf die Frage, ob die SPD damals keine Bedenken zum Datenschutz hatte:
Es war ein Kompromiss.
Eine Chance für die Presse
Während in Heidelberg die Livestream-Initiative wiederholt geblockt wurde, hat Konstanz schon längst den nächsten Schritt getan. Die Datenschutzbestimmungen sind für die Verwaltung zwar sehr eng gefasst, aber die Presse mit ihrem Recht auf freie Berichterstattung kann einen Teil der gesetzlichen Hindernisse umgehen, wenn auch nicht alle. Die Redakteure des Südkurier in Konstanz, die sich bereit erklärt haben, die Gemeinderatssitzungen zu filmen, müssen sich immer noch mit einer Reihe von Auflagen herumschlagen. Beispielsweise dürfen die Redakteure Mitarbeiter der Verwaltung nicht filmen und sie können nur ausgesuchte Tagesordnungspunkte aufnehmen, aber nie die ganze Sitzung. Ferner müssen die Kameras so stehen, dass sie den normalen Betrieb im Gemeinderat nicht stören.
Wäre ein solches Modell auch für Heidelberg denkbar? Stadtrat Derek Cofie-Nunoo schmiedet bereits Pläne für Medienpartnerschaften. Generation HD soll ein Programm starten mit dem Namen “wenn-ihr-wüsstet-TV”. Dafür möchte Stadtrat Cofie-Nunoo alle Jugendparteien egal welcher politischer Farbe ins Boot holen. In Kooperation mit Redakteuren der lokalen Presse sollen dann Livestreams aus dem Gemeinderat produziert werden. So weit es der gesetzliche Rahmen erlaubt. Stadtrat Peter Holschuh meint dazu:
Ich habe mit verschiedenen Vertretern der Presse gesprochen und sie haben gesagt, dass diese Maßnahme ihre Arbeit enorm erleichtern würde.
Bündnis 90/Die Grünen wollen den Antrag für Internetübertragungen im Gemeinderat ebenfalls weiterverfolgen. “Falls der Landesdatenschutzbeauftragte sich bis Ende des Jahres nicht meldet, würden wir es uns für das Frühjahr 2013 auf die Fahnen schreiben.” Zu der Position der CDU gibt es bisher noch keine Aussagen. Fraktionsvorsitzender Jan Gradel hat auf die Anfrage der Redaktion noch nicht geantwortet. Anhand der Informationsvorlage der Gemeinderatssitzung vom 02. Oktober 2012 hält er zum Thema Livestream aber oft die Gegenrede und auch seine Haltung gegenüber einem Kameramann von die-stadtredaktion.de scheint darauf hinzudeuten, dass er der geplanten Maßnahme zu mehr Transparenz eher nicht zustimmt. (Aktualisiert, 10.10.2012) Stadtrat Jan Gradel (CDU) hat geantwortet und fasst die Position seiner Fraktion folgenderweise zusammen:
Die CDU Fraktion steht einem Live-Streaming aus dem Gemeinderat oder dessen Ausschüssen skeptisch gegenüber, oder lehnt dieses ab. Der Gemeinderat ist kein Berufspolitikerparlament sondern ein Gremium aus ehrenamtlich Tätigen, die darüber hinaus noch ein erhebliches Maß an beruflicher, familiärer und anderer ehrenamtlicher Tätigkeit leisten. Des Weiteren verfügen die Fraktionen und Einzelmitglieder nicht über die Ressourcen von beruflichen Politikern, mit denen sie Recherchen, Statistiken oder Redebeiträge vorbereiten lassen könnten. Daher sind die Redebeiträge manchmal nicht auf alle möglichen Implikationen überprüft sondern eher spontaner Natur.
Seiner Meinung nach, gibt es schon genug Tranzparenz in der Stadtpolitik.
Der interessierte Bürger kann in Heidelberg jede öffentliche Vorlage zeitgleich mit den Stadträten aus dem Internet abrufen und sich umfassend informieren, Fragen dazu stellen oder seine Meinung dazu äußern. Diese Möglichkeiten wurden vom Rat und Stadtverwaltung geschaffen um die Bürger in den politischen Prozess mit einzubeziehen.
Und zum Schluss appelliert er an das Vertrauen der Bürger.
Darüber hinaus zeigt die aktuelle Debatte über das Medium Internet gerade den Fluch des absolut öffentlichen Menschen auf. Kleine Gruppen schneiden und setzen beliebige Sentenzen zusammen und veröffentlichen diese rasend schnell über das Medium und bestimmen dadurch den politischen Ablauf. Das haben die Väter unserer Verfassung nicht gewollt, und ist nicht Bestandteil unserer im Gemeinderat gelebten Kultur. Grundstein der gemeinderätlichen Abläufe ist vielmehr das Vertrauen der Bürger in die von ihnen gewählten Personen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Nicht, die Gewissheit, es handele sich um gute Rhetoriker.